Christiane Höhmann : Letztes Licht

Letztes Licht
Letztes Licht Originalausgabe kalliope paperbacks, Bettina Weiss Verlag, Bammental 2020 ISBN 978-3-9820327-4-0, 211 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Almut und Richard, ein Ingenieur im Ruhestand, verloren 2013 ihre Tochter. Indra reiste kurz vor ihrem 18. Geburtstag mit einem zum Islam konvertierten deutschen Freund nach Syrien, um sich dem IS anzuschließen und nahm nie wieder Kontakt mit den Eltern auf. Die zogen 2016 von Marburg auf eine Mittelmeerinsel. Dort gleitet Almut in eine Demenz ab ...
mehr erfahren

Kritik

In ihrem Roman "Letztes Licht" beschäftigt sich Christiane Höhmann mit der Frage, wie Menschen mit dem Verlassenwerden umgehen. Sie denkt sich intensiv in den Protagonisten hinein und leuchtet dessen psychische Krise aus. "Letztes Licht" bietet eine bewegende, anschauliche und am Ende ermutigende Lektüre.
mehr erfahren

Der Verlust der Tochter

Als Almut und Richard sich Mitte der Achtzigerjahre in Marburg kennenlernten, war sie 19 Jahre alt, er Mitte 20. Richard studierte Maschinenbau und promovierte. Später war er beruflich viel unterwegs. Almut richtete sich ein Maler-Atelier ein. Nach acht Jahren Ehe wurde sie schwanger. Indra nannten sie die Tochter. Das Kind war gern mit den Eltern auf einer der Inseln des Toskanischen Archipels, auf dem sich die Familie schließlich ein Ferienhaus kaufte.

Vor fünf Jahren, wenige Tage vor ihrem 18. Geburtstag, verschwand Indra, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Von der Polizei erfuhren die Eltern, dass Indra zweimal pro Woche einen Islamunterricht für junge Konvertiten in einer Moschee im Nachbarort besucht hatte. Davon hatten Almut und Richard nichts geahnt. Den Nachforschungen zufolge war Indra mit ihrem zwei Jahre älteren Freund Titus Maier und einem weiteren jungen Mann nach Syrien gereist, um sich dem IS anzuschließen.

Zwei Monate nach ihrem Verschwinden berichteten die Zeitungen über die Rückkehr einer der drei Personen, die von Marburg nach Syrien gereist waren. Richard versuchte, mit diesem Martin Ulmen zu sprechen, aber das gelang ihm nicht, und die Polizei erklärte ihm dann, der Rückkehrer habe glaubhaft ausgesagt, nichts über den Verbleib von Indra und Titus zu wissen.

Richard nahm auch Kontakt mit Titus‘ Mutter Barbara und dem Stiefvater Mahmut Özmen auf. Der Moslem ließ nicht mit sich reden, und Barbara Özmen wusste nicht mehr als Richard. Sie und Titus hatten den Glauben des türkisch-stämmigen Rechtsanwalts angenommen. Barbara engagierte sich als Sozialarbeiterin in einer Beratungsstelle für Opfer von häuslicher Gewalt in Marburg. Heimlich traf sie sich mit Richard in einem Hotel. Die Affäre der beiden endete erst, als Almut und Richard 2016, vor zwei Jahren, ihr Haus in Marburg verkauften und auf eine Insel vor Livorno zogen.

Der Verlust der Ehefrau

Richard und Almut besitzen auf der Insel außer ihrem Haus noch eine Ferienwohnung, um deren Vermietung an Touristen sich eine Dortbewohnerin namens Eleonora und deren Bruder Marcello kümmern.

Lange will Richard nicht wahrhaben, dass Almut in eine Demenz abgleitet. Erst auf Drängen seines Neffen Dominik, eines Arztes, bringt er sie zu Untersuchungen in ein Krankenhaus in Livorno, wo die Diagnose bestätigt wird.

Richard denkt über einen erweiterten Suizid nach. Natrium-Pentobarbital-Tropfen hat er sich bereits besorgt.

Almut schläft viel. Unterstützt von Eleonora, übernimmt Richard die Einkäufe, das Kochen und das Waschen. Hin und wieder lässt er Almut allein zu Hause, fährt mit dem Boot zum Angeln hinaus, unternimmt einen kleinen Ausflug zu einer Bucht und isst in einem Restaurant.

Als er im Sommer 2018 von so einem Ausflug zurückkommt, brennt der Wald in der Nähe des Hauses. Die Feuerwehr hat den Brand bereits unter Kontrolle. Zuerst befürchtet Richard, Almut sei in den Flammen umgekommen, denn sie hielt sich gern im Wald auf, aber bei den Löscharbeiten wurde keine Leiche gefunden. Er macht sich Vorwürfe, weil er Almut allein ließ und meldet sie schließlich bei der Präfektur als vermisst.

Erst nach einiger Zeit wird Almuts Leiche in einer Bucht angeschwemmt. Den Verletzungen zufolge scheint sie von einem Felsen ins Wasser gestürzt zu sein.

Dominik reist zur Beerdigung an und gesteht seinem Onkel, seit langem zu wissen, dass Indra und Titus in der Osttürkei leben. Almut wusste es ebenfalls bereits vor ihrer Umsiedelung nach Italien.

Richard ist zornig und fühlt sich noch verlassener als zuvor.

Gewissheit

Erst nach dem Tod seiner Frau erfährt Richard, dass es sich bei der letzten Touristin in seiner Ferienwohnung um Barbara Özmen handelte. Sie reiste allerdings bereits nach dem Waldbrand überstürzt ab.

Kurz entschlossen fährt Richard nach Marburg. Barbaras Tochter öffnet und sagt ihm lediglich, dass ihre Mutter nicht mehr hier wohne. In der Beratungsstelle für Opfer von häuslicher Gewalt arbeitet sie auch nicht mehr. Aber Richard findet Barbara im Café gegenüber.

Mahmut sei verärgert über ihre Reise nach Italien gewesen, berichtet sie, habe argwöhnisch ihre Sachen durchsucht und dabei ein verstecktes Schmuckstück gefunden, das Richard  ihr vor zwei Jahren zum Abschied geschenkt hatte. Ihre Tochter rief sie dann an und warnte sie, dass Mahmut sich scheiden lassen wolle. Daraufhin brach Barbara zwar sofort ihren Insel-Aufenthalt ab, aber Mahmut warf sie hinaus. Vorübergehend wohnt sie bei einer Freundin in Marburg.

Richard erhält von ihr eine Adresse in Gaziantep, einer Stadt im Südosten Anatoliens, und fliegt am nächsten Morgen von Frankfurt über Izmir hin.

Titus öffnet die Tür. Widerwillig teilt er Richard mit, dass seine Frau in einem nahen Kindergarten arbeitet. Sie trägt Abaya und Hijab. Nach Dienstschluss kommt sie zu ihrem Vater ins Hotel, aber sie bleibt unnahbar. In Syrien waren sie nur wenige Monate. Mahmut half ihr und ihrem Ehemann, der jetzt Khaled heißt, in der Türkei unterzukommen, wo sie keine deutsche Strafverfolgung befürchten müssen. Sie wohnen bei Verwandten Mahmuts, einer türkischen Familie mit fünf Kindern.

Erst als Indra erfährt, dass ihre Mutter tot ist, zeigt sie Gefühle. Aber sie ist entschlossen, bei ihrem Mann in der Türkei zu bleiben.

Allein kehrt Richard auf die Insel zurück. Er hat sich vorgenommen, loszulassen und sich mit dem Verlust sowohl seiner Tochter als auch seiner Frau abzufinden.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

In ihrem Roman „Letztes Licht“ beschäftigt sich Christiane Höhmann mit der Frage, wie Menschen mit dem Verlassenwerden umgehen. In diesem Fall geht es um einen Ingenieur im Ruhestand, dessen Ehefrau in eine Demenz abgleitet. Fünf Jahre zuvor verlor das Ehepaar die Tochter, als Indra kurz vor ihrem 18. Geburtstag unter dem Einfluss eines muslimischen Freundes nach Syrien reiste, um sich dem IS anzuschließen.

Christiane Höhmann denkt sich intensiv in die Romanfigur des Vaters hinein und leuchtet dessen psychische Krise aus. Sie erzählt in der dritten Person konsequent aus der Perspektive des Protagonisten. Dabei entwickelt sie zwar die gegenwärtige Handlung chronologisch, fügt jedoch immer wieder Erinnerungen und Rückblenden ein. Christiane Höhmann inszeniert das Geschehen, sodass wir uns Schritt für Schritt eine lebendige, anschauliche Vorstellung davon machen können.

Beim Lesen glaubt man anfangs, es gehe nur um das Verschwinden der Tochter, aber dann begreift man, dass es in „Letztes Licht“ auch um die Ehefrau geht und am Ende um die Fähigkeit zum Loslassen.

Christiane Höhmann erzählt ernst und ruhig. Sprachlich hätte das eine oder andere in „Letztes Licht“ noch ein wenig poliert werden können.

Nach einem schnellen Frühstück mit Panini und starkem Kaffee in der Raststätte fuhr er in aller Frühe weiter.
Die aufgehende Sonne spiegelte sich im Rückspiegel […].

In diesem Beispiel sind nicht nur die Zeitangaben „in aller Frühe“ und Sonnenaufgang redundant, sondern es hätten sich auch zwei Wiederholungen vermeiden lassen (Frühstück – in aller Frühe; spiegelte – Rückspiegel): Als er nach einem schnellen Frühstück mit Panini und starkem Kaffee in einer Raststätte weiterfuhr, blendete ihn die aufgehende Sonne im Rückspiegel.

Von solchen Kleinigkeiten abgesehen, handelt es sich bei „Letztes Licht“ um eine bewegende und trotz des Themas in keiner Weise deprimierende Lektüre mit einem ermutigenden Ende.

Auf welcher Insel ein Großteil der Handlung des Romans „Letztes Licht“ spielt, verrät Christiane Höhmann nicht. Es könnte sich um Capraia handeln.

Christiane Höhmann studierte Germanistik und Anglistik. Von 1983 bis 2007 unterrichtete sie Deutsch und Englisch an Gymnasien. 2008/09 lehrte sie Kreatives Schreiben an der Universität Kassel, und seit 2010 ist sie Dozentin für Literatur und Kreatives Schreiben an der VHS Paderborn. Vor „Letztes Licht“ veröffentlichte Christiane Höhmann Gedichte, sechs Romane und den Ratgeber „Einfach schreiben. Der kreative Weg zum wissenschaftlichen Text“ (2012),

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2020
Textauszüge: © kalliope paperbacks, Bettina Weiss Verlag

Ottessa Moshfegh - Lapvona
Den opulenten Roman "Lapvona" kann man als Groteske, Schauermärchen oder Schelmenroman lesen. Ottessa Moshfegh erzählt von bösartigen, grausamen bzw. dumm-infantilen Menschen in einer ungerechten, sinnlosen Welt. Ihr Menschenbild wirkt nihilistisch, misanthropisch und pessimistisch.
Lapvona