Dave Eggers : Der Circle

Der Circle
Originalausgabe: The Circle Alfred A. Knopf, New York 2013 Der Circle Übersetzung: Ulrike West, Klaus Timmermann Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014 ISBN: 978-3-462-04675-5, 560 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Mae Holland ist 24 Jahre alt und bringt sich begeistert bei The Circle ein, denn das vor knapp sechs Jahren gegründete, weltweit operierende Unternehmen ist nicht nur hipp und innovativ, sondern bietet auch vorbildliche Arbeitsbedingungen. The Circle hat sich zum Ziel gesetzt, die Welt besser zu machen. Alles begann mit dem Unified Operating System, durch das sich alle Aktivitäten im Internet von einem Account aus durchführen lassen. Immer neue Innovationen kommen dazu, und die dadurch anfallenden Daten werden zentral gespeichert ...
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Kritik

Die Geschichte spielt in naher Zukunft, und das Unternehmen The Circle ähnelt Google. Dave Eggers warnt in dem Roman etwas plakativ vor den Gefahren einer zentralisier­ten Datenerfassung im Internet.
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Nach dem Studienabschluss in Psychologie arbeitet Maebelline („Mae“) Renner Holland zunächst bei den Strom- und Gaswerken ihrer Heimatstadt Fresno/Kalifornien, aber dann vermittelt eine frühere Kommilitonin der 24-Jährigen eine Anstellung bei dem IT-Unternehmen The Circle in San Vincenzo im Silicon Valley.

Annie Allerton ist zwei Jahre älter als Mae; sie beendete ihr BWL-Studium in Stanford mit einem Master-Titel und ist inzwischen Managing Director für Zukunftssicherung bei The Circle.

Das vor knapp sechs Jahren gegründete, global operierende Unternehmen gilt als hipp und innovativ, sozial und ökologisch engagiert. Gegründet wurde The Circle von Tyler („Ty“) Alexander Gospodinov, der immer wieder mit genialen, visionären Erfindungen in der digitalen Welt für Aufsehen sorgt. Begonnen hat alles mit seinem Unified Operating System. Damit lassen sich alle Accounts im Internet zusammenführen: ein Account, ein Profil, ein Passwort. Wer die ebenso kostenlosen wie spitzenmäßigen Software-Produkte von The Circle nutzen möchte, muss sich mit seiner wahren Identität einen TruYou-Account einrichten. Avatare und falsche Identitäten werden von The Circle nicht akzeptiert. Dadurch ist auch bereits die Zahl der beleidigenden und unflätigen Äußerungen in Internet-Foren zurückgegangen. Im Lauf der Zeit hat The Circle nicht nur Google, Facebook, Twitter und PayPal übernommen, sondern auch Alacrity, Zoopa, Jefe und Quan. Ernst zu nehmende Konkurrenten gibt es keine mehr. Weil es Ty infolge des Asperger Syndroms an Empathie und damit an sozialer Kompetenz mangelt, holte er ein halbes Jahr vor dem Börsengang die beiden geschäftstüchtigen Manager Eamon Bailey und Tom Stenton in die Firmenleitung. Inzwischen spricht man von den „drei Weisen“.

Mae ist begeistert, als sie die lichtdurchfluteten Gebäude mit gläsernen Fassaden in organischen Formen betritt. Die Trakte sind nicht, wie üblich, mit Buchstaben und Nummern bezeichnet, sondern nach Geschichtsepochen benannt: „Renaissance„, „Aufklärung“ usw. 10 000 Menschen arbeiten hier auf dem „Campus“. Für sie wird so viel geboten wie in keinem anderen Unternehmen der Welt: Fitness-Studio, Wellness-Bereich mit Pool, hochwertiges Essen und vieles mehr – alles kostenlos. Maes Teamleiter erläutert gleich zu Beginn einige der Grundüberzeugungen der Firma:

Die wesentlichste ist, dass wir dafür sorgen wollen, dass du hier ein Mensch sein kannst. Das ist genauso wichtig wie die Arbeit, die wir hier machen – und diese Arbeit ist sehr wichtig. Das hier soll ein Ort der Arbeit sein, klar, aber es sollte auch ein Ort der Menschlichkeit sein. Und das bedeutet die Förderung von Gemeinschaft.

Mae fängt in der Abteilung Customer Experience (vormals Customer Service) an. Das heißt, sie sitzt vor einem Bildschirm und beantwortet Kundenanfragen. Für jede Antwort erhält sie vom Kunden ein Rating zwischen 1 und 100. Alles unter 95 gilt als schlecht. Nicht voll zufriedenen Kunden schickt Mae einen Fragebogen, und die meisten von ihnen verbessern daraufhin das Rating.

In der Mittagspause zeigt Annie ihrer Freundin einen der Läden auf dem Campus. Dort werden Testprodukte und Prototypen von diversen Unternehmen angeboten. Mitarbeiter von The Circle dürfen sich nehmen, was sie möchten und brauchen bloß ihren Ausweis zu scannen, aber nichts zu bezahlen, denn der Laden dient zu Testzwecken.

Freitags versammeln sich alle im Großen Saal. Bei der regelmäßigen Veranstaltung unter der Bezeichnung Dream Friday stellt die Firmenleitung Innovationen von The Circle vor. Diesmal präsentiert Eamon Bailey eine neue Minivideokamera. Obwohl sie für jeden erschwinglich ist, sendet sie kabellos hochauflösende Bilder ins Netz. Jeder kann so viele Kameras installieren wie er möchte und auch beliebig viele seiner virtuellen Freunde dafür freischalten. Auf diese Weise kann man beispielsweise einen gelähmten Freund an einer Bergtour teilnehmen lassen. Ziel des Projektes SeeChange ist es, innerhalb von zehn Jahren zwei Milliarden dieser Kameras auf dem Globus zu verteilen. Dieses Netzwerk von Life-Kameras wird die Welt sicherer machen, denn wer begeht schon eine Straftat, wenn er damit rechnen muss, dass er dabei gefilmt wird?

Alles, was passiert, muss bekannt sein.

Wir werden allsehend, allwissend.

Mae erhält einen dritten Bildschirm. Der erste ist für die Kundenanfragen, über den zweiten erfolgt die Kommunikation im Team, und der neue ist für Social Media reserviert. Hier wird gepostet, kommentiert, und man vergibt entweder Smiles oder Frowns. Der Grad der Aktivität jedes Einzelnen ist am Partizipations-Ranking, kurz PartRank, abzulesen.

Maes Eltern sind stolz auf ihre Tochter, die bei einem so hoch angesehenen Weltunternehmen beschäftigt ist. Eines der ersten Wochenenden verbringt Mae bei ihren Eltern in Fresno. Sie macht sich Sorgen um ihren Vater, der an Multipler Sklerose erkrankt ist, zumal die Krankenversicherung sich weigert, einige der Medikamente zu bezahlen, von denen er glaubt, dass sie ihm helfen. Während ihres Besuchs sieht Mae auch Mercer Medeiros wieder, mit dem sie als Studentin eine ihrer wenigen ernsten Beziehungen hatte. Er bastelt Kronleuchter aus Geweihen und verkauft sie über seine eigene kleine Firma.

Zurück bei The Circle, wird Mae zu einem Gespräch mit zwei Mitarbeitern von Human Relations gebeten. Man wundert sich darüber, dass sie von Freitag, 17.52 Uhr, bis Montag, 8.46 Uhr, nicht auf dem Campus war. Mae weist darauf hin, dass ihr Vater krank sei und sie deshalb nach ihm geschaut habe. Es wird zwar viel von einer Work-Life-Balance gesprochen, und die zahlreichen Freizeitveranstaltungen auf dem Campus sind alles andere als Pflichttermine, aber ein ganzes Wochenende sollte man nicht fernbleiben, denn Team- und Community-Building werden von The Cirle sehr wichtig genommen. Mae verspricht, sich zu bessern und arbeitet die ganze Nacht daran, ihren PartRank zu verbessern.

Um keine Zeit mit dem Heimweg zu verlieren, übernachtet sie in einem der kostenlos zur Verfügung stehenden Wohnräume von The Circle.

Beim ersten Arzttermin auf dem Campus erfährt Mae von der Ärztin Dr. Villalobos, dass inzwischen bereits alle Patientenakten, die seit der Kindheit über sie angelegt wurden, zentral gespeichert sind. (Die Freigabe der Daten unterschrieb Mae mit dem Anstellungsvertrag.) In 14-tägigen Intervallen wird Mae von jetzt an medizinisch untersucht. Außerdem erhält sie ein sieben Zentimeter breites Armband, mit dem alle relevanten Körperdaten gemessen und ins Netz gesendet werden. Das ist Teil des Complete Health Data Program (CHAD). Dr. Villalobos weist Mae darauf hin, dass durch das perfektionierte und für die Circle-Mitarbeiter selbstverständlich kostenlose medizinische System eine optimale Vorsorge stattfindet. Kommt es dennoch zu einer Erkrankung, wird sie rasch erkannt, und deshalb ist auch nicht mehr mit Epidemien zu rechnen.

Als die Ärztin hört, dass Maes Vater einige seiner Medikamente selbst bezahlen muss, rät sie ihr, mit Human Relations darüber zu reden. Danach werden Maes Eltern sofort in eine von Circle finanzierte Krankenversicherung aufgenommen, die alle Kosten für die Behandlung von Maes Vater übernimmt.

Mae freundet sich mit einem Kollegen namens Francis Garaventa an, der seit fast zwei Jahren bei The Circle beschäftigt ist und an der flächendeckenden Einführung des Systems ChildTrack arbeitet. Damit wird die Kindersicherheit drastisch erhöht. In Dänemark hatte man Kindern bereits RFID-Transponder unter der Haut implantiert. Aber erst bei ChildTrack können Verbrecher die Chips nicht mehr herausschneiden, weil sie im Fußknöchel verankert werden.

Als bei einer Circle-Veranstaltung das neue Personensuche-System LuvLuv demonstriert werden soll, schlägt Francis vor, testweise nach Informationen über Mae Holland zu suchen. Ihr ist das sehr peinlich. Aber es kommt noch schlimmer: Zu spät merkt sie, dass Francis ein intimes Zusammensein mit ihr gefilmt hat. Er versucht, sie zu beruhigen, indem er darauf hinweist, wie unwahrscheinlich es ist, dass jemand in der Fülle der im Netz verfügbaren Videos ausgerechnet diese Aufnahme entdeckt.

The Circle strebt an, alle finanziellen Transaktionen auf der Erde abzuwickeln. Die Bankkonten der Circle-Nutzer sind ohnehin bereits mit dem Account verknüpft, und es kann bargeldlos mit Handys bezahlt werden. Ziel von The Circle ist es, durch die Abschaffung von Banknoten und unkontrollierten Überweisungen die Kriminalität einzudämmen.

Wer von dem Angebot Homie Gebrauch machen möchte, scannt zunächst mit seinem Handy alle Produkte im Privathaushalt ein. Von da an sorgt das System für automatische Nachlieferungen. Darum braucht man sich also nicht mehr zu kümmern. Homie hat aber auch für die beteiligten Unternehmen einen Vorteil, denn sie kennen über das System den zukünftigen Bedarf und können ihre Produktion bzw. Lagerhaltung entsprechend planen. Das führt wiederum dazu, dass keine Ressourcen vergeudet werden, ist also ökologisch sinnvoll.

The Circle spielt mit dem Gedanken, die Verwaltung der Stadt San Vincenzo zu übernehmen. Der Haushalt wird ohnehin bereits von The Circle finanziert, und es wäre für die Bürger sehr viel einfacher, alles über The Cirle abzuwickeln als verschiedene Behörden aufsuchen zu müssen.

Ty, der an den wöchentlichen Meetings nur per Video-Zuschaltung teilnimmt, hat vorgeschlagen, die Sandkörner der Sahara zu zählen. Das ist eines der Projekte, die – anders als zum Beispiel die Auflösung von Tornados – auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben, die The Circle aber trotzdem durchführt, weil sich mitunter bei der Durchführung ein ungeahnter Nutzen erkennen lässt. Geld für solche zunächst zweckfreien Projekte ist genug verfügbar.

Obwohl The Circle daran arbeitet, die Welt Schritt für Schritt besser zu machen, propagiert die US-Senatorin Williamson eine Zerschlagung des Konzerns und begründet dies mit dem Monopol von The Circle in vielen Bereichen des Internets. Es dauert allerdings nicht lang, bis das FBI auf einem Rechner der Senatorin verfängliches Material sicherstellt und ihre politische Karriere dadurch zerstört wird.

Die Senatorin Olivia Santos lässt sich bei einer Veranstaltung auf dem Campus von The Circle eine Halskette mit einer SeeChange-Kamera umhängen. Die will sie von nun an immer tragen, damit alle sehen können, was sie tut und man alle ihre Gespräche mithören kann. Dieses Beispiel politischer Transparenz löst eine Welle aus, und bald geraten Volksvertreter, die nicht an dem Programm teilnehmen, unter Druck. Für Politiker, die nicht korrupt sind und auch sonst nichts zu verbergen haben, gebe es keinen Grund, die Transparenz zu verweigern, heißt es.

Bald nachdem Mae bei The Circle angefangen hat, werden ihr neu eingestellte Mitarbeiter zur Betreuung zugeteilt. Für die Kommunikation mit ihnen stellt man ihr einen vierten Bildschirm auf den Schreibtisch. Einen weiteren Monitor erhält Mae für ihre Teilnahme an regelmäßigen Umfragen: CircleSurvey. Als dann im Rahmen des SeeChange-Programms überall auf dem Campus Kameras installiert werden, kann Mae die Aufnahmen auf einem sechsten Screen sehen.

Während Mae hin und wieder mit Francis schläft, beginnt sie auch eine Affäre mit einem geheimnisvollen Kollegen, von dem sie nur den Vornamen Kalden kennt. Einmal nimmt er sie mit ins Untergeschoss und öffnet eine Reihe von Türen, indem er mit einem Finger über ein Pad wischt. In einer Art Höhle verfügt er über ein Bett. Dort verbringt Mae die Nacht mit ihm. Als sie Annie von dem Liebesabenteuer erzählt, ist die Direktorin beunruhigt, weil Mae so gut wie nichts über den Mann weiß. Es könnte sich um einen Spion handeln. Einige Zeit später verabredet Kalden sich mit Mae in einer Toilettenkabine, und sie haben dort leidenschaftlichen Geschlechtsverkehr.

Bei einem Besuch ihrer Eltern stellt Mae fest, dass ihr kranker Vater inzwischen einen Handgelenksmonitor trägt wie sie. Mercer hat den beiden einen seiner Kronleuchter geschenkt. Weil Mae weiß, dass Mercer seine Website nicht pflegt und die Kommentare seiner Kunden nicht beachtet, stellt sie ein Foto des Kronleuchters ins Netz. Wie erwartet, löst sie damit eine Flut von zumeist positiven Reaktionen aus. Doch statt sich über die PR-Aktion zu freuen, protestiert Mercer: Er will das nicht. Mae lässt sich nicht davon abhalten, ihm aus begeisterten Kommentaren vorzulesen, aber Mercer interessiert sich nicht dafür, und es kommt zum Streit. Er sieht The Circle kritisch und meint:

Einzeln wisst ihr nicht, was ihr kollektiv macht.

Auf dem Rückweg hält Mae bei Maiden’s Voyages. Der Kajak-Verleih ist an diesem Abend längst geschlossen, aber Mae zieht eines der Kajaks zum Wasser und paddelt aufs Meer hinaus. Als sie zurückkommt, warten zwei Polizisten auf sie. Sie wurde von privat aufgestellten SeeChange-Kameras gefilmt und muss sich nun wegen der Straftat rechtfertigen. Glücklicherweise bestätigt die Betreiberin von Maiden’s Voyages, dass Mae zu ihren Kundinnen gehört.

Der Vorfall führt dazu, dass Mae sich bei The Circle nicht nur bei ihrem Vorgesetzten melden muss, sondern auch zu Eamon Bailey bestellt wird. Mae, die sich wegen der strafbaren Verwendung des Kajaks schuldig fühlt, befürchtet ihre Entlassung, aber Eamon beruhigt sie. Er möchte sie nur näher kennenlernen. Im Verlauf der Unterredung sagt er:

„Geheimnisse führen zu antisozialem, unmoralischem und destruktivem Verhalten.“

[Mae:] „Sie wollen doch wohl nicht sagen, dass alle alles wissen sollten.“
[…] „Natürlich nicht. Aber ich behaupte, dass jeder das Recht haben sollte, alles zu wissen, und über die Mittel verfügen sollte, alles zu wissen. Die Zeit reicht nicht aus, um alles zu wissen, obwohl ich es mir zweifellos wünschen würde.“

„Wir alle haben das Recht, alles zu wissen, was wir wissen können. Das gesammelte Wissen der Welt ist kollektiver Besitz.“

Alles Private ist Diebstahl.

Spontan lässt Mae sich nach dem Vorbild der Senatorin Olivia Santos eine Kamera umhängen, die ihre Aufnahmen pausenlos ins Netz überträgt. Mae sieht sie auf einem zweiten Handgelenksmonitor. Auf dem kleinen Bildschirm verfolgt sie auch, wie die Zahl ihrer Viewer von Tag zu Tag steigt. Bald sind es Millionen. In der Toilette richtet sie die Life-Kamera auf die geschlossene Tür, schaltet aber den Ton ab. Nur nach 22 Uhr ist das Filmen optional. Übrigens übernachtet sie inzwischen nur noch im Wohnheim auf dem Circle-Campus und fährt gar nicht mehr nach Hause.

Mae wird darauf hingewiesen, dass 12 der 16 im Haus ihrer Eltern aus Sorge um ihren kranken Vater aufgestellten Kameras keine Bilder mehr ins Netz übertragen. Aufgeregt fährt sie hin und stellt fest, dass Mercer ihren Eltern half, die meisten der Kameras abzudecken. Statt sich über die Flut der Anteilnahme aus dem Netz zu freuen, klagt die Mutter darüber, dass sie deren Beantwortung als schwere Belastung empfinde. Wie können die Eltern nur so undankbar sein!?

Bald darauf verlassen sie ihr Haus und verraten nicht einmal ihrer Tochter, wohin sie geflüchtet sind, teilen ihr nur mit, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche.

Mit ihrer Kamera wird Mae zum nächsten regelmäßigen Treffen des Topmanagements von The Circle eingeladen. Es entgeht ihr nicht, dass Annie ihr den kometenhaften Aufstieg missgönnt. Das hält Mae nicht davon ab, sich zu Wort zu melden. Sie weist darauf hin, dass die Beteiligung selbst bei Präsidentschaftswahlen lediglich 58 Prozent beträgt und bei regionalen Wahlen noch deutlich geringer ist. Mae schlägt deshalb vor, jedes TruYou-Profil automatisch mit einer Registrierung im Wählerverzeichnis zu verknüpfen und jeden wahlberechtigten Bürger zur Eröffnung eines Circle-Accounts zu verpflichten. Wer dann seine Stimme nicht abgibt, erhält elektronische Aufforderungen, es endlich zu tun, und solange er zögert, wird sein Account für alle anderen Circle-Dienste gesperrt. Damit könnte man die Wahlbeteiligung hochtreiben, die Bekanntgabe des Wahlergebnisses beschleunigen und die enormen Kosten für die Einrichtung von Wahllokalen sparen. Außerdem ließen sich über das System laufend Meinungsumfragen und Bürgerentscheide durchführen. Eamon Bailey und Tom Stenton greifen Maes Vorschlag begeistert auf – Ty ist wie üblich per Video zugeschaltet –, und das Projekt erhält den Namen DemoVis (für Demokratie und Vision).

Nach dem Meeting erhält Mae einen Anruf von Kalden, wobei die Nummer auf dem Display unterdrückt ist und die Übertragung des Tons ins Netz verhindert wird. Er hält Maes Vorschlag für falsch. Damit würde sich der Kreis – The Circle – schließen, und das müsse verhindert werden:

„Wenn ein Benutzerkonto beim Circle Pflicht ist und wenn sämtliche behördlichen Leistungen durch den Circle fließen, hast du mitgeholfen, das erste tyrannische Monopol der Welt zu erschaffen.“

Aber Mae lässt sich nicht beirren. Sie sieht die Chance, die Demokratie zu perfektionieren.

Beim ersten, noch auf die Circle-Community begrenzten Test des neuen Umfrage-Tools wird auch über Mae abgestimmt. Von 97% der Befragten erhält sie ein Smile. Zunächst freut sie sich darüber, aber dann rechnet sie nach und stellt fest, dass sie 367 Frowns bekam. Wer von den Kollegen mag sie nicht? Sie könnte die Namen vom System auflisten lassen, unterlässt es dann aber verunsichert.

Bei den regelmäßigen Aspiranten-Sessions – unter vorgehaltener Hand abschätzig „Plankton-Meetings“ genannt – versuchen junge Leute, die „drei Weisen“ von ihren innovativen Ideen zu überzeugen. (Ty nimmt auch daran nur per Video teil.) Eine Studentin präsentiert ein Programm, das sie auf den Namen SeeYou getauft hat. Polizisten, die damit Passanten oder auch Teilnehmer einer Demonstration filmen, sehen sofort, wer von ihnen vorbestraft ist, denn die Personen werden rot markiert. SeeYou würde das diskriminierende Racial Profiling abschaffen, bei dem Menschen nur wegen ihrer Hautfarbe von der Polizei kontrolliert werden.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Annie meldet sich als erste Testperson für ein neues Programm namens PastPerfect. Es basiert auf einer Digitalisierung und zentralen Erfassung aller von älteren Generationen stammenden Fotos und Dokumente. Zu Annies Entsetzen stellt sich heraus, dass ihre Vorfahren brutale Sklavenhalter waren. Außerdem tauchen Nacktfotos ihrer Mutter auf, die ein Biker vor vielen Jahren von ihr knipste. Im Rahmen von PastPerfect wird all das ins Netz gestellt. Um Annie zu helfen, organisiert Mae für sie eine virtuelle Sympathiewelle. Annie bricht jedoch an ihrem Schreibtisch zusammen, fällt ins Wachkoma und muss ins Krankenhaus gebracht werden.

Beim öffentlichen Test eines neuen Personen-Suchsystems wird die 2002 wegen dreifachen Mordes verurteilte Britin Fiona Highbridge, die vor zehn Jahren mit Hilfe eines von ihr verführten Wärters aus dem Gefängnis entkam, innerhalb von 10 Minuten und 26 Sekunden aufgespürt. Sie arbeitet unter dem Namen Fatima Hilensky in einer Wäscherei bei Swansea. Eine Kollegin, die zu Maes Viewern gehört, filmt sie mit SeeChange, und als die Verbrecherin flieht, richten auch andere Leute ihre Kameras auf sie, bis die Polizei eintrifft und sie festnimmt.

Nach diesem Erfolg schlägt Mae einen zweiten Versuch vor und nennt den Namen ihres Ex-Freundes Mercer Medeiros, der vor einigen Monaten abtauchte, um nicht noch einmal von Mae in die Öffentlichkeit gezerrt zu werden. Rasch gibt es Hinweise auf eine abgelegene Hütte. Als er Menschen kommen sieht, steigt er ins Auto und flieht. Jemand kann ihm gerade noch eine SeeChange-Kamera an die Seitenscheibe kleben. Wer von Maes Viewern sich in der Nähe aufhält und über eine Drohne verfügt, lässt diese aufsteigen. Über den Lautsprecher einer parallel zum Auto fliegenden Drohne ruft Mae:

„Mercer. Ich bin’s, Mae! Kannst du mich hören?“
Schwaches Wiedererkennen huschte über sein Gesicht. Er blinzelte und blickte wieder zu der Drohne, fassungslos.
„Mercer. Halt an. ich bin’s bloß, Mae.“ Und dann sagte sie fast lachend: „Ich wollte bloß mal Hallo sagen.“
Das Publikum prustete los.

Von mehreren Drohnen verfolgt, reißt Mercer auf einer Brücke plötzlich das Steuer herum, durchbricht die Betonbrüstung und stürzt mit dem Wagen in die Tiefe.

Eamon versichert Mae später, sie trage keine Schuld an Mercers Tod. Sie und ihre Viewer wollten einem offenbar psychisch gestörten, unsozialen Menschen helfen. Mit einem der automatisch gelenkten Autos, die The Circle gerade entwickelt, wäre der Suizid übrigens gar nicht möglich gewesen.

Bei der Vorführung eines Hais, der in einem Aquarium die Verstecke aller anderen Lebewesen zerstört und alle auffrisst, taucht Ty erstmals persönlich auf. Mae kann es nicht fassen, als sie ihn aus der Nähe sieht und Kalden erkennt. Vor den anderen beiden Weisen tut er so, als sehe er sie zum ersten Mal, aber er drückt ihr unbemerkt einen Zettel in die Hand.

Entsprechend der Anweisungen auf dem Zettel findet Mae ihn später im Keller. Er hat dafür gesorgt, dass ihre Kamera 30 Minuten lang nichts aufnimmt. Es geht ihm darum, die Schließung des Circles zu verhindern. So habe er das alles gar nicht gewollt, beteuert er.

„Mae, eine ganze Menge von den Sachen, die ich erfunden habe, hab ich ehrlich aus Spaß gemacht, aus einer spielerischen Neugier heraus, ob sie funktionieren würden oder nicht, ob Leute sie benutzen würden. Ich meine, es war, als würde man auf dem Marktplatz eine Guillotine aufstellen. Du rechnest doch nicht damit, dass zig Leute Schlange stehen, um den Kopf reinzulegen.“

Ty hat ein Manifest geschrieben, in dem er das Recht auf Anonymität fordert und für eine Unterscheidung zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit eintritt. Er vertraut Mae und verlässt sich darauf, dass sie das Manifest ihren Viewern vorträgt. Sobald das geschehen ist, will er The Circle zerschlagen. Entsprechende Maßnahmen habe er bereits vorbereitet, sagt er.

Mae tut so, als lasse sie sich von ihm überzeugen. Aber sie meldet alles unverzüglich Eamon Bailey und Tom Stenton. The Circle bleibt erhalten. Ty darf weiter auf dem Campus leben, aber das Gelände nicht mehr verlassen.

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Aldous Huxley und George Orwell veranschaulichen in ihren Büchern „Schöne neue Welt“ (1932) und „1984“ (1949) totalitäre Überwachungsstaaten, Diktaturen, in denen die Menschen unterdrückt und ihrer Freiheit beraubt werden. Dave Eggers verfolgt einen anderen Ansatz: In seiner Dystopie „Der Circle“ erzwingt nicht ein Staat die totale Überwachung, sondern ein Unternehmen schafft dafür die technischen Möglichkeiten, und die Menschen nutzen sie freiwillig. Im Vergleich zu dem IT-Unternehmen The Circle wirken staatliche Einrichtungen altmodisch und schwerfällig, umständlich und ohnmächtig.

Der geniale Gründer von „The Circle“ erfindet spielerisch IT-Produkte, die von immer mehr Menschen begeistert angenommen werden, weil sie vieles leichter machen und besser als Konkurrenzangebote sind. Die Digitalisierung dringt in alle Lebensbereiche vor, auch in Behörden. Wer die Spitzenprodukte von The Circle im Internet nutzen möchte, braucht nichts zu bezahlen, muss aber einen Account bei TruYou einrichten, und zwar nicht mit einem Avatar, sondern unter seiner richtigen Identität. Dadurch verschwinden beispielsweise anonyme Beschimpfungen in Internetforen. Jede der Innovationen von The Circle ist geeignet, die Welt besser zu machen, und dieses Ziel wird von dem Unternehmen auch als seine Mission propagiert. Wenn beispielsweise überall Überwachungskameras versteckt sind, wird zumindest die Zahl der nicht im Affekt begangenen Verbrechen stark schrumpfen. Aber durch die zentrale Datenerfassung für alle Programme verfügt The Circle über eine gigantische Menge von Informationen. Der Totalitarismus geht nicht mit einer Einschränkung von Wissen einher wie in „Schöne neue Welt“ und „1984“, sondern mit einer Informationsflut (Big Data).

Weil The Circle nur die besten Hochschulabsolventen einstellt, gilt die Belegschaft als Elite. Die Mitarbeiter werden nicht geknechtet, sondern bringen sich begeistert ein und machen von den großzügigen Angeboten des Unternehmens Gebrauch. Dazu gehören auch die zahlreichen Veranstaltungen, die den Teamspirit und die Gemeinschaft stärken. Die hochmotivierten Mitarbeiter unterscheiden nicht zwischen Arbeit und Freizeit.

Auch die meisten anderen Menschen nutzen die Möglichkeit, sich in den von The Circle zur Verfügung gestellten Social Media zu vernetzen, überall und jederzeit kommunizieren zu können, „alles“ zu erfahren und zu kommentieren. Dabei lösen sich die Grenzen zwischen öffentlich und privat auf. Wer sich dieser pausenlosen Kommunikation entzieht, wird verdächtigt, er habe etwas zu verbergen. Außerdem wird er beschuldigt, der Community Informationen vorzuenthalten: „Alles Private ist Diebstahl.“ Nicht durch staatliche Repression, sondern durch Peer Pressure entsteht der Zwang zur Transparenz. Der Mensch ist jederzeit online und „gläsern“.

Die Geschichte, die Dave Eggers erzählt, spielt in naher Zukunft, und das Unternehmen The Circle ähnelt unverkennbar Google. Die 1987 in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführte Volkszählung stieß auf massiven Widerstand, doch inzwischen geben viele in den Social Media von sich aus sehr viel mehr von sich preis, als damals gefragt wurde. Kundenkarten, die jeden Einkauf speichern, werden gern genommen, wenn die beteiligten Unternehmen für die wertvollen Informationen am Ende ein paar Prozent der Kaufpreise rückvergüten. Kaum jemand verhindert, dass sein Bewegungsprofil aufgezeichnet wird: Technischer Fortschritt gegen persönliche Daten! In den Medien lösten Edward Snowdens Enthüllungen über die exzessiven Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten wie der NSA im Sommer 2013 einen Skandal aus. Dass Internet- und Telekommunikationsfirmen mit Geheimdiensten kooperieren, beunruhigt einen Teil der Bevölkerung, aber die meisten Facebook-Nutzer posten weiterhin höchst private Informationen, die das Unternehmen zumindest für wirtschaftliche Zwecke abgreift. Es ist schon ein wenig so, wie der Circle-Gründer Tyler („Ty“) Alexander Gospodinov in „Der Circle“ sagt:

„Ich meine, es war, als würde man auf dem Marktplatz eine Guillotine aufstellen. Du rechnest doch nicht damit, dass zig Leute Schlange stehen, um den Kopf reinzulegen.“

Dass Dave Eggers Gefahren der digitalen Revolution veranschaulicht, ist gewiss sinnvoll. Allerdings geht er dabei weder besonders subtil noch tiefschürfend vor. Seine Darstellung bleibt eher plakativ. Beim Schreiben des Buches konnte er noch nichts von Edward Snowdens Enthüllungen wissen, und in seiner Geschichte wirkt der Staat im Vergleich zum Unternehmen The Circle ohnehin machtlos. Aber durch den Verzicht auf diesen Aspekt fehlt ein bedeutendes Puzzle-Teil des Gesamtbildes. Das gilt auch für die kommerzielle Verwendung der Daten, die Dave Eggers in „Der Circle“ nur am Rand erwähnt, obwohl darauf die Geschäftsmodelle beispielsweise von Google und Facebook basieren. Auf die Zusammenhänge zwischen Internet und Wirtschaft geht er viel zu wenig ein. Zu einem komplexen Bild des Internets würde nicht nur die von der Realwirtschaft abgekoppelte Virtualisierung der Börsenspekulationen, sondern auch auch die politische Komponente gehören, etwa die Bedeutung des Internets im „Arabischen Frühling“ oder die Propaganda der Terrororganisation „Islamischer Staat“. In Deutschland gäbe es darüber hinaus noch eine Besonderheit: Aufstieg und Niedergang der Piraten-Partei.

Akzeptieren wir einfach einmal, dass Dave Eggers diese Bereiche ausklammerte, um seinen Roman „Der Circle“ nicht zu überfrachten. Dann bleiben allerdings noch ein paar fragwürdige Details wie zum Beispiel die Szene, in der Mae Holland begeistert feststellt, dass die Tinte, mit der Fingerabdrücke genommen werden, ihren Daumen nicht sichtbar verschmutzt. Dabei verwenden selbst Einwohnermeldeämter in hessischen Provinzstädten längst elektronische Geräte, die ganz ohne Tinte auskommen. Die von „gläsernen Menschen“ für Livestreams benutzten Kameras baumeln an Halsketten. Ja, der Bildausschnitt könnte theoretisch über den Handgelenksmonitor kontrolliert werden, und vielleicht gibt es auch einmal eine Software, die sogar heftiges Verwackeln korrigiert, aber warum baut Dave Eggers nicht auf einer Innovation wie Google Glass auf, die es bereits gibt? Zumal er mehrmals einen implantierten Netzhautscreen erwähnt.

Ist es denkbar, dass sich eine hochintelligente Stanford-Absolventin wie Annie Allerton so unkritisch für The Circle einsetzt und sich völlig unbedarft als Early Adopter für PastPerfect meldet?

Die Figuren sind allesamt weniger Charaktere mit Tiefgang als Klischees, und Dave Eggers lässt sie auch noch erläutern, was er bereits mit seiner Geschichte darstellt. Offenbar hält er seine Leserinnen und Leser nicht für besonders klug. Überdeutlich ist auch denn auch die Symbolik des Aquariums, in dem ein Hai zunächst die frei schwimmenden Thunfische zerfleischt, dann die Verstecke der anderen Lebewesen zerstört und sie alle frisst.

Ebenso plump ist die Szene, in der ein Mann gejagt wird, der sich den Verheißungen von The Circle verweigerte und in eine abgelegene Hütte floh.

Den Roman „Der Circle“ von Dave Eggers gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Torben Kessler (Bearbeitung: Regina Carstensen, Regie: Ingeborg Bellmann, ISBN 978-3-89903-898-9).

James Ponsoldt verfilmte den Roman „Der Circle“ von Dave Eggers.

The Circle – Originaltitel: The Circle – Regie: James Ponsoldt – Drehbuch: James Ponsoldt nach dem Roman „Der Circle“ von Dave Eggers – Kamera: Matthew Libatique – Schnitt: Lisa Lassek – Musik: Danny Elfman – Darsteller: Emma Watson, Tom Hanks, Karen Gillan, Poorna Jagannathan. John Boyega, Mamoudou Athie, Patton Oswalt, Ellen Wong, Ellar Coltrane, Fred Koehler, Nate Corddry, Elvy Yost, Eve Gordon, Jimmy Wong, Hunter Burke u.a. – 2017; 110 Minuten

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2014
Textauszüge: © Verlag Kiepenheuer & Witsch

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