Maxim Gorki : Nachtasyl

Nachtasyl
Uraufführung: Moskau 1902 Nachtasyl Deutschsprachige Erstaufführung: Berlin 1903 Übersetzung: August Scholz Reclam Verlag, Ditzingen 2018 ISBN 978-3-15-007671-2, 102 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

"Wohl steigt die Sonne auf und nieder. Doch dringt sie nicht zu mir herein", singen zwei Bewohner des "Nachtasyls". Luca tröstet die Sterbende, rät dem Dieb und dem Alkoholiker zu einem Neuanfang und verbreitet Hoffnung. Aber nach seinem Abschied bleibt nichts davon übrig.
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Kritik

"Nachtasyl" ist ein naturalistisches Ideendrama über gescheiterte Existenzen, mittellose Asoziale, die sich nach einem besseren Leben sehnen, aber zu schwach sind, um sich gegen die menschenunwürdigen Verhältnisse aufzulehnen.
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Der 54-jährige Michail Iwanowitsch Kostylew und seine knapp halb so alte Frau Wassilissa haben einem Dutzend gescheiterter Existenzen einen Schlafplatz im Keller vermietet.

Da sind der Schlosser Andrej Mitritsch Kleschtsch und seine im Sterben liegende, 30 Jahre alte Frau Anna, die er halb tot geprügelt hat.

Die junge Prostituierte Nastja träumt von der wahren Liebe, von der sie in einem Roman mit dem Titel „Verhängnisvolle Liebe“ gelesen hat. Als sie wegen ihrer erfundenen Liebesgeschichten von dem acht Jahre älteren „Baron“ verhöhnt wird, schreit sie: „Ihr … elenden Strolche! Könnt ihr überhaupt begreifen, was Liebe ist … wirkliche, echte Liebe? Und ich … ich habe sie gekostet, diese wirkliche Liebe!“

Der Mützenmacher Bubnow glaubt verstanden zu haben: „Was einer war, darauf pfeift die Welt. […] Mag sich einer von außen noch so bunt anmalen — es reibt sich alles wieder ab …“

Ein alkoholkranker Schauspieler klagt gegenüber dem vorübergehend auch in dem Keller hausenden 60-jährigen „Pilger“ Luka: „Meine Seele hab‘ ich vertrunken, Alter … ich bin ein verlorener Mensch … Und warum bin ich verloren? Weil der Glaube an mich selbst mir fehlt …“ Luka rät ihm, eine der neuen Trinkerheilanstalten aufzusuchen und nach seiner Heilung ein neues Leben anzufangen. Da schwärmt der heruntergekommene Schauspieler: „Ein neues Leben … ganz von vorn … ja, das wäre schön!“

Luka tröstet Anna und versichert ihr, der Tod werde sie von ihrem Leid erlösen.

Zu den übrigen Bewohnern sagt er: „Ich meine nur, wenn ein Mensch dem andern nichts Gutes tut — dann handelt er eben schlecht an ihm …“

Der 28-jährige Dieb Wasjka Pepel sagt von sich: „Mir ist mein Weg vorgezeichnet! Mein Vater hat sein Lebtag in den Gefängnissen gesessen, und das hat er mir vermacht … Wie ich noch ganz klein war, nannten mich die Leute schon Dieb und Spitzbubenjunge.“ Seiner Meinung nach können sich arme Leute weder Ehre noch Gewissen leisten. „Was brauchen sie Ehre und Gewissen? Die ersetzen ihnen die Stiefel nicht, wenn sie im Winter frieren … Ehre und Gewissen brauchen jene, die Macht und Gewalt haben …“ Der 12 Jahre ältere ehemalige Sträfling, Totschläger und Falschspieler Satin stimmt Pepel zu: „Jeder Mensch will, dass sein Nachbar ein Gewissen habe — ihm selbst aber ist’s unbequem …“

Pepel hatte eine Affäre mit der zänkischen Wassilissa, liebt aber jetzt deren jüngere und duldsamere Schwester Natascha. Wassilissa, die das längst durchschaut hat, überlegt: „Und vielleicht hab‘ ich dich gar nicht geliebt, Wasjka … vielleicht liebte ich in dir nur … meine eigne Hoffnung … meinen Traum … Verstehst du? Ich hatte gehofft, du würdest mich herausziehen …“ Sie ermuntert ihn, ihre Schwester zu heiraten und bietet ihm Geld an. Bedingung sei allerdings, dass er sie zuvor von ihrem Mann befreie. „Wie ’ne Wanze hat er sich an mir festgesogen … vier Jahre schon saugt er an mir! Einen solchen Mann zu haben! Und auch Natascha quält er, verhöhnt sie, nennt sie eine Bettlerin! Das reine Gift ist er — für uns alle …“ Pepel argwöhnt, dass sie ihn nach dem Mord der Polizei verraten würde, um nicht nur ihren Mann loszuwerden, sondern sich zugleich an ihm zu rächen. Und Luka warnt Pepel: „Hör, mein Junge, was ich dir sage: dieses Weib, das halte dir vom Leibe! Um keinen Preis lass sie dir nahe kommen. Ihren Mann wird sie sich schon selbst vom Halse schaffen … noch geschickter, als du es könntest, ja! Hör nicht auf das Satansweib!“

Pepel erklärt Natascha, er habe es mit Wassilissa versuchen wollen. „’s ist kein leichtes Leben, das ich führe — so freudlos, so gehetzt wie ein Wolf … Wie wenn ich im Moor versänke … wonach ich fasse, alles verfault … nichts gibt mir Halt … deine Schwester, dacht‘ ich … würde anders sein … Wäre sie nicht so geldgierig — ich hätte um sie … alles gewagt! Wenn sie nur zu mir gehalten hätte — ganz und gar zu mir … Na, ihr Herz steht eben nach anderem … ihr ist’s ums Geld zu tun … und um die Freiheit … und nach Freiheit begehrt sie nur, um liederlich sein zu können. Die kann mir nicht helfen …“

Als Anna auf ihrer Pritsche stirbt, schaudert Pepel vor ihrer Leiche zurück. Luka zeigt Verständnis für die Furcht vor den Toten: „Die Lebenden muss man lieben … die Lebenden …“

Um die Beerdigungskosten zahlen zu können, verkauft Kleschtsch sein Werkzeug. Nun weiß er nicht, von was er leben soll.

Pepel will mit dem Stehlen aufhören und ein redliches Leben anfangen, wie Luka ihm geraten hat: „Der Mensch muss sich selber achten …“ Satin hält nichts davon. Er wäre dafür, dass Tausende sich zusammentäten und die Arbeit verweigerten. Nur so würde sich etwas bewegen.

Natascha behauptet: „Alle haben es schlecht … soviel ich sehe …“ Aber da springt Kleschtsch auf und widerspricht: „Alle? Das ist nicht wahr! Nicht alle! Wenn’s alle schlecht hätten … dann müsste man’s so hinnehmen! Dann wäre kein Grund zu klagen … ja!“

Nachdem Natascha von ihrem Schwager und ihrer Schwester krankenhausreif geprügelt worden ist, schlägt Pepel Kostylew tot. Da beschuldigt Wassilissa ihn lauthals des Mordes, und als Pepel behauptet, sie habe ihn dazu angestiftet, ihren Mann umzubringen, leugnet sie.

Der heruntergekommene 40-jährige Schauspieler erhängt sich.

Am Schluss singen Schiefkopf und Bubnow: „Wohl steigt die Sonne auf und nieder. Doch dringt sie nicht zu mir herein.“

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In dem naturalistischen Ideendrama „Nachtasyl“ lässt Maxim Gorki ein Dutzend gescheiterter Existenzen auftreten, mittellose Asoziale, die sich nach einem besseren Leben sehnen, aber zu schwach sind, um sich gegen die menschenunwürdigen Verhältnisse aufzulehnen. Der „Pilger“ Luka, der vorübergehend mit den anderen im Keller haust, verbreitet Hoffnung, aber sobald er wieder gegangen ist, scheitern die Zurückgebliebenen mit ihren guten Vorsätzen.

Das Theaterstück „Nachtasyl“ wurde mehrmals verfilmt:

Nachtasyl – Originaltitel: Les Bas-fonds – Regie: Jean Renoir – Drehbuch: Jean Renoir, Charles Spaak, Yevgeni Zamyatin (E. Zamiatine) und Jacques Companéez, nach dem Drama „Nachtasyl“ von Maxim Gorki – Kamera: Jean Bachelet – Schnitt: Marguerite Renoir – Musik: Jean Wiener – Darsteller: Louis Jouvet, Jean Gabin, Suzy Prim, Junie Astor, Vladimir Sokoloff, Jany Holt, Robert Le Vigan, René Génin, Paul Temps, Robert Ozanne, Henri Saint-Isle, Alex Allin, André Gabriello, Léon Larive, Nathalie Alexeeff, René Stern, Maurice Baquet, Camille Bert u.a. – 1936; 90 Minuten

Nachtasyl – Originaltitel: Donzoko – Regie: Akira Kurosawa – Drehbuch: Hideo Oguni und Akira Kurosawa, nach dem Drama „Nachtasyl“ von Maxim Gorki – Kamera: Kazuo Yamasaki – Schnitt: Akira Kurosawa – Musik: Masaru Satô – Darsteller: Toshiro Mifune, Isuzu Yamada, Ganjiro Nakamura, Kyôko Kagawa, Minoru Chiaki, Kamatari Fujiwara, Akemi Negishi, Nijiko Kiyokawa, Koji Mitsui, Eijirô Tono, Haruo Tanaka, Eiko Miyoshi, Bokuzen Hidari, Atsushi Watanabe, Kichijiro Ueda, Yu Fujiki u.a. – 1957; 130 Minuten

Nachtasyl – Regie: Hardi Sturm – Drehbuch: Hardi Sturm, nach dem Drama „Nachtasyl“ von Maxim Gorki – Kamera: Andreas Köfer – Schnitt: – Achim Seidel – Darsteller: Hans-Peter Hallwachs, Esther Schweins, Wolfgang Maria Bauer, Peter Benedict, Ercan Durmaz, Jan Hartmann, Eva Herzig, Aleksandar Jovanovic, Uwe Karpa, Matthias Klimsa, Max Riemelt, Marie Rönnebeck, Clelia Sarto, Hardi Sturm u.a. – 2005; 90 Minuten

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2002
Textauszüge: © S. Fischer Verlag, Frankfurt (Main)

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In dem schön gebundenen Kinderbuch "Die Nacht im Watt" von Nelly Sloan (Text) und Ursula Winzentsen (Illustrationen) geht es um eine einfache, kleine Geschichte.
Die Nacht im Watt