In weiter Ferne, so nah!

In weiter Ferne, so nah!

In weiter Ferne, so nah!

Originaltitel: In weiter Ferne, so nah! – Regie: Wim Wenders – Drehbuch: Richard Reitinger, Wim Wenders, Ulrich Zieger – Kamera: Jürgen Jürges – Schnitt: Peter Przygodda – Musik: Laurent Petitgand – Darsteller: Otto Sander, Bruno Ganz, Nastassja Kinski, Rüdiger Vogler, Horst Buchholz, Solveig Dommartin, Heinz Rühmann, Willem Dafoe, Peter Falk, Monika Hansen, Hanns Zischler, Lou Reed u.a. – 1993; 140 Minuten

Inhaltsangabe

Der Engel Cassiel bedauert es, nicht wie sein Freund Damiel zum Menschen geworden zu sein. Damiel führt inzwischen eine Pizzeria in Berlin und ist ein glücklicher Familienvater. Als Cassiel einem elfjährigen Mädchen das Leben rettet, wird er ebenfalls zum Menschen. Einsam streift er durch die Stadt. Er ist in eine moralisch verwahrloste Gesellschaft geraten, in der es vor allem ums Geschäft geht, in der Hütchenspieler Passanten betrügen und Verbrecher sich gegenseitig bekämpfen ...
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Kritik

Mit "In weiter Ferne, so nah!" führt Wim Wenders sein Filmmärchen "Der Himmel über Berlin" fort. Die langsam und fragmentarisch entwickelte Handlung ist nicht überzeugend, aber Bild, Ton und Text bilden eine sehr poetische Einheit, und der Film wird von exzellenten Schauspielern getragen.
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Der Engel Cassiel (Otto Sander) bedauert es, nicht wie sein Freund Damiel (Bruno Ganz) zum Menschen geworden zu sein. Damiel führt inzwischen die Pizzeria Casa dell’angelo in Berlin und hat mit seiner Ehefrau, der französischen Trapezkünstlerin und Bardame Marion (Solveig Dommartin), eine kleine Tochter. Die Familie ist glücklich. Im Gegensatz zu den Engeln sieht Damiel nicht nur Grautöne, sondern Farben, und das genießt er ebenso wie das Riechen und Schmecken. Cassiel streift dagegen einsam durch Berlin und hört den Menschen zu, ohne von ihnen gesehen zu werden. Hin und wieder trifft er auf Raphaela (Nastassja Kinski), die wie er zu den Engeln gehört.

Anfang Oktober 1989 beobachtet er den sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow (Michail Gorbatschow), der sich in Ostberlin auf eine Rede vorbereitet.

Eines Tages steht er neben der elfjährigen Raissa (Aline Krajewski) auf dem Balkon einer Mietskaserne. Die Mutter Hanna Becker (Monika Hansen) ist nicht zu Hause. Das Mädchen beugt sich weit über die Brüstung, um einen Leierkastenmann auf der Straße sehen zu können. Plötzlich verliert Raissa das Gleichgewicht und stürzt in die Tiefe. Entsetzt schaut Cassiel von oben zu. Im nächsten Augenblick steht er auf der Straße und fängt das Kind auf. Nun sieht er Farben: Er ist ein Mensch geworden.

In einer U-Bahn-Station stößt Cassiel auf einen Hütchenspieler (Shefqet Namani). Er hätte gern sein Glück versucht, besitzt jedoch kein Geld. Da bekommt er von einem geheimnisvollen Amerikaner namens Emit Flesti (Willem Dafoe) einen 100 Mark-Schein. Gerade als er ihn gesetzt hat, ertönt ein Pfiff. Der Hütchenspieler verschwindet mit dem Geld. Cassiel bleibt allein zurück und wird von einer Polizeistreife festgenommen. Weil er auf der Wache einen Namen angeben muss, nennt er sich Ralf Raabe. Damiel kommt schließlich, um seinen Freund abzuholen.

Noch als Engel beobachtete Cassiel, wie einige Jugendliche eine Pistole versteckten. Um zu verhindern, dass sie damit etwas anstellen, nimmt Cassiel die Waffe an sich.

In der Bar, in der Marion bedient, wird Cassiel von Emit Flesti dazu verführt, sich zu betrinken. Als er wieder zu sich kommt und das Bedürfnis nach Alkohol verspürt, geht er in einen Laden. Die Münzen, die er bei sich hat, reichen nicht, aber Cassiel bedroht den unfreundlichen Ladenbesitzer mit der Waffe, während er eine Flasche Schnaps raubt.

Die Pistole hält er auch in der Hand, als er einen Fälscher (Günter Meisner) auffordert, einen Pass für ihn anzufertigen.

Bei einem Rockkonzert erlebt er den Sänger und Gitarristen Lou Reed (Lou Reed).

Cassiel, der sich jetzt Karl Engel nennt, folgt Hanna Becker zum Stadtrand von Ostberlin. Es entgeht ihm nicht, dass sie von einem Mann beschattet und heimlich fotografiert wird. In einem verfallenen Gebäude stehen alte Autos, für die sich der greise Chauffeur Konrad (Heinz Rühmann) noch immer verantwortlich fühlt. Hanna bringt ihm Essen.

Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Konrad (Tilmann Vierzig) für den Berliner NS-Arzt Dr. Becker (Hanns Zischler). Als die Rote Armee anrückte, ließ Becker sich und seine Familie zum Rollfeld des Flughafens Tempelhof fahren. Dort rannte er mit dem Sohn Anton (Ingo Schmitz) zu einer startklaren Maschine, aber Gertrud Becker (Monika Hansen) blieb mit der Tochter Hanna (Antonia Westphal) im Wagen sitzen. Während ihr Mann und ihr Sohn in die USA flohen, wo sie den Familiennamen in Baker änderten, brachte Konrad Gertrud und Hanna Becker zurück und kümmerte sich um sie.

Bei dem Privatdetektiv, der Hanna Becker observiert, handelt es sich um Phillip Winter (Rüdiger Vogler). Er arbeitet für den amerikanischen Gangster Tony Baker (Horst Buchholz), der zur Tarnung ein Im- und Exportgeschäft betreibt. Tony Baker, der als Kind Anton Becker hieß, will herausfinden, ob Hanna Becker seine Schwester ist.

Karl Engel bringt Tony Baker dazu, ihn zu dem Fälscher zu begleiten und den Pass für ihn zu bezahlen. Der von ihm beeindruckte Amerikaner stellt ihn außerdem als Diener ein.

Bald darauf werden Tony Baker und sein Diener an einem Kanalufer von drei Männern der Russenmafia überfallen. Patzke (Ronald Nitschke), der Anführer, zwingt Baker dazu, in eine mit noch teigigem Beton gefüllte Wanne zu steigen. Sobald der Beton hart ist, will er den Amerikaner mit dem Gewicht an den Füßen ins Wasser werfen. Um das zu verhindern, täuscht Karl einen epileptischen Anfall vor. So gelingt es ihm und Baker, Patzke zu entwaffnen und den Mafiosi zu entkommen.

Danach macht Baker seinen Lebensretter zum Partner und überlässt ihm 5 Prozent Anteil seines Geschäfts. In den Katakomben unter dem Rollfeld des Flughafens Tempelhof zeigt er ihm ein geheimes Lager mit Waffen und Pornofilmen. Karl, der nicht ahnte, dass es sich bei Baker um einen Gangster handelt, will damit nichts zu tun haben. Er läuft durch die Kanalisation weg und gelangt erschöpft in die verfallene Garage, in die Hanna Becker dem greisen Chauffeur Essen brachte.

Dort setzt Karl sich in eines der Autos und schläft mit der Pistole in der Hand ein. Ein Knall weckt ihn. Er sieht Phillip Winter taumeln. Emit Flesti hat dem Privatdetektiv mit einer Armbrust einen Pfeil in den Rücken geschossen. Karl, der im ersten Augenblick befürchtete, er habe Winter erschossen, nimmt den Sterbenden in die Arme. Konrad kommt herein und erkennt in Karl den Engel, der ihn seit seiner Kindheit begleitet hat. Wegen seiner eigenen Erinnerungslücken bittet er Karl, ihm von früher zu erzählen, und als Karl wieder einschläft, fährt Raphaela mit der Erzählung fort.

Karl nimmt sich vor, Bakers Lager zu zerstören. In einem Imbiss trifft er den amerikanischen Schauspieler Peter Falk (Peter Falk) und überredet ihn, bei dem Vorhaben mitzumachen. Kurz darauf staunen die beiden Sicherheitsbeamten (Udo Samel, Gerd Wameling), die das unterirdische Lager bewachen: Auf dem Monitor einer Kamera erscheint Peter Falk in der Rolle des Inspektors Columbo. Er und sein Begleiter Damiel geben vor, für eine neue Folge der Fernsehserie eine Szene drehen zu wollen. Nachdem sie hereingelassen wurden, lenken sie die beiden Sicherheitsbeamten ab, damit diese nicht sehen, wie Karl, Marion und die fünf zu ihrer Künstlertruppe gehörenden Akrobaten einen Kanaldeckel aufheben und zu Bakers Lager vordringen. Die Trapezkünstler bringen die Waffen durch die Kanalisation zu einem Lastkahn, während Karl mit einem Arm voll Panzerfaustgeschossen eine Sprengung vorbereitet und dabei einen Pornofilm als Zündschnur verwendet.

Danach verabschiedet sich Karl von Peter Falk und fährt ein Stück mit dem Bus 100. Als er aussteigt, hält Emit Flesti mit einem Motorrad neben ihm und berichtet, dass Tony Baker, dessen Schwester Hanna und deren Tochter Raissa von Patzke und dessen Komplizen auf dem Lastkahn als Geiseln genommen wurden. Emit Flesti bringt Karl mit dem Motorrad zu einem Schiffshebewerk. Dort warten sie, bis der Lastkahn sich nähert. An einem langen Trapez schwingt Karl über das Deck, packt Raissa und übergibt sie Emit Flesti und Raphaela. Das Kind ist in Sicherheit, aber Karl wird von den Mafiosi erschossen.

Auch Tony und Hanna Becker werden gerettet. Sie sind unter den Trauergästen, als Karl Engel beerdigt wird. Damiel spürt, dass Cassiel als Engel unsichtbar bei ihm ist und freut sich darüber.

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Mit „In weiter Ferne, so nah!“ führt Wim Wenders sein Filmmärchen „Der Himmel über Berlin“ fort. Nun wird auch der Engel Cassiel zum Menschen. Er gerät in eine moralisch verwahrloste Gesellschaft, in der es vor allem ums Geschäft geht, in der Hütchenspieler Passanten betrügen und Verbrecher sich gegenseitig bekämpfen. Die langsam und fragmentarisch entwickelte kriminalistische Handlung wirkt trivial; damit kann Wim Wenders ebenso wenig überzeugen wie mit der Dramaturgie von „In weiter Ferne, so nah!“. Plump ist auch der Name Emit Flesti, der rückwärts gelesen „Time itself“ ergibt. Sehenswert ist „In weiter Ferne, so nah!“, weil Bild, Ton und Text eine sehr poetische Einheit bilden. Außerdem wird der leise Film bis in die Nebenrollen von hervorragenden Schauspielern getragen, beispielsweise von dem über 90 Jahre alten Heinz Rühmann (1902 – 1994).

„In weiter Ferne, so nah!“ wurde 1994 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012

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