Anatomie eines Mordes
Anatomie eines Mordes
Inhaltsangabe
Kritik
Der im Korea-Krieg hoch dekorierte achtundzwanzigjährige Leutnant Frederick („Ricky“) Manion (Ben Gazzara) wird in einer Kleinstadt in Michigan unter Mordverdacht verhaftet. Er soll Barney Quill erschossen haben, nachdem seine Frau Laura (Lee Remick) von dem Bar- und Hotelbesitzer vergewaltigt worden war. Laura wendet sich an den früheren Staatsanwalt Paul Biegler (James Stewart), der inzwischen halbherzig eine Anwaltskanzlei betreibt, und überredet ihn, Rickys Verteidigung zu übernehmen.
Frederick Manion und Laura lernten sich vor vier Jahren kennen und heirateten bald darauf – drei Tage nach Lauras Scheidung von ihrem ersten Mann. Auch für Manion ist es die zweite Ehe. Kinder haben sie keine. Sie sind reisefreudig und lebenslustig. Laura behauptet, Quill habe ihr angeboten, sie von seiner Bar zu dem Wohnwagen zu fahren, in dem sie und Ricky zur Zeit leben. Vor dem Campingplatz sei sie im Auto von ihm geschlagen worden; er habe ihr das Höschen heruntergerissen und sie vergewaltigt. Nachdem Ricky davon erfahren habe, müsse er zur Bar gegangen sein, aber davon habe sie nichts mitbekommen, weil sie halb ohnmächtig im Bett gelegen sei.
Lauras Körper weist zwar Hämatome auf, aber Dr. Dompierre (Howard McNear), der Arzt, der Laura unmittelbar nach der Tat untersuchte, konnte keine Anzeichen einer Vergewaltigung erkennen.
Unterstützt von seiner Assistentin Maida Rutledge (Eve Arden) und dem mit ihm befreundeten, alkoholkranken Kollegen Parnell Emmett McCarthy (Arthur O’Connell), übernimmt Paul Biegler den Fall und plädiert auf eine Tat im Affekt.
In der von Richter Weaver (Joseph N. Welch) geleiteten Gerichtsverhandlung liefern sich Biegler und die Anklagevertreter – Claude Dancer (George C. Scott) von der Generalstaatsanwaltschaft und Staatsanwalt Mitch Lodwick (Brooks West) einen harten Schlagabtausch. Biegler versucht mit allen Mitteln, eine Verurteilung seines Mandanten wegen Mordes zu verhindern. Beispielsweise steigert er sich bewusst in emotionale Ausbrüche hinein, um die Geschworenen in seinem Sinne zu beeinflussen.
Manion sagt aus, er habe beim Anblick seiner vergewaltigten Frau beinahe den Verstand verloren, seine Militärpistole herausgeholt und sei damit zu Quills Bar gegangen, nicht um ihn zu töten, sondern um ihn zur Rede zu stellen. Die Pistole habe er mitgenommen, weil hinter der Theke stets Schusswaffen lagen, also zu seiner Verteidigung. Seine Absicht sei es gewesen, die Polizei zu rufen und Quill bis zu deren Eintreffen festzuhalten. An die Schüsse könne er sich überhaupt nicht erinnern.
Der Armeepsychiater Dr. Matthew Smith (Orson Bean) attestiert Manion eine dissoziative Reaktion, also Unzurechnungsfähigkeit für die Tatzeit.
Die Staatsanwaltschaft ruft Manions Mithäftling Duane („Duke“) Miller (Don Ross) in den Zeugenstand. Er behauptet, Manion habe damit geprahlt, es sei ihm gelungen, seinen Verteidiger einzuseifen und er werde auch die Geschworenen herumkriegen. Nach dem ganzen „Theater“ wolle er das „Miststück“ – seine Frau Laura – grün und blau prügeln. Manion beschimpft Miller als Lügner.
Weitere Zeugen werden gehört: Der Barkeeper Alphonse Paquette (Murray Hamilton), Detective Sergeant James Durgo (Ken Lynch), Dr. W. Gregory Harcourt (Alexander Campbell), der Psychiater der Staatsanwaltschaft, und der Campingplatzwart George Lemon (Russ Brown).
Dancer setzt Laura im Zeugenstand so lange unter Druck, bis sie zugibt, dass ihr Mann sie mehrmals schlug, zuletzt in der Mordnacht. Weil Ricky eifersüchtig gewesen sei, habe sie ihm auf einen Rosenkranz geschworen, von Quill vergewaltigt worden zu sein. Der Staatsanwalt unterstellt Laura, mit Quill eine Affäre gehabt zu haben und bringt sie auch noch zu dem Geständnis, nicht immer ein Höschen zu tragen.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Paul Biegler befürchtet, dass er seinen Mandanten nicht vor einer Verurteilung wegen Mordes bewahren kann. Die Stimmung ändert sich jedoch mit der letzten Zeugin: Mary Pilant (Kathryn Grant). Parnell Emmett McCarthy, der inzwischen das Trinken aufgehört hat, fand heraus, dass es sich bei der Geschäftsführerin der Bar um Barney Quills uneheliche Tochter handelt, und Biegler konnte sie überreden, sich als Zeugin zur Verfügung zu stellen. Ihre Verwandtschaft mit Quill will sie allerdings weiterhin geheim halten. Sie sagt aus, dass sie am Tag nach der Tötung ihres Chefs in der Hotelwäsche ein Damenhöschen fand. Das zeigt sie dem Gericht, und es sieht genauso aus wie das von Laura im Zeugenstand beschriebene, das Quill ihr heruntergerissen haben soll. Dancer, der spürt, wie er den Boden unter den Füßen verliert, versucht die Zeugin unglaubwürdig zu machen, indem er ihr unterstellt, Quills eifersüchtige Geliebte gewesen zu sein. Als Mary protestiert und ihm entgegenschleudert, es habe sich bei Barney Quill nicht um ihren Liebhaber, sondern um ihren Vater gehandelt, kippt die Stimmung endgültig um.
Die Geschworenen plädieren auf „nicht schuldig“ infolge von Unzurechnungsfähigkeit, und Richter Weaver spricht den Angeklagten frei.
Als Paul Biegler und Parnell Emmett McCarthy kurz darauf zum Campingplatz fahren, um die Honorarfrage mit Frederick Manion zu regeln, stellen sie fest, dass das Paar bereits abgereist ist.
Davon lässt Biegler sich die Laune nicht verderben. Er fordert McCarthy auf, sein Sozius zu werden und ist zuversichtlich, Mary Pilant als erste Mandantin gewinnen zu können, denn aufgrund der Erbschaft benötigt sie eine Anwaltskanzlei für die Vermögensverwaltung.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Otto Preminger verfilmte den 1968 von John D. Voelker (1903 – 1991) unter dem Pseudonym Robert Traver veröffentlichten Roman „Anatomy of a Murder“ („Anatomie eines Mordes“, Übersetzung: Curt Meyer-Clason, Ullstein-Verlag, Berlin / Frankfurt am Main / Wien 1959, 455 Seiten). Buch und Film basieren auf einem realen Mordfall am 31. Juli 1952 in Big Bay, Michigan. Leutnant Coleman A. Peterson wurde damals angeklagt, Maurice Chenoweth getötet zu haben, aus Rache für die Vergewaltigung seiner Ehefrau. Rechtsanwalt John D. Voelker verteidigte ihn und plädierte auf Unzurechnungsfähigkeit. Peterson wurde freigesprochen.
Wendell Mayes (Drehbuch) und Otto Preminger (Regie) zeigen in „Anatomie eines Mordes“ keine klischeehaften Figuren, sondern widersprüchliche Charaktere. Die Dialoge sind witzig und pointiert. Und das Duell zwischen Anklage und Verteidigung ist so intelligent angelegt, dass „Anatomie eines Mordes“ als bester Justizthriller in der Filmgeschichte gilt. Hervorzuheben ist auch der Musikscore von Duke Ellington, der im Film kurz zu sehen ist.
Das Thema Vergewaltigung war 1959 noch ein Tabu. Als skandalös wurde es damals auch empfunden, dass in „Anatomie eines Mordes“ über das Höschen einer Frau gesprochen wird.
Den Richter spielte übrigens Joseph Nye Welch (1890 – 1960), ein Jurist, der als Rechtsberater der US-Army Senator Joseph McCarthy vor 20 Millionen Fernsehzuschauern fragte: „Haben Sie keinen Sinn für Anstand, auch nicht einen kleinen Rest an Gefühl für menschliche Würde?“ („Army-McCarthy-Hearing“).
„Anatomie eines Mordes“ erhielt sieben „Oscar“-Nominierungen: Film, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Hauptdarsteller James Stewart, Nebendarsteller Arthur O’Connell, Nebendarsteller George C. Scott.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009
Otto Preminger: Der Mann mit dem goldenen Arm