Fritjof Capra : Wendezeit

Wendezeit
Originalausgabe: "The Turning Point", 1982 Wendezeit Übersetzung: Erwin Schuhmacher Scherz Verlag, Bern / München 1983
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Das Hauptthema dieses Buches ist der gegenwärtig stattfindende "Paradigmenwechsel" in Wissenschaft und Gesellschaft des Abendlandes. Es ist dies ein Wandel der Weltanschauung vom mechanistischen Weltbild des 17.Jahrhunderts zu einer ganzheitlichen und ökologischen Sicht. (Fritjof Capra)
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Kritik

"Wendezeit" ist ein Meilenstein in der Auseinandersetzung der globalen Krise. Aufgrund der anschaulichen Schreibweise, der großenteils sehr gut nachvollziehbaren Gedankenführung und der visionären Kraft handelt es sich nach wie vor um ein lesenswertes Buch.
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In den Siebzigerjahren galt das berufliche Hauptinteresse Fritjof Capras dem Paradigmenwechsel, der sich in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in der Physik vollzogen hatte. Dann übertrug er seine Erkenntnisse auf die epochale Krise der Menschheit, die sich in Politik und Wirtschaft, Medizin, Ökologie und Wertewandel manifestiert. Seine Zeit- und Gesellschaftsdiagnose lautete: Das alte Weltbild ist nicht mehr als Erklärungsmodell und Handlungsmaxime geeignet. Besinnung und Umdenken sind dringend erforderlich. Das mechanistische Weltverständnis der Aufklärung muss durch ein komplexes, kontemplatives, meditatives Denken abgelöst werden.

Das Hauptthema dieses Buches ist der gegenwärtig stattfindende „Paradigmenwechsel“ in Wissenschaft und Gesellschaft des Abendlandes. Es ist dies ein Wandel der Weltanschauung vom mechanistischen Weltbild des 17. Jahrhunderts zu einer ganzheitlichen und ökologischen Sicht.

Nach einer Einführung schildert Fritjof Capra die wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung vom kartesianischen Weltbild zur modernen Physik.

Die Vorstellung von der göttlichen Schöpfungsordnung wurde im 17. Jahrhundert beiseite geschoben und durch ein mechanistisches Weltbild ersetzt. Der französische Philosoph und Mathematiker René Descartes (1596 – 1650) war überzeugt, dass der Mensch allein durch Nachdenken und unabhängig von konkreten Erfahrungen die absolut gültigen Naturgesetze zu erkennen vermag. Weil er nur sicheres Wissen akzeptieren wollte, bezweifelte er zunächst einmal alles. Auf diese Weise kam er zu seinem berühmten Ausgangspunkt: Cogito ergo sum. Der Kosmos wurde als Riesenmaschine aufgefasst, deren Räderwerk ewigen Gesetzen folgt, die der Mensch mit Hilfe seiner Vernunft erfassen kann. Isaac Newton (1643 – 1727) vervollständigte diese mechanistische Weltauffassung und formulierte sie mathematisch. Der englische Astronom, Physiker und Mathematiker begründete die klassische Physik und verhalf den exakten Naturwissenschaften zum Durchbruch. Von konkreten Einzelfällen ausgehend, erarbeitete Newton eine geschlossene und mathematisch exakt formulierte Theorie der Mechanik, aus der durch logische Schlüsse Einzelfälle abgeleitet werden konnten, die sich empirisch überprüfen ließen. Was sich nicht im Experiment untersuchen und wiederholen ließ, was nicht exakt gemessen werden konnte und sich der mathematischen Darstellung entzog, verbannte er aus den Naturwissenschaften.

Von diesem Weltbild blieben die Physiker überzeugt, bis sie auf unerklärliche Widersprüche stießen: Der amerikanische Physiker Albert A. Michelson stellte 1881 fest, dass die gemessene Lichtgeschwindigkeit unabhängig von der relativen Bewegung zwischen der Lichtquelle und dem Messinstrument konstant bleibt. Daraus folgerte Albert Einstein (1879 – 1955), dass die Dimensionen der Zeit bzw. des Raumes keineswegs absolut sind – wie Isaac Newton angenommen hatte –, und er veröffentlichte am 26. September 1905 unter dem Titel „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ die spezielle Relativitätstheorie: Die Dauer einer Zeiteinheit nimmt mit der Geschwindigkeit des bewegten Systems zu, während sich zugleich die in Bewegungsrichtung fallenden räumlichen Abmessungen verkürzen. Ausserdem wächst die Masse eines Körpers proportional zur Geschwindigkeit. Einstein erkannte, dass Masse und Energie nicht so streng geschieden sind, wie man es angenommen hatte, sondern ineinander übergeführt werden können: Energie ist gleich dem Produkt aus der Masse und dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit.

Louis-Victor Duc de Broglie (1892 – 1976) stellte 1924 ein weiteres Paradoxon auf: Elementarteilchen lassen sich ebensogut als Welle wie als Teilchen beschreiben.

Diese und andere Erkenntnisse brachten die geltende Weltanschauung zum Einsturz und führten zu einer fundamentalen Änderung von Grundbegriffen wie Raum und Zeit, Materie und Energie, Ursache und Wirkung. Als Ersatz für die klassische Physik formulieren Max Planck, Albert Einstein, Niels Bohr, Louis de Broglie, Erwin Schrödinger, Wolfgang Pauli, Werner Heisenberg und Paul Dirac die Quantentheorie.

Im Gegensatz zur mechanistischen kartesianischen Weltanschauung kann man die aus der modernen Physik hervorgehende Weltanschauung mit Worten wie organisch, ganzheitlich und ökologisch charakterisieren. Man könnte sie auch ein Systembild nennen, im Sinne der allgemeinen Systemtheorie. Das Universum wird nicht mehr als Maschine betrachtet, die aus einer Vielzahl von Objekten besteht, sondern muss als ein unteilbares, dynamisches Ganzes beschrieben werden, dessen Teile auf ganz wesentliche Weise in Wechselbeziehung stehen und nur als Strukturen eines Vorganges von kosmischen Dimensionen verstanden werden können.
[…]
Das Universum ist also ein einheitliches Ganzes, das bis zu einem gewissen Grad in getrennte Teile zerlegt werden kann, in Objekte, bestehend aus Molekülen und Atomen, die ihrerseits aus Teilchen bestehen. Doch hier, auf der Ebene der Teilchen, gilt der Begriff separater Teile nicht mehr. Die subatomaren Teilchen – und somit letztlich alle Teile des Universums – können nicht als isolierte Einheiten verstanden werden, sondern lassen sich nur durch ihre Wechselbeziehungen definieren.

Auf subatomarer Ebene lösen sich die festen materiellen Objekte der klassischen Physik in wellenartige Wahrscheinlichkeitsstrukturen auf; es gibt keine statischen Strukturen. Stabilität existiert als dynamisches Gleichgewicht. Werner Heisenberg leitete 1958 die Diskussion über die Weltformel ein. Er zeigte sich überzeugt davon, dass es sich auch bei den Elementarteilchen lediglich um Denkschablonen für bestimmte energetische Prozesse handelt, dass also auch die Differenzierung zwischen Welle und Teilchen nur aufgrund unterschiedlicher Konstrukte erfolgt. Heisenberg konstatierte, dass die Neue Physik nicht materielle Grundbausteine in der Hand halte, sondern auf ein „kompliziertes Gewebe von Vorgängen“ gestoßen sei. Während auf einer mikrophysikalischen Ebene der Zufall zu regieren scheint, glauben wir in der makrophysikalischen Betrachtung relative Stabilität auszumachen: Menschen, Tiere, Pflanzen, Häuser, Straßen, Autos und den Boden unter den Füßen.

Was in einem dahinziehenden Vogelschwarm oder in einer Gruppe frei improvisierender Jazz-Musiker simultan und sukzessiv an aufeinander abgestimmten Aktionen erfolgt, lässt sich kausal nur unbefriedigend erklären. Der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung und der Atomphysiker Wolfgang Pauli sprachen in diesem Zusammenhang statt von Kausalität von „Synchronizität“. Physiker glauben, auch im mikrokosmischen Bereich Synchronizität ausgemacht zu haben. Der amerikanische Physiker Geoffrey Chew griff 1968 Werner Heisenbergs Ansatz auf und vermutete dynamische Energiestrukturen, rhythmische Muster hinter dem Konstrukt Elementarteilchen.

Im dritten Teil des Buches „Wendezeit“ kritisiert Fritjof Capra, dass andere wissenschaftliche Disziplinen – Medizin, Biologie, Psychologie, Volkswirtschaft – an der überholten „kartesianisch-Newtonschen Naturwissenschaft“ festhalten, was verheerende Folgen habe.

Aufgrund des mechanistischen Weltbildes werden verschwenderische Produktion und verschwenderischer Konsum nicht als Übel erkannt.

Unsere Besessenheit von wirtschaftlichem Wachstum und dem ihm zugrunde liegenden Wertsystem hat eine physische und psychische Umwelt geschaffen, in der das Leben äußerst ungesund geworden ist.

Am Beispiel der Medizin veranschaulicht er seine Kritik: Die kartesianische Trennung von Geist und Körper wird beibehalten und Gesundheit auf mechanische Funktionen reduziert. Medizinische Spezialisten untersuchen und behandeln Teile des Körpers; Psychologen und Psychiater beschäftigen sich mit der Psyche. Fritjof Capra verlangt auch hier einen Paradigmen-Wechsel: Weg von der mechanistischen, reduktionistischen, hin zur ganzheitlichen Heilung.

Im vierten und letzten Teil beschreibt Fritjof Capra das neue Weltbild des „Solarzeitalters“.

Die neue Sicht der Wirklichkeit […] beruht auf der Erkenntnis, dass alle Phänomene – physikalische, biologische, psychische, gesellschaftliche und kulturelle – grundsätzlich miteinander verbunden und voneinander abhängig sind.

Der „in allen Aspekten auf globaler Ebene verwobenen Welt“ ist nur eine ökologische Anschauungsweise adäquat, eine „multi-disziplinäre ganzheitliche Schau der Wirklichkeit“. Darüber hinaus hält Fritjof Capra eine Verschmelzung östlicher und westlicher Auffassungen für erforderlich, und er bezieht esoterische, mystische Vorstellungen mit ein. Mögliche Wegbereiter des neuen Paradigmas sieht er nicht nur unter den Umweltschützern, sondern vor allem auch in der Frauenbewegung.

Unsere Aufgabe bestehe darin, diesen erforderlichen Paradigmenwechsel möglichst rasch und konfliktfrei zu bewältigen.

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Das zwanzig Jahre alte Buch „Wendezeit“ gilt längst als Klassiker, als Meilenstein in der Auseinandersetzung der globalen Krise. Mit „Wendezeit“ setzte Fritjof Capra eine breite Diskussion über die Zukunft der Menschheit in Gang. Die New-Age-Bewegung in der westlichen Welt berief sich auf ihn, obwohl er sich davon distanzierte.

Aufgrund der anschaulichen Schreibweise, der großenteils sehr gut nachvollziehbaren Gedankenführung und der visionären Kraft ist „Wendezeit“ nach wie vor ein lesenswertes Buch.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003
Textauszüge: © Scherz Verlag

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