Zeruya Shalev : Schicksal
Inhaltsangabe
Kritik
Rachel und Meno
1944 schließt sich die 15-jährige Gymnasiastin Rachel der radikal-zionistischen paramilitärischen Untergrundorganisation Lechi an, die gewaltsam gegen die britische Besatzung Palästinas kämpft. Ihr ein Jahr älterer Mitschüler Mechanchem („Meno“) Rubin gehört unter dem Decknamen Jiftach bereits dazu. Sie werden ein Paar und heiraten 1947. Aber sie sehen sich nur selten und müssen sich sogar nach der Eheschließungs-Zeremonie gleich wieder trennen.
Sie war in Tel Aviv, er in Haifa, sie lebte im Versteck, er war im Gefängnis. Er konnte fliehen, sie wurde festgenommen. Für ein paar Monate saßen sie beide in verschiedenen Gefängnissen.
Rachel tötet einen britischen Soldaten, der sich in den von ihr geschobenen Kinderwagen beugt, indem sie den Zünder ihrer mit Sprengstoff gefüllten Puppe auslöst. Ebenso wie Meno ist sie zuversichtlich, dass die Juden friedlich mit den Arabern zusammenleben können, sobald sie die Briten aus dem Land gejagt haben.
Männer und Frauen der Haganah, die bei Gewaltaktionen gegen die britische Besatzungsmacht ums Leben kommen, werden als Helden bzw. Heldinnen verehrt. Aber die Lechi-Untergrundkämpfer müssen ihre Toten heimlich beisetzen.
1948 findet Meno einen an Atara Schamir adressierten, irrtümlich bei ihm eingeworfenen Brief. Gegen Rachels Rat besteht er darauf, der Unbekannten das Schreiben zu bringen. Atara Schamir feiert gerade mit Freunden ihren 20. Geburtstag. Am nächsten Tag lesen Meno und Rachel in der Zeitung von einem arabischen Terroranschlag auf einen Bus aus Jerusalem, und unter den Todesopfern ist Atara Schamir. Sie wollte ihre kranke Mutter im Kibbuz Dan besuchen.
Meno kommt sich wie ein Todesbote vor und fühlt sich schuldig an Ataras Tod. Der Traum von einem friedlichen Zusammenleben der Menschen in Palästina ist zerplatzt. Er verlässt Rachel ohne Abschied oder gar Erklärung. Später erfährt sie, dass er sich erhängen wollte und von seiner Mutter Sonja gerade noch rechtzeitig entdeckt wurde. Nach einer psychiatrischen Behandlung studiert er ausgerechnet in England.
Rachel und Atara
Sieben Jahrzehnte später, Rachel ist inzwischen 90 Jahre alt, wird sie in einer Theaterpause von einer Unbekannten angesprochen, die sich als Menos 49-jährige Tochter Atara Rubin-Sadan vorstellt. Auf den ersten Blick sieht es nach einer Zufallsbegegnung aus. Tatsächlich beauftragte Atara jedoch einen Privatdetektiv, nach der ersten Ehefrau ihres Vaters zu suchen. Meno war kürzlich im Alter von 91 Jahren gestorben.
Als Atara von Haifa nach Ostjerusalem fährt, um Rachel zu besuchen und mehr über das frühere Leben ihres Vaters zu erfahren, kommt zufällig deren Sohn Amichai vorbei, der nichts von Rachels erster Ehe ahnt. Atara gibt sich deshalb als Soziologin aus, die mit der alten Dame eine Befragung durchführen wolle, aber Rachel fühlt sich so gestresst, dass Atara bald wieder nach Haifa zurückfährt.
Die Witwe Rachel hat zwei Söhne aus ihrer Ehe mit einem Angestellten: Jair und Amichai. Ihr Verhältnis zu Jair, dem älteren der beiden, ist nicht besonders gut. Amichai schaut dagegen regelmäßig nach der Mutter. Nach dem Wehrdienst hatte er begonnen, Literatur und Jura zu studieren, war dann aber Mitglied einer ultraorthodoxen Gemeinde geworden.
Atara und Alex
Erst von Rachel erfährt Atara, nach wem ihr Vater sie benannt hat.
Meno Rubin, der sich als Hirnforscher einen Namen gemacht hatte, sprach nie über die Zeit vor seiner zweiten Ehe, und die beiden Töchter Roni und Atara ahnten lange Zeit nicht einmal, dass er zweimal verheiratet war.
Atara hat ebenfalls eine Scheidung hinter sich. Die auf Denkmalschutz spezialisierte Architektin, die ihr Büro zusammen mit einer befreundeten Araberin führt, war mit dem Ingenieur Doron verheiratet und hatte mit ihm eine kleine Tochter, Avigail, als sie in Haifa dem 13 Jahre älteren Soziologen Alexander („Alex“) Sadan und dessen US-amerikanischer Ehefrau Judy begegnete, die sich eine historische Villa gekauft hatten und sich von Atara bezüglich der Restaurierung beraten lassen wollten.
Alex und Atara verliebten sich auf den ersten Blick. Die beiden bestehenden Ehen wurden geschieden, und während Atara ihre Tochter Avigail in die neue Patchwork-Familie mitbrachte, war es bei Alex der Sohn Joav.
Eden, ihr gemeinsamer Sohn, scheint als Elitesoldat eines Marinekommandos Schlimmes erlebt zu haben, spricht aber nicht darüber. Er wohnt inzwischen wieder bei seinen Eltern in Haifa und verlässt nur selten sein Zimmer. Joav wird in irgendeinem Dschungel vermutet. Avigail studiert in Berkeley.
Während Atara ein zweites Mal unterwegs zu Rachel ist, ruft Eden an und teilt ihr mit, dass er den Vater in die Notaufnahme eines Krankenhauses bringe. Statt sofort umzukehren, fährt Atara weiter, aber sie hält sich wieder nur kurz bei Rachel auf, dieses Mal aus Sorge um Alex.
Der wird zwar nach einigen medizinischen Untersuchungen entlassen, stirbt jedoch kurz darauf zu Hause, und Edens Wiederbelebungsversuche scheitern. Todesursache war ein septischer Schock nach einer Infektion.
Eden
Nachdem Rachel die Todesanzeige in der Zeitung gesehen hat, lässt sie sich von ihrem Sohn Amichai nach Haifa fahren, um Atara zu kondolieren. Unterwegs verrät sie ihm das Geheimnis, dass sie vor der Ehe mit seinem Vater schon einmal verheiratet gewesen war, und zwar mit dem Vater der Besucherin, die er vor kurzem bei ihr kennenlernte.
Während der Schiv’a erfährt Atara von anderen, dass Avigail in Berkeley einen kanadischen Freund hat. Sie hat immer geglaubt, ein besonders enges Verhältnis mit ihrer Tochter zu haben und stellt nun bestürzt fest, dass Avigail ihr etwas Wichtiges verheimlichte.
Bevor Alex starb, sagte er noch zu seiner Frau, er wisse jetzt die Antwort auf eine Frage des Sohnes. Eden kommt nicht darüber hinweg. Er kann sich nicht erinnern, seinem Vater in den letzten Stunden oder Tagen eine wichtige Frage gestellt zu haben und rätselt, was Alex damit meinte. Nach qualvollen Tagen kommt er zu der Überzeugung, sein Vater habe ihm raten wollen, sich zum Judentum zu bekehren. Aufgebracht hält Atara ihm entgegen, dass Alex antireligiös gewesen sei und es für Eden deshalb auch keine Bar Mizwa gegeben habe. Sie hält es für undenkbar, dass Alex eine Bekehrung des Sohnes wünschte.
Rachel ist zum Neujahrsfest (Rosch Haschana) bei Amichai in Bet Schemesch eingeladen. Erstmals nach langer Zeit wird wieder die ganze Familie zusammenkommen. Eden wird ebenfalls erwartet. Er hat Kontakt mit Rachels streng gläubigem Sohn aufgenommen.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)In ihrem Roman „Schicksal“ erzählt Zeruya Shalev die Lebensgeschichte von zwei israelischen Frauen. Rachel ist 90 Jahre alt, Atara 49 und eine Tochter von Rachels erstem Ehemann Meno. Sowohl in Rachels als auch in Menos Familie galt die Zeit vor der zweiten Eheschließung als Geheimnis. Darüber durfte nicht gesprochen werden. Erst als Meno im Alter von 91 Jahren gestorben ist, sucht Atara nach Rachel, um mehr über die Vergangenheit zu erfahren. Das beschäftigt sie so sehr, dass sie in der Gegenwart alarmierende Symptome übersieht und vom Tod ihres Mannes völlig unvorbereitet getroffen wird.
Vor dem Hintergrund der Konflikte in der israelischen Gesellschaft geht es in „Schicksal“ um zwei verknüpfte Familiengeschichten. Es wird deutlich, wie zerrissen diese Gesellschaft ist: Juden und Araber, Orthodoxe und Ungläubige, Fanatiker und Liberale …
Zeruya Shalev arbeitet mit Metaphern: Atara, die versucht, Teile der Lebensgeschichte ihres Vaters zu rekonstruieren, ist eine auf Denkmalschutz spezialisierte Architektin. Dabei stößt sie auf Hindernisse − so wie sie bei der Fahrt zwischen ihrem Zuhause und Rachels Wohnung in einen Verkehrsstau gerät.
Die Handlung von „Schicksal“ entwickelt sich im Wechsel nicht nur zwischen den Perspektiven der beiden Frauen Rachel und Atara, sondern auch zwischen Gegenwart und Vergangenheit.
„Schicksal“ setzt sich weitgehend aus Dialogen und inneren Monologen zusammen. Dabei versenkt sich Zeruya Shalev tief in die Charaktere und deren grüblerische Reflexionen. Statt das Tempo nach der Hälfte des Buches zu erhöhen, drosselt Zeruya Shalev es sogar noch.
Den Roman „Schicksal“ von Zeruya Shalev gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Maria Schrader und Eva Meckbach.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2021
Textauszüge: © Berlin Verlag
Zeruya Shalev (kurze Biografie)
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Zeruya Shalev: Späte Familie
Zeruya Shalev: Schmerz
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