Siegfried Sommer : Und keiner weint mir nach

Und keiner weint mir nach
Und keiner weint mir nach Erstausgabe: München 1953
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein vierstöckiges Mietshaus mit 20 Parteien in der Mondstraße 46 in München bildet den Mittelpunkt des Geschehens, das sich im Wesentlichen zwischen den beiden Weltkriegen (genau: von 1924 bis 1952) abspielt. Im dritten Stockwerk wohnen Leonhard Knie und Marilli Kosemund, die sich als Schulkinder ineinander verlieben. ...
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Kritik

In "Und keiner weint mir nach" erzählt Sigi Sommer Geschichten über die Mieter im Haus Mondstraße 46 in München. Er hat gut beobachtet, wie sich einfache Leute im Alltag verhalten, und obwohl einige der Schicksale tragisch enden, bleibt der Grundtenor launig und humorvoll.
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Ein vierstöckiges Mietshaus mit zwanzig Parteien in der Mondstraße 46 in München bildet den Mittelpunkt des Geschehens, das sich im Wesentlichen zwischen den beiden Weltkriegen (genau: von 1924 bis 1952) abspielt.

Im dritten Stockwerk wohnen Leonhard Knie und Marilli Kosemund, die zu Beginn des Romans noch Kinder sind.

Hilde Knie ging im Alter von neunzehn Jahren mit einem Hamburger namens Herbert. Sobald sie ihm sagte, dass sie schwanger war, ließ er sie sitzen, und als Leo vier Jahre alt war, verschwand auch sie. Seither wächst der Junge bei seiner fast blinden Großmutter auf, die ihre Wohnung nicht verlässt, kaum etwas redet und eigentlich nur darauf achtet, dass Leo ihr dreimal täglich einen Krug Bier aus der benachbarten Wirtschaft holt.

Als Schüler verliebt er sich in Marilli aus der Nachbarwohnung. Sie verabreden sich im Wald, wo er unter den Zweigen bereits eine Decke ausgebreitet hat. Den ganzen Tag über hat er an nichts anderes gedacht als an das heiß ersehnte Stelldichein. Aber bevor sie sich ausziehen können, kommt er schon zum Höhepunkt, und nach der Blamage wagt er es nicht mehr, Marilli ein weiteres Treffen vorzuschlagen.

Leo beginnt eine Elektrikerlehre, aber sein Lehrherr macht Pleite und wird schließlich eingesperrt, weil er seine frühere Schreibkraft, die noch immer seine Geliebte gewesen ist, aus Eifersucht krankenhausreif geprügelt hat.

Die Freunde aus dem Haus in der Mondstraße ziehen nach und nach weg. Nur Biwi Leer, der bei einem Friseur in die Lehre geht, ist noch da. Aber als er Leos „Eroberung“ Anneliese Dingler wegschnappt, zerbricht auch diese Freundschaft.

Mit achtzehn ist Leo so einsam und verzweifelt, dass er sich von der schmuddeligen Prostituierten Fanny aushalten lässt, obwohl er sich vor ihr ekelt. Nach ein paar Wochen sagt sie ihm, sie sei schwanger („damit du’s weisst, bei mir hat’s g’schnackelt“). Da schluckt er achtundzwanzig Schlaftabletten und schreibt mit dem Finger an die angelaufene Fensterscheibe: „Und keiner weint mir nach“.

Marillis Mutter ist sicher, dass sie ihre Tochter in Bad Tölz empfing, aber wer der Vater war, weiß sie nicht so genau. „Genau genommen hätte sie erst selbst zwischen dem Heizer Schorsch vom Kurgarten, einem italienischen Gitarristen und dem Pensionsinhaber, bei dem sie damals bedienstet war, wählen müssen.“ Später heiratete sie den Dreher Karl Kosemund, und Marilli wurde von ihrem Stiefvater adoptiert.

Im Alter von zwölf Jahren und sieben Monaten trägt die rothaarige Marilli „einen ganz engen, frisch gewaschenen Pullover aus ihrem zehnten Lebensjahr. Die anderen Leute im Haus nennen sie bald ein „Flitscherl“.

Wenn sie Kohlen aus dem Keller holt, steigt ihr der Witwer Blätsch vom 2. Stock nach und hält ihr den Kerzenleuchter – nicht zuletzt, um ihre Figur betrachten zu können. Dass Blätsch immer dann in den Keller geht, wenn auch das Mädchen dort ist, entgeht der Hausmeisterin nicht. Schließlich holt sie sich eine Zeugin, lauert Blätsch erneut auf und zeigt ihn dann bei der Polizei an. Er öffnet nicht. Seine Wohnungstür wird aufgebrochen. Blätsch hat sich erhängt [Suizid]. Nach ein paar Tagen hat Marilli den Vorfall vergessen.

Als ihr die Freundin Hanni Brunner vom 3. Stock verrät, dass sie mit dem achtundvierzig Jahre alten Spenglermeister Johann Müller schläft, meint Marilli: „Es hilft gar nichts, ich muss das jetzt auch bald erleben.“ Nachdem es mit Leo nichts geworden ist, lässt sie sich von dem Spengler entjungern, und bald schon geht sie mit dem Sohn eines Margarinegroßhändlers, dann mit einem Autoverkäufer. Sie sitzt in Vorstadtwirtschaften mit Akkordarbeitern zusammen und übernachtet in Villen mit Swimming Pools. Sie lebt „ihr Leben viel zu schnell …, zu gierig …, zu hungrig. Obwohl Hunger eine ganz gesunde menschliche Eigenschaft ist. Aber Eigenschaften wie Gier, Verlangen oder Wut darf man natürlich nicht unverdünnt anwenden. Ein paar Tropfen davon. Und die stark verdünnt.“

Mit dreißig heiratet sie, und ihr Mann Schorsch zieht zu ihr und ihrer Mutter Matschi in die Wohnung. (Karl Kosemund hat seine Frau nach einer Prügelei verlassen.) Da liegt er tagsüber herum; abends verkauft er in den Wirtschaften Freiburger Dauerbrezeln.

Eines Tages – Marilli ist jetzt siebenunddreißig Jahre alt – geht sie wie gewohnt in den Keller, um Kohlen zu holen. Der Hausverwalter Stein, der im Parterre wohnt, lässt sich gerade im Schutz der Dunkelheit eine Ladung Buchenholz vom Bauhof bringen. Aber der Lastwagenfahrer verwechselt den Kellerschacht. Ein Luftzug bläst Marillis Kerze aus. Gleich darauf trifft sie das erste Holzscheit hinter dem Ohr an der Schlagader. Sie stirbt ohne einen Laut, während in der Wohnung die Milch auf dem Herd überläuft und ihr Mann „Märry, he, Märry“ schreit.

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Was ich hier kurz zusammengefasst habe, erzählt Siegfried Sommer in seinem Roman „Und keiner weint mir nach“ häppchenweise und eingebettet in zahlreiche kleine Geschichten über die Mieter im Haus Mondstraße 46. Der Münchner Autor, der sich als Kolumnist („Blasius der Spaziergänger“) einen Namen machte, hat gut beobachtet, wie sich einfache Leute im Alltag verhalten, und obwohl einige der Schicksale tragisch enden, bleibt der Grundtenor launig und humorvoll. Auch wenn man erst kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in München aufwuchs, wird man an vieles aus der Kindheit sowie längst vergessene Redensarten und Gepflogenheiten erinnert. Bei der Fülle der Anekdoten in „Und keiner weint mir nach“ kommt eine dramatische Spannung allerdings erst im letzten Drittel des Buches auf, wenn Siegfried Sommer die Darstellung auf Leo fokussiert. Zum Schluss erfahren wir noch in einer Art Epilog auf zwanzig Seiten, was aus den anderen Mietern – und vor allem Marilli – geworden ist.

Das Kleinbürgermilieu wird auch nicht verklärt, sondern als „Wirsching-Mief und Rindsfettgeranzel“ geschildert, geprägt durch erstaunliche Niedertracht in öden Ehen und zwischen missgünstigen Nachbarn […]
Da lernen wir die ganze Verletzlichkeit der vermeintlichen Vorstadtstenzen kennen. Leo fantasiert sich in verschiedene Rollen, um Eindruck zu schinden, weiß aber nicht, wie er selber ist […] In der kalten Gewissheit, dass ihm keiner nachweinen wird, nimmt er die tödliche Dosis von Tabletten seiner Oma. Bubi verschmort als Panzerschütze, Biwi stirbt beim Afrikafeldzug an Typhus. Eine betrogene Generation. (Christian Ude, Süddeutsche Zeitung, 5. April 2008)

Bertolt Brecht äußerte sich begeistert über den Roman „Und keiner weint mir nach“, für den Siegfried Sommer den Schiller-Preis aus Weimar erhielt.

1996 verfilmte Joseph Vilsmaier den Roman: „Und keiner weint mir nach“. Die Premiere erlebte Siegfried Sommer nicht mehr: Er war im Januar desselben Jahres gestorben.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002 / 2008

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