Taking Sides. Der Fall Furtwängler

Taking Sides. Der Fall Furtwängler

Taking Sides. Der Fall Furtwängler

Taking Sides. Der Fall Furtwängler - Originaltitel: Taking Sides - Regie: István Szabó - Drehbuch: Ronald Harwood nach seinem Theaterstück "Taking Sides" - Kamera: Lajos Koltai - Schnitt: Sylvie Landra - Darsteller: Harvey Keitel, Stellan Skarsgård, Moritz Bleibtreu, Oleg Tabakow, Ulrich Tukur, Hanns Zischler, August Zirner, Robin Renucci, Frank Leboeuf, Armin Rohde, Jed Curtis, Daniel White, Rinat Shaham, R. Lee Ermey, Birgit Minichmayr, Thomas Thieme, Garrick Hagon u.a. - 2001; 105 Minuten

Inhaltsangabe

Ein amerikanischer Besatzungsoffizier vernimmt nach dem Zweiten Weltkrieg den deutschen Stardirigenten Wilhelm Furtwängler. Der voreingenommene Major hält den Künstler für einen Opportunisten, der sich in den Dienst der Nationalsozialisten stellte und verabscheut ihn deshalb. Furtwängler beteuert dagegen immer wieder, sich nur für die Musik und nicht für die Politik interessiert zu haben.
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Kritik

In dem kammerspielartig inszenierten Justizdrama geht es um das Verhältnis von Kunst und Politik und um die Frage, ob sich ein Künstler schuldig macht, wenn er seine Augen verschließt und sich mit einem Verbrecher-Regime arrangiert, um seinen Beruf weiter ausüben zu können.
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Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nützt Rüstungsminister Albert Speer (Thomas Thieme) einen Stromausfall bei einem Konzert unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler (Stellan Skarsgård), um kurz mit dem Dirigenten zu sprechen. Unter dem Vorwand, der Künstler sehe blass aus, rät er ihm, zu verreisen. Furtwängler weiß, was Speer damit andeuten will: Wegen seiner kritischen Äußerungen über das Niveau des deutschen Musiklebens in einem Brief an Propagandaminister Joseph Goebbels droht ihm eine Festnahme durch die Gestapo. Er folgt Speers Rat und setzt sich in die Schweiz ab.

Unmittelbar nach Kriegsende untersagt der alliierte Kontrollrat Wilhelm Furtwängler öffentliche Auftritte. Der Dirigent muss die Leitung der Berliner Philharmoniker und der Wiener Philharmoniker abgeben. Furtwängler, der sich auch persönlich nicht mit seiner Rolle im „Dritten Reich“ auseinandersetzt und stattdessen einfach nur wieder in seinem Beruf arbeiten möchte, versteht gar nicht, was man ihm vorwirft und drängt darauf, dass sein Fall geprüft wird.

Den Auftrag, nach Berlin zu reisen und Wilhelm Furtwängler zu verhören, erhält der amerikanische Major Steve Arnold (Harvey Keitel), der vor dem Krieg Schadensregulierer bei einer Versicherung war und mit klassischer Musik nichts anfangen kann. Sein Vorgesetzter führt ihm zur Vorbereitung amerikanische Propagandafilme vor, in denen zu sehen ist, wie im Lager Bergen-Belsen Berge ausgemergelter nackter Leichen mit Raupenschleppern in ein Massengrab geschoben werden. Arnold übernimmt von seinem Vorgesetzten die Auffassung, dass alle Deutschen Nationalsozialisten waren und Hitler zujubelten. Seine Aufgabe wird es sein, zu beweisen, dass Wilhelm Furtwängler sich aus Karrieregründen in den Dienst der Nationalsozialisten stellte.

Im amerikanischen Sektor von Berlin stellt die Besatzungsmacht Arnold ein Büro zur Verfügung, und man teilt ihm die Stenotypistin Emmi Straube (Birgit Minichmayr) zu, die selbst drei Monate in einem Konzentrationslager war, weil ihr Vater bei einer Verschwörung gegen Adolf Hitler mitgemacht hatte. Oberst Joachim Straube wurde hingerichtet, seine Ehefrau bis Kriegsende in Ravensbrück eingesperrt.

Eine amerikanische Dienststelle in Wiesbaden schickt Lieutenant David Wills (Moritz Bleibtreu) nach Berlin: Er soll darauf achten, dass Wilhelm Furtwängler fair und gerecht behandelt wird.

Arnold verhört zunächst einmal Mitglieder der Berliner Philharmoniker: den Oboisten Rudolf Otto Werner (Hanns Zischler), den Paukisten Schlee (Armin Rohde) und den Geiger Helmut Rode (Ulrich Tukur). Sie weisen alle darauf hin, dass Wilhelm Furtwängler Hitler einmal nach einem Konzert den „deutschen Gruß“ verweigerte, indem er den Taktstock in der rechten Hand behielt.

Der sowjetische Offizier Dymshitz (Oleg Tabakov) schwärmt von Wilhelm Furtwängler und hat den Auftrag, den großen Dirigenten anzuwerben. Er versucht, Major Arnold zu überreden, Furtwängler den Sowjets zu überlassen, aber der lässt sich auf kein Gemauschel ein.

Als Wilhelm Furtwängler zur ersten Vernehmung erscheint, muss er nicht nur längere Zeit im Vorraum warten, sondern Arnold weist auch noch Emmi an, Kaffee zu holen und grußlos an dem Stardirigenten vorbeizugehen. Im Verhör kommt er immer wieder darauf zurück, dass Furtwängler sich von Joseph Goebbels zum Vizepräsidenten der Reichsmusikkammer und von Hermann Göring zum preußischen Staatsrat ernennen ließ, statt aus Deutschland zu emigrieren. Der Dirigent beteuert, er habe sich nicht für Politik interessiert („Politik und Kunst gehören getrennt“) und keine andere Möglichkeit gesehen, als in seiner Heimat zu bleiben und sich mit der NS-Führung zu arrangieren. Er habe außerdem gehofft, mit der Musik ein Gegengewicht zur Barbarei zu schaffen.

Im britischen Sektor können Arnold und Wills Einblick nehmen in die 250 000 Dosiers, die Hans Hinkel, der Leiter der Reichskulturkammer, heimlich über Kulturschaffende angelegt hatte. Dabei finden sie heraus, dass Helmut Rode Kommunist gewesen war und von Hans Hinkel deshalb erpresst wurde, andere Musiker zu bespitzeln. Von Arnold zur Rede gestellt und unter Druck gesetzt, behauptet Rode, Wilhelm Furtwängler habe nicht nur am Vorabend von Adolf Hitlers 53. Geburtstag ein Konzert zu Ehren des „Führers“ dirigiert, sondern ihm auch mindestens einmal zum Geburtstag gratuliert. Außerdem rät er dem Major, Wilhelm Furtwängler auf sein Sexualleben und auf Herbert von Karajan anzusprechen.

Bei der nächsten Vernehmung Furtwänglers behauptet Arnold, er sei im Besitz eines Telegramms, mit dem der Dirigent „seinem Kumpel Adolf“ zum Geburtstag gratuliert habe, und er tut so, als suche er es in dem Aktenstapel auf seinem Schreibtisch. Wilhelm Furtwängler ist absolut sicher, dass er nie ein solches Telegramm schrieb, und David Wills greift zu seinen Gunsten ein, indem er den Vernehmungsoffizier auffordert, das Dokument herzuzeigen. Arnold behauptet weiter, Furtwängler sei anlässlich von Hitlers Geburtstag aufgetreten, weil Joseph Goebbels ihm damit gedroht habe, andernfalls Herbert von Karajan damit zu beauftragen. Furtwängler weist diese Darstellung zwar zurück, kann aber nicht leugnen, dass er in Karajan einen Konkurrenten sieht. Nach seinem Umgang mit Frauen befragt, gibt er zu, mehrere unehelichen Kinder gezeugt zu haben.

Nach diesem Verhör will Emmi nicht länger für Major Arnold arbeiten, denn seine Methoden unterscheiden sich kaum von denen der Gestapo, die sie aus eigener leidvoller Erfahrung kennt. Wills überredet Emmi, wieder zurückzukommen, denn nur so habe sie mit ihm zusammen eine Möglichkeit, das Verfahren zu beeinflussen. Er trifft sich mit anderen Musikern, sammelt den Dirigenten entlastende Aussagen und fordert Arnold auf, Wilhelm Furtwängler nicht so verächtlich, sondern mit Respekt zu behandeln. Steve Arnold wundert sich, wieso David Wills sich für einen Deutschen einsetzt, zumal dieser doch selbst Jude sei.

Während der dritten Vernehmung legt Wills eine Akte mit Zeugenaussagen zugunsten Wilhelm Furtwänglers vor, aber Arnold wirft sie ihm zurück. Dass der Dirigent mehrere jüdische Musiker vor der Deportation in ein Vernichtungslager bewahrte, lässt er auch nicht als Argument gelten. Er fragt:

„Warum mussten die Juden in diesem Land gerettet werden, wenn niemand etwas von den Vernichtungslagern wusste?“

Arnold behauptet, Furtwängler sei es dabei nur darum gegangen, sich für die Zeit nach dem „Dritten Reich“ abzusichern, und er habe dazu auch nur einen seiner „Kumpel“ in der NS-Führung anrufen müssen.

Schließlich gibt Arnold verärgert auf. Die zuständige Zivilbehörde erklärt Wilhelm Furtwängler 1947 offiziell für entlastet. Erneut übernimmt er die Leitung der Berliner Philharmoniker. In den USA darf er dagegen nie mehr auftreten.

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Das Drehbuch zu „Taking Sides. Der Fall Furtwängler“ schrieb der englische Schriftsteller Ronald Harwood nach seinem gleichnamigen Theaterstück. Es geht um das Verhältnis von Kunst und Politik und um die Frage, ob sich ein Künstler schuldig macht, wenn er seine Augen verschließt und sich mit einem Verbrecher-Regime arrangiert, um seinen Beruf weiter ausüben zu können. Das Thema lässt den Regisseur István Szabó offenbar nicht los: auch in „Mephisto“ und „Hanussen“ beschäftigte er sich damit.

Sepiagetönte Bilder mit blassen Farben sollen „Taking Sides. Der Fall Furtwängler“ so authentisch wie möglich wirken lassen. Im Zentrum des Justizdramas stehen die kammerspielartig inszenierten Vernehmungen Wilhelm Furtwänglers durch einen amerikanischen Besatzungsoffizier. In diesen packenden Szenen kommt auch die schauspielerische Leistung vor allem von Stellan Skarsgård und Harvey Keitel voll zur Geltung. Ob István Szabós Film „Taking Sides“ dem komplizierten „Fall Furtwängler“ gerecht wird, sei dahingestellt. Vielleicht wäre es geschickter gewesen, dem Dirigenten nicht einen Vernehmungsoffizier gegenüberzustellen, der sich durch seine Voreingenommenheit und Respektlosigkeit selbst disqualifiziert und den schikanierten Musiker wie ein Opfer erscheinen lässt. „Der Fall Furtwängler“ hätte sich gewiss zwiespältiger und facettenreicher darstellen lassen.

Die Musik stammt von Ludwig van Beethoven (Sinfonie Nr. 5), Anton Bruckner (Sinfonie Nr. 7), George Gershwin („Embraceable You“), Glenn Miller („Moonlight Serenade“) und Franz Schubert (Streichquartett D 956).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004

Wilhelm Furtwängler (Kurzbiografie)

István Szabó: Mephisto
István Szabó: Hanussen
István Szabó: Zauber der Venus
István Szabó: Sunshine. Ein Hauch von Sonnenschein
István Szabó: Being Julia
István Szabó: Hinter der Tür

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Der Roman "Du und ich" von Niccolò Ammaniti besticht nicht nur durch den berührenden Inhalt, sondern auch durch seine knappe Form und eine schnörkellose Sprache ohne Effekthascherei.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.