Marie Hermanson : Der Mann unter der Treppe

Der Mann unter der Treppe
Originalausgabe: Mannen under trappan Albert Bonniers Förlag, 2005 Der Mann unter der Treppe Übersetzung: Regine Elsässer Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 2007 ISBN 978 3 518 45875 4, 269 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Abgesehen von seinen Schlafproblemen scheint es Fredrik gut zu gehen: Seit ein paar Monaten wohnt er mit seiner Frau Paula und den beiden kleinen Kindern in einem idyllischen alten Haus in Kungsvik. Während Paula als Künstlerin erfolgreich ist, hat Fredrik eine Stelle bei der Stadtverwaltung. Eines Nachts findet er heraus, dass ein seltsamer kleiner Mann bei ihnen im Haus lebt, und zwar unter der Treppe, aber seine Frau glaubt ihm nicht und beginnt, sich vor Fredrik zu fürchten ...
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Kritik

"Der Mann unter der Treppe" ist ein abgründiger Horrorroman, der die Leser nicht nur durch die albtraumhafte Atmosphäre fesselt, sondern sie zugleich mit witzigen Einfällen unterhält und von Marie Hermanson aus einer ganz besonderen Perspektive geschrieben wurde.
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Fredrik Wennéus und Paula Kreutz sind seit sieben Jahren verheiratet und haben zwei Kinder, den fünfjährigen Fabian und die kleine Olivia. Vor ein paar Monaten zog die Familie von Göteborg nach Kungsvik, wo Fredrik als Wirtschaftssekretär der Gemeindeverwaltung tätig ist und sie von der nach Kanada ausgewanderten Familie Jonfelt ein Haus kauften.

Und bald gewöhnten sie sich an die Geräusche unter der Treppe, so wie sie sich an das Gurgeln der Abflussrohre, das Knarren der Bodenbretter und das Rascheln der Rosenbüsche gewöhnten. (Seite 12)

Nachdem zwei Klempner die neue Waschmaschine im Bad angeschlossen haben, stellt Fredrik fest, dass ein etwa zehn Zentimeter großes Stück vom Marmor-Waschbecken abgeschlagen wurde. Einige Zeit später wundert er sich darüber, dass kaum noch etwas zu sehen ist: Jemand muss das Stück geschickt angeklebt haben.

Fredriks Vater, ein Schweißer, war während der Werftenkrise arbeitslos geworden und hatte sich zum Computertechniker umschulen lassen. Er begann zu trinken [Alkoholkrankheit], und im Rausch verriet er Fredrik, dass er nicht sein Vater war. Da konnte die Mutter dem Kind nicht länger den Namen des leiblichen Vaters verheimlichen: Er hieß Tommy. Doch erst sehr viel später fand Fredrik heraus, dass sein leiblicher Vater sich in einer psychiatrischen Anstalt erhängt hatte. Als er sechs Jahre alt war, ließen seine Eltern sich scheiden, und seine Mutter musste daraufhin ganztags arbeiten. Fünfzehn Jahre später kam der Stiefvater bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Fredriks Mutter zog in eine kleinere Wohnung um und arbeitete an der Kasse eines Supermarkts, bis sie mit siebenundfünfzig an Gebärmutterkrebs starb. Fredrik träumte einmal von einer Karriere als Börsenmakler, doch inzwischen hat er sich mit seiner Stelle bei der Stadtverwaltung von Kungsvik abgefunden.

Paula hatte mit achtzehn angefangen, Ballettunterricht an der Tanzakademie in Göteborg zu nehmen, aber nach einem Riss der Achillessehne musste sie ihre Pläne aufgeben und sie wechselte zur Kunsthochschule. Inzwischen gestaltet sie Bilder, bei denen es sich um eine Mischung aus Gemälden und Collagen handelt. In Kungsvik gibt ihr die Galeristin Bodil Molin die Möglichkeit, ihre Bilder auszustellen und veranstaltet mit ihr auch eine Vernissage.

Fredrik, der unter Schlafstörungen leidet, trifft eines Nachts in der Diele einen Fremden, nicht größer als ein Meter fünfzig. Er heiße Kwådd und wohne hier unter der Treppe, behauptet der Mann. Nachdem Fredrik die Polizei angerufen und gefragt hat, ob ein kleinwüchsiger verwirrter Mann vermisst werde, ist Kwådd verschwunden. Am nächsten Tag lässt Fredrik das Türschloss auswechseln und leuchtet mit der Taschenlampe in die Kammer unter der Treppe; sie ist voller Gerümpel. Das Haus ist zwar nicht unterkellert, aber am Ende der Rumpelkammer entdeckt Fredrik einen kleinen Schacht, der ins Erdreich führt. Von Björn Valtersson, dem Nachbarn, besorgt er sich eine Spanplatte und nagelt sie vor die Öffnung. Als er einige Zeit später nachsieht, liegt die Platte herausgerissen und zerbrochen am Boden.

Bei der nächsten Begegnung mit Kwådd verlegt Fredrik sich auf eine andere Taktik: Um es dem Mann zu verleiden, weiter unter der Treppe zu hausen, verlangt er eine unverschämt hohe Miete. Doch zu seiner Verblüffung bringt ihm Kwådd nach kurzer Zeit die verlangten 5000 Kronen in zehn Fünfhunderterscheinen. Daraufhin verdoppelt Fredrik die Miete für den Folgemonat – und nimmt weitere 10 000 Kronen entgegen. Ulf Sjöfeldt, der Justitiar der Stadtverwaltung von Kungsvik, meint, Fredrik hätte das Geld besser nicht angenommen, denn damit habe er Kwådd stillschweigend als Mieter akzeptiert.

Marlene, eine der Erzieherinnen von Fabian im Kindergarten, berichtet Fredrik, der Junge fantasiere etwas von einem Mann, der bei ihm und seinen Eltern unter der Treppe wohne. Als Fredrik ihr erklärt, den Mann unter der Treppe gebe es tatsächlich, macht sie sich Sorgen.

Um für vier Tage zur Documenta nach Kassel reisen zu können, vertraut Bodil Molin ihren Hund Leonardo Paula und Fredrik an. Nachts sperren sie das Tier in die Küche. Als Fredrik nachsieht, hat Leonardo nicht nur die Einrichtung verwüstet, sondern auch vierzig Bewerbungsunterlagen zerkaut, die Fredrik mit nach Hause genommen hatte, um sie zu bearbeiten. In der nächsten Nacht lässt Fredrik den Hund in die Rumpelkammer. Leonardo versucht, sich knurrend, schnaubend und vor Erregung zitternd in die Bodenöffnung hineinzuarbeiten, und es gelingt Fredrik nicht, ihn zurückzuholen. Am Morgen findet er den Hund in der Diele; er liegt mit durchschnittener Kehle am Boden. Fredrik erklärt Paula, das müsse Kwådd gewesen sein. Sie schaffen den Kadaver aus dem Haus, vergraben ihn und beschließen, Bodil und den Kindern zu sagen, Leonardo sei auf die Straße gerannt und überfahren worden.

Paula rät Fredrik, einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Er fühlt sich zwar erschöpft, nicht zuletzt wegen der Schlafstörungen und der vielen Arbeit im Büro, aber Hilfe benötigt er nicht. Als er dann doch einen Psychologen konsultiert, diagnostiziert dieser bei ihm ein Burn-out-Syndrom.

Während Paula bei einer Fotoausstellung in Malmö ist, kommt Fabian mit einem toten Eichhörnchen nach Hause und erzählt stolz, er habe es mit einer Steinschleuder erlegt. Fredrik reißt ihm das tote Tier entsetzt aus der Hand und wirft es im hohen Bogen fort. Fabian heult, weil er es begraben wollte.

Von Björn Valtersson erfährt Fredrik, dass vor längerer Zeit die Lehrerin Elsa Stening in seinem Haus wohnte. Als sie in ein Seniorenheim ging, verkaufte sie es den Jonfelts. Fredrik besucht die alte Dame im Heim und fragt sie vorsichtig, ob sie Probleme mit Mietern oder Eindringlingen gehabt habe. Da lächelt sie und sagt:

„Aha. Ihr habt also Karl getroffen, ich verstehe.“
„Karl?“
„Ja, den kleinen Mann unter der Treppe.“
Fredrik setzte sich kerzengerade im Sessel auf.
„Karl? Heißt er Karl?“
Elsa zuckte mit den Schultern.
„Ich habe ihn so genannt. Ich hatte einmal einen Schüler, der Karl hieß, ich mochte den Jungen sehr gern. Er war hilfsbereit und freundlich, aber sehr still und schüchtern, fast unsichtbar. Ungefähr wie der kleine Mann unter der Treppe. Ja, deshalb habe ich ihn Karl genannt. Ich glaube, in Wirklichkeit heißt er Gad.“ (Seite 175)

Elsa Stening schwärmt von dem Mann unter der Treppe, der tropfende Wasserhähne reparierte, verstopfte Abflüsse reinigte, Heizkörper entlüftete, die Hecke schnitt, Unkraut jätete und den Rasen mähte. Sie hofft, dass es der Familie ihres Besuchers nicht wie den Jonfelts geht. Die hatten sich mit Karl richtig überworfen. Nur die Tochter, die sich von den Eltern nicht verstanden fühlte, mochte Karl.

Einige Zeit später bemerkt Fredrik ein Stromkabel, das von einer Verteilerdose nach unten führt und im Fußboden verschwindet, obwohl es keinen Keller gibt. Hat Kwådd sich Strom gelegt, um in seiner Behausung heizen zu können?

Nach dem Ende von Paulas Ausstellung holt Fredrik die Bilder seiner Frau aus der Galerie. Zum Abschied umarmt er Bodil. Sie zieht ihn weder an sich noch wehrt sie ihn ab.

Er drückte sie auf den Boden. Mit harten brutalen Bewegungen, überhaupt nicht der sanfte Liebhaber, der er sonst war, riss er ihr das Kleid auf, zog ihren Slip aus und entblößte einen Haarbüschel, wildgewachsen und doppelt so groß wie bei anderen Frauen, kam es ihm vor, ein Büschel Seegras, das von einer abgelegenen Ecke des Meeresgrunds heraufgeschwommen war. Er pflügte sich in sie hinein, pumpte sie voll mit seiner rohen Kraft, unbarmherzig und mechanisch wie ein Tier. (Seite 197f)

Danach funktioniert auch das Sexualleben von Fredrik und Paula wieder. Aber es ist von kurzer Dauer, denn Fredrik beginnt seine Frau zu verdächtigen, es nachts mit Kwådd unter der Treppe zu treiben. Frustriert verwüstet er ihr Atelier. Paula schläft daraufhin mit Fredrik nicht mehr in einem Zimmer, sondern bei den Kindern.

In der Gemeindeverwaltung wird Fredrik auf die neue Stelle eines „Entwicklungsstrategen“ weggelobt, während ein externer Bewerber für seine bisherigen Aufgaben eingestellt wird. Beim Eignungstest erhielt Fredrik nur für seine Kreativität eine hohe Punktzahl. Sture Persson, der Chef des Wirtschaftsdezernats, fasst das Ergebnis zusammen:

Geringe Flexibilität. Unfähig zur Zusammenarbeit. Schlechte Konzentration. Geringe Entscheidungsfähigkeit. Niedriges Stressniveau. Aufbrausend. Sehr impulsgesteuert mit leichten Tendenzen zu Gewalt. (Seite 205)

Paula ist gerade beim Einkaufen in Göteborg, als Bodil in der Tür steht und Fredrik mitteilt, sie sei von ihm schwanger. Er nimmt an, sie werde sich einer Abtreibung unterziehen, aber davon will die Zweiundvierzigjährige nichts wissen, denn es ist ihre letzte Chance, ein Kind zu bekommen.

Kurz darauf kündigt Bodil Paula ihren Besuch an. Fredrik läuft auf der Straße, um sie rechtzeitig aufzuhalten. Er sieht ihren Wagen kommen, stellt sich ihr in den Weg und beschimpft sie: „Du verfluchte Hexe! Du willst mein Leben zerstören! Du willst mich vernichten!“ (Seite 222) Erst als er die Autotür aufreißt und sie am Arm packt, merkt er, dass es sich bei der schreienden Frau um eine Unbekannte handelt. Nachdem sie weitergefahren ist, entdeckt er Bodils Auto hinter einer Kurve. Der Motor läuft. Die Fahrertür ist halb offen. Ein paar Meter weiter liegt Bodil auf dem Rücken. Im Hals steckt eine Messerklinge. Sie ist tot. Kwådd tritt unter einer Tanne hervor. Kein Zweifel, der Kleinwüchsige hat Bodil ermordet! Vermutlich, weil das Kind, das sie erwartete, von Kwådd gezeugt worden war.

Am nächsten Tag, als Fredrik ins Büro kommt, warten dort zwei Beamte der Mordkommission auf ihn. Im Verhör äußert Fredrik den Verdacht, der Mann unter der Treppe habe die Galeristin umgebracht. Die Beamten teilen ihm mit, dass Björn Valtersson an dem Tag bestohlen wurde, an dem Fredrik eine Spanplatte von ihm holte. Die 15 000 Kronen hätten offen auf dem Tisch gelegen. Ob Fredrik sie fortgenommen habe? Für den ist die Sache klar: Er glaubt jetzt zu wissen, woher Kwådd die 15 000 Kronen für die Miete hatte. Aber die Polizisten gehen darauf nicht weiter ein.

Als Fredrik nach Hause kommt, ruft Paula entsetzt: „Mein Gott! Haben sie dich laufen lassen?“ (Seite 240)

Einige Tage später sucht Fredrik Paula, Fabian und Olivia. Er ist überzeugt, dass sie bei Kwådd sind und glaubt, sie lachen zu hören. In der Rumpelkammer unter der Treppe sind sie nicht; offenbar folgten sie Kwådd in dessen unterirdische Behausung. Fredrik versucht, sich in die Bodenöffnung zu zwängen, aber es gelingt ihm nicht.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Weil Björn Valtersson tagelang nichts von seinen Nachbarn gesehen hat, vermutet er, dass sie verreist sind. Allerdings stehen mehrere Fenster offen. Er klingelt. Niemand öffnet, aber die Haustüre ist nicht verschlossen, und Björn geht hinein. Die Tür zur Kammer unter der Treppe steht offen. Björn schaut nach und entdeckt einen unrasierten, übel riechenden Mann, der ganz hinten in der Rumpelkammer am Boden liegt. Vermutlich ein Obdachloser, der ins Haus eingedrungen ist. Als Björn ihn mit einer Taschenlampe anleuchtet, knurrt er und fletscht die Zähne wie ein Hund. Da alarmiert Björn die Polizei.

In einer Klinik kommt Fredrik wieder zu sich. Die Psychiaterin erzählt ihm, sein Nachbar habe ihn unter der Treppe gefunden. Seine Ehefrau sei bereits zuvor mit den Kindern zu ihren Eltern gezogen.

Paula besucht Fredrik in der Klinik und teilt ihm mit, dass sie ein Stipendium bekommen habe und mit den Kindern für ein Jahr nach New York ziehen werde.

Nach seiner Entlassung aus der psychiatrischen Klinik mietet Fredrik eine Einzimmerwohnung in der Nähe des Rathauses. Er beginnt auch wieder zu arbeiten und bei der Erstellung eines Katalogs der ortsansässigen Unternehmen mitzuhelfen, vorerst jedoch nur ein paar Stunden pro Tag. Von einem Versteck im Garten des jetzt leerstehenden Hauses beobachtet er, wie der Makler ein am Kauf interessiertes Paar herumführt.

Der Mordfall Bodil Molin wird nie aufgeklärt.

Paula ruft aus New York an und bittet Fredrik, in die Scheidung einzuwilligen.

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Anfangs glaubt man, die schwedische Schriftstellerin Marie Hermanson (*1956) wolle eine Art Märchen erzählen. Dann beginnt man zu spüren, dass es sich um Wahnvorstellungen handeln könnte, und geschickt eingestreute Hinweise verstärken diesen Eindruck. „Der Mann unter der Treppe“ ist jedoch keine psychologische Studie über das Trugbild einer Vorzeigefamilie, sondern ein abgründiger Horrorroman, der die Leser nicht nur durch die albtraumhafte Atmosphäre fesselt, sondern sie zugleich mit witzigen Einfällen unterhält. Faszinierend ist daran auch, dass Marie Hermanson zwar in der dritten Person Singular schreibt, jedoch nicht aus der Perspektive einer auktorialen Autorin, sondern aus der eines Geistesgestörten.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.