Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Eine Geschichte von Liebe und Finsternis
Eine Geschichte von Liebe und Finsternis / A Tale of Love and Darkness – Regie: Natalie Portman – Drehbuch: Natalie Portman, nach dem Roman "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" von Amos Oz – Kamera: Sławomir Idziak – Schnitt: Andrew Mondshein, Hervé Schneid – Musik: Nicholas Britell – Darsteller: Natalie Portman, Gilad Kahana, Amir Tessler, Yonatan Shiray, Makram Khoury, Shira Haas u.a. – 2015; 95 Minuten

Inhaltsangabe

Arie und Fania Klausner gehören zu den Juden aus Osteuropa, die vor dem Zweiten Weltkrieg nach Palästina kommen. Ihr 1939 geborener Sohn Amos wächst in Jerusalem auf. Er hört und sieht mehr, als er begreifen kann. Ohnmächtig beobachtet er die Konflikte in der Ehe der Eltern und die Depression seiner geliebten, durch den Holocaust traumatisierten Mutter. Retten kann er sie nicht. Ihr Suizid verstört ihn ...
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Kritik

Anders als der in orientalischer Üppig­keit ausschweifende Schrift­steller Amos Oz beschränkt sich Natalie Portman bei der Verfilmung von "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" auf die Jahre 1945 bis 1954 und verschlankt die Handlung.
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1947 freut sich Arie Klausner (Gilad Kahana), der als Bibliothekar an der Nationalbibliothek in Jerusalem beschäftigt ist, über ein Paket mit fünf Exemplaren seines ersten Buches. Bei einer Buchhandlung, die sie verkaufen soll, stehen sie lange Zeit in der Auslage. Dann berichtet Arie euphorisch seiner Frau Fania (Yuval Garber, Shira Haas, Natalie Portman) und seinem achtjährigen Sohn Amos (Kind: Amir Tessler, Jugendlicher: Yonatan Shiray, Greis: Alexander Peleg), dass sie verkauft seien. Amos entdeckt die Bücher jedoch wenig später im Bücherschrank eines mit seinem Vater befreundeten erfolgreichen Schriftstellers, der sie daraufhin verlegen wegräumt.

In dem kleinen Gemüsegarten, den Arie mit Hilfe seines Sohnes anlegt, wächst nichts. Amos ist enttäuscht. Eines Tages weist ihn der Vater auf eine grüne Reihe hin. Die Salatköpfe hat er jedoch vom Markt mitgebracht und eingepflanzt.

Fania erzählt ihrem Sohn gern Märchen und Geschichten, zum Beispiel von einem Mönch, der eine Ertrinkende rettet, einem reichen Pelzhändler, der seinen Beruf aufgibt und als Fuchsmensch durch die Wälder streift, von einer Frau, die sich in ihrer Hütte selbst verbrennt oder einem Mädchen, das durch ein Fenster beobachtet, wie sich ein polnischer Offizier mit seinem Revolver in den Kopf schießt.

Mehrmals im Jahr schickt Fania ihren in Tel Aviv wohnenden Eltern einen Brief und schlägt einen bestimmten Tag und eine bestimmte Uhrzeit vor, zu der Itta und Naftali Mussman dann in einer Apotheke in Tel Aviv warten, bis das Telefon klingelt und die Klausners aus einer Apotheke in Jerusalem anrufen. Über einen eigenen Telefonanschluss verfügt keine der beiden Familien.

Als Amos‘ Onkel Staszek Rudnicki (Gera Sandler) und seine Tante Malka (Silvia Drori) bei einem arabischen Kaufmann eingeladen sind, nehmen sie ihren Neffen mit und schärfen ihm unterwegs Benimmregeln ein. Im Garten trifft der Achtjährige auf Aischa (Salina Daw), eine Nichte des Gastgebers, und ihren kleinen Bruder Awwad. Aischa ist etwas jünger als Amos. Nachdem sie eine Weile geplaudert haben, will Amos seinen Mut beweisen und klettert auf den Baum, an dem Aischas Schaukel hängt. Auf einem Ast stehend, fühlt er sich wie Tarzan und rüttelt er an den Ketten der Schaukel. Dabei reißt eine der Aufhängungen, und das wild herumschwingende Schaukelbrett trifft Awwad. Arie versucht später, sich bei dem reichen Araber zu entschuldigen, aber der geht nicht darauf ein.

Nachdem die britische Regierung das Mandat für Palästina zurückgegeben hat, beschließt die UN-Vollversammlung am 29. November 1947 die Gründung eines israelischen Staates. Palästina soll zwischen Juden und Arabern aufgeteilt werden. Am 15. Mai 1948 ensteht der Staat Israel, der noch in derselben Nacht von Ägypten, Transjordanien, dem Libanon und Syrien ohne Kriegserklärung angegriffen wird.

Während der Unruhen und des Krieges wird die Souterrainwohnung der Klausners in Jerusalem zur Zufluchtsstätte für die Bewohner der oberen Stockwerke. Eine mit Fania befreundete Nachbarin wird beim Wäscheaufhängen von einem Heckenschützen erschossen.

Amos behauptet zwar, er wolle lieber Landwirt als Schriftsteller werden, aber als er in der Schule gemobbt wird, beginnt er in einer bedrohlichen Lage eine Geschichte von Tarzan zu erzählen und schlägt die Angreifer damit in seinen Bann.

Auf dem Nachhauseweg sieht er seinen Vater mit einer anderen Frau in einem Straßencafé. Aufgewühlt rennt er weiter. Seine Mutter sitzt vor dem Wohnhaus im strömenden Regen auf einer Bank. Sie leidet unter Migräne, Schlaflosigkeit und Depressionen. „Deine Mutter straft sich selbst. Nur um mich zu bestrafen“, erklärt Arie seinem Sohn. Vielleicht handelt es sich aber auch um ein Trauma: In der früher polnischen, inzwischen ukrainischen Stadt Rowno, in der Fania aufgewachsen war, ermordeten die Deutschen 1941/42 28 000 Juden, darunter viele Verwandte Fanias.

Arie bringt seine kranke Frau zu ihren beiden in Tel Aviv lebenden Schwestern Chaja und Sonia. Dort soll sie sich erholen. Aber am 6. Januar 1952 nimmt sich die 38-Jährige mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben.

Zwei Jahre später verlässt Amos den Vater und zieht in einen Kibbuz.

„Wenn ich mir die Geschichte ausgedacht hätte, hätte sie ein anderes Ende genommen“, sagt Amos als alter Mann.

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Bei dem Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ handelt es sich um ein sehr persönliches autobiografisches Buch, in dem Amos Oz Fakten und Fiktion vermischt hat, ein Opus Magnum der Erinnerung, geboren vielleicht aus dem Bedürfnis, den Selbstmord der Mutter zu verstehen.

Nachdem Amos Oz sich lange Zeit gegen eine Verfilmung gesträubt hatte, beantwortete er Natalie Portmans Anfrage positiv. Die Schauspielerin schrieb das Drehbuch, beteiligte sich an der Produktion, führte Regie und übernahm die Hauptrolle.

Natalie Portman wurde am 9. Juni 1981 mit bürgerlichem Namen Neta-Lee Hershlag in Jerusalem geboren. Als sie drei Jahre alt war, wanderten die Eltern – der israelische Arzt Avner Hershlag und dessen jüdisch-amerikanische Ehefrau Shelley Stevens – in die USA aus. 1994 wurde Natalie Portman durch die Rolle der Mathilda in dem Film „Léon. Der Profi“ berühmt. Ihr Psychologie-Studium in Harvard schloss sie 2003 mit einem Bachelor-Titel ab. Ihren Debüt-Kinofilm als Regisseurin – „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ – drehte sie in Israel in ihrer hebräischen Muttersprache.

Amos Oz geht in seinem Familienepos „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Er erzählt weit ausholend, mit überbordender Liebe zum Detail und in orientalischer Üppigkeit. Natalie Portman beschränkt sich bei der Romanverfilmung nicht nur auf die Jahre 1945 bis 1954, sondern verschlankt darüber hinaus auch die Handlung. Der Film „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ dreht sich um die enge Beziehung von Mutter und Sohn. Amos hört und sieht mehr, als er begreifen kann. Er kann die Mutter nicht retten. Ihr Suizid traumatisiert ihn.

„Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ beginnt ohne Bild. Wir hören, wie Fania und ihr Sohn sich gemeinsam eine Geschichte ausdenken. Fania: „Es war einmal ein Dorf, aus dem alle Einwohner geflohen waren.“ Amos: „Sogar die Ratten hatten es schon lange verlassen.“ Erst nach einer Weile sehen wir etwas: eine gestikulierende Frauenhand. Mit diesem Auftakt symbolisiert Natalie Portman die Bedeutung des Wortes. Es erschafft Bilder.

Dazu passt der immer wieder eingeblendete Greis Amos, der durch Jerusalem geht, über seine Erinnerungen redet und im Erzählen die melancholische „Geschichte von Liebe und Finsternis“ kreiert, die wir sehen. In ihr geht es um Wunschträume und Enttäuschung, Aufbruch und Verlust.

Natalie Portman montiert Archivmaterial in den Spielfilm, aber die politische Dimension – britisches Mandatsgebiet, Staatsgründung, Unruhen, Krieg – wird nicht vertieft. Eine eindrucksvolle Szene veranschaulicht das Zusammenleben von Juden und Arabern: Als der achtjährige Amos unabsichtlich ein kleines arabisches Kind verletzt, weicht das zaghafte Wohlwollen zwischen den Erwachsenen sogleich neuem Zorn.

Erst in der letzten halben Stunde löst sich Natalie Portman stärker von der literarischen Vorlage. Dadurch verstärken sich der Handlungsfluss und die Dramatik.

Vielleicht aus Ehrfurcht vor der literarischen Leistung des Autors, vielleicht aus Rücksicht auf das private Unglück hängt sich Portman zu sehr an ihre Vorlage. Statt eine eigene Bildsprache zu entwickeln, reiht die Regisseurin in der ersten Hälfte des Films lediglich Szenen mit Familie und Freunden aneinander. Später montiert sie dokumentarisches Material in den Film, ohne jedoch die Zeitgeschichte atmosphärisch verdichten zu können. Die Regisseurin Portman erliegt der Versuchung, Literatur nachzuerzählen, statt sie mit den Mitteln des Films neu zu denken. Sie will zu viel und wagt zu wenig. (Carmen Eller, „Zeit online“, 3. November 2016)

Überzeugend ist Natalie Portmans schauspielerische Leistung. Sensibel und nuanciert verfügt sie über einen weit gefächerten Facettenreichtum zwischen Depression und Zuversicht.

Die Dreharbeiten fanden in Jerusalem, Tel Aviv, am Jordan und in den Kibbuzim Beit Nir bei Lakhish und Hulda in der Schefela statt.

Die Musikuntermalung stammt von Nicholas Britell. Mit Tim Fain gemeinsam bearbeitete er eine Passage aus der Oper „Aleko“ von Sergei Rachmaninoff („Women’s Dance“). „Main Theme In F#“ / „Poeme In F#“ und „Emunah V’Omanut“ entstanden in Zusammenarbeit von Nicholas Britell und Re’ut Ben-Ze’ev. Charles Trenet ist mit dem Chanson „La Mer“ zu hören. Natalie Portman selbst singt das Schlaf- und Volkslied „Cossack Lullaby“. Der aus 16 Titeln bestehende Soundtrack von „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ wurde am 29. Januar 2016 veröffentlicht.

Die Filmpremiere fand am 16. Mai 2015 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes statt. In die deutschen Kinos kam „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ am 3. November 2016.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017

Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Natalie Portman u. a.: New York, I Love You

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