Anne Tyler : Der leuchtend blaue Faden
Inhaltsangabe
Kritik
Der Zimmermann Junior Whitshank heißt eigentlich Jurvis Roy mit Vornamen, doch über die Initialen J. R. ist daraus „Junior“ geworden. Seine Mutter starb, als er zwölf Jahre alt war, und weder mit seinem Vater noch mit seinen deutlich älteren Geschwistern versteht er sich.
1926 lässt sich der 26-Jährige in Yancey County/North Carolina auf eine Liebesbeziehung mit einem Mädchen namens Linnie Mae Inman ein. Als er herausfindet, dass Linnie Mae erst 13 Jahre alt ist, beendet er die Affäre erschrocken, denn ihm ist klar, dass er sich strafbar gemacht hat. Aber nach einer Weile schickt Linnie ihre Freunde Freddy, Martha und Mary mit einer Nachricht zu ihm: Sie müsse ihn sprechen. Junior erschrickt: Hat er die Minderjährige geschwängert? In ihrem Elternhaus wird gerade eine Party gefeiert. Linnie wartet vor einer Scheune auf ihn und klettert mit ihm auf den Heuboden. Sie ist nicht schwanger. Darüber ist Junior so erleichtert, dass er sich von ihr verführen lässt. Gerade als sie sich beide ausgezogen haben, werden sie von Linnies Vater erwischt. Der ruft seine Söhne Clifford und Brandon herbei. Mit vorgehaltenem Gewehr jagen die drei Männer Junior nackt vom Hof und lassen ihm nicht einmal Zeit, seine Kleidung mitzunehmen.
In Baltimore/Maryland findet Junior Whitshank noch im selben Jahr Arbeit bei dem Bauunternehmer Clyde L. Ward.
Nachdem er von Linnie Mae fünf Jahre lang nichts mehr gehört hat, ruft sie ihn vier Tage nach ihrem 18. Geburtstag vom Bahnhof in Baltimore an und bittet ihn, sie abzuholen. Sie erzählt ihm, dass der Vater die ganze Zeit nicht mehr mit ihr gesprochen habe. Weil sie keine Bleibe in Baltimore hat und Junior ihr keine Hotelübernachtung bezahlen kann, nimmt er sie notgedrungen mit in sein Zimmer in einer Pension in Hampden am Rand von Baltimore, obwohl er weiß, dass die Vermieterin Mrs Davies keine Besucherinnen duldet. Damit Linnie nicht entdeckt wird, erlaubt Junior ihr am nächsten Morgen nicht einmal die Benutzung des gemeinschaftlichen WCs. Stattdessen zeigt er ihr, bevor er zur Arbeit geht, ein Café, in dem sie die Toilette benutzen kann. Als er nach Hause kommt, sitzt sie auf der Treppe der Pension. Weil sie fror, wollte sie sich in sein Zimmer schleichen, wurde dabei aber ertappt, von Mrs Davies aufgefordert, Juniors Sachen zu packen und dann hinausgeworfen. Aber sie hat für sich und ihren angeblichen Ehemann Junior bereits ein neues Zimmer bei Joe und Cora Lee Murphy in Hampden gefunden. Vergeblich versucht Junior sie zu überreden, zu ihrer Familie zurückzukehren. Sie bleibt bei ihm.
Trotz der Wirtschaftskrise gründet Junior ein eigenes Bauunternehmen in Baltimore: Whitshank Construction. Linnie Mae bekommt zwei Kinder: die Tochter Merrick und den ein Jahr jüngeren Sohn Redcliffe („Red“). Die Familie zieht schließlich in ein Haus in Baltimore, das Junior für den Textilfabrikanten Ernest Brill gebaut hat.
Merrick Whitshank besucht das Bryn Mawr College. Sie heiratet Walter Barrister III. („Trey“), der zunächst mit ihrer besten Freundin Pookie Vanderlin verlobt war, und zieht mit ihm nach Florida.
Junior und Linnie Mae Whitshank kommen 1967 ums Leben, als ihr Auto auf einem Bahnübergang stehen bleibt und von einem Güterzug erfasst wird.
Red Whitshank, der an der University of Maryland studiert hat und inzwischen mit Abigail („Abby“) Dalton verheiratet ist, der Tochter eines Eisenwarenhändlers in Hampden, die er seit seinem zwölften Lebensjahr kennt, übernimmt das Bauunternehmen des Vaters.
Abby bringt drei Kinder zur Welt: zunächst Amanda, vier Jahre später Jeannie und fünf Jahre nach Jeannie noch Dennis („Denny“). Außerdem nehmen die Whitshanks ein Kind auf, als Denny vier Jahre alt ist, und zwar den am 8. Januar 1977 geborenen Douglas Alan O’Brian, den Sohn des für Red arbeitenden Fliesenlegers Lawrence („Lonesome“) Donald O’Brian, der im April 1979 an einer Bauchfellentzündung stirbt. Barbara Jane Eames, die unverheiratete Mutter des Kindes, ließ ihren Liebhaber damit sitzen. Abby, die sich auch als Sozialarbeiterin engagiert, behält den zweijährigen Jungen einfach, ohne irgendwelche amtliche Formalitäten. Sie nennt ihn Stem.
Denny rivalisiert mit seinen Schwestern, vor allem aber mit Stem um die Aufmerksamkeit der Eltern. Später wird ihm Amanda vorwerfen:
„Du hast jeden einzelnen Funken Aufmerksamkeit unserer Eltern beansprucht und für uns nichts übrig gelassen.“
Er wird aufsässig und lässt in seinen Schulleistungen nach. Als Jugendlicher beginnt er zu rauchen, zu trinken und Drogen auszuprobieren. Er provoziert seine Eltern ebenso wie deren Gäste und blättert in privaten Aufzeichnungen anderer. Im Alter von 16 Jahren brennt er Anfang 1991 mit Amy Lin durch, der Gruftiklamotten tragenden schwangeren Tochter eines chinesisch-amerikanischen Orthopäden-Paars. Daraufhin bringen Red und Abby ihn mit Hilfe des Arztes Richard Hancock in einem Internat für schwer erziehbare Jugendliche in Pennsylvania unter. Nach dem Schulabschluss besucht er das St. Eskil College in Pronghorn/Minnesota, aber er bricht das Studium vorzeitig ab. Red stellt ihn ebenso wie Stem in seinem Bauunternehmen ein, aber das geht nicht lange gut.
Denny geht seine eigenen Wege, meldet sich nur selten, und wenn, dann aus jeweils anderen Orten.
Im Juli 1994 verschreckt der 19-jährige Denny die Eltern mit einem kurzen Anruf und der Mitteilung, er sei schwul. Aber drei Jahre später lädt er die Familie zu seiner Hochzeit in ein Restaurant in New York ein, wo seine ein paar Jahre ältere schwangere Braut Carla Carlucci kellnert und er als Koch arbeitet.
Mit Susan, dem ersten Enkelkind Reds und Abbys, besucht Denny dann einmal im Monat seine Eltern. Carla bringt er nicht mit. Sie müsse arbeiten, erklärt er, und als sein Vater daraufhin fragt, ob er selbst eine Anstellung habe, verabschiedet Denny sich höflich und lässt drei Jahre lang nichts mehr von sich hören.
Nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York sorgt Abby sich um ihn. Sie macht Carlas Mutter Lena Carlucci ausfindig. Die kann ihr nur die Telefonnummer ihrer Tochter geben, die allerdings nicht mehr mit Denny zusammen lebt. Amanda, die Rechtsanwältin geworden ist, ruft Carla an und erfragt die Telefonnummer ihres Bruders, den sie dann auch gleich kontaktiert.
Am Neujahrstag 2012 sitzt Abby verloren in ihrem Arbeitszimmer und hat offenbar einen geistigen Aussetzer. Im April fällt den Angehörigen auf, dass sie die Hündin Brenda mit dem Namen des Jahre zuvor gestorbenen Rüden Clarence ruft. Red, der mit seinen beiden Hörgeräten nicht zurechtkommt, erleidet im Mai einen Herzinfarkt. Daraufhin schlagen Stem, Amanda und Jeannie einen Umzug in eine Mietwohnung oder ein Seniorenheim vor, aber das lehnt Abby entschieden ab. Red lässt sich zwar dazu überreden, eine Haushälterin einzustellen, doch Abby erträgt keine fremde Person im Haus. Im Juni irrt sie im Nachthemd durch die Straßen.
Stem und seine Frau Nora ziehen mit ihren drei kleinen Söhnen zu Red und Abby ins Haus, um ihnen beizustehen, obwohl Abby immer wieder versichert, dass sie ohne Hilfe zurechtkomme. Als Denny davon erfährt, reist er ebenfalls an, denn er will Stem nicht das Feld überlassen. Streitigkeiten der beiden Rivalen eskalieren allerdings in Prügeleien.
Ohne Absprache mit Abby vereinbart Nora bei einem Gerontologen einen Termin für die 72-jährige Schwiegermutter, die sich deshalb bevormundet fühlt.
Bald darauf zerrt der Hund Abby vor ein Auto und sie werden beide totgefahren.
Zur Trauerfeier kommt auch Merrick aus Florida.
In den von Abby hinterlassenen Papieren stoßen Red und Stem auf einen Vertrag, den sie mit Stems Mutter Barbara schloss. Abby verpflichtete sich, Douglas Alan O’Brian wie einen eigenen Sohn aufzuziehen, der leiblichen Mutter jederzeit Zugang zu ihm zu gewähren und ihr den Jungen auf Verlangen zurückzugeben. Stem ist entsetzt. Red beteuert, er habe von dieser Abmachung nichts gewusst.
Die Immobilienmaklerin Helen Wylie wird beauftragt, eine Wohnung für Red und einen Käufer für das Haus zu finden. Ausgerechnet an dem Morgen des Umzugstages reist Denny ab. Bevor er kam, trennte er sich zumindest vorübergehend von seiner 33-jährigen Lebensgefährtin Alison und brachte seine Sachen in ihre Garage, wo er zuletzt auch schlief. Weil in den Nachrichten vor einem aufziehenden Hurrikan gewarnt wird, will er rechtzeitig zu ihr und sich vergewissern, dass Fenster und Türen gesichert sind.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)In ihrem Roman „Der leuchtend blaue Faden“ erzählt Anne Tyler eine mehrere Generationen übergreifende Familiengeschichte. Sie beginnt 1926 und endet 2012. Bei den Whitshanks handelt es sich um eine ganz normale amerikanische Familie, und es ereignen sich weder Tragödien noch Katastrophen. Die Handlung ist unspektakulär, und Anne Tyler vermeidet auch jede stilistische oder sprachliche Effekthascherei. „Der leuchtend blaue Faden“ ist ein leiser Roman, in dem es auf die Charaktere und deren Interaktionen ankommt.
Anne Tyler hat „Der leuchtend blaue Faden“ in vier Teile gegliedert: „Nicht bevor der Hund stirbt“, „Was für eine Welt, was für eine Welt“, „Ein Eimer blaue Farbe“ und „Eine Rolle blaues Nähgarn“. Sie entwickelt die Handlung nicht chronologisch, sondern beginnt mit Dennys Anruf im Juli 1994 und springt souverän in der Zeit vor und zurück. Aufmerksam und feinfühlig beschäftigt sie sich auch mit Details.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015
Textauszüge: © Verlag Kein & Aber
Anne Tyler: Die störrische Braut