Agnes und seine Brüder
Agnes und seine Brüder
Inhaltsangabe
Kritik
Werner (Herbert Knaup), der älteste von drei Brüdern, wohnt mit seiner Ehefrau Signe (Katja Riemann) und seinem halbwüchsigen Sohn Ralf (Tom Schilling) in einer Villa in Düsseldorf und wird abends von einem Chauffeur nach Hause gebracht, denn er ist Politiker. Seine Ideale wollte er mit den Grünen verwirklichen, aber viel ist davon nicht übrig geblieben: Seit zehn Jahren kämpft er erfolglos für die Einführung eines europäischen Dosenpfands. Das findet er so bedeutsam, dass er in seinem Arbeitszimmer auf ein Blatt Papier defäkiert, um ein Telefongespräch über dieses Thema nicht unterbrechen zu müssen. Ralf, der sich zu seiner Mutter hingezogen fühlt und seinen spießigen Vater verachtet, filmt ihn dabei mit der Videokamera. Er lässt sich von Werner auch nicht vorschreiben, wann er seine Hanfpflanzen im Garten abernten soll. Vergeblich versucht Werner, den Respekt seines Sohnes und die Liebe seiner frustrierten Frau zurückzugewinnen. Ein missglückter Grillabend bringt die Konflikte zum Explodieren. Signe will nur noch mit ihrem Sohn fort. Als sie bereits im Cabrio sitzt, um nach achtzehn Jahren Ehe für immer wegzufahren, hält Werner sie auf. Auf ihre Frage, was er denn noch wolle, antwortet er: „Dich ficken.“ Die zwei Minuten hat sie noch, aber sie steigt dazu nicht mehr aus. „War’s das?“, fragt sie zum Schluss.
Ein paar Tage später kehrt sie zurück: Ralf ist verschwunden! In der gemeinsamen Suche nach dem Sohn sieht Werner die Chance, seine Familie wiederherzustellen. Nach zwei Tagen taucht Ralf auf. Er hatte sich nichts dabei gedacht, mit ein paar anderen Jugendlichen zu einem Rave nach Polen zu fahren.
Werners neun Jahre jüngerer Bruder Martin unterzog sich aus Liebe zu dem New Yorker Modeschöpfer Henry Preminger (Lee Daniels) einer Geschlechtsumwandlung, aber Henry hat die Beziehung längst beendet. Martin heißt jetzt Agnes (Martin Weiß) und arbeitet als Go-Go-Tänzerin in einem Kölner Nachtklub. Rudi (Oliver Korittke), der Mann, mit dem Agnes inzwischen zusammenlebt, ist ein rücksichtsloser Prolet, der sich darüber beschwert, dass kein Essen auf dem Tisch steht, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt. Nachdem Agnes von Rudi geschlagen und hinausgeworfen wurde, lernt sie in einem Nachtklub Roxy (Margit Carstensen) kennen, eine einsame und verständnisvolle Frau, die sie bei sich aufnimmt.
Agnes hat ihre Mutter Renate nie kennen gelernt. Angeblich gehörte sie zu den RAF-Terroristen und starb im Gefängnis, wo ihr der Kopf mit einem Feuerlöscher zertrümmert wurde. Das behauptete zumindest Günther Tschirner (Vadim Glowna), der Vater der drei Brüder, aber es gibt keine Presseberichte über eine auf diese Weise getötete RAF-Terroristin. Deshalb bezweifelt Agnes auch, ob es stimmt, dass sie in einem Fluchtauto geboren wurde.
Bei Günther handelt es sich um einen Altachtundsechziger, der mit seinem Diener Heinz (Ralph Herforth) in einer Villa auf einem parkähnlichem Grundstück wohnt und die weißen Haare schulterlang trägt. Werner fühlt sich zwar verpflichtet, Günther hin und wieder zu besuchen, aber er weiß, dass sein Vater ihn verachtet. Nur gegenüber Agnes verhält Günther sich liebevoll, und sie nennt ihn kindlich „Vati“.
Nach einem Arztbesuch erfährt Agnes, dass sie unheilbar krank ist. Von Roxy liebevoll gepflegt, stirbt Agnes einige Wochen später.
Der mittlere Bruder heißt Hans-Jörg (Moritz Bleibtreu). In der Universitätsbücherei, in der er als Hilfsbibliothekar beschäftigt ist, kommt der verklemmte Sex-Maniak kaum zum Arbeiten, weil er die Studentinnen begafft, die nabelfrei und in Miniröcken an den Schreibtischen sitzen. Von Zeit zu Zeit beruhigt er sich mit einem Schluck aus seinem Flachmann.
Die Transsexualität seines jüngeren Bruders kann Hans-Jörg sich nur dadurch erklären, dass Agnes als Kind vom verhassten Vater missbraucht wurde. Deshalb weigert er sich auch, Günther zu besuchen.
Als Hans-Jörg sich zwischen den Buchregalen an eine der jungen Damen heranmachen will, kommt ihm deren Freund (Til Schweiger) dazwischen, und Hans-Jörg wirkt bloß noch lächerlich. Einige Zeit später scheint er doch noch Glück zu haben: Nadine (Marie Zielcke) lässt sich von ihm zum Essen ausführen und erzählt ihm, sie habe sich von ihrem Freund (Simon Boer) getrennt. Eifrig renoviert Hans-Jörg ihre Wohnung. Danach überrascht er sie auf Rügen, wo sie ein paar Tage ausspannen wollte – aber sie hat sich mit ihrem Freund versöhnt.
Immer wieder folgt Hans-Jörg attraktiven Frauen in die Toilette der Bibliothek und beobachtet sie durch ein Loch in der Wand – bis er eines Tages dabei ertappt und fristlos entlassen wird. In der Selbsthilfegruppe, in der er sich daraufhin wöchentlich mit anderen sexuell gestörten Männern trifft, „entdeckt“ ihn der Pornoproduzent Manni Moneto (Martin Semmelrogge), und Hans-Jörg glaubt, beispielsweise mit Lisa (Kelly Trump) oder Desiree (Susan Anbeh) endlich auf seine Kosten zu kommen, doch beim ersten Dreh versagt er, weil er plötzlich statt Desiree das Bild seines Vaters vor Augen hat.
Anteilnehmend erkundigt Desiree sich nach seinem Problem, und Hans-Jörg gesteht ihr, in der Nacht zuvor seinen Vater im Schlaf mit einer Flinte erschossen zu haben. Desiree fordert ihn auf, mit ihr das Land zu verlassen. Sie überqueren die deutsch-polnische Grenze und fahren weiter Richtung Bagdad.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Am Beispiel eines reichen Altachtundsechzigers mit drei grundverschiedenen Söhnen porträtiert Oskar Roehler die deutsche Gesellschaft eine Generation nach 1968, in der die Menschen verunsichert nach ihrer Identität suchen. Keiner der drei Brüder hat, was er sich wünscht. Ein wenig Hoffnung gibt es erst am Ende für zwei von ihnen.
Dabei ging es Oskar Roehler weder um eine realistische Handlung noch um sozialpsychologische Erklärungen. Stattdessen überspitzt er einige Szenen bis ins Geschmacklose. „Agnes und seine Brüder“ ist eine zynische Gesellschaftsgroteske mit komischen, melodramatischen und tragischen Zügen.
Oskar Roehler erzählt parallel von Werner, Hans-Jörg und Agnes, doch wenn er zwischen den Handlungssträngen wechselt, wirkt das eher zufällig, und er verknüpft sie auch nicht zu einer Einheit, sondern belässt es bei einer Art Triptychon. Hervorzuheben sind die erstklassigen schauspielerischen Leistungen vor allem von Martin Weiß.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005/2007
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