Eierdiebe

Eierdiebe

Eierdiebe

Originaltitel: Eierdiebe - Regie: Robert Schwentke - Drehbuch: Robert Schwentke - Kamera: Florian Ballhaus - Schnitt: Hans Funk - Musik: Martin Todsharow - Darsteller: Wotan Wilke Möhring, Janek Rieke, Antoine Monot jr., Julia Hummer, Alexander Beyer, Doris Schretzmayer, Götz Schubert, Fatih Cevikkollu, Marie Gruber, Thomas Thieme, Leander Haußmann u.a. - 2003; 85 Minuten

Inhaltsangabe

Kurz nach seiner Rückkehr von einem Studienaufenthalt an einer amerikanischen Eliteuniversität wird bei Martin Schwarz Hodenkrebs diagnostiziert. Nachdem ihm bereits ein Hoden entfernt wurde, rät der Arzt ihm zu einer weiteren Operation. Martin entscheidet sich stattdessen für eine Chemotherapie ...

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Kritik

"Eierdiebe" ist kein wehleidiges, rührseliges Drama, sondern eine schräge Tragikomödie. Es gibt in "Eierdiebe" traurige Augenblicke, aber die meisten Szenen sind komisch, grotesk und makaber: "Tumor ist, wenn man trotzdem lacht."
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Nach seinem Studienabschluss in Boston kehrt Martin Schwarz (Wotan Wilke Möhring) für einige Tage nach Berlin zurück, um bei der Geburtstagsfeier seines Vaters Hans (Thomas Thieme) dabei zu sein. Anschließend will er sich auf seine Promotion vorbereiten.

Als er während der Geburtstagsfeier eine Kiste Wein aus dem Keller holen will, bricht er vor Schmerzen zusammen. Er habe einen entzündeten Hoden, erklärt er seinem Bruder Roman (Alexander Beyer). Der ruft sofort seinen Freund Winnie (Leander Haußmann) an, der als Rettungssanitäter unterwegs ist. Hinter der als Treffpunkt vereinbarten Imbissbude schaut Winnie sich Martins Hoden im Licht seines Feuerzeugs an, und weil er keine Vaseline dabei hat, verwendet er für die rektale Untersuchung Mayonnaise von Romans halb abgegessenem Pappteller. Martin stöhnt, denn dummerweise ist Curry in der Mayonnaise. Winnie hält das, was er sieht und fühlt, für einen Hodentumor.

Im Krankenhaus antwortet Dr. Bofinger (Götz Schubert) nach der Untersuchung auf Martins Frage, ob es sich tatsächlich um einen Tumor handele: „Da ist jedenfalls etwas, das da nicht hingehört.“

Martin lässt sich operieren: Während ein Hoden entfernt wird, sucht Schwester Elke (Doris Schretzmayer) eine Prothese in der richtigen Größe heraus.

Gabriele Schwarz (Marie Gruber) bringt ihrem Sohn Fachbücher mit, damit er auch im Krankenhaus keine Zeit verliert. Martin kann sich jedoch nicht konzentrieren, denn im benachbarten Bett stöhnt ein Sterbender, und als er sich nach einem Einzelzimmer erkundigt, entgegnet der Arzt: „Da reden wir in einer Woche wieder drüber.“ Da ruft Martin seinen Bruder an, und Roman hilft bei der Flucht aus dem Krankenhaus. Auf einer Bank im Park rauchen sie erst einmal einen Joint, und Martin meint: „Tumor ist, wenn man trotzdem lacht.“

Nach ein paar Tagen liegen die Ergebnisse der patholischen Untersuchungen vor: Das Karzinom hat bereits gestreut. Dr. Bofinger rät zu einer zweiten Operation, aber Martin entscheidet sich stattdessen trotz der Bedenken des Arztes für eine Chemotherapie, in der Hoffnung, sich auf diese Weise die Erektionsfähigkeit zu erhalten.

Ein Einzelzimmer gibt es wieder nicht; Martin muss sich das Zimmer mit zwei weiteren Krebspatienten teilen: Nickel (Janek Rieke) und Harry (Antoine Monot jr.). Die beiden jungen Männer, die aufgrund der Chemotherapie bereits Glatzen haben, hängen den ganzen Tag vor dem Fernsehgerät herum und sehen sich Splatter-Videos in voller Lautstärke an. Doch als Martin abends noch ein wenig in einem Physikbuch lesen möchte, beschweren sie sich über das Licht, das sie beim Schlafen stört. Also setzt Martin sich mit seinem Buch in den Korridor. Dort spricht Susanne (Julia Hummer) ihn an, eine einsame junge Krebspatientin, deren Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen. Sie ziehen sie sich in das Bettenlager des Krankenhauses zurück. Plötzlich kommen Dr. Bofinger und Schwester Elke hereingestürmt, um in einem der Krankenbetten lüstern übereinander herzufallen.

Durch die Chemotherapie gehen auch Martin die Haare aus. „Jetzt sehen Sie wie die anderen aus“, kommentiert der Pfleger (Fatih Cevikkollu).

Harry, Nickel, Martin und Susanne spielen eine Runde Poker. Dabei wettet Nickel mit Martin um einen Kuss von Susanne, dass dieser sich seinen Hoden nicht wieder zurückholen werde. Um das Gegenteil zu beweisen, fordert Martin die drei Mitpatienten auf, ihm zur Pathologie-Abteilung im Keller zu folgen, aber sie werden von der Aufsicht zurückgewiesen: „Sie kommen hier erst rein, wenn Sie auf der Bahre liegen.“

Nickel wurde bereits fünfmal operiert. Nach der Chemotherapie glaubt er nun, das Krankenhaus verlassen zu können, zieht seinen Straßenanzug an und verabschiedet sich von Harry. Doch im letzten Augenblick kommt Dr. Bofinger herein und eröffnet ihm, dass eine weitere Operation erforderlich sei. „Aber machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind hier in guten Händen. In den besten!“

Einmal gehen Martin und Susanne in den nahen Park und setzen sich auf eine Anlagenbank. Da werden sie von zwei Polizisten (Steffen Münster, Andreas Schmidt) aufgefordert, sich auszuweisen. Sie haben keine Ausweise bei sich, und als die Beamten die Einstiche an den Armen sehen, steht für sie fest, dass es sich um zwei Junkies handelt. Aber bevor sie die beiden vermeintlich Drogensüchtigen mit aufs Revier nehmen, erkundigen sie sich doch noch im Krankenhaus, und dort klärt sich der Irrtum auf.

Schließlich darf Martin übers Wochenende nach Hause. Beim Abendessen sagt sein Vater wie üblich kaum etwas. Die Mutter, die sich mehr Sorgen über die angestrebte Karriere ihres Lieblingssohnes als über dessen Gesundheitszustand macht, drängt ihn, seinen Teller aufzuessen – bis Martin sich übergibt. Den Hund, der sich über das Erbrochene auf dem Boden hermacht, verscheucht Gabriele Schwarz mit den Worten: „Das ist doch giftig!“ – Während Martin sich vorzeitig auf den Weg zurück ins Krankenhaus macht, schrubbt sein Vater den Fußboden.

Susannes Bett ist leer! Es gab Komplikationen, erfährt Martin. Sie liegt in der Intensivstation in einem Quarantänezelt. Als Martin sich zu ihr setzt, nimmt sie ein Stethoskop und bedeutet Martin, er solle es sich an die Brust halten. Während sie auf seinen Herzschlag lauscht, schließt sie die Augen und stirbt.

Heimlich suchen Martin, Harry und Nickel ihre Leiche in der Pathologie. Während Martin betroffen neben dem Seziertisch steht und Abschied nimmt, ziehen Harry und Nickel sich respektvoll ein paar Meter zurück.

Martin will sich nun doch seinen Hoden zurückholen. Entschlossen geht er mit Harry und Nickel noch einmal in den Keller: „Jetzt geht’s ans Eingemachte!“ Während der Fahrer einer Zugmaschine, mit der er fahrbare Leichenbahren zieht, in einem Nebenraum zu tun hat, laden die „Eierdiebe“ drei Leichen ab, legen sich auf die Bahren und decken sich mit den weißen Laken zu. Auf diese Weise kommen sie an der Aufsicht vorbei in die Pathologie. Dort finden sie tatsächlich das beschriftete Glas mit Martins Hoden und nehmen es mit. In der Anlage neben dem Krankenhaus heben sie mit den Händen eine Mulde aus und „bestatten“ den Körperteil. Als Martin und Harry die Erde wieder plattgedrückt haben und umschauen, ist Nickel lautlos verstorben.

Nach Abschluss der Chemotherapie verabschiedet Martin sich von Harry und verlässt das Krankenhaus. Roman holt ihn ab.

In der Anlage schnuppert ein Hund an der kürzlich gefüllten Stelle und beginnt aufgeregt zu graben …

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Bei Martin, einem vielversprechenden Studenten, wird Krebs diagnostiziert. Seine unsensible Mutter sorgt sich mehr um seine Karriere als um seine Genesung, und der Vater ist ohnehin zu schwach, um seinem Sohn beistehen zu können. Für das (überzeichnet dargestellte) Krankenhauspersonal, das die Patienten auf deren Erkrankungen reduziert, ist der Neuzugang nicht „Martin Schwarz“, sondern „der Hoden“. Der Chefarzt versieht seine medizinische Tätigkeit gleichgültig und routiniert; er hat sich längst daran gewöhnt, dass Operationen erfolglos bleiben und rät in diesen Fällen bedenkenlos zu weiteren Eingriffen.

In seinem Film „Eierdiebe“ verarbeitete Robert Schwentke (*1968) den Schock, den acht Jahre zuvor die Diagnose „Hodenkrebs“ bei ihm selbst ausgelöst hatte. Aber er machte daraus nicht etwa ein wehleidiges, rührseliges Drama, sondern eine schräge Tragikomödie. Es gibt in „Eierdiebe“ traurige und erschütternde Augenblicke wie zum Beispiel Susannes Sterben, aber die meisten Szenen sind komisch, grotesk und makaber. Obwohl Robert Schwentke mit sehr viel Zynismus an die Themen Krankheit und Tod herangeht, wirkt sein gegen den Strich gebürsteter Film an keiner Stelle respektlos. „Tumor ist, wenn man trotzdem lacht.“

Manche werden „Eierdiebe“ für geschmacklos halten, aber ich finde, dass Robert Schwentke die Gratwanderung zwischen Tragik und Komödie gelungen ist – nicht zuletzt dank der überzeugenden Schauspieler.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005

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Marco Balzano - Ich bleibe hier
Marco Balzano verknüpft in seinem Roman "Ich bleibe hier" historische Tatsachen mit einer fiktiven Handlung, konkretisiert auf diese Weise die tragischen Entwicklungen und macht daraus eine zeitlose, eindringliche – und keineswegs deprimierende – Geschichte über politische und unternehmerische Rücksichtslosigkeit, kulturelle Identität, Widerstand und Entwurzelung.
Ich bleibe hier