Giulia Caminito : Das große A

Das große A
La Grande A Giunti Editore, Florenz / Mailand 2016 Das große A Übersetzung: Barbara Kleiner Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2024 ISBN 978-3-8031-3369-4, 272 Seiten ISBN 978-3-8031-4401-0 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Adele, eine starke und unangepasste Frau, lässt während der Mussolini-Herrschaft ihre kleinen Kinder in der Lombardei zurück und baut in der eritreischen Hafenstadt Assab eine neue Existenz auf. Ihre Tochter Giadina folgt ihr nach Kriegsende. Für die 13-Jährige ist Afrika "das große A", aber ihre Erwartungen werden rasch als Illusionen entlarvt.
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Kritik

Giulia Caminito entwickelt das Geschehen in ihrem Debütroman "Das große A" vor dem Hintergrund der nur angedeuteten Zeitgeschichte. Sie zeigt das Geschehen vor allem aus der Perspektive der Protagonistin Giadina. Es gelingt ihr, mit knappen Sätzen bildreich zu inszenieren und Situationen nachvollziehbar darzustellen.
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Von Italien nach Afrika

Adele („Adi“) wohnte mit ihrem Mann Pietro Valente in Mailand. Als die drei Kinder noch nicht einmal zusammengerechnet sechs Jahre alt waren, verließ Adele ihre Familie, wanderte allein nach Afrika aus und ließ die Kinder in der Lombardei zurück. Der Sohn Duccio wohnt in einem Internat in Cantù, Rina lebt bei einem alten Ehepaar namens Vighi, und ihre zwei Jahre ältere Schwester Giadina („Giada“) wurde von Adis Schwester übernommen, einer überzeugten Faschistin, die mit ihr, ihrer eigenen Tochter Luisa und einer „Großmutter“ genannten blinden Frau in Legnano wohnt.

Adi, die in der eritreischen Hafenstadt Assab eine Bar betreibt und einen Lastwagen vermietet, schickt regelmäßig Geld, aber die Tante lässt ihrer Nichte nur das Allernötigste zukommen, unterschlägt die Aussteuer und nutzt Giada zugleich als Arbeitskraft aus. Das mit Zurückweisung, Abneigung und Not konfrontierte Mädchen träumt deshalb vom „Großen A“, von Afrika bzw. ihrer Mutter Adele.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kommt Adele, um ihre Töchter nach Afrika zu holen. Weil Rina jedoch in Italien bleiben möchte, folgt Ende 1949 nur die 13-jährige Giada der Mutter nach Assab. Dort lernt sie auch Orlando kennen, den festen Freund der Mutter.

Das große A

Giacomo Colgada, ein in Afrika geborener Italiener, der den Gästen in Adeles Bar gehört, lässt sich von Giada Englisch beibringen – und heiratet sie schließlich. Die Flitterwochen verbringt das Paar bei Giadas Schwiegermutter und deren Tochter Nadia in Asmara.

Giacomo stellt eine eritreische Putzfrau ein und den Jemeniten Kafi als Koch, Wächter und Hausmeister. Fünf Monate nach der Hochzeit merkt Giada, dass sie schwanger ist. Der Sohn erhält den Namen Massimiliano („Massi“) Colgada.

Als 1952 das 1941 eingerichtete britische Protektorat über Eritrea endet und dann eine Schnellstraße zwischen Assab und Addis Abeba von Amerikanern gebaut wird, findet Giacomo endlich eine dauerhafte Arbeit. Allerdings ist er nur noch selten zu Hause. In Addis Abeba verliebt er sich in Olia, eine 30-jährige Russin, und reist mit ihr nach Italien.

Zum Wohl ihres Sohnes erklärt sich Giada nach Giacomos Rückkehr damit einverstanden, wieder mit ihm zusammen unter einem Dach zu leben, allerdings in getrennten Betten.

Giacomos Schwester Nadia heiratet Jahre später Mario, einen Ingenieur. Vier Monate nach der Hochzeit kommt Mario auf einer Baustelle durch einen Stromschlag ums Leben, als er bei einem Kurzschluss einen Schwarzen retten will.

Rückkehr

Einer UN-Resolution aus dem Jahr 1950 zufolge ist Eritrea ein föderierter Staat innerhalb des äthiopischen Reichs. Dagegen kämpft die Eritreischen Befreiungsfront (ELF). Nach dem gescheiterten Staatsstreich von Germame Neway gegen den äthiopischen Kaiser Haile Selassie im Jahr 1960 sehen viele Italiener keine Zukunft mehr für sich in der Region und packen ihre Koffer.

Adele verkauft ihren Lastwagen und die Lizenz für die Bar. Sie zieht nach Italien zurück und übernimmt einen Bauernhof in Villanova bei Ravenna.

„Dieses Afrika ist vorbei, es war nicht meins und auch nicht deins, es war da, aber jetzt gibt es das nicht mehr, und bevor jemand kommen konnte, um mir das zu sagen, habe ich ohne viele Umstände wieder die Koffer gepackt.“

Giada folgt ihr mit Massi und fordert Giacomo auf, nach dem Verkauf des gemeinsamen Besitzes in Afrika nachzukommen. Sie mietet ein Zimmer in Ravenna und findet Arbeit bei einem alten Gastwirt und seiner Frau: Giuseppe und Margherita Bianchi.

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Adele – Adi gerufen, als wäre sie ein Mann – ist eine starke und unangepasste Frau, die während der Mussolini-Herrschaft ihre kleinen Kinder in der Lombardei zurücklässt und in der eritreischen Hafenstadt Assab allein eine neue Existenz aufbaut. Allerdings ist nicht sie die Hauptfigur des Romans „Das große A“ von Giulia Caminito, sondern ihre Tochter Giadina, die bei der bösartigen Tante aufwächst, bis die inzwischen 13-Jährige nach Kriegsende der Mutter nach Afrika folgt. Das war für sie „das große A“, aber ihre Erwartungen werden rasch als Illusionen entlarvt. Und als die Italiener aufgrund der Unabhängigkeitskämpfe keine Zukunft mehr in Eritrea sehen, kehrt zunächst Adele, dann auch Giadina nach Italien zurück.

Giulia Caminito entwickelt das Geschehen in ihrem Debütroman „Das große A“ vor dem Hintergrund der nur angedeuteten Zeitgeschichte.

1869 erwarb der italienische Entdecker Giuseppe Sapeto die Bucht von Assab. 1882 übernahm Italien die eritreische Hafenstadt und proklamierte die Kolonie Assab. Drei Jahre später besetzten italienische Truppen die Hafenstadt Massaua, und 1890 wurde Eritrea italienische Kolonie. Bis zum Ende des Faschismus blieb es eine der italienischen Ostafrikaprovinzen. 1941 bis 1952 stand Eritrea unter britischem Protektorat und war als autonome Einheit mit Äthiopien verbunden. 1952 übernahmen die Vereinten Nationen die Verantwortung für Eritrea, konnten aber nicht verhindern, dass Äthiopien die Autonomie Eritreas Schritt für Schritt beseitigte und das Gebiet 1961/62 annektierte. Dagegen organisierten sich Unabhängigkeitskämpfer.

Als Giadina im Alter von 13 Jahren nach Afrika kommt, ist Eritrea bereits britisches Protektorat, aber es gibt dort weiterhin italienische Communities. Erst als die Unabhängigkeitskämpfe zunehmen, sehen viele Italiener keine Zukunft mehr in Eritrea und kehren nach Italien zurück.

Giulia Caminito zeigt das Geschehen in „Das große A“ vor allem aus der Perspektive der Protagonistin Giadina. Es gelingt ihr, mit knappen Sätzen bildreich zu inszenieren und Situationen nachvollziehbar darzustellen.

Der Titel „Das große A“ bezieht sich sowohl auf Afrika als auch auf Adele.

[…] Amerika oder Afrika. Die großen A, wo alles viel schöner war.

Und so erfuhr Giadina […], dass sie ins große A ziehen würde.

Sie, sie allein war ihr großes A.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2024
Textauszüge: © Verlag Klaus Wagenbach

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Franz Hohler prangert die Aus­beutung der Arbeitskraft von Kindern in der Schweiz bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts an. Aber "Gleis 4" ist kein düsterer-sozial­kritischer Roman, sondern eine unterhaltsame Lektüre, denn die Handlung ist nach dem Vorbild eines Kriminalromans aufgebaut.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.