Der große Crash
Der große Crash
Inhaltsangabe
Kritik
Im Rahmen einer Kündigungswelle in einer großen amerikanischen Investmentbank in New York wird auch der Risikomanager Eric Dale (Stanley Tucci) entlassen. Lauren Bratberg (Susan Blackwell) und Heather Burke (Ashley Williams) teilen es ihm mit, nennen ihm die Höhe der Abfindung und klären ihn darüber auf, dass er mit sofortiger Wirkung keinen Zugang mehr zu seinem Terminal habe und sein Handy deaktiviert werde. Ein Angestellter des Sicherheitsdienstes (Jimmy Palumbo) begleitet ihn zurück zu seinem Schreibtisch, wo er seine persönlichen Sachen unter Aufsicht in eine Schachtel packt.
Peter Sullivan (Zachary Quinto), einer seiner jungen Mitarbeiter, verabschiedet sich vor dem Lift von ihm. Im letzten Augenblick reicht Eric ihm einen USB-Stick. Daran habe er zuletzt gearbeitet, erklärt er, sei aber nicht damit fertig geworden.
Vor dem Ausgang greift er zum Handy, um ein Taxi zu rufen, aber es wurde bereits abgeschaltet.
Am Abend bleibt Peter als Einziger länger im Büro. Der 28-Jährige, der Raketentechnik studierte, aber seit zweieinhalb Jahren wegen des besseren Gehalts als Analyst in der Bank arbeitet, schaut sich die Dateien auf dem USB-Stick an, korrigiert ein paar kleine Fehler des Computermodells und begreift schließlich, dass die Asset Backed Securities in den letzten beiden Wochen falsch bewertet wurden. Unterschritte der Marktpreis eines gewaltiges Bestands von Immobilienkrediten die bisher angenommene Bandbreite der Volatilität, würden die Verluste das Kapital der Bank übertreffen. Das Unternehmen wäre bankrott.
Es ist 22 Uhr, als Peter seinen fünf Jahre jüngeren Kollegen Seth Bregman (Penn Badgley) anruft, der sich in einer Bar amüsiert. Er fordert ihn auf, sofort in die Bank zu kommen und ihren gemeinsamen Chef Will Emerson (Paul Bettany) mitzubringen. Will ist sich sofort der Tragweite von Peters bzw. Erics Entdeckung bewusst und alarmiert deshalb um 23 Uhr seinen Vorgesetzten Sam Rogers (Kevin Spacey). Außerdem ruft er Eric an, und weil dessen Handy nicht mehr funktioniert, wählt er die Nummer des Festnetzanschlusses. Aber Eric ist nicht zu Hause und somit unerreichbar.
Nachdem Sam wiederum seinen Vorgesetzten Jared Cohen (Simon Baker) herbeigerufen hat, treffen sich die vier Männer mit Sarah Robertson (Demi Moore), der Leiterin der Abteilung Risikomanagement, und zwei anderen Managern. Sarah bestätigt nach einer dreiviertelstündigen Prüfung die Zahlen.
Daraufhin telefoniert Jared mit dem CEO John Tuld (Jeremy Irons) und beruft eine nächtliche Krisensitzung des Vorstands ein. Während Will mit Seth und Peter auf dem Dach des Hochhauses auf den Hubschrauber wartet, mit dem John einfliegt, droht er zum Spaß, sich in die Tiefe zu stürzen. Seit zehn Jahren ist er hier beschäftigt, und im letzten Jahr verdiente er zweieinhalb Millionen Dollar, aber er weiß, dass der Fortbestand der Bank aufs Äußerste gefährdet ist.
Um 2.15 Uhr beginnt das Meeting des Executive Committee. John lässt sich von Peter berichten, was los ist. Von den Einzelheiten verstehe er nichts, gibt er freimütig zu, er sei aus einem anderen Grund in seiner hochbezahlten Funktion: weil er im Voraus wisse, wie sich die Lage entwickelt. Und wenn er nun in die Zukunft horche, höre er keine Musik mehr spielen. Die Kursverluste kündigen seiner Meinung nach einen kollabierenden Finanzmarkt an. Deshalb ordnet er an, die faulen Papiere sofort nach Börsenöffnung abzustoßen. Wer überleben wolle, müsse entweder betrügen oder schlauer bzw. schneller als alle anderen sein, meint er. Um die Bank zu retten, will er das sinkende Schiff vor allen anderen Finanzinstituten verlassen. Für die Schrottpapiere wird sein Unternehmen nicht mehr viel bekommen, aber es ist zu erwarten, dass sich ihr Wert danach gegen Null bewegt. Sam befürchtet, dass die Käufer riesige Verluste erleiden und die Bank ihre Reputation auf Jahre hinaus verliert, aber John hält den sofortigen Ausverkauf für alternativlos.
Unmittelbar nach dem Krisenmeeting sucht der CEO Sarah in deren Büro auf und erklärt ihr, dass sie zwar alle zusammen die Entwicklung verschlafen hätten, man jedoch den Journalisten spätestens gegen Mittag einen Sündenbock präsentieren müsse und er dabei an sie gedacht habe. Sie dürfe das nicht persönlich nehmen und könne davon ausgehen, eine hohe Abfindung zu bekommen.
Dann spricht John mit Will und fragt ihn, ob er bereit sei, Sams Position zu übernehmen, falls dieser wegen seiner moralischen Bedenken gegen die geplante Aktion nicht mehr tragbar wäre. Obwohl Will sich sonst arrogant und herzlos gibt, beweist er in dieser Situation Anstand und erklärt sich mit Sam in jedem Fall solidarisch.
Dann fährt er mit Seth zu dem Haus, das Eric erst kürzlich erwarb und überbringt ihm das Angebot, für sehr viel Geld in die Bank zurückzukehren, nicht für dauernd, sondern für ein paar Stunden. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass er während des Ausverkaufs am Morgen schweigt. Für den Fall, dass er das ablehnt, drohen ihm gerichtliche Klagen zum Beispiel gegen die Abfindung und die von der Bank bezahlte Krankenversicherung. Anfangs sträubt Eric sich, aber schließlich sieht er ein, dass er keine Wahl hat und fährt zur Bank.
Bevor die Börse öffnet, hält Sam vor den versammelten Tradern eine Ansprache und verspricht jedem von ihnen, der mindestens 93 Prozent des ihm zugeteilten Volumens losschlägt, einen Bonus in Höhe von 1,4 Millionen Dollar. Für den Fall, dass die Abteilung insgesamt 93 Prozent oder mehr verkaufe, erklärt er, werde jeder Angestellte weitere 1,3 Millionen Dollar bekommen. Und er weist darauf hin, dass die ersten eineinhalb Stunden entscheidend sind. Bevor die Gerüchteküche zu brodeln anfängt, müssen die toxischen Finanzprodukte weg sein.
Nach der erfolgreichen Aktion erfährt Sam, dass er selbst zwar wider Erwarten seinen Job behält, die Unternehmensleitung jedoch von ihm die Durchführung einer sofortigen weiteren Kündigungswelle unter den Tradern erwartet. Daraufhin geht er in die Vorstandsetage, wo John gerade frühstückt. Er arbeitet seit 34 Jahren in der Bank, will aber unter den gegebenen Umständen nicht mehr weitermachen. John versucht ihn umzustimmen, zählt alle Finanzkrisen von 1637 bis 2000 auf und will damit beweisen, dass es immer wieder zu Börsenabstürzen kommen werde, weil der Mensch nichts aus seinen Erfahrungen lerne. Am Ende beschließt Sam, für zwei weitere Jahre in der Bank zu bleiben, aber er betont, dies geschehe nicht wegen Johns Referat, sondern weil er das Geld benötige.
An diesem Abend fährt Sam zu dem Haus, in dem er früher mit seiner ersten Ehefrau (Mary McDonnell) lebte und hebt dort ein Grab für seinen Hund aus, den er einschläfern ließ, weil er unheilbar an Leberkrebs litt.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Die Investmentbank in „Der große Crash. Margin Call“ bleibt namenlos, aber wir assoziieren sie (und sollen das wohl auch) mit Lehman Brothers. Dieses Unternehmen geriet 2007 in Schieflage und kündigte am 10. September 2008 für das dritte Quartal des Jahres einen Verlust in Höhe von 3,9 Milliarden an. Fünf Tage später meldete Lehman Brothers Insolvenz an. Die US-Regierung hatte zwar in der aufziehenden Finanzkrise bereits Bear Stearns, Fannie Mae und Freddie Mac gestützt, aber inzwischen war der Unwille in der Öffentlichkeit darüber so heftig geworden, dass Finanzminister Henry Paulson die Pleite nicht abwendete, obwohl Lehman Brothers als „too big to fail“ galt. Innerhalb von wenigen Tagen verloren 24 988 Mitarbeiter von Lehman Brothers ihren Arbeitsplatz, und die über den Globus verstreuten Anleger viele Milliarden Dollar. Der Zusammenbruch der Investment Bank löste eine Weltfinanzkrise aus.
Während Oliver Stone in „Wall Street“ und „Wall Street. Geld schläft nicht“ einen skrupellosen Börsenspekulanten in den Mittelpunkt stellt, beleuchtet Jeffrey C. Chandor (* 1973) in „Der große Crash. Margin Call“ nüchtern, wie „normale“ Yuppies, die sich gegenseitig nach ihrem Jahreseinkommen beurteilen, auf eine Krise reagieren, und er vermeidet dabei Schuldzuweisungen ebenso wie eine Eingruppierung in Gute und Böse. Indem Börsenexperten ihren nicht mit den Einzelheiten vertrauten Vorgesetzten die Situation mit möglichst einfachen Worten zu erklären versuchen, verstehen auch wir Laien, was geschieht. Aber J. C. Chandor geht es nicht darum, die Ursachen der 2008 ausgebrochenen Weltfinanzkrise in „Der große Crash. Margin Call“ zu analysieren, sondern er beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Verhaltensweisen der Beteiligten und arbeitet auch heraus, welche Möglichkeiten ihnen die hierarchischen Positionen dabei bieten. Obwohl er jede der Hauptfiguren prägnant charakterisiert, spart er deren Privatleben fast vollständig aus und konzentriert sich auf die Ereignisse in der Bank. Die Darstellung wirkt realistisch. J. C. Chandor scheint von seinem Vater, der 40 Jahre lang bei Merrill Lynch beschäftigt war, viel über die Börsenwelt erfahren zu haben.
„Der große Crash. Margin Call“ ist Drama und Charakterstudie, Börsenthriller und Katastrophenfilm.
Die Handlung überspannt etwa 24 Stunden. Und sie spielt sich mit wenigen Ausnahmen in Büros und Konferenzräumen einer Bankenzentrale ab. Die Skyline von Manhattan sehen wir durchs Fenster – und der Blick vermittelt auch die Fallhöhe der hier arbeitenden Bankmanager. Statt auf Action setzt J. C. Chandor in seinem ersten abendfüllenden Kinofilm auf Dialoge und schauspielerische Leistungen. Zur Dominanz des Wortes passt die zurückhaltende Musikuntermalung mit Keyboard-Klängen. Und die Darsteller sind hochkarätig; sie bestehen auch in zahlreichen Close-Ups.
Die in der nächtlichen Vorstandssitzung gestellte Frage, ob man die Musik noch spielen höre, geht auf Charles Owen („Chuck“) Prince III (* 1950) zurück, der als CEO der Citigroup in Bezug auf die Börsenaktivitäten seines Unternehmens im Juli 2007 meinte: „As long as the music is playing, you’ve got to get up and dance.“
„Der große Crash. Margin Call“ wurde in 17 Tagen gedreht und kostete gerade einmal 3,5 Millionen Dollar.
John Tuld listet am Frühstückstisch die bisherigen Finanzkrisen auf, nennt aber nur die Jahreszahlen, weil er davon ausgeht, dass Sam Rogers weiß, was er meint. Die Aufzählung beginnt mit der Tulpenmanie: Anfang 1637 wurde für Tulpen ein Vermögen bezahlt, aber im Februar brachen die Preise um 95 Prozent ein und der Markt kollabierte. 1797 wurde die Bank of England von ihrer Verpflichtung entbunden, Banknoten gegen Gold zu wechseln. Die ersten großen Finanzkrisen in Friedenszeiten in den USA fanden 1819 und 1837 statt. 1857 folgte die erste Weltwirtschaftskrise. Mit der Jahreszahl 1884 markiert John Tuld die Depression in den USA, die von 1882 bis 1885 dauerte. 1901 erfolgte der erste Crash an der New Yorker Börse. Sechs Jahre später stürzen die Börsenkurse erneut um fast die Hälfte ab („Bankers‘ Panic“, 1907). Der 24. Oktober 1929 ging als „Black Thursday“ in die Geschichte der Wall Street ein – in Europa, wo es bereits nach Mitternacht war, als „schwarzer Freitag“ – und löste eine Weltwirtschaftskrise aus. 1937 verließ die Notenbank von Frankreich den Goldstandard. 1974 wirkte sich die Ölkrise lähmend aus. Am 19. Oktober 1987 („schwarzer Montag“) stürzte der Dow Jones um 22,6 Prozent bzw. 508 Punkte ab und löste auch an anderen Börsen Kurseinbrüche aus. Im September 1992 drohte aufgrund von Spekulationen gegen das britische Pfund der Zusammenbruch des Europäischen Währungssystems („Pfundkrise“). Im März 1997 begann in Thailand eine Finanz-, Währungs- und Wirtschaftskrise Ostasiens („Asienkrise“). 2000 platzte die Dotcom-Blase.
„Der große Crash. Margin Call“ wurde bei der 61. Berlinale 2011 in Berlin für den „Goldenen Bären“ nominiert und im Jahr darauf in der Kategorie „Bestes Originaldrehbuch“ für einen „Oscar“.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Jeffrey C. Chandor (kurze Biografie / Filmografie)
J. C. Chandor: All is Lost
J. C. Chandor: A Most Violent Year