Christophe Honoré : Die Sanftheit

Die Sanftheit
Originaltitel: La Douceur Éditions de l'Olivier, Paris 1999 Die Sanftheit Übersetzung: Nathalie Mälzer-Semlinger Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2003 106 Seiten, ISBN 3-8031-3177-4
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Schon auf den ersten Seiten gewinnt man den Eindruck, dass in einem Ferienlager etwas Furchtbares geschehen ist: Die Worte kreisen um ein traumatisches Ereignis, bei dem offenbar pubertäre Liebe, unausgegorene Homosexualität und kindliche Grausamkeit eine Rolle spielen ...
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Kritik

"Die Sanftheit" ist ein multiperspektivisch erzählter Albtraum in zwei Dutzend kurzen Kapiteln. Christophe Honoré lässt seine Figuren sprechen, enthält sich jeden Kommentars und liefert auch keine psychologischen Erklärungen.
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In dem von einer jungen Frau namens Aude geleiteten Ferienlager an der Côte d’Azur muss etwas Furchtbares geschehen sein. Polizei ist da. Der elfjährige Steven und der etwas ältere Jérémy sind abgeführt worden.

[Aude:] Einen Seestern in ein Aquarium zu setzen ist nun wirklich eine Dummheit, die man sich sparen kann. Alles wird faulig. Ich hob den Kopf, der Polizist hörte offensichtlich interessiert zu. Ich sagte, da sei nichts mehr zu machen, das Wasser bliebe trüb, eigentlich müsse man das Becken leeren und jeden Stein waschen, alles kräftig abbürsten, Pflanzen und Fische. Mit klarem Wasser spülen. Der Polizist war überrascht, ihm war nicht bekannt, dass man die Dinge, die man in ein Aquarium setzen will, säubern muss, er hatte sogar das Gegenteil angenommen.

Acht Jahre später versucht Stevens älterer Bruder Baptiste Chabot – der mit Aude zusammenlebt, sie aber zwischendurch mit einer Studentin namens Cécile betrügt – immer noch zu verstehen, was damals geschah. Aude dagegen will den Albtraum endlich vergessen.

Steven erinnert sich an seine ersten vorpubertären Erfahrungen mit einem Jungen am Nudistenstrand in Venedig, wo Baptiste ihnen nachspioniert hatte. Als er elf Jahre alt war, gehörte er zu einer Gruppe von zwölf Jungen und sechs Mädchen, die vom Ferienzentrum in Lantic fünf Kilometer weit zu einem Zeltlager wanderten. Auch Jérémy war dabei, ein Junge, in den er sich verliebt hatte. Einmal gingen er und Antoine in den Wald, weil sie sich vor der neben dem Zeltlager ausgehobenen Latrine ekelten. Steven sah Antoines nackten Hintern. Nichts weiter. Um 2 Uhr nachts wurde er von Jérémy geweckt und vor ein Maisfeld geführt.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

[Steven:] Ich gehe auf die Knie und richte mich auf. Recke mich. Meine Augen nehmen etwas wahr, das sich im Gras befindet. Es ist zu dunkel. Wahrscheinlich liegt da ein weiterer Schlafsack. Aus dem Ding ragt ein langer, dicker Gegenstand zur Seite, eine Art Schlauch, an dessen Ende ich auf einmal eine Hand erkenne.
Wer ist das?
[…]
Antoine liegt auf dem Bauch, seine Knie sind angewinkelt, wie beim Beten. Er trägt dieselben Sachen wie am Vortag, eine Samthose und den Nike-Sweater von Corentin.
– Antoine? Antoine, schläfst du?
– [Jérémy:] Ich sage dir doch, er ist tot, ich habe ihn umgebracht. […] Ich habe ihm die Fresse zerschlagen.

Zuerst verstecken sie den Toten in einem Abfallcontainer auf dem Friedhof, aber dann überlegt Jérémy es sich anders, und sie schleifen die Leiche zu der Feuerstelle neben dem Zeltlager. Weil sie nicht den ganzen Körper auf einmal verbrennen können, fangen sie mit dem Kopf an. Nach einiger Zeit fordert Jérémy Steven auf, sich den verkohlten Kopf anzusehen.

Die Haut ist zusammengeschrumpelt. Es hängen nur noch ein paar Fetzen einer grauen, halb durchsichtigen Membran an Nase und Mund. Die Zunge tritt vor, sie wirkt riesig. Sie ist besetzt mit orangefarbenen Knötchen, die zerplatzen und kleine Krater hinterlassen, aus denen eine dicke, wächserne Flüssigkeit sickert.
[…]
Der Kopf brennt, und ich knie zwischen Antoines Beinen. Ich nehme seinen Schwanz in den Mund. Ich atme zuviel Rauch ein, ich ersticke, es brennt in meinem Hals. […] Plötzlich schießt mir ein warmer Strahl in die Augen. Ich hebe den Kopf. Jérémy hat Antoine einen Stock in den Bauch gerammt. […]

Steven beißt und schneidet den Penis des Toten ab und überreicht ihn Jérémy wie eine Trophäe.

Acht Jahre nach der traumatischen Nacht holt Baptiste seinen Bruder aus der Anstalt, in der er untergebracht war, und fährt mit ihm nach England. Dort macht er ihn auf den homosexuellen Mitarbeiter eines Copyshops aufmerksam und ermutigt ihn, Kontakt mit ihm aufzunehmen: „Du musst mal wieder bumsen, Steven!“

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Christophe Honoré erzählt diesen Albtraum in zwei Dutzend kurzen Kapiteln, wobei er das Wort den Figuren überlässt. Gefesselt hört man den lakonischen Dialogen und schlichten inneren Monologen von Aude, Baptiste und Steven, deren Mutter, Antoines Mutter und Cécile zu. Schon auf den ersten Seiten gewinnt man den Eindruck, dass etwas Furchtbares geschehen ist, die Worte kreisen um ein Trauma, das man als Leser(in) zu ergründen versucht; aber erst im letzten Drittel des Romans schildert Steven die monströse Tat.

„Die Sanftheit“ ist ein multiperspektivischer Roman, der zwischen gleichgeschlechtlicher Romanze, Horror und Thriller changiert, ein Roman über pubertäre Liebe, unausgegorene Homosexualität und kindliche Grausamkeit. Christophe Honoré lässt seine Figuren sprechen, enthält sich jeden Kommentars und liefert auch keine psychologischen Erklärungen. Durch die Art der Darstellung macht er es den Lesern schwer, mit einer der Figuren mitzufühlen, geschweige denn, sich mit dem Protagonisten zu identifizieren.

Christophe Honoré wurde 1970 in der Bretagne geboren. „Die Sanftheit“ ist sein vierter Roman und – abgesehen von zwei Kinder- und Jugendbüchern – der erste, der ins Deutsche übersetzt worden ist.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003
Textauszüge: © Verlag Klaus Wagenbach

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"Ein schönes Paar" ist ein stiller, subtiler Roman von Gert Loschütz. Weil er nicht als auktorialer Autor auftritt, sondern sich auf die subjektive Perspektive des Ich-Erzählers beschränkt, erfahren wir als Leser auch nicht mehr als dieser, und es bleiben Leerstellen. Die Darstellung folgt den assoziativ verknüpften Gedanken des Protagonisten.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.