Peter Stamm : Agnes

Agnes
Agnes Originalausgabe: Arche Verlag, Zürich / Hamburg 1998 Taschenbuch: btb ISBN 3-442-72550-X, 154 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein Schweizer Sachbuchautor lernt bei seinem Aufenthalt in Chicago eine Physikstudentin kennen. Er versucht, ihrer beider Liebesgeschichte aufzuschreiben und muss dabei feststellen, dass er sich damit eine nicht zu lösende Aufgabe gestellt hat, die obendrein zu einem fatalen Ende ihrer Beziehung führt.
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Kritik

Distanziert, aber dennoch einfühlsam, beschreibt Peter Stamm in '"Agnes" das Scheitern einer Liebe. Durch irrige Einschätzung oder falsch interpretiertes Verhalten der geliebten Person entsteht ein nicht wieder gutzumachendes Unglück.
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Der Erzähler (dessen Namen wir nicht erfahren) ist ein Sachbuchautor aus der Schweiz, der sich wegen Recherchen für sein neues Buch über amerikanische Luxuseisenbahnen in Chicago aufhält. Er arbeitet oft in der Chicago Public Library, um Material für seine Nachforschungen zu sammeln. Eines Tages (im April), fällt ihm eine junge Frau auf, für die er sich interessiert und mit der er dann auch ins Gespräch kommt. Sie heißt Agnes, studiert Physik und schreibt zur Zeit an ihrer Dissertation „Über die Symmetrien der Symmetriegruppen von Kristallgittern“. Aufgewachsen ist sie in Chicago; ihre Eltern waren nach Florida gezogen und hatten sie alleine zurückgelassen. Der Kontakt mit ihnen ist abgebrochen. Mit Malerei und Gedichten beschäftigt sie sich gerne; außerdem spielt sie Cello in einem Quartett. „Ich bin kein sehr sozialer Mensch“, behauptet sie von sich, sodass sie außer den drei Streicherinnen, mit denen sie zusammen spielt, kaum Freunde hat. Mit ihren fünfundzwanzig Jahren ist sie wesentlich jünger als ihr neuer Bekannter. (Er sagt einmal, er könne fast ihr Vater sein, aber sein wirkliches Alter wird nicht genannt.)

Sie sehen sich oft in der Bibliothek, gehen ein paar Mal aus, und dann kommt Agnes mit in seine Wohnung; sie schlafen miteinander.

Agnes ist eine sehr empfindsame Person, die viel über sich und den Tod nachdenkt. Als sie ihren Freund fragt, ob er an ein Leben nach dem Tod glaube, sagt er:

„Alles wäre irgendwie … sinnlos. Wenn es danach weiterginge.“ (Seite 27)

Er schränkt dann aber ein:

„In irgendeiner Form leben wir alle nach unserem Tod weiter. In der Erinnerung anderer Menschen, von unseren Kindern. Und in dem, was wir geschaffen haben.“
„Schreibst du deshalb Bücher? Weil du keine Kinder hast?“
„Ich will nicht ewig leben. Im Gegenteil. Ich möchte keine Spuren hinterlassen.“
„Doch“, sagte Agnes. (Seite 28)

Einmal zeigt Agnes ihrem Freund auf dem Computer, dass sie eine Geschichte geschrieben hat.

Ich muss gehen. Ich stehe auf. Ich verlasse das Haus. Ich fahre mit dem Zug. […] Meine Kleider sind zu klein, meine Schuhe drücken. Mein Haar ist heller geworden. Meine Stimme dunkler. Ich muss gehen. Ich stehe auf. Ich verlasse das Haus. (Seite 42)

Der Autor versucht ihr schonend beizubringen, dass der Text wohl doch recht dilettantisch sei, und man sich nicht eben hinsetzen und einen Roman schreiben könne. Sie sieht das offenbar auch ein und löscht die Geschichte auf dem Computer. Dafür zeigt sie ihm verschiedene Dias, auf denen Röntgenbilder von Kristallgittern zu sehen sind. „Die wirklichen Anordnungen der Atome. Ganz tief in fast allem ist Symmetrie.“ (Seite 44)

„Das Geheimnisvolle ist die Leere in der Mitte“, sagte sie, „das, was man nicht sieht, die Symmetrieachsen.“
„Aber was hat das mit uns zu tun?“ fragte ich. „Mit dem Leben, mit dir und mir. Wir sind asymmetrisch.“
„Assymetrien haben immer einen Grund“, sagte Agnes. „Es ist die Assymetrie, die das Leben überhaupt erst möglich macht. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern. Dass die Zeit nur in eine Richtung läuft. Asymmetrien haben immer einen Grund und eine Wirkung.“ (Seite 44 ff)

Agnes kommt noch einmal auf ihre missglückten Schreibversuch zurück. Er, der Autor, hat ihr einmal ein Buch mit Kurzgeschichten gezeigt (es wurde allerdings nur hundertsiebenundachtzigmal verkauft) und daher fragt sie ihn, ob er nicht eine „Geschichte“ über sie schreiben könne.

„Zweihundert Exemplare sind genug. Sogar wenn es nicht gedruckt wird. Es wäre wie ein Porträt. Du hast die Fotos von mir gesehen. Es gibt kein einziges gutes Bild von mir. Auf dem man mich sieht, wie ich bin.“ (Seite 47)

Er ist bereit, die Aufgabe zu übernehmen. Agnes möchte „eine Liebesgeschichte mit dir und mir“ haben. Die Niederschrift beginnt er ganz realistisch und schnörkellos. Seiner Aufforderung, ihm quasi Modell zu sitzen, kommt sie gerne nach.

Agnes setzte sich in den Korbstuhl am Fenster, und als solle sie fotografiert werden, strich sie sich die Haare aus dem Gesicht, zupfte am Kragen ihrer Bluse und lächelte mich an. Ich setzte mich an den Computer und schaute sie an. Wieder erstaunten mich trotz des Lächelns der Ernst in ihrem Gesicht und ihr Blick, dessen Sprache ich nicht verstand. „Wie möchtest du denn aussehen?“, fragte ich.
„Es muss schon stimmen“, sagte sie. „Aber nett soll es sein. Du hast dich ja schließlich in mich verliebt, nicht wahr?“
Ich schrieb. (Seite 52)

In den folgenden Wochen vernachlässigt er sogar seine Arbeit über die Luxuseisenbahnwagen, um mit der Agnes-Geschichte weiterzukommen. Wenn er ihr die neuen Kapitel vorliest, wundert er sich, wie vieles Agnes und er anders erleben oder unterschiedlich in Erinnerung haben. Es werden ihm beim Schreiben auch neue Facetten an Agnes‘ Verhalten bewusst, die ihm bisher nicht aufgefallen waren. Außerdem flicht er Vorgänge in die Geschichte ein, die die Zukunft betreffen. „Jetzt war Agnes mein Geschöpf“. (Seite 61)

Im September zieht Agnes bei ihrem Geliebten ein, ohne ihre Wohnung endgültig aufzugeben.

Anlässlich des Columbus Day – das ist im Oktober – fahren sie zu einem verlängerten Wochenende in einen Nationalpark, wo sie im mitgebrachten Zelt übernachten wollen. Sie entfachen im Freien ein Feuer; Agnes friert trotzdem. Auf dem Weg zum Zelt, wo sie ihren Schlafsack holen will, bricht sie zusammen und wird kurz ohnmächtig. Am nächsten Tag geht es ihr wieder besser.

Um Halloween zu feiern, hat Agnes mit ihren Kolleginnen vom Streichquartett eine Party in der Universität geplant, für die sie sich Kostüme genäht haben. Ihr Freund soll auch mitkommen. Der hat aber von jeher eine Abneigung gegen Masken und Verkleidungen und ist daher froh, eine Einladung der Amtrak, der amerikanischen Bahngesellschaft, als Ausrede vorschieben zu können. Er sei auf die Hilfe von Amtrak angewiesen und könne deshalb dort nicht absagen.

Auf dieser Party von Amtrak langweilt er sich zwar auch, aber er lernt dort eine Frau kennen, die sich als Louise vorstellt. Sie arbeitet in der Public Relations-Abteilung der Pullman Leasing. Mit der selbstbewussten Amerikanerin, die in wohlhabenden, großbürgerlichen Kreisen aufgewachsen ist, führt er dann noch ein angeregtes Gespräch. Er solle sie doch mal anrufen, sie hätte sich schon lange nicht mehr so gut unterhalten. Die Party verlässt er nach Mitternacht und schaut noch bei der Veranstaltung in der Uni vorbei, wo Agnes feiert. Er findet sie aber nicht.

Sie kommt gegen Morgen nach Hause und ist betrunken. Erst am Abend fühlt sie sich wieder besser. Sie stellt ihn zur Rede, dass sie nicht wisse, was mit ihnen beiden geschieht, wenn das Buch fertig ist.

Ich zögerte. Schließlich sagte ich: „Darüber müssen wir reden.“
„Ja“, sagte Agnes, „genau das versuche ich.“ (Seite 89)

Sie sind noch etwas abgelenkt, weil die Heizungsrohre brummen, dann sagt Agnes unvermittelt, dass sie schwanger sei und ob er sich freue.

„Nicht gerade, was ich mir vorgestellt habe. Warum? Hast du die Pille vergessen?“ (Seite 89)

Agnes wirft sich im Schlafzimmer aufs Bett und schluchzt. Er setzt sich zu ihr und berührt sie.

„Ich brauche kein Kind.“
„Ich brauche auch kein Kind. Aber ich bekomme eins.“
„Man kann das ändern“, sagte ich leise.
Agnes sprang auf und schaute mich an mit einer Mischung aus Ekel und Wut. „Du willst, dass ich abtreibe?“ „Ich liebe dich. Wir müssen reden.“ „Immer sagst du, wir müssen reden. Aber du redest nie.“
„Jetzt rede ich.“ „Geh, geh weg. Lass mich. Du widerst mich an mit deiner Geschichte.“ Ich verließ das Zimmer. Ich zog mich warm an und ging nach draußen.(Seite 90 ff)

Als er wieder zurückkommt, ist Agnes nicht mehr in der Wohnung. Einen Teil ihrer Sachen hat sie schon mitgenommen. Später ruft sie ihn an und sagt ihm, dass sie nach New York, zu Herbert, gehe. Von Herbert hat sie ihm bereits erzählt: Vor ein paar Jahren war sie in ihn verliebt, aber es wurde nichts Ernsthaftes daraus. Sie will abends den Rest ihrer Kleider abholen und es wäre ihr lieber, wenn sie ihn – den Erzähler – nicht zu Hause anträfe. Er wollte sich noch bei ihr entschuldigen, aber dafür war es nun zu spät.

Sie hatte sich entschieden.
„Du willst kein Kind“, sagte sie, „und du kriegst kein Kind.“ (Seite 94)

Louise überrascht ihren neuen Bekannten im Lesesaal. Er gesteht ihr, dass er nicht in der Verfassung sei, konzentriert zu arbeiten, nachdem ihn seine Freundin Agnes verlassen habe. Von dem Kind sagt er nichts. Louise meint, dass sie sich „ein wenig um ihn kümmern müsse“ und ruft ihn noch am selben Abend an. Ihre Eltern planten an Thanksgiving ein Mittagessen. Außer Geschäftsfreunden ihres Vaters würde niemand kommen und sie hätte gern einen Tischgenossen, „der über etwas anderes rede als über Kornernten und Schweinebauch“. Trotz seines schlechten Gewissens Agnes gegenüber nimmt er die Einladung an.

Die Eltern von Louise nehmen den Schweizer Autor freundlich auf und Louise zeigt ihm den weitläufigen Garten. Er küsst sie schließlich. „Du liebst mich nicht, und ich liebe dich nicht. Es ist nichts dabei. Hauptsache, wir amüsieren uns“, meint Louise.

Der Erzähler denkt viel an die schwangere Agnes und das Kind. Und er fährt in seiner Geschichte fort, wo er beschreibt, wie das Kinderzimmer aussehen würde, und welches Spielzeug sie dem Baby kaufen würden.

Am vierten Mai kam unser Kind zur Welt. Es war ein Mädchen. Es war sehr klein und leicht und hatte ganz dünnes blondes Haar. Wir tauften es auf den Namen … (Seite 108)

Das Namensschild einer Kellnerin bringt ihn auf die Idee, das Kind Margaret zu nennen. Um sich über Kleinkinder informieren zu können, will er sich sogar ein Buch kaufen.

Nun wird er von einer Geigerin des Streichquartetts angerufen, die ihm besorgt mitteilt, dass Agnes krank sei; sie dürfe aber nicht wissen, dass sie ihn verständige. Erst am übernächsten Tag ringt er sich durch, Agnes zu besuchen. Sie macht im Morgenmantel die Tür auf, ist bleich und legt sich gleich wieder hin.

„Ich habe das Kind verloren“, sagte sie leise.
Ich hatte nie daran gedacht, dass sie das Kind verlieren könnte. Ich war erleichtert und schämte mich dafür.
Agnes lächelte und sagte: „Du solltest eigentlich froh sein.“ Aber der Zynismus gelang ihr nicht.[…]
„Es tut mir Leid“, sagte ich.
Sie setzte sich auf und umarmte mich.
„Ich habe dich vermisst“, sagte sie. Dann begann sie zu weinen. „Sechs Zentimeter groß war es, hat der Doktor gesagt.“ (Seite 111)

Agnes zieht wieder zu ihrem Lebensgefährten. Er beobachtet, dass die Fehlgeburt sie sehr belastet und erzählt ihr, dass er an der Geschichte weitergeschrieben habe mit allen möglichen Ausschmückungen, wie Tierkreiszeichen sowie der damit verbundenen Begabungen, und dass das Kind auch schon einen Namen habe. Als Lebensdevise für Margaret wählte er: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“.

„Du musst es aufschreiben“, sagte Agnes, „du musst uns das Kind machen. Ich habe es nicht geschafft.“ (Seite 116)

Den ganzen Nachmittag sitzen sie am Computer, und er schmückt den fiktiven Verlauf ihrer beider Leben und den des Kindes aus: Nach einer halben Seite lernt Margaret schon gehen, bald darauf kann sie sprechen. Agnes und er heiraten, dann bekommen sie ein zweites Kind. Alle sind glücklich. – So stellt er sich die „Familiensaga“ vor.

Agnes und der Erzähler stehen vor einem weihnachtlich geschmückten Spielwarengeschäft. Agnes meint, sie müssten ihrem Baby ein Geschenk machen. Sie besorgen einen Teddybär und eine Puppe. Auch Kinderkleidung kaufen sie ein. Zuhause fängt Agnes zu weinen an. Sie fühlt sich von den Leuten schief angeschaut, wenn sie Kindersachen kauft, als ob alle wüssten, dass es eine Lüge sei. Er versucht, sie damit zu trösten, dass es „doch nur eine Geschichte“ sei.

„Ich hab gehofft, es würde dir helfen. Es hat mir geholfen, als du nicht da warst.“
„Es stimmt nicht. Du musst schreiben, wie es wirklich war und wie es ist. Es muss stimmen.“
[…]
„Schreib, wie es weitergeht“, sagte Agnes. „Wir müssen wissen, was geschieht.“ (Seite 119)

Langsam erholt sich Agnes. Sie spielt wieder Cello, treibt Sport und widmet sich ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Sie kann sich sogar wieder Schaufenster mit Kinderkleidung ansehen.

An Weihnachten kommt von Louise ein Päckchen mit einem Modell eines Pullman-Salonwagens. Er erzählt Agnes von seinem Besuch in dem Anwesen von Louises Eltern. Diese haben eine Einladung zu ihrer Neujahrsparty beigelegt. Louise hat noch draufgeschrieben, dass er Agnes mitbringen soll, „wenn er Lust hat“.

Am Weihnachtsabend gehen er und Agnes aufs Dach, um sich die Sterne anzusehen.

„Wir denken, wir leben in einer einzigen Welt. Dabei bewegt sich jeder in seinem eigenen Stollensystem, sieht nicht rechts und links und baut nur sein Leben ab und versperrt sich mit dem Schutt den Rückweg.“ (Seite 127)

In der Nacht auf dem Dach hat sich Agnes erkältet. Sie hat Fieber und weint wieder wegen ihres gestorbenen Kindes. Der Verfasser der Geschichte fühlt sich in der jetzigen Situation ebenso unbehaglich wie Agnes.

Ich las das Geschriebene noch einmal, und es war mir, als lese ich es zum ersten Mal. Ich wusste nicht, wohin dies führen sollte, und doch wusste ich, dass ich so nicht weitermachen konnte, dass es unmöglich war, unzumutbar für Agnes, unerträglich für mich. Ich musste endlich ein Ende finden für Agnes, einen guten Schluss. (Seite 133)

Nun möchte Agnes auf einmal nicht mehr, dass er die Geschichte zu Ende schreibt. „Es ist nicht gut. Wir brauchen sie nicht.“ „Aber ich bin fertig.“ Ob sie denn gut ausgehe, fragt Agnes. Alle Geschichten in Amerika gehen gut aus, beruhigt er sie. Er werde die Seiten in den nächsten Tagen binden. Dann habe sie ihr Büchlein: „Das Buch Agnes„. Aber er ändert, korrigiert und ersetzt das Ende immer wieder durch andere Wendungen.

Agnes fühlt sich immer noch nicht wohl und verbringt die meiste Zeit im Bett. Nur ungern lässt ihr Lebensgefährte sie allein, wenn er zum Beispiel in die Bibliothek geht (und hofft, eventuell Louise dort zu sehen). Es macht Agnes aber angeblich nichts aus, wenn er fortgeht. Sie hätte auch nichts dagegen, wenn er auf die Party von Louise ginge – sagt sie zumindest. Er solle sie nur nach Möglichkeit um Mitternacht anrufen.

Er ruft sie aber schon um elf Uhr an, wobei ihm Louise beim Telefonieren zusieht und sich über ihn lustig macht, ob er seine „kleine Freundin“ vermisse. Als er ihr sagt, dass Agnes krank sei, bemerkt sie sarkastisch, dass Amerikanerinnen immer krank seien und dafür sorgten, dass man ein schlechtes Gewissen habe. Agnes sei aber anders, widerspricht er.

Wie er feststellt, hat Louise keine ihrer Freunde eingeladen. Die brauche sie auch nicht, wendet sie ein, „ich habe ja dich!“ Er trinkt ziemlich viel und spricht den ganzen Abend über nur mit Louise, die ihn dann einlädt, mit in ihr Apartment zu kommen. Sie nehmen noch eine Flasche Champagner mit, und Louise schließt die Tür hinter ihnen ab.

Louise bringt gegen vier Uhr ihren Gast mit dem Auto nach Hause. Beim Verabschieden küsst sie ihn, ist aber verstimmt, als er ihr sagt, dass er wieder mit Agnes zusammen sei. „Es war etwas zwischen uns, etwas Wichtiges. Und es ist nicht verloren.“ (Seite 147) Gekränkt wirft ihm Louise vor:

„Ihr Männer seid Idioten, ihr könnt nur lieben, wenn ihr zurückgestoßen werdet. […] Zwischen uns war auch etwas, heute Nacht, und das war schön. Und morgen Nacht könnte es wieder sein, und dann von Nacht zu Nacht noch ein paarmal. Und vielleicht würde mehr daraus, wenn du offen wärst.“ […]
„Du hast gesagt, dass du mich nicht liebst. Dort im Archiv.“
„Dort habe ich es gesagt, aber heute Nacht habe ich es nicht gesagt.“(Seite 148)

Er bedankt sich noch für das Fest und geht.

Als er die Wohnung betritt, hört er das Summen des Computers. Als er die Taste zum Aktivieren des Bildschirms drückt, erscheint der Schluss der Geschichte. Der neue Schluss, den er heimlich geschrieben hatte.

Neben dem Computer stand ein Teller mit einem halb gegessenen Sandwich. Ich ging ins Schlafzimmer. Agnes war nicht da. Ihr Mantel hing nicht an der Garderobe. Sonst fehlte nichts. (Seite 153)

Der Roman beginnt mit folgenden Sätzen:

Agnes ist tot. Eine Geschichte hat sie getötet. Nichts ist mir von ihr geblieben als diese Geschichte. (Seite 9)

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Peter Stamm lässt den Erzähler nüchtern und sachlich, ohne es aber an Empfindsamkeit fehlen zu lassen, über das Scheitern einer Liebe berichten. Die Aufgabe, die Geschichte über seine Beziehung zu seiner Geliebten aufzuschreiben, sich also auch in die andere Person einzufühlen, bringt ihn und die Frau in einen unüberbrückbaren Zwiespalt. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zerfließen, bis einer der beiden Protagonisten daran zerbricht.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Irene Wunderlich 2005
Textauszüge: © Peter Stamm

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Germán Kratochwil - Scherbengericht
Germán Kratochwil erzählt in einem tragikomischen Debütroman "Scherbengericht" von einem Dutzend Personen, wechselt von Kapitel zu Kapitel die Perspektive und ordnet jeder Stimme eine eigene Sprache zu.
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