Ein Prophet

Ein Prophet

Ein Prophet

Ein Prophet – Originaltitel: Un prophète – Regie: Jacques Audiard – Drehbuch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain, Abdel Raouf Dafri, Nicolas Peufaillit – Kamera: Stéphane Fontaine – Schnitt: Juliette Welfling – Musik: Alexandre Desplat – Darsteller: Tahar Rahim, Niels Arestrup, Adel Bencherif, Reda Kateb, Hichem Yacoubi, Leïla Bekhti u.a. – 2009; 150 Minuten

Inhaltsangabe

Beim Antritt seiner Haftstrafe ist der 19-jährige Malik ganz allein auf sich angewiesen. Niemand besucht ihn oder schickt ihm etwas. César Luciani, der ebenfalls inhaftierte Pate einer korsischen Mafiafamilie, zwingt Malik, einen Widersacher zu ermorden und stellt ihn dann unter seinen Schutz. Malik lernt lesen und schreiben. Im Lauf der Zeit emanzipiert er sich von dem Patriarchen und geht eigene Wege ...
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Kritik

Jacques Audiard erzählt in "Ein Prophet" von der Identitätsfindung eines Niemand und lädt die Mischung verschiedener Genres metaphysisch auf. Tahar Rahim überzeugt mit einer facetten- und nuancenreichen Darstellung.
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Weil er einen Polizisten mit einem Messer angriff, wird der 19-jährige Malik El Djebena (Tahar Rahim), ein Franzose maghrebinischer Herkunft, zu sechs Jahren Haft verurteilt. Malik ist Analphabet und hat keine Berufsausbildung. Er ist ganz auf sich allein angewiesen; niemand besucht ihn oder schickt ihm etwas. Um ein wenig Geld zu verdienen, arbeitet er in der Näherei der Haftanstalt.

In der Dusche macht sich ein anderer Häftling an ihn heran und bietet ihm Haschisch gegen einen Blowjob an. Angewidert weist Malik den Mann zurück, bei dem es sich um einen Araber namens Reyeb (Hichem Yacoubi) handelt.

César Luciani (Niels Arestrup), ein Pate der korsischen Mafia, der unter den Häftlingen das Sagen hat, erfährt von dem Vorfall. Er lässt Malik kommen und verlangt von ihm, den zur gegnerischen Gruppe der Muslime gehörenden Reyeb zu ermorden. Andernfalls, so droht Luciani, werde er Malik töten lassen. Malik will darüber mit der Anstaltsleitung sprechen, aber das ist nicht ohne schriftlichen Antrag möglich, und die Mafia erfährt von bestochenen Wärtern, dass Malik vorhatte, Luciani zu verraten. Zur Warnung wird er von zwei Männern zusammengeschlagen und mit einer Plastiktüte über dem Kopf beinahe erstickt.

Weil Reyeb misstrauisch ist, übt Malik, eine Rasierklinge im Mund zu verstecken. Dann besucht er Reyeb in dessen Zelle, zerschneidet ihm die Halsschlagader und drückt dem Sterbenden die von Fingerabdrücken gesäuberte Rasierklinge in die Hand.

Nach dem Mord nimmt Luciani Malik unter seinen Schutz und verschafft ihm eine Gefängniszelle mit Fernsehgerät. Die Araber gehen Malik aus dem Weg, aber die Korsen nehmen ihn nicht in ihre Mafiafamilie auf, sondern akzeptieren ihn nur als Diener Lucianis. Er muss für den Paten putzen, waschen und Kaffee kochen.

Während Malik nicht nur lesen und schreiben, sondern auch Korsisch lernt, freundet er sich mit Ryad (Adel Bencherif) an, der ebenfalls am Unterricht teilnimmt.

Luciani lässt seine eigenen Leute von Malik bespitzeln und sorgt über seinen Rechtsanwalt und seine Beziehungen dafür, dass der Junge nach der Verbüßung der Hälfte seiner Haft Freigänge bekommt. Offiziell wird Malik in einer Autowerkstatt angelernt. Tatsächlich erledigt er Aufträge für Luciani. Und auf eigene Rechnung baut er mit Ryad – der an Hodenkrebs leidet und deshalb vorzeitig entlassen wurde – einen Drogenhandel auf.

Dadurch stören Malik und Ryad die Geschäfte des Ägypters Latif (Mamadou Minte). Der lässt daraufhin Ryad entführen. Aber es gelingt Malik, seinen Freund freizupressen, indem er Latifs im selben Gefängnis einsitzenden Schwager unter Druck setzt.

Ryad verweigert eine weitere Chemotherapie. Er hat nur noch ein halbes Jahr zu leben und bittet Malik, dass dieser sich später um seine Witwe Djamila (Leila Bekhti) und das kleine Kind kümmert.

Im Auftrag Lucianis fliegt Malik nach Marseille und nimmt konspirativ Kontakt mit dem Moslem Brahim Lattrache (Slimane Dazi) auf, um ihm eine Nachricht des Korsen zu überbringen. Luciani möchte mit Brahim zusammenarbeiten. Dazu müsste dieser sich von seinen italienischen Geschäftspartnern trennen. Brahim lässt Malik von seinen Leuten mit dem Auto abholen und setzt sich dann zu ihm in den Fond. Aber er ist nicht gut auf Luciani zu sprechen, denn Reyeb war einer seiner Männer und er verdächtigt den Korsen als Auftraggeber des Mordes. Während der Fahrt will er Malik erschießen. In diesem Augenblick warnt Malik vor einem Wildunfall. Aber es ist bereits zu spät: Ein Reh wird angefahren. Weil Malik das Unglück vorhersagte, hält Brahim ihn für einen Propheten und willigt in eine Zusammenarbeit mit den Korsen ein. Er lässt Luciani durch Malik ausrichten, dass einer von dessen Männern heimlich den italienischen Konkurrenten Tipps gibt.


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Luciani erteilt Malik daraufhin den Auftrag, den gegnerischen Paten Jacky Marcaggi umzubringen. Während eines Freigangs verfolgt Malik mit Ryad zusammen Marcaggis Wagen. Sie erschießen die Bodyguards, lassen deren Boss jedoch am Leben und verraten ihm, wer den Mordauftrag erteilte. Dadurch beschwören sie einen blutigen Kampf herauf, dem Malik sich entzieht, indem er dafür sorgt, dass er wegen wiederholter Überziehung der Ausgangszeit in eine Strafzelle gesperrt wird.

Auch Luciani überlebt den Bandenkrieg, aber er muss nun ohne Entourage in den Gefängnishof. Malik hingegen bewegt sich in einer Gruppe von arabischen Häftlingen und ignoriert die Aufforderung des Korsen, zu ihm zu gehen. Luciani überwindet seinen Stolz und nähert sich Malik, wird jedoch von zwei Arabern niedergeschlagen.

Als Malik aus dem Gefängnis entlassen wird, wartet ein Autokorso mit Gefolgsleuten auf ihn, und Djamila holt ihn mit ihrem kleinen Sohn ab. Ryad starb vor einiger Zeit. Die Witwe bietet Malik an, er könne bei ihr wohnen. Während sie langsam losgehen, folgen ihnen die Limousinen im Schritttempo.

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In „Ein Prophet“ vermischt Jacques Audiard die Genres Gefängnisfilm und Rachedrama. Zugleich handelt es sich um eine Milieustudie, eine Parabel auf die Gesellschaft und einen filmischen Entwicklungsroman. In dem Mikrokosmos, der in „Ein Prophet“ gezeigt wird, ist das Leben unweigerlich mit Schuld verbunden, aber aus den Auseinandersetzungen geht die Hauptfigur gestärkt hervor. Malik übt einen Mord und führt ihn durch, bevor er als 19-jähriger Gefängnisinsasse lesen und schreiben lernt. Unter der Protektion eines strengen Patriarchen – eines ebenfalls inhaftierten Mafiapaten – entwickelt der Niemand sich zu einem smarten Gangster, der sich emanzipiert und am Ende nicht nur seine eigene Mafiafamilie anführt, sondern auch Verantwortung für die Witwe eines verstorbenen Freundes und ihr Kind übernimmt, also selbst in die Rolle eines Vaters hineinwächst.

Weil Malik während der Verbüßung seiner Haftstrafe überhaupt erst eine Identität entwickelt, spielt die Vorgeschichte keine Rolle, und Jacques Audiard lässt sie denn auch weg.

Die Darstellung ist weitgehend nüchtern und realistisch. Das wird auch durch den Einsatz einer Handkamera erreicht. Im Gegensatz dazu stehen Szenen, in denen Malik den von ihm ermordeten Reyeb bei sich in der Gefängniszelle wähnt und Ereignisse vorhersieht. Da macht Jacques Audiard den Mann zum Propheten, und zwar zu einem, der sich zwischen Orient und Okzident bewegt. Realismus und Metaphysik verbinden sich in „Der Prophet“ allerdings nicht wirklich. Die überhöhten Szenen stören.

Tahar Rahim überzeugt als Hauptdarsteller mit einer facetten- und nuancenreichen Darstellung.

Die Dreharbeiten für „Der Prophet“ fanden im Herbst 2008 vor allem in Gennevilliers nordwestlich von Paris statt.

Die Uraufführung erfolgte am 16. Mai 2009 bei den Filmfestspielen in Cannes. Die „Goldene Palme“ ging zwar an „Das weiße Band“, aber „Der Prophet“ wurde immerhin mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. 2010 nominierte Frankreich „Der Prophet“ für einen „Auslands-Oscar“, den dann allerdings „In ihren Augen“ gewann.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014

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