Anatomie

Anatomie

Anatomie

Originaltitel: Anatomie - Regie: Stefan Ruzowitzky - Drehbuch: Stefan Ruzowitzky - Kamera: Peter von Haller - Schnitt: Ueli Christen - Musik: Marius Ruhland - Darsteller: Franka Potente, Benno Fürmann, Anna Loos, Sebastian Blomberg, Holger Speckhahn, Traugott Buhre, Rüdiger Vogler u.a. - 2000; 100 Minuten

Inhaltsangabe

Die Münchner Medizinstudentin Paula Henning will nicht wie ihr Vater in einer biederen Hausarztpraxis enden, sondern sie eifert ihrem Großvater nach, der sich mit bahnbrechenden medizinischen Forschungen einen Namen machte. Bei einem Anatomiekurs in Heidelberg macht sie eine grauenvolle Entdeckung ...
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Kritik

"Anatomie" ist ein stilvoll inszenierter Horrorthriller mit viel schwarzem Humor über eine Geheimloge von Ärzten und Studenten, die überzeugt sind, dass medizinischer Fortschritt nur möglich ist, wenn sie sich nicht von Gesetzen einschränken lassen.
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Im Vorspann ist ein liegender weiblicher Oberkörper zu sehen; eine Hand streicht über die Haut. Eine Sexszene? Dafür ist das Licht zu kalt, die Haut zu fahl und der Körper zu regungslos. Die Hand hält plötzlich ein Skalpell, setzt es unterhalb der linken Brust an und beginnt zu schneiden. Im nächsten Augenblick ermahnt der Professor den Medizinstudent im Anatomiesaal, die Leichensektion nicht ohne Handschuhe durchzuführen.

Die Münchner Medizinstudentin Paula Henning (Franka Potente) will nicht wie ihr Vater (Rüdiger Vogler) in einer biederen Hausarztpraxis enden, sondern sie eifert ihrem Großvater nach, der sich mit bahnbrechenden medizinischen Forschungen einen Namen machte. „Geld und Ruhm dem Arzt zu verschaffen, ist der Sinn menschlichen Leidens“, meint der Vater sarkastisch. Bevor Paula zu einem Anatomiekurs des berühmten Professors Gromberg (Traugott Buhre) nach Heidelberg reist, besucht sie ihren Großvater, Professor Dr. Ewald Henning (Werner Dissel). Der alte Mann liegt sterbenskrank in der Klinik, die er zuletzt als Chefarzt leitete und ärgert sich über die Apparatemedizin, unter der er jetzt selbst zu leiden hat.

Im Zug trifft Paula die Kommilitonin Gretchen (Anna Loos), die sich ebenfalls für den Anatomiekurs von Professor Gromberg qualifiziert hat und ihr vorschlägt, in Heidelberg gemeinsam eine Wohnung zu suchen. Als sie mit zwei Bechern Kaffee aus dem Speisewagen an ihren Platz zurückkehrt, wird nach einem Arzt gerufen. Ein junger Mann (Arndt Schwarin-Sohnrey) ist zusammengebrochen. Paula diagnostiziert einen Herzstillstand, beginnt sofort mit der Wiederbelebung und rettet dem Mann das Leben.

Während Gretchen in erster Linie an ihr Vergnügen denkt und in Heidelberg rasch ein Verhältnis mit Hein (Benno Fürmann) beginnt, der das Medizinstudium auch nicht so wichtig zu nehmen scheint, wird Paula von ihrem Ehrgeiz getrieben und versucht sich ganz auf einen weiteren erfolgreichen Studienabschnitt zu konzentrieren: „Ich bin hier zum Arbeiten und nicht zum Rumbumsen!“

Zusammen mit der Medizinstudentin Gabi (Antonia Cäcilia Holfelder) erscheinen Paula und Gretchen als erste im Anatomiesaal. Die zu sezierenden Leichen liegen auf Bahren bereit, sind aber noch zugedeckt. Hat da nicht ein Fuß gezuckt? Zuerst halten die drei jungen Frauen es für eine Sinnestäuschung. Dann sehen sie es deutlich. Der Körper bewegt sich. Ein Studentenulk! Da hat sich einer hingelegt, um sie zu erschrecken. Entschlossen geht Gretchen hin und reißt die Plane hoch. Entsetzt prallt sie zurück: es fehlt der Kopf! Paula überlegt, dass es sich um Muskelkontraktionen aufgrund elektrischer Impulse handeln muss und findet auch die elektrische Verkabelung, die in einen Nebenraum führt. Dort stößt sie auf drei grinsende Kommilitonen.

Professor Gromberg begrüßt die neuen Studenten im Anatomiesaal mit den Worten: „In diesem Raum wurde noch kein Schmerz gelindert, kein Patient geheilt. Dafür werden hier Grundlagen geschaffen.“

Der erste Patient, den Paula sezieren soll, ist der junge Mann, dem sie während der Bahnfahrt das Leben rettete! Sie überwindet sich und führt die von Professor Gromberg gestelle Aufgabe durch. Als sie das Blut des Toten untersucht, stellt sie eine merkwürdige Verdickung fest. Ein befreundeter Biochemiker in München, dem sie eine Probe schickt, weist darin Promidal nach, eine Chemikalie, die man früher zum Präparieren von Tieren verwendete. Wenn das Mittel einem noch lebenden Tier injiziert wurde, trocknete es den Körper aus. Inzwischen haben Tierschützer für ein Verbot der Methode gesorgt.

Paula sieht sich die Leiche noch einmal an und entdeckt am Oberschenkel die Tätowierung „AAA“. Schließlich findet sie heraus, dass es sich dabei um die Abkürzung einer im 16. Jahrhundert gegründeten Organisation handelt, einer Mischung aus Geheimloge und Studentenverbindung. Diese sogenannten Antihippokraten sind überzeugt, dass medizinischer Fortschritt nur möglich ist, wenn sich einige qualifizierte Ärzte und Studenten nicht von ethischen Bedenken oder gesetzlichen Vorschriften einschränken lassen. Selbst vor der Tötung Einzelner für Forschungszwecke im Dienst der Allgemeinheit sollen die Mitglieder nicht zurückschrecken. Und Heidelberg gilt als Zentrum der AAA!

Eines Abends findet Paula ihr eigenes Bett voll Blut. Eine Warnung der Geheimloge?

Hein weint sich bei ihr darüber aus, dass Gretchen ihn wegen Phil (Holger Speckhahn) verlassen hat und ist dankbar, dass sie ihm geduldig zuhört, obwohl sie todmüde ist. Am nächsten Tag in der Mensa warnt er sie vor weiteren Nachforschungen.

Kurz darauf vermisst Paula ihre Mitbewohnerin Gretchen. Auch Phil ist nirgendwo zu sehen. Die Polizisten, denen Paula ihre Beobachtungen mitteilt, nehmen sie nicht ernst. Eine lebenslustige Studentin und ihr Freund, die mal eine Nacht nicht nach Hause kommen, das halten sie nicht für beunruhigend. Und der junge Mann, dessen Leiche sie in der Anatomie zu sezieren hatte, war offenbar schwer krank, da sei doch mit seinem Tod zu rechnen gewesen.

Allein mit Hein im Anatomiesaal beginnt Paula sich vor ihm zu fürchten, denn er benimmt sich eigenartig und sticht auf die Leichen ein. Sie läuft davon, gerät dabei in die Räume Professor Grombergs und entdeckt dort überall die Insignien der AAA. Gromberg klärt sie darüber auf, dass auch ihr Großvater früher ein führendes Mitglied der Geheimloge war. Von ihm stammt die Präpariermethode mit Promidal! Aufgeregt eilt Paula nach München ins Krankenhaus, um ihren Großvater zur Rede zu stellen — und trifft dort auf ihre Eltern, die sich wundern, dass sie so rasch gekommen ist. Professor Dr. Ewald Henning ist vor wenigen Stunden verstorben.

Zurück in Heidelberg will Paula als erstes Professor Gromberg in seiner Villa aufsuchen, da er ihr auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen hat, aber niemand öffnet und an der Tür hängt ein Zettel, mit dem sie aufgefordert wird, um 20.00 Uhr in den Anatomiesaal zu kommen.

Die Zeit bis dahin verbringt Paula mit ihrem Kommilitonen Caspar (Sebastian Blomberg). Nachdem sie mit ihm geschlafen hat, findet sie in seinem Badezimmer ein Fläschen Promidal und auf seinem Schreibtisch Papiere mit dem AAA-Zeichen. Panisch vor Angst, schlägt sie ihn mit einem Folianten nieder.

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Im Anatomiesaal wird sie von Hein erwartet. Er zeigt ihr die plastinierte Leiche Gretchens. Paula ahnt nun, dass er Gretchen und Phil ermordet hat. Hein überwältigt Paula, spritzt ihr Promidal, fesselt sie auf einen Operationstisch und verlässt den Raum, um die Wirkung des Präparats abzuwarten. Plötzlich taucht Caspar auf und will Paula befreien. Mit einem Skalpell gelingt es ihm nicht, aber mit einer Schere. Paula drängt ihn verzweifelt, ihr eine Kochsalzlösung zu injizieren. Da gesteht er ihr, eigentlich Oliver Kaufmann zu heißen, nicht Medizin, sondern Geschichte zu studieren und sich in den Anatomiekurs Professor Grombergs eingeschlichen zu haben, um Material für eine Dissertation über die Geschichte der Antihippokraten zu sammeln. Irgendwie schafft er es dann doch, Paula Natriumchlorid in die Vene zu spritzen und sie damit zu retten. Gleich darauf werden beide von Hein und einigen anderen Studenten überwältigt. Als Hein Olivers Brust aufschneidet, gelingt es Paula zu fliehen. Hein verfolgt sie, greift sie mit dem Skalpell an, aber sie entwindet es ihm und ersticht ihn damit.

Paula besucht Oliver im Krankenhaus. Offenbar konnte auch er durch eine rechtzeitige Injektion des Gegenmittels gerettet werden, und die Wunde ist gut verheilt.

Schlussbild: Zwei Studenten unterhalten sich im Anatomiesaal der Heidelberger Universität. Sie bedauern den Tod von Professor Gromberg, den Hein ermordete, weil er zur Polizei gehen wollte. Auch Hein sei im Grunde kein schlechter Mensch gewesen. Besonders schade sei es um die Geheimloge. Der Student will jetzt an einer Unfallklinik in Berlin praktizieren, wo illegale Anästhesieversuche mit Patienten durchgeführt werden, und seine Kommilitonin hat sich entschieden, die Arztpraxis ihres Vaters zu übernehmen, weil dort viel weniger Kontrollen durchgeführt werden.

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Auch wenn die Charaktere plakativ wirken und die Handlung vielleicht nicht ganz überzeugt, ist „Anatomie“ wegen Stefan Ruzowitzkys stilvoller Inszenierung sehenswert. Nach der gruseligen Szene im Vorspann beginnt der Film wie ein unbeschwerter Film über das Leben auf dem Campus. Temporeich entwickelt er sich zum spannenden Horrorthriller mit viel schwarzem Humor, zu einem Albtraum über grausame medizinische Experimente, die angeblich im Sinne des Fortschritts und zum Wohl der Menschheit erforderlich sind. Sterile Reinlichkeit, Kachelwände im Neonlicht und bläulich schimmerne Edelstahlschränke bilden das Umfeld der makabren Vorgänge.

„Anatomie“ war der erfolgreichste deutsche Film des Jahres 2000. Eine Fortsetzung unter dem Titel „Anatomie 2“ kam 2003 ins Kino.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002/2003

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