Manila
Manila
Inhaltsangabe
Kritik
Der Abflug der Maschine von Manila nach Frankfurt am Main verzögert sich, angeblich, weil jemand eine Ratte im Flugzeug huschen sah, die nun gefangen und entfernt werden muss.
Bei den meisten der in der Halle des Ninoy Aquino International Airport Wartenden handelt es sich um Deutsche.
Das Lehrerehepaar Knut und Regine Görler (Peter Rühring, Margit Carstensen) kommt aus Apolda. Das liege etwa gleich weit von Weimar und Buchenwald entfernt, erklären die beiden, vielleicht ein wenig näher an Weimar. Fernreisen unternehmen Knut und Regine, um Spuren der Geschichte zu entdecken. Jetzt kommen sie gerade aus Australien, wo es allerdings eine historische Dimension nur bei den Aborigines gibt.
Walter (Michael Degen) hatte früher in Deutschland eine Mercedes-Vertretung. Als die Geschäfte einbrachen, rief sein Freund Klaus aus Manila an und überredete ihn, ebenfalls dorthin umzuziehen. Inzwischen betreibt Walter in Manila zusammen mit seiner philippinischen Ehefrau Maribel (Chin Chin Gutierrez) das von vielen Sextouristen frequentierte Bordell „Spritzenhaus“. Im Frachtraum des Flugzeugs befindet sich die Leiche seines Freundes. Gegen seinen Rat ließ Klaus nicht von einer AIDS-Kranken, infizierte sich und starb. Der Tote soll nun nach Hildesheim gebracht und dort beerdigt werden. Walter reist mit seiner Frau nach Deutschland, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Jochen Osterfeld (Sky du Mont) und Kerstin (Nina Heimlich) von General Air Manila versuchen die Passagiere bei Laune zu halten. Sie schenken Getränke aus und sorgen dafür, dass alle etwas zu essen bekommen. Als „Dessert“ lassen sie den Schauspieler Eddi Arent (Eddi Arent) auftreten, der in 29 Edgar-Wallace-Filmen mitgespielt hat und nun die Wartenden in der Flughafenhalle unterhält, indem er so tut, als kläre er einen Mordfall auf.
Der schwäbische Frührentner Franz (Martin Semmelrogge) sitzt bei der philippinischen Klofrau Mercy (Ces Quesada). In Deutschland habe er Maria-Rosa, seine Sommerfrau, erzählt er, und jedes Jahr im Dezember, „wann’s im Herz kribbelig wird“, fliege er zu seiner Winterfrau Lillibeth auf die Philippinen. „Des is meine doppelte Chance – wie bei der Lotto-Ziehung.“ Mercy versteht kaum ein Wort, hört aber höflich lächelnd zu und schaut sich die Fotos von Lillebeth an.
Als Knut vorbeikommt, drückt Franz ihm ein Fotoalbum mit dem Titel „Casa Vulva“ in die Hand und fordert ihn auf, sich die pornografischen Bilder anzuschauen.
Die amerikanische Journalistin Elizabeth (Elizabeth McGovern), deren jüdische Eltern 1937 vor den Nationalsozialisten geflohen und in die USA emigriert waren, schreibt seit Jahren über Deutsche im Ausland. Sie beobachtet die anderen Reisenden und macht sich Notizen.
Der Bundeswehrsoldat Rudi (Jürgen Vogel) erzählt ihr von seinem Einsatz in Somalia, und die beiden kommen sich näher.
Rudis 17 Jahre älterer Cousin Herbert (Manfred Zapatka) gehört ebenfalls zu den Wartenden. Er war seit 20 Jahren für Hochtief auf Montage im Ausland, hat inzwischen genug davon und will wieder in Deutschland leben. Er berichtet Elizabeth von einer öffentlichen Exekution, die er in Saudi-Arabien miterlebte. Als Moslem verkleidet, stand er in der Menge. Der Verurteilte wurde auf den Platz geführt und von einem sudanesischen Scharfrichter mit einem Schwert enthauptet. Um das Bild wieder aus dem Kopf zu bekommen, flog Herbert nach Addis Abeba und nahm sich eine Äthiopierin. „Das sind die schönsten Frauen der Welt“, sagt er zu Elizabeth. Dennoch habe er aufgrund des Erlebnisses in Saudi Arabien keinen hochgekriegt. Ungeniert zeigt er Elizabeth ein Blatt Papier, auf dem in roter Farbe und Großbuchstaben der Name seiner Ehefrau steht: Heike. Das sei etwas Besonderes, betont er, denn eine Prostituierte habe das mit ihrer „Muschi“ geschrieben. Seiner Frau werde er allerdings sagen, es sei ein Elefantenrüssel gewesen.
Die junge philippinische Prostituierte Cora (Ana Capri) träumt von einem besseren Leben in Stuttgart. Herbert will sich von ihr oral befriedigen lassen. Als er nicht zum Orgasmus kommt, stürzt er zu den Toiletten, schließt sich in einer Kabine ein und masturbiert verzweifelt – während Franz frustriert gegen die Tür hämmert und dann zusammenbricht.
Knut und Walter proben mit anderen Reisenden den Gefangenenchor aus der Oper „Nabucco“ von Giuseppe Verdi, singen aber statt des Originaltextes nur immer wieder „Polizeistunde kennen wir nicht“. Die Leute grölen, andere schmettern das 1935 von Joseph Neuhäuser komponierte Westerwaldlied und eine dritte Fraktion hält mit Rex Gildos Schlager „Fiesta Mexikana“ dagegen.
Jochen Osterfeld will etwas bekannt geben, aber bevor er dazu kommt, springt ein Passagier (Herbert Feuerstein) auf, der die ganze Zeit allein blieb und kein Wort sagte, stürzt sich auf den Angestellten der Fluggesellschaft und schlägt ihn nieder.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Zunächst sieht es so aus, als wollten Romuald Karmakar und Bodo Kirchhoff in „Manila“ den hässlichen deutschen Urlauber im Ausland vorführen, so ähnlich wie es Hanns Christian Müller und Gerhard Polt in „Man spricht deutch“ taten. Auch an Gerhard Polts Sketch „Mai Ling“ denkt man sofort. Aber „Manila“ ist weder Satire noch Kabarett, sondern groteskes Theater, wenn auch mit filmischen Mitteln. Wie auf einer Bühne zeigt Romuald Karmakar, was geschieht, wenn Deutsche im Ausland zusammengepfercht und festgehalten werden. Da kommt es zu barbarischen Ausbrüchen. Bei Knut verbinden sich Bierseligkeit und Bildungsbürgertum. Der Sex-Tourismus wird in „Manila“ als neue Form des Chauvinismus interpretiert, der 70 Jahre früher den Nationalsozialismus trug.
Vor allem die Klimax mit den grölenden Deutschen dauert entsetzlich lang. Das ist wohl so gewollt, lässt sich aber nur schwer ertragen.
„Manila“ ist das Gegenteil von cinema light, ein harter, manchmal auch unangenehmer Brocken für die Spaßgesellschaft des deutschen Kinos, der seinen Zuschauern anschließend noch für eine Weile im Magen liegen dürfte. (H. G. Pflaum, Süddeutsche Zeitung, 29. Juni 2000)
„Manila“ beginnt mit dem Ende eines phillipinischen Fernsehgottesdienstes. Während der Nachspann dieses kommerzialisierten Kults über den Bildschirm rollt, werden die Credits des Films „Manila“ eingeblendet. Das ist irritierend. Dann schwenkt die Kamera vom Bildschirm zu Knut und Regine Görler, die sich die Übertragung in der Wartehalle des Flughafens von Manila angeschaut haben.
Mit der Landung des Flugzeugs in Frankfurt am Main beendet Romuald Karmakar seinen Film: Die Passagiere gehen von Bord.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Romuald Karmakar: Der Totmacher
Romuald Karmakar: Das Himmler-Projekt
Romuald Karmakar: Die Nacht singt ihre Lieder