Barbara

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Originaltitel: Barbara – Regie: Christian Petzold – Drehbuch: Christian Petzold, Harun Farocki – Kamera: Hans Fromm – Schnitt: Bettina Böhler – Musik: Stefan Will – Darsteller: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Rainer Bock, Christina Hecke, Claudia Geisler, Rosa Enskat, Jasna Fritzi Bauer, Mark Waschke, Peter Benedict, Jannik Schümann, Susanne Bormann, Alicia von Rittberg, Kirsten Block u.a. – 2012; 105 Minuten

Inhaltsangabe

Nachdem die Ostberliner Ärztin Barbara einen Ausreiseantrag gestellt hat, wird sie in ein Provinzkrankenhaus verbannt. André Reiser, ihr neuer Chef, behandelt sie freundlich und verständnisvoll. Gerade deshalb verdächtigt sie ihn, er wolle ihr Vertrauen erschleichen, um sie besser für die Stasi bespitzeln zu können. Mehrmals durchsucht die Stasi die schäbige Wohnung, die man ihr zugeteilt hat. Dazu gehören auch Leibesvisitationen. Barbaras Geliebter, ein Geschäftsmann aus der Bundesrepublik, bereitet ihre Flucht aus der DDR vor ...
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Kritik

Die von Christian Petzold nüchtern und ohne Musikuntermalung erzählte Geschichte wirkt authentisch. Ronald Zehrfeld und v.a. Nina Hoss machen mit ihren überzeugenden schauspielerischen Leistungen aus "Barbara" ein packendes Drama.

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Nachdem die an der Charité in Ostberlin tätige Ärztin Barbara (Nina Hoss) einen Ausreiseantrag gestellt hat, wird sie im Sommer 1980 in ein Provinzkrankenhaus in Mecklenburg verbannt. An ihrem ersten Arbeitstag trifft ein paar Minuten zu früh ein, setzt sich vor dem Krankenhaus auf eine Bank und raucht eine Zigarette, bis die Kirchturmuhr die volle Stunde schlägt, denn sie will dem System keine Minute schenken. Der Stasi-Offizier Klaus Schütz (Rainer Bock) und ihr neuer Chef André Reiser (Ronald Zehrfeld), der Leiter der Abteilung Kinderchirurgie, beobachten es von einem Fenster aus.

In der Kantine setzt Barbara sich mittags nicht zu den anderen Ärzten ihrer Abteilung, sondern zu einer Krankenschwester. Als sie nach Dienstschluss auf dem Weg zur Bahn ist, hält Reiser mit dem Auto neben ihr und bietet ihr an, sie mitzunehmen. Er rät ihr freundlich, sich nicht zu separieren, denn damit bringe sie die Kollegen gegen sich auf. Ohne sich nach der Adresse zu erkundigen, bringt er sie nach Hause. Daraus schließt Barbara, dass er von der Stasi über sie informiert wurde. Und obwohl er auch an den nächsten Tagen wohlwollend auf sie eingeht, bleibt sie auf Distanz, denn sie argwöhnt, dass er der Stasi Berichte liefert.

Schütz sitzt des Öfteren im Auto vor dem Mietshaus, in dem man ihr eine schäbige kleine Wohnung zugewiesen hat, und die Hausmeisterin (Rosa Enskat) meldet alles, was ihr verdächtig erscheint.

Dennoch gelingt es Barbara, die inzwischen ein Fahrrad gefunden und repariert hat, unbemerkt in ein Waldstück zu kommen, wo sich ihr Geliebter Jörg (Mark Waschke), ein Geschäftsmann aus der Bundesrepublik, mit ihr verabredet hat. Er kommt mit einem Kollegen (Peter Benedict), der neben dem am Straßenrand geparkten Mercedes wartet, bis Jörg und Barbara sich auf dem Waldboden geliebt haben. Einem von dem Westauto beeindruckten Trabi-Fahrer (Thomas Neumann) erzählt er, sein Beifahrer sei wegen eines dringenden Bedürfnisses im Wald.

Barbara erhält von Jörg eine Tüte mit Geschenken und einem Bündel 100-Mark-Scheine. Das Westgeld wird sie für ihre Flucht in den Westen benötigen, die Jörg gerade vorbereitet. Sie versteckt es auf dem Rückweg unter einem großen Stein.

Als sie nach Hause kommt, wartet Schütz bereits mit einem Untergebenen (Jean Parschel) auf sie, der ihre Wohnung durchsucht, während Barbara sich im Bad ausziehen muss, damit eine Stasi-Mitarbeiterin (Anette Daugardt) ihre Körperöffnungen kontrollieren kann.

Eines Tages bringt die Polizei eine Jugendliche mit Gewalt ins Krankenhaus. Stella (Jasna Fritzi Bauer) riss aus dem geschlossenen Jugendwerkhof Torgau aus. Sie scheint krank zu sein. Weil sie jedoch schon mehrmals Krankheiten simulierte, um sich vor der Arbeit zu drücken, misstraut ihr auch Reiser. Barbara erkennt schnell, dass die Ausreißerin aufgrund eines Zeckenbisses an einer Meningitis leidet. Reiser ist von Barbaras Kompetenz beeindruckt und bedauert sein Vorurteil. Sie kümmern sich beide intensiv um die Patientin, und weil diese im Dunkeln liegen muss, liest Barbara ihr aus „Huckleberry Finns Abenteuer“ vor. Stella ist schwanger. Als sie zu Barbara sagt, das Kind müsse weg, nimmt die Ärztin zunächst an, sie spreche von einer Abtreibung, aber Stella möchte nicht, dass ihr Kind in der DDR aufwächst und womöglich den gleichen Repressionen ausgesetzt ist wie sie.

André Reiser hat sich im Krankenhaus ein kleines Labor eingerichtet. An der Wand hängt eine Reproduktion des Gemäldes „Die Anatomie des Dr. Tulp“ von Rembrandt. Dargestellt ist ein Gehenkter, der seziert wird. Reiser wundert sich darüber, dass die Mediziner alle in einen anatomischen Atlas starren und sich am linken Arm des Toten eine rechte Hand befindet.

Er nennt Barbara den Grund für seine eigene Versetzung an die Ostsee-Küste. In dem Krankenhaus in Eberswalde, in dem er zuvor arbeitete, gelang es ihm, zwei moderne Brutkästen aus Neuseeland zu bekommen, aber er konnte das dicke Handbuch in englischer Sprache nicht lesen. Eine Assistentin mit Grundkenntnissen in Englisch half ihm, sich durch die Anleitung zu arbeiten. Als sie die Geräte während seiner Abwesenheit in Betrieb nahm, achtete sie nicht darauf, dass die Temperaturen in Fahrenheit statt in Celsius angegeben waren. Durch die Überhitzung löste sich bei zwei Frühgeborenen die Netzhaut und sie erblindeten. Der Vorfall, für den Reiser als Chef der Abteilung die Verantwortung trug, wurde vertuscht. Man versetzte ihn hierher und verlangte von ihm, sich als IM zu verpflichten. – Weil Barbara nicht weiß, ob Reiser ihr die Wahrheit erzählt oder darauf aus ist, sich ihr Vertrauen zu erschleichen, bleibt sie vorsichtig.

Und als Reiser ohne Rücksprache mit ihr einen Klavierstimmer (Thomas Bading) zu ihr schickt, weil er erfahren hat, dass in ihrer Wohnung ein verstimmtes Klavier steht und sie spielen kann, erklärt sie ihm am nächsten Tag, sie wolle selbst für sich sorgen.

Stella wird nach ihrer Genesung in den Jugendwerkhof Torgau zurückgebracht. Weder Barbara noch Reiser können es verhindern.

Während eines erneuten Aufenthalts in der DDR verabredet Jörg sich mit Barbara in einem Interhotel. Sie klettert durchs Fenster in sein Zimmer. Er bespricht mit ihr den Fluchtplan. Am nächsten Samstagabend soll sie mit dem Westgeld zu einer markanten Stelle an der Küste kommen und dort stehen bleiben. Der Fluchthelfer verfügt über ein Nachtsichtgerät. Er wird sie sehen und mit einem Schlauchboot aufnehmen, nachdem er das Geld kassiert hat. Jörg will in Dänemark auf sie warten und sie von dort mit in die Bundesrepublik nehmen. Sie brauche dann nicht mehr zu arbeiten, sagt er, er verdiene genug. Barbara hat allerdings gar nicht vor, ihren Beruf aufzugeben.

Im Hotel teilt Jörg sich mit einem Kollegen im Nachbarzimmer das Bad. Während die Geschäftsleute an einer einstündigen Veranstaltung teilnehmen, wartet Barbara auf ihren Geliebten. Steffi (Susanne Bormann), eine junge Prostituierte, die gerade mit dem anderen Mann im Bett war, kommt mit einem Glas Sekt in der Hand herüber, erzählt ihrer vermeintlichen Kollegin, der Freier habe sie aufgefordert, sich einen Ring aussuchen und blättert mit ihr in einem Quelle-Katalog. Sie träumt davon, dass der Westdeutsche sie heiratet und mitnimmt.

Im Krankenhaus lügt Barbara, sie wolle am Wochenende ihre Wohnung renovieren und brauche deshalb zwei Tage frei. Sie werde das mit zusätzlichen Nachtschichten ausgleichen. Reiser ist einverstanden.

Ein Jugendlicher wird eingeliefert, der in suizidaler Absicht Lösungsmittel schluckte und sich aus einem Fenster stürzte. Reiser lässt Mario (Jannik Schümann) als Erstes den Magen auspumpen. Dann werden die Knochenbrüche behandelt. Obwohl auf den Röntgenbildern keine Hinweise auf Verletzungen des Gehirns zu erkennen sind und Mario entsprechende Testfragen korrekt beantwortet, befürchtet Reiser, dass Teile des Gehirns durch den Sturz in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Während der Nachtschicht bemerkt Barbara ein junges Mädchen, das Mario besucht. Sie spricht mit der Jugendlichen. Angie (Alicia von Rittberg) ist Marios Freundin. Weil sie bei einer Party mit zwei Kubanern tanzte und er deshalb glaubte, sie werde sich von ihm trennen, versuchte er sich das Leben zu nehmen. Er habe zwar jetzt mit ihr geredet, aber keine Gefühle gezeigt, berichtet Angie. Das deutet auf eine Gehirnverletzung hin.

Weil Reiser am nächsten Tag frei hat, fragt Barbara sich zu seiner Privatadresse durch, um zu bestätigen, dass Mario noch einmal operiert werden müsse. Der Arzt ist nicht zu Hause, aber ein Nachbar (Christoph Krix) sagt ihr, wo sie ihn finden könne. Im Parterre des angegebenen Hauses trifft Barbara zu ihrer Verwunderung auf Klaus Schütz. Er wohnt hier. Reiser behandelt die krebskranke Frau des Stasi-Offiziers. Für Friedl Schütz (Kirsten Block) gibt es keine Hoffnung mehr; der Arzt kann nur noch ihre Schmerzen mit illegalen Morphium-Injektionen lindern. Die Schwester der Todkranken (Irene Rindje), die Barbara für André Reisers Freundin hält, gibt den beiden Tomaten, Paprikaschoten, Auberginen und Zwiebeln mit.

Daraus will Reiser ein Ratatouille machen, und er lädt Barbara ein, mit ihm zu essen, bevor sie ins Krankenhaus fahren. Während er das Gemüse zerkleinert und Kräuter aus dem Garten holt, nimmt sie ein Buch von Iwan S. Turgenjew mit dem Titel „Aufzeichnungen eines Jägers“ in die Hand. Reiser schenkt es ihr und weist sie auf die Geschichte „Der Kreisarzt“ hin. Sie handelt von einem hässlichen alten Arzt, der zu einer sterbenden jungen Patientin kommt, die noch keine sexuellen Erfahrungen hat. Damit sie vor ihrem Tod wenigstens einmal geliebt wird, vereinigt er sich mit ihr. Leise sagt André Reiser, er freue sich über Barbaras Anwesenheit. Da geht sie zu ihm und küsst ihn. Aber dann erschrickt sie und rennt davon. Das Buch nimmt sie mit.

Mit einem Spezialisten aus einer anderen Stadt vereinbart Reiser telefonisch Marios Gehirnoperation für Samstagnachmittag. Er will bei dem Eingriff assistieren und erwartet von Barbara, dass sie die Anästhesie übernimmt. Sie weist darauf hin, dass er ihr frei gab und schlägt eine Kollegin vor, aber er meint, sie könne ihre Renovierungsarbeiten für zwei Stunden unterbrechen. Schließlich sagt sie widerstrebend zu. Es ist der Samstag, für den Jörg ihre Flucht nach Dänemark vorbereitet hat.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Als sie in ihrer Wohnung in dem Buch von Turgenjew blättert, hört sie ein Geräusch an der Tür. Es ist Stella. Das Mädchen floh vor ein paar Tagen erneut aus dem Werkhof in Turgau und verletzte sich am Stacheldraht. Barbara injiziert der erschöpften Jugendlichen ein Schmerzmittel und Codein, damit sie nicht einschläft, denn statt ins Krankenhaus will sie nach Einbruch der Dunkelheit zur Küste. Sie nimmt Stella auf dem Fahrrad mit. Die Hausmeisterin beobachtet es und alarmiert Schütz.

Reiser, der vergeblich auf Barbara wartete und im letzten Augenblick die Ärztin Karin (Christina Hecke) als Ersatz ins Krankenhaus rief, fährt nach der Operation zu Barbara. Dort trifft er auf Schütz. Der Stasi-Offizier meint: „Die werden wir wohl nicht wiedersehen.“

Am Strand schreibt Barbara ein paar Zeilen auf einen Zettel, den sie dem fast ohnmächtigen Mädchen zusteckt. Ein Mann auf einem Jet-Ski kommt mit einem Schlauchboot für eine Person. Barbara gibt ihm das Banknotenbündel und hebt Stella ins Schlauchboot. Dann kehrt sie zu ihrem Fahrrad zurück.

Am nächsten Morgen sitzt André Reiser an Marios Bett. Hinter ihm geht die Tür auf, aber er dreht sich nicht um. Barbara kommt herein und setzt sich wortlos auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Bettes. Sie blicken sich an.

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In der Novelle „Barbara“ (1936) erzählt Hermann Broch (1889 – 1951) von einer Kommunistin, die Ende der Zwanzigerjahre als Kinderärztin in einem Krankenhaus arbeitet und sich in einen Kollegen verliebt. Die tragisch endende Geschichte gefiel Christian Petzold, aber einen Film mit dem Titel „Barbara“ drehte er erst, nachdem er von einem Arzt aus Fürstenwalde erfahren hatte, welchen Schikanen Ärztinnen und Ärzte in der DDR ausgesetzt waren, wenn sie einen Ausreiseantrag stellten.

Das Drama „Barbara“ handelt von Repressalien und Demütigungen in einem Überwachungsstaat, in dem jeder befürchten muss, dass der andere ihn für die Stasi bespitzelt. In diesem Umfeld macht es Barbara misstrauisch, dass ihr Chef sanft, freundlich und verständnisvoll mit ihr umgeht. Der Film dreht sich um das Bedürfnis nach Freiheit, Privatsphäre und Selbstverantwortung, das in Konflikt geraten kann mit Solidarität, Fürsorge und Liebe. „Barbara“ ist ein Plädoyer dafür, zur Verbesserung der Lage beizutragen, statt davonzulaufen.

Ein paar Einzelheiten sind schwer nachvollziehbar. Konnten sich Ärzte in einem DDR-Krankenhaus so viel Zeit für einzelne Patienten nehmen, wie es hier gezeigt wird? Wie gelangt Barbara unbemerkt durch ein Fenster im ersten Stock ins Interhotel? Woher kennt Stella ihre Privatadresse, und wieso trifft das Mädchen genau zur entscheidenden Minute bei ihr ein? Aber davon abgesehen, erzählt Christian Petzold eine spannende, packende und aufwühlende Geschichte, die sich stringent und chronologisch entwickelt. Auf Musikuntermalung hat er dabei fast völlig verzichtet. Stattdessen achtet Petzold auf die Wiedergabe von Geräuschen. Das ist eindrucksvoll, unterstreicht die nüchterne Art der Darstellung und trägt zusammen mit dem sorgfältig gestalteten Setting dazu bei, die Szenen authentisch wirken zu lassen.

Die beiden gegensätzlichen Hauptfiguren werden von Nina Hoss und Ronald Zehrfeld glaubwürdig dargestellt. Nina Hoss ist in fast jeder Einstellung zu sehen. Sie verkörpert die spröde, misstrauische Regimegegnerin Barbara nuanciert und facettenreich, ausdrucksstark und überzeugend. Mit ihrer grandiosen schauspielerischen Leistung trägt sie den herausragenden Film.

Gedreht wurde von August bis Oktober 2011 in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Innenaufnahmen entstanden vor allem in einem leer stehenden Krankenhaus in Kirchmöser, einem Ortsteil der Stadt Brandenburg an der Havel.

In acht Kategorien wurde „Barbara“ für den Deutschen Filmpreis 2012 nominiert: Bester Spielfilm, Drehbuch, Regie, Kamera, Schnitt, Kostümbild, Tongestaltung, Hauptdarsteller (Ronald Zehrfeld). Am Ende erhielt aber nur Christian Petzold einen „Silbernen Bären“ für die Regie. „Barbara“ hätte Besseres verdient, und dass man die Hauptdarstellerin Nina Hoss gar nicht erst nominiert hatte, ist völlig unverständlich.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012

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