Paulo Coelho : Der Alchimist

Der Alchimist
Originaltitel: O Alquimista Editorja Rocco Ltda., Rio de Janeiro 1988 Der Alchimist Übersetzung: Cordula Swoboda Herzog Diogenes Verlag, Zürich 1993
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein andalusischer Schäfer träumt von einem bei den Pyramiden vergrabenen Schatz und macht sich auf den Weg, um ihn zu suchen. Er muss viele Abenteuer bestehen, bis er nach Ägypten kommt und dort erfährt, dass der Schatz nicht dort, sondern am Ausgangspunkt seiner Reise zu finden ist.
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Kritik

Auf der Suche nach einem vergrabenen Schatz begreift ein andalusischer Schäfer einige wichtige Lebensweisheiten, findet sich selbst und entdeckt immaterielle Bereicherungen wie die Liebe. Paulo Coelho erzählt die Fabel in einer bewusst schlichten Sprache: "Der Alchimist".
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Der Jüngling hieß Santiago. Es fing bereits an zu dämmern, als er mit seiner Schafherde zu einer alten, verlassenen Kirche kam. Das Dach war schon vor geraumer Zeit eingestürzt, und ein riesiger Maulbeerbaum wuchs an jener Stelle, wo sich einst die Sakristei befand.

Mit diesen Worten beginnt der erste Teil des Romans „Der Alchimist“.

Der andalusische Bauernjunge Santiago besuchte bis zu seinem sechzehnten Lebensjahr eine Klosterschule und lernte Latein, Spanisch und Theologie, weil er nach dem Wunsch seiner Eltern Priester werden sollte. Doch er träumte davon, die Welt kennen zu lernen, und eines Tages fasste er sich ein Herz und gestand seinem Vater, was er wirklich wollte. So wurde er Schafhirte. Seither zieht er fast das ganze Jahr über mit seiner Herde umher.

Er kannte überhaupt eine Menge Leute in dieser Gegend, und darum reiste er auch so gerne. Man konnte immer wieder neue Freundschaften schließen und musste nicht Tag für Tag mit denselben Leuten auskommen. Wenn man, wie im Seminar, immer dieselben Menschen um sich hat, dann lassen wir sie zu einem festen Teil unseres Lebens werden. Und wenn sie dann ein fester Teil davon geworden sind, wollen sie unser Leben verändern. Und wenn wir dann nicht so werden, wie sie es erwarten, sind sie enttäuscht. Denn alle Menschen haben immer genaue Vorstellungen davon, wie wir unser Leben am besten zu leben haben. Doch nie wissen sie selber, wie sie ihr eigenes Leben am besten anpacken sollen.

Nachdem er mehrmals von einem Kind geträumt hat, das ihm den Weg zu den Pyramiden zeigt, befragt er in Tarifa eine Zigeunerin nach der Bedeutung des Traums. Für die Prophezeiung, er werde dort einen Schatz finden, verlangt sie ein Zehntel davon.

„Erst die Möglichkeit, einen Traum zu verwirklichen, macht unser Leben lebenswert“, überlegte er.

Ein alter Mann, der sich neben ihn auf eine Anlagenbank setzt, stellt sich vor als Melchisedek, König von Salem. Für ein Zehntel der Schafherde verspricht er ihm einen Rat, wie er zu seinem Schatz gelangen könne. Santiago verkauft neun Zehntel seiner Herde, übergibt dem König von Salem die restlichen sechs Schafe und erhält dafür einen weißen und einen schwarzen Stein: Urim und Thummim. Dann erzählt ihm der Alte noch die Geschichte von einem Geschäftsmann, der seinen Sohn mit der Frage nach dem Geheimnis des Glücks zum bedeutendsten Weisen schickt. Der gibt vor, keine Zeit zu haben und lädt ihn ein, sich zwei Stunden lang im Palast umzusehen. Dabei soll der Besucher einen Teelöffel halten, in den der Weise zwei Tropfen Öl träufelt. „Während du dich hier umsiehst, halte den Löffel, ohne dabei das Öl auszuschütten.“ Nach zwei Stunden fragt der Weise den Jungen, was er gesehen habe. Der muss gestehen, nichts von den Kostenbarkeiten bemerkt zu haben, weil er so sehr darauf achtete, nichts von dem Öl zu verschütten. Der Weise schickt ihn nochmals los, mit zwei neuen Tropfen Öl im Löffel. Diesmal achtet der Kaufmannssohn auf die prächtige Einrichtung des Palastes. Erst am Ende fällt ihm auf, dass er das Öl verschüttet hat. Da sagt der Weise zu ihm: „Das Geheimnis des Glücks besteht darin, alle Herrlichkeit dieser Welt zu schauen, ohne darüber die beiden Öltropfen auf dem Löffel zu vergessen.“

Der ehemalige Schäfer setzt nach Tanger über. In einer Kneipe vertraut er sich einem spanisch sprechenden Araber an und bittet ihn, sein Führer nach Ägypten zu sein. Der Wirt will ihn vor dem Fremden warnen, aber Santiago versteht seine Sprache nicht. So wird Santiago seiner gesamten Barschaft beraubt. Bei Sonnenaufgang befand er sich noch auf einem anderen Kontinent, war Hirte und besaß sechzig Schafe; jetzt, bei Sonnenuntergang, lebt er in einem fremden Land, dessen Sprache er nicht beherrscht und ist völlig mittellos.

Plötzlich erkannte er, dass er die Welt entweder mit den Augen eines armen, beraubten Opfers sehen konnte oder aber als Abenteurer auf der Suche nach einem Schatz.

Elf Monate und neun Tage arbeitet Santiago für einen Kristallwarenhändler in Tanger. Er überredet ihn, seine Waren auf einem Regal im Freien auszustellen und in den Kristallgläsern Tee auszuschenken. Durch die Verwirklichung dieser Ideen beginnt das Geschäft zu florieren. Der Kristallwarenhändler, der seit dreißig Jahren in diesem Laden steht, scheut vor den Veränderungen zurück, fügt sich aber dem Lauf der Dinge. Jetzt besitzt er endlich genug Geld, um sich eine Pilgerreise nach Mekka leisten zu können – doch er zieht es vor, weiter davon zu träumen.

Was Santiago von seinem Verdienst sparen konnte, reicht schließlich nicht nur für die Rückreise nach Spanien, sondern obendrein für hundertzwanzig Schafe. Doch er schließt sich einer Karawane an, die auf dem Weg durch die Wüste zur El-Fayum-Oase ist. Dort will ein belesener Engländer, der ebenfalls mit der Karawane reist, einen Alchimisten befragen, der über zweihundert Jahre alt sein und den Stein der Weisen sowie das Elixier des langen Lebens entdeckt haben soll. Als ein Stammeskrieg ausbricht, erreicht die Karawane mit Müh und Not die Oase und findet dort Zuflucht.

An einem Brunnen begegnet Santiago der Frau seines Lebens: Fatima.

Statt sich mit dem Engländer abzugeben, nimmt der Alchimist Kontakt mit dem ehemaligen spanischen Schafhirten auf, prüft seinen Mut und bietet ihm an, ihn auf dem Weg zu den Pyramiden zu begleiten. Als Santiago zögert weiterzureisen, weil er befürchtet, dadurch Fatima zu verlieren, führt ihm der Alchimist vor Augen, was geschehen würde, wenn er in der Oase bliebe. Aufgrund seines Reichtums wäre er zunächst ein geachteter Mann, doch im Lauf der Zeit würde er bedauern, den Schatz bei den Pyramiden nicht gesucht zu haben, und wenn die Menschen seine Unzufriedenheit bemerkten, verlöre er allmählich sein Ansehen, sein Vermögen und schließlich auch Fatimas Liebe.

„Fatima ist eine Wüstenfrau“, sagte der Alchimist. „Sie weiß, dass die Männer abreisen müssen, um heimkehren zu können. Sie hat ihren Schatz bereits gefunden: dich. Jetzt erwartet sie, dass auch du findest, was du suchst.“

Als Santiago und der Alchimist von einem Kriegsheer festgenommen werden, muss der Spanier sein gesamtes Vermögen opfern, damit die Soldaten ihn nicht töten. Doch der Alchimist verwandelt kurz vor dem Abschied von Santiago – zweieinhalb Stunden vor den Pyramiden – in der Küche eines koptischen Klosters Blei zu Gold. Ein Viertel davon schenkt er dem Mönch, ein Viertel behält er für sich, ein Viertel gibt er Santiago, und das letzte Viertel soll der Mönch für Santiago aufheben – für den Fall, dass dieser noch einmal sein Vermögen verliert.

Kurz darauf kommt Santiago über einen Hügel und sieht endlich die Pyramiden vor sich. Er fällt auf die Knie und beginnt nach dem Schatz zu graben. Da entdecken ihn Diebe, nehmen ihm das Goldstück ab und prügeln ihn, weil sie vermuten, er habe weiteres Gold vergraben. Als sie merken, dass sie sich getäuscht haben, lassen sie von ihm ab. Auf Santiagos Geständnis, aufgrund eines Traumes nach einem Schatz zu graben, antwortet der Anführer der Bande: „Hier, an der Stelle, wo du bist, habe ich vor beinahe zwei Jahren ebenfalls einen wiederkehrenden Traum gehabt. Ich träumte, dass ich nach Spanien gehen und auf dem Land eine zerfallene Kirche suchen solle, wo die Hirten mit ihren Schafen zu schlafen pflegen, und dass in der Sakristei ein Maulbeerbaum wächst, an dessen Wurzeln ein vergrabener Schatz liegt. Aber ich bin doch nicht blöd, nur wegen eines wiederkehrenden Traumes eine Wüste zu durchqueren.“

Zerschlagen, in zerfetzten Kleidern und mittellos kommt Santiago zu dem koptischen Mönch zurück. Das von dem Alchimisten in weiser Voraussicht hinterlegte vierte Stück Gold ermöglicht Santiago die Heimreise nach Spanien.

Nachdem er an der von dem Dieb genannten Stelle eine Schatztruhe ausgegraben hat, bricht er auf, um der Wahrsagerin ein Zehntel abzutreten und zu Fatima in die El-Fayum-Oase zu reisen.

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Auf der Suche nach einem vergrabenen Schatz begreift ein andalusischer Schäfer einige wichtige Lebensweisheiten, findet sich selbst und entdeckt immaterielle Bereicherungen wie die Liebe.

Paulo Coelho erzählt die Fabel in einer bewusst schlichten Sprache. Gerade deshalb spricht sie die Leser an und zeigt ihnen, dass es Sinn macht, den eigenen Lebensweg zu suchen, seinen Lebenstraum zu verwirklichen und auch nach harten Schicksalsschlägen niemals aufzugeben: „Der Alchimist“.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003
Textauszüge: © Diogenes Verlag

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