Carl Jonas Love Almqvist : Die Woche mit Sara
Carl Jonas Love Almqvist
Die Woche mit Sara
Inhaltsangabe
Kritik
Der fünfundzwanzigjährige Sergeant Albert geht in den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts in Stockholm an Bord des Dampfers „Yngve Frey“. Er hat drei Monate Urlaub und reist nach Vadsbo und Västergötland zu den Besitzungen einer entfernt verwandten Familie. Das Geld, das er für diese jährliche Inspektion bekommt, spart er für ein kleines Anwesen, das er in Timmelhed bei Ulricehamn kaufen möchte. So begnügt er sich auf dem Schiff denn auch mit einem Deckplatz. Allerdings verwehrt niemand dem uniformierten Unteroffizier den Zugang zu den Salons; er wird respektiert.
Kurz nach dem Ablegen des Dampfers bemerkt Albert am Riddarholmufer eine ältere Frau, die aufgeregt winkt und offenbar zu spät gekommen ist. Auf dem billigen Vorderdeck ruft eine hübsche junge Frau, bei der er sich nicht sicher ist, in welche gesellschaftliche Klasse er sie einordnen soll: „Tante!“ Vom Kapitän erhält Albert die Auskunft, dass es sich um die vierundzwanzigjährige Glasermeistertochter Sara Videbeck aus Lidköping handelt.
Albert beobachtet Sara, denn sie gefällt ihm. Sie geht zu einer Gruppe von Mädchen aus Dalarna und sucht sorgfältig einen Ring aus Rosshaar aus. Die Verkäuferin verlangt 6 Schillinge dafür, und weil Sara keine passenden Münzen hat, schlägt das Mädchen ihr vor, zwei Ringe für 12 Schillinge zu nehmen. Der Handel droht zu scheitern. Albert geht hin, kauft zwei Ringe und schenkt Sara den, den sie selbst ausgesucht hat. Seine Erwartung, sie werde ihn auf den Finger stecken, erfüllt sich nicht: Sara wirft den Ring, den sie in ihrer ersten Verblüffung angenommen hat, kurzerhand über Bord. Albert, der annimmt, dass sie ihm die Abfuhr erteilte, weil es falsch war, sie mit Demoiselle anzusprechen, folgt verärgert ihrem Beispiel.
Er gibt nicht auf. Als die „Yngve Frey“ in Strängnäs einläuft, schlägt er Sara vor, den Aufenthalt zu nutzen, um an Land zu gehen und zu frühstücken. Ohne weiteres lässt sie sich darauf ein.
Im Restaurant erzählt sie ihm, dass es sich bei der zu spät gekommenen Frau am Riddarholmufer um ihre Tante Ulla gehandelt habe. Bei ihr wohnte Sara während ihres Aufenthalts in Stockholm. Die Glasermeistertochter war zum ersten Mal dort, um Öl und Diamanten zu kaufen. Das Öl benötige man für die Herstellung des Fensterkitts, und die Diamanten zum Glasschleifen, erklärt sie dem erstaunten Unteroffizier. Saras Vater starb vor sechs Jahren. Seither läuft die Werkstatt in Lidköping aufgrund des Witwenrechts weiter, aber Saras Mutter ist seit zwei Jahren bettlägerig, und so ist es Sara, die den Betrieb am Leben hält. Nach dem Tod der Mutter, mit dem bald zu rechnen ist, wird der Magistrat von Lidköping die Konzession nicht auf Sara übertragen, da gibt sie sich keinen Illusionen hin, aber sie hat bereits Pläne: Zum einen fand sie das optimale Mischungsverhältnis von Öl und Kreide heraus und ist sich sicher, dass alle Glasermeister in der Umgebung ihren hervorragenden Fensterkitt kaufen werden. Außerdem beabsichtigt sie, in ihrem Elternhaus einen kleinen Kaufladen zu eröffnen, in dem sie Glasdosen, Laternen und Kurzwaren anbieten will.
„Aber als Unverheiratete bist du doch schutzlos, und “
„Das wird sich zeigen. Im Gegenteil, mit einem versoffenen und schwierigen Mann, wie meine arme Mutter – da wäre ich schutzlos und schlimm dran. Nein, wahrhaftig, ich werde mich behaupten, wie ich bin.“
Sara vertraut Albert an, dass der Vater die Mutter im Rausch geschlagen habe. Als die Mutter glaubte, es nicht länger ertragen zu können, wollte sie sich von einer Brücke in den Lidan stürzen [Suizid], aber Sara lief ihr nach, und ihretwegen kehrte die Mutter nach Hause zurück. Allerdings begann sie zu trinken, wurde alkoholkrank und verwahrloste im Lauf der Zeit. Während Saras Abwesenheit kümmert sich ihre Tante Gustava um die Kranke.
Als das Signal ertönt, mit dem der Kapitän das Ablegen des Dampfes ankündigt, bezahlt Sara ihren Anteil an der Zeche, bevor der überraschte Sergeant Einspruch erheben kann.
Am Abend erreichen sie Arboga. Dort endet die Schiffsreise. Albert besorgt Träger für das Gepäck und läuft dann voraus zum Gasthof. Es sind keine Zimmer mehr frei, aber er lässt nicht locker, bis die Wirtin ihm ihr eigenes überlässt. Inzwischen trifft Sara mit den Gepäckträgern ein. Das Mädchen, das die beiden in ihr Zimmer führt, hält sie für ein Ehepaar. Albert findet die Situation peinlich, und er versichert Sara, er werde irgendwo im Heu übernachten. Aber sie meint:
„Wenn du, wie ich, in einer einzigen Stube geboren und aufgewachsen wärst und das ganze Leben drin zugebracht hättest – tagsüber war sie Werkstatt und nachts Schlafkammer für uns alle zusammen, weil wir die übrigen Zimmer bei uns zu Hause aus Not vermieten mussten –, dann würdest du über diese Lappalie nicht weiter reden. Aber wenn du auch nicht ganz so bist wie viele andere, kann ich mir doch denken, dass man dir allerlei törichte Vorstellungen anerzogen hat. Deshalb, Albert, Guter ja, mach, was dir gefällt, aber ich versichere dir: Wenn du hier bleibst, statt über Nacht da draußen im Kalten zu sitzen, werde ich überhaupt nichts dabei finden, und ich wünschte, du würdest es auch so betrachten, denn dann würde es wirklich nichts bedeuten.“
Vergeblich sucht Albert nach einer Übernachtungsmöglichkeit in einer Scheune oder in einer Kutsche. Als er ins Zimmer zurückkehrt, schläft Sara bereits. Er verbringt die Nacht auf einem Stuhl.
Sara schlug bereits vor, sich die Kosten für die Weiterreise zu teilen. Auf diese Weise könne man sich statt eines Bauernkarren einen Zweispänner leisten. Ihren Anteil an den Reisekosten drängt sie Albert im Voraus auf.
Als sie in Mariestad ankommen, sind sie bereits seit sechs Tagen unterwegs.
Entgegen seiner ursprünglichen Absicht verabschiedet Albert sich nicht in Mariestad von Sara, sondern kündigt an, sie bis nach Lidköping zu begleiten. Inzwischen weiß er, dass in Saras Elternhaus zwei Zimmer im Obergeschoss zu vermieten sind. Er erklärt ihr, dass er daran interessiert sei.
Während der Weiterreise lässt Sara ihren Begleiter wissen, dass sie aufgrund des Unglücks ihrer Eltern nichts von der Ehe hält.
„Na ja, ich meine, wenn man sich davor hütet, einen Quälgeist im Hause zu haben, der ohne Sinn und Verstand und aus lauter Liederlichkeit alles auffrisst und verschwendet, was man mühsam und redlich zusammengebracht hat. Was nutzt es denn da, ordentlich zu sein, wenn der Quälgeist umso unordentlicher ist und die Früchte fleißiger Arbeit verprasst?“
Sara meint, sie kenne zwar auch einige glückliche Ehepaare, aber das sei nicht auf den Trauschein zurückzuführen. Beschwörungsformeln könnten den Lauf der Dinge nicht ändern. Albert entgegnet, die Eheschließung schade zumindest nicht. Aber da ist Sara anderer Ansicht. Unhaltbare Versprechungen am Traualtar führten nur dazu, dass Lüge und Leid zunehmen, um den Schein zu wahren.
„O doch. Denn wenn man einmal auf diese Weise zwei Menschen zusammengebracht hat, die einander nur Unglück und Elend bringen, dann behauptet man, sie müssten trotzdem zusammenbleiben, auch wenn sie sich gegenseitig zerbrechen – nur wegen der einmal ausgesprochenen leeren Formel. Das ist sehr zum Schaden, meine ich.“
Selbst einen gemeinsamen Haushalt von Mann und Frau lehnt Sara ab.
„Da es so ist, dass du mich magst und ich dich mag, haben wir ja das gemeinsam. Das ist viel, Albert. Und das ist mehr, als viele andere haben. Aber wenn wir uns vornehmen, auch eine Menge anderes unnötigerweise gemeinsam zu haben, werde ich dir sagen, was daraus folgt. Wenn du mein kleines Haus, mein Gewerbe, meine Einrichtung und mein Einkommen – unbedeutend, aber immerhin mein Eigen – nehmen würdest, ja, ich will dir nicht verhehlen, dass ich dann ungemütlich werden könnte. Denn vielleicht kannst du gar nicht damit umgehen?“
„Wenn du mich von ganzem Herzen liebst, bin ich froh und habe das, worauf es ankommt. Für alles Übrige werde ich selbst sorgen, werde heiter und zufrieden und fleißig sein, nachts gut schlafen und am Tage hübsch aussehen – das weiß ich, und du wirst es merken. Liebst du mich aber nicht – was hilft da alles andere, und was soll ich dann damit? Wichtig für uns ist nur eins: dass die Liebe ausreicht. Vielleicht kann sie trotzdem eines Tages zu Ende gehen, aber man sollte wenigstens das vermeiden, was bestimmt zu Verdruss führt oder Kummer bereitet und die Liebe schlägt statt trägt.“
Nachdem sie Lidköping erreicht haben, fordert Sara ihren Begleiter auf, sich für eine Nacht ein Zimmer im Gasthaus zu nehmen. Sie wird ihr Gepäck von dort holen lassen und will zunächst nach ihrer Mutter sehen.
Auf dem Weg zu ihrem Elternhaus kommt ihr ein Leichenzug entgegen: Ihre Mutter ist bereits gestorben. Weil Sara Reise- statt Trauerkleidung trägt, folgt sie dem Sarg mit einigem Abstand und bleibt auch bei der Beerdigung im Hintergrund.
Am nächsten Morgen fragt Albert sich zu Saras Haus durch. Eine Dienstmagd öffnet ihm und führt ihn in die beiden Zimmer im Obergeschoss, die vermietet werden. Kurz darauf betritt Sara den Raum.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)„Wie gefallen dir diese Stuben? Willst du sie mieten? Aber du kennst sie ja noch gar nicht richtig. Darf ich dich jetzt zu mir einladen, damit du siehst, wie es bei mir unten ist? Das Frühstück wartet. Und wenn du nicht gleich heute weiterreist, dann bitte ich dich auch zum Mittagessen. Geht das alles an, Albert?“
Er sagte immer noch nichts. Aber sein ganzer Gesichtsausdruck gab die Antwort: Es geht an.
Der 1839 (!) veröffentlichte Roman „Die Woche mit Sara“ des schwedischen Schriftstellers Carl Jonas Love Almqvist ist ein Plädoyer für die freie Liebe. Sara Videbeck, eine selbstbewusste, tatkräftige Vierundzwanzigjährige, betreibt seit dem Tod ihres Vaters und der Erkrankung ihrer Mutter die Glaserwerkstatt in ihrem Elternhaus in Lidköping. Bei der Rückkehr von einer Geschäftsreise aus Stockholm lernt sie den ein Jahr älteren Unteroffizier Albert kennen. Die beiden verlieben sich, aber Sara hält nichts von der Ehe, denn die ihrer Eltern war ein schlechtes Beispiel. Der Trauschein könne das Scheitern einer Liebesbeziehung nicht verhindern, meint sie, und führe dann allenfalls zu Lüge und Leid, um den Schein zu wahren. Die Ehe betrachtet sie als Käfig. Sara ist alles andere als promiskuitiv, aber sie tritt für eine freie, zwanglose und gleichberechtigte Partnerschaft in der Liebe ein. Die sei nur möglich, wenn der Mann und die Frau selbstständig bleiben, und dazu gehöre, dass beide unabhängig voneinander einen Beruf ausüben, der sie ernährt.
Saras emanzipatorische Ansichten gelten auch für den Fall, dass ein Paar Kinder bekommt. Auf Fragen in diesem Zusammenhang geht Carl Jonas Love Almqvist allerdings nicht weiter ein.
Die Veröffentlichung des Romans „Die Woche mit Sara“ löste einen Skandal aus. Eine Frauenfigur wie Sara Videbeck galt im 19. Jahrhundert als umstürzlerisch. Der Schriftsteller und Komponist Carl Jonas Love Almqvist (1793 – 1866) wurde angefeindet. Als man ihn – möglicherweise als Teil einer Intrige – beschuldigte, den Wucherer Jakob von Scheven vergiftet zu haben, setzte er sich in die USA ab. Unter falschem Namen kehrte er 1865 nach Europa zurück und starb im Jahr darauf in Bremen.
Über hundert Jahre später wurde „Die Woche mit Sara“ von Anne Storm ins Deutsche übersetzt. Nicht nur die außerordentliche Protagonistin macht den Roman lesenswert, sondern auch das erzählerische Können des Autors. Stilistisch steht Carl Jonas Love Almqvist zwischen Romantik und Realismus. Selbstverständlich wirkt die Darstellung inzwischen ein wenig altmodisch, aber die Ideen sind ihrer Zeit weit voraus, die Figuren werden mit sicheren Strichen charakterisiert, und die elegante Sprache sorgt für eine unangestrengtes, erbauliches Lesevergnügen.
Den Roman „Die Woche mit Sara“ von Carl Jonas Love Almqvist gibt es auch als Hörbuch, gelesen Jona Mues (Texteinrichtung: Franziska Paesch, Hamburg 2005, 2 CDs, ISBN 3-8337-1205-8).
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Textauszüge: ©