Louise Kennedy : Übertretung

Übertretung
Trespasses Bloomsbury Circus, London / Dublin 2022 Übertretung Übersetzung: Claudia Glenewinkel und Hans-Christian Oeser Steidl Verlag, Göttingen 2023 ISBN 978-3-96999-259-3, 320 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Mitte der 70er-Jahre, zur Zeit der bürgerkriegs­ähnlichen Zustände in Nordirland, gerät die 24-jährige katholische Lehrerin Cushla zwischen die Fronten, weil sie sich in einen Protestanten verliebt und um die Familie eines Schülers kümmert, dessen katholischer Vater von Fanatikern halb tot geschlagen wird, weil er mit einer Protestantin verheiratet ist.
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Kritik

Der Roman "Übertretung" von Louise Kennedy dreht sich um die Emanzipation einer Frau von der patriarchalischen Bevormundung durch ihren Bruder, vor allem aber um eine von Fanatismus, Hass und Gewalt tief gespaltene Gesellschaft – und gerade das ist nicht nur in den USA ein brisantes Thema.
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Troubles

Die Witwe Gina Lavery, ihr 32-jähriger Sohn Eamonn und ihre 24 Jahre alte Tochter Cushla zählen zur katholischen Minderheit in einem Vorort von Belfast. Cushla unterrichtet Drittklässler einer katholischen Schule, wohnt noch bei ihrer alkoholkranken Mutter in dem Haus, das Gina von ihrem vor zweieinhalb Jahren gestorbenen Ehemann geerbt hat. Eamonn, dessen Frau mit dem dritten Kind schwanger ist, betreibt ein Pub, und seine Schwester hilft ihm nach Möglichkeit abends beim Bedienen der Gäste.

Dabei lernt sie Michael Agnew kennen, einen Prozessanwalt aus Belfast, der auch Bürgerrechtler verteidigt. Cushla verliebt sich in ihn, obwohl er nicht nur Protestant und mehr als doppelt so alt ist, sondern auch verheiratet und Vater eines Sohnes. Gegen jede Vernunft lassen sich die beiden auf eine Affäre ein.

Von Cushlas siebenjährigen Schülern wird vor allem Davy gemobbt, der Sohn des katholischen Dachdeckers Seamie McGeown, denn seine Mutter Betty ist Protestantin, und eine Mischehe gilt als besonders übel. Die Familie, zu der auch Davys Schwester Mandy und der 18 Jahre alte Bruder Tommy gehören, wird von den Nachbarn schikaniert.

Als Seamie McGeown von Fanatikern halb tot geschlagen wird, bricht Tommy kurz vor den Abschlussprüfungen die Schule ab und fängt als Hilfsarbeiter bei seinem Onkel an, denn der Vater wird aufgrund bleibender Schäden nie wieder einen Beruf ausüben und die  Familie ernähren können.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Tragödie

Michael Agnew wird vor den Augen seiner Frau Joanna im Bett erschossen. Die Provisional IRA bekennt sich zu dem Anschlag, und als mutmaßlicher Mörder wird der 18-jährige Thomas („Tommy“) Ronald McGeown festgenommen.

Nach Tommys Verhaftung zündet jemand das Haus der Familie McGeown an. Wenige Minuten später trifft die Feuerwehr ein. Offenbar wollte man – wie in anderen Fällen auch – verhindern, dass das Gebäude bis auf die Grundmauern niederbrennt.

Gina und Cushla nehmen die nun obdachlose Familie auf, aber am nächsten Morgen kommt Eemonn und besteht darauf, dass die McGeowns sofort das Haus seiner Mutter verlassen. Cushla bringt sie deshalb zu Seamie McGeowns Bruder.

Konsequenzen

Am dritten Tag nach Michaels Ermordung holt man Cushla zur Vernehmung ab. Die Polizei weiß alles und kann sogar die sexuelle Beziehung der beiden mit Fotos beweisen. Die Lehrerin, die sich um die Familie McGeown kümmerte, gilt als Verbindung zwischen dem Mörder und dem Opfer!

Cushla kommt zwar ohne Anklage davon, ist jedoch in der katholischen Schule nicht mehr tragbar.

Eamonn Laverys Pub wird durch einen Brandsatz zerstört. Aufgrund einer Vorwarnung gibt es dabei weder Tote noch Verletzte.

Während Tommy McGeown zu lebenslanger Haft verurteilt wird, bringen die Behörden seinen jüngeren Bruder Davy in einer Pflegefamilie unter.

Von Victor McCusker, einem Bekannten, erfährt Cushla, dass Michael unter Druck stand, weil er nicht bereit war, einen Fall von Polizeibrutalität zu ignorieren.

Epilog

Viele Jahre später findet Cushla ihren früheren Schüler Davy McGeown wieder. Er stellt ihr seine Ehefrau Ellen vor. Cushla war zwischenzeitlich Mrs McTiernan und hat drei Kinder und vier Enkel. Davy fragt sie nach ihrem damaligen Lehrerkollegen Gerry Devlin, und sie antwortet, er lebe inzwischen in einer eingetragenen Partnerschaft mit einem Mann und sei noch immer ihr bester Freund.

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Die Handlung des tragischen Romans „Übertretung“ von Louise Kennedy spielt Mitte der Siebzigerjahre, zur Zeit der „Troubles“, der bürgerkriegsähnlichen Zustände in Nordirland von 1969 bis 1998. In dieser brutalen Welt voller Fanatismus, Hass und Gewalt gerät die 24-jährige katholische Lehrerin Cushla zwischen die Fronten, nicht nur weil sie sich um die Familie ihres Schülers Davy McGeown kümmert, dessen katholischer Vater von Fanatikern halb tot geschlagen wird, weil er mit einer Protestantin verheiratet ist, sondern auch, weil sie sich in den protestantischen Rechtsanwalt Michael Agnew verliebt und auf eine Affäre mit dem doppelt so alten Familienvater einlässt. Soziale und politische, moralische und konfessionelle Konflikte sind die Folge.

Mit ihrem Roman kritisiert Louise Kennedy aber auch das Patriarchat am Beispiel der Bevormundung Cushlas durch ihren älteren Bruder Eamonn, aus der sie sich im Verlauf der Handlung befreit. „Übertretung“ dreht sich also nicht nur um eine erschreckend tief gespaltene Gesellschaft, sondern auch um Emanzipation. Und während die Errungenschaften der Frauen in ihrer Emanzipation bereits unumkehrbar sein dürften, gewinnt das Thema der hasserfüllt gespaltenen Gesellschaften an Brisanz. Das zeigt sich nicht nur in den USA.

Louise Kennedy wuchs in Nordirland auf und spielte als Kind im Pub ihrer Großeltern in Belfast, wenn ihre Mutter dort aushalf. Zweimal war das Pub Ziel eines Anschlags. Als Louise Kennedy acht Jahre alt war, zog die Familie mit ihr in die Republik Irland. 30 Jahre lang arbeitete Louise Kennedy als Köchin. Nachdem sie einige Zeit im Libanon verbracht hatte, heiratete sie in Irland und eröffnete mit ihrem Mann in Sligo ein eigenes Restaurant. Als sie 2014 damit bankrott gingen, wurde Louise Kennedy arbeitslos und begann unter Depressionen zu leiden – bis sie dem Rat einer Freundin folgte, ein Schreibseminar besuchte und ihre erste Kurzgeschichte in einer irdischen Tageszeitung veröffentlichte. Eine Literaturagentin überredete sie daraufhin zu einem Band mit 15 Storys, der 2021 erschien. Im Jahr darauf debütierte Louise Kennedy mit dem Roman „Trespasses“ / „Übertretung“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2023
Textauszüge: © Steidl Verlag

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