Sinclair Lewis : Babbitt
Inhaltsangabe
Kritik
Der sechsundvierzigjährige, aus einem Dorf in Catawba stammende George F. Babbitt lebt 1921 mit seiner Frau Myra, mit der er seit dreiundzwanzig Jahren verheiratet ist, und den drei Kindern in Zenith, einer Stadt in den USA mit drei- bis vierhunderttausend Einwohnern. Tochter Veronika ist zweiundzwanzig und hat gerade den Besuch der Universität von Bryn Mawr vorzeitig abgebrochen; der fünf Jahre jüngere Sohn Theodore („Ted“) Roosevelt, besucht das College, und die zehnjährige Katharina („Tinka“) geht zur Schule.
Die Familie wohnt in einer vor fünf Jahren im holländisch-kolonialen Stil erbauten Villa im vornehmen Stadtteil Blumenhöhe. Bei den Nachbarn handelt es sich um Samuel („Sam“) Doppelbrau, einen achtundvierzig Jahre alten Sekretär in einer Firma für Badezimmereinrichtungen, der mit seiner Frau zusammen das Leben eines Bohemiens führt; und auf der anderen Seite wohnt Dr. Howard Littlefield mit seiner Familie. Littlefield ist sechs Jahre jünger als Doppelbrau und arbeitet nicht nur als Kunsthistoriker am Blodget-College und Dozent für Volkswirtschaftslehre in Yale, sondern auch als Personalchef der Straßenbahngesellschaft von Zenith. Babbitt selbst hatte sein Jurastudium abgebrochen, um Immobilienmakler zu werden, und er betreibt inzwischen zusammen mit seinem Schwiegervater Henry T. Thompson eine Immobiliengesellschaft mit neun Angestellten.
Vor einem halben Jahr erfuhr Babbitt durch seine guten Kontakte beispielsweise im „Athletic Club“, dass der Kolonialwarenhändler Archibald Purdy neben seinem Laden eine Metzgerei eröffnen wollte. Da empfahl er dem Immobilienspekulanten Conrad Lyte, die dafür erforderliche Parzelle schleunigst zu erwerben, und nun muss Purdy einen kräftigen Aufschlag bezahlen, um seine Pläne verwirklichen zu können. Babbitt erhält von Lyte selbstverständlich eine ansehnliche Provision.
Babbitt war […] tugendhaft. Er befürwortete die Prohibition des Alkohols, obwohl er sie selbst nicht ausübte; er lobte – ohne sie zu befolgen – die Gesetze gegen das rasche Fahren der Automobile; er zahlte seine Schulden; er gab Beiträge für die Kirche, für das Rote Kreuz und für den Christlichen Verein Junger Männer; er befolgte die Regeln seines Klans und führte nur solche Unredlichkeiten aus, die durch Präzedenzfälle sanktioniert waren. (Seite 99)
Befreundet ist Babbitt seit der Universität mit Paul Riesling, der sein Geld in Zenith als Grossist und Kleinfabrikant von Dachpappe verdient. Babbitt kennt auch Pauls Gattin Zilla, eine geborene Colbeck, bereits seit fünfundzwanzig Jahren, und er weiß, dass sie ständig an ihrem Mann herumnörgelt. Um ihren Ehefrauen für einige Zeit zu entfliehen, fahren Babbitt und Paul Riesling nach Maine zum Angeln, aber als Kompromiss lassen sie die Familien nach einer Woche nachkommen.
Auf dem ganzen Heimweg war Babbitt überzeugt, dass er ein neuer Mensch war. Er hatte sich zu Klarheit und Gemütsruhe durchgerungen. Er wollte sich um geschäftliche Dinge keine Sorgen mehr machen. Er wollte sich mehr und neuere „Interessensphären“ suchen, Theater, Angelegenheiten des Gemeindewohls, Lektüre. Und plötzlich, gerade als er eine besonders schwere Zigarre zu Ende rauchte, wollte er das Rauchen überhaupt aufgeben. (Seite 201)
Die guten Vorsätze halten nicht lang; bald findet Babbitt sich in der alten Tretmühle von Familie und Geschäft wieder.
Als die Amtszeit des Bürgermeisters Otis Deeble endet, bewirbt sich der Rechtsanwalt Seneca Doane um die Nachfolge, und zwar als Kandidat der Arbeiterpartei. Um die Wahl eines Sozialisten zu verhindern, stellen die einflussreichen Politiker und Geschäftsleute den Matratzenfabrikanten Lucas Prout als Gegenkandidaten auf und sorgen dafür, dass er gewählt wird.
Zur Verwunderung der Babbitts nehmen der Bauunternehmer Charles L. McKelvey und dessen Ehefrau Lucile eine Einladung zu einer Abendgesellschaft an, aber danach warten sie vergeblich auf eine Gegeneinladung. Umgekehrt lassen sie sich von den Overbrooks zum Essen einladen und ziehen es dann vor, die Leute zu vergessen.
Als Babbitt eine Insiderinformation darüber bekommt, dass die Straßenbahngesellschaft von Zenith in der Vorstadt Dorchester Reparaturwerkstätten errichten will, erwirbt er rechtzeitig Optionen auf die Grundstücke und sichert sich damit ein gutes Geschäft.
Kurz darauf beschwert sich der Kunde William Varney bei Babbitt über dessen Mitarbeiter Stanley Graff, der einem anderen Interessenten den Vorzug gab, obwohl Varney den Mietvertrag bereits unterschrieben hatte. Weil Babbitt mit solchen Geschäftsmethoden nichts zu tun haben will, wirft er Graff hinaus und ersetzt ihn durch Fritz Weilinger, einen jungen Immobilienmakler, den er von der Konkurrenz abwirbt.
Im Auftrag des Politikers und Geschäftsmannes Jake Offut reist Babbitt nach Chicago, um bei der Versteigerung einer aufgelassenen Rennbahn mitzubieten. Da entdeckt er im Hotelrestaurant Paul Riesling mit einer fremden, zwei- oder dreiundvierzigjährigen Frau, die Paul ihm als May Arnold vorstellt und die offenbar dessen Geliebte ist.
Einige Zeit später schießt Paul Riesling mit seinem alten Armeerevolver auf Zilla. Sie überlebt den Angriff. Die Kugel hat ihre Schulter zerschmettert. Babbitt besucht seinen Freund im Gefängnis und bietet dessen Verteidiger P. J. Maxwell an, Zilla mit einer Falschaussage zu belasten, aber davon will Paul nichts wissen: Auch wenn es ihm vor Gericht helfen könnte, soll niemand etwas Schlechtes über Zilla behaupten.
Während Myra einige Zeit mit Tinka bei Verwandten ist, beschließt Babbitt, endlich einmal aus dem Trott auszubrechen und zu tun, was ihm gefällt. Als es im Büro hektisch wird, geht er einfach ins Kino. Er umwirbt Louetta, die junge, lebensfrohe Ehefrau des Automobilagenten Eddie Swanson, hat damit aber keinen Erfolg. Dann führt Babbitt seine neunzehn- oder zwanzigjährige Maniküre Ida Putiak in Biddlemeiers Gasthof am Stadtrand zum Essen aus, aber der Abend beginnt und endet als Fiasko.
Als Myra wieder da ist, lügt Babbitt, er habe geschäftlich in New York zu tun und nimmt den Zug nach Maine, wo er mit dem ortskundigen Führer Joe Paradise ausgedehnte Wanderungen unternimmt. Aber er sieht ein, dass er seinem Leben nicht entfliehen kann und kehrt vorzeitig nach Zenith zurück.
Ein Streik in Zenith wird von der Nationalgarde niedergeschlagen. Myra wundert sich über ihren Mann, der stets für ein rücksichtsloses Durchgreifen gegen Streikende eingetreten ist, nun jedoch plötzlich Verständnis für die Menschen aufbringt, die so wenig verdienen, dass sie kaum davon leben können. Sie ahnt nicht, dass er auf der Rückfahrt von Maine zufällig den sozialistischen Anwalt Seneca Doane traf und sich eingehend mit ihm unterhielt.
Eines Tages ruft Tanis, die Witwe des Papiergrossisten Daniel Judique, Babbitt an. In dem Haus, in dem er ihr ein Apartment vermittelte, leckt das Dach. Er fährt hin, sieht sich die schadhafte Stelle an, verspricht Abhilfe und lässt sich von Tanis Judique zum Tee einladen. Gegen Abend ruft er seine Frau an und behauptet, noch länger mit einem Kunden beschäftigt zu sein, besorgt Essen in einem Delikatessengeschäft und verbringt die ganze Nacht mit Tanis im trauten Gespräch. Das ist der Beginn einer Affäre, und als Myra für einige Zeit zu ihrer kranken Schwester fährt, wird Babbitt auch in den wilden Freundeskreis von Tanis aufgenommen. Zumeist kommt er erst am Morgen betrunken nach Hause.
Als Myra zurückkehrt, kauft er Rosen und holt sie vom Zug ab. Sie hat ihm ein Zigarettenetui mitgebracht. Babbitt heuchelt Freude – und überlegt, wie er das Zigarettenetui verschwinden lassen kann, das er sich vor einer Woche kaufte.
Nachdem Tanis einige Tage lang nichts von ihm hörte, ruft sie im Büro an und lässt ihm ausrichten, sie müsse ihn wegen einer Reparatur in ihrer Wohnung sprechen. Babbitt fährt hin, überwirft sich jedoch mit ihr, und sie beenden die Affäre.
Drei Vertreter des Establishments von Zenith – der Bauunternehmer Charles McKelvey, der Chirurg Dr. Dilling und Oberst Rutherford Snow, der Besitzer der Zeitung „Advocate-Times“ – drängen Babbitt, der neu gegründeten „Liga der braven Bürger“ beizutreten, bei der es sich um eine reaktionäre Vereinigung handelt, der alle maßgeblichen Geschäftsleute und Politiker in Zenith angehören. Babbitt, der sich neuerdings für liberal hält, will sich nicht unter Druck setzen lassen und verweigert die Unterschrift unter den Aufnahmeantrag. Daraufhin wird er von den meisten Bekannten nicht mehr gegrüßt, und die Straßenbahngesellschaft wechselt als Kunde von der „Babbitt-Thompson Immobilien Bureau Gesellschaft“ zu „Sanders, Torrey & Wing“. Teresa McGoun, Babbitts Sekretärin, kündigt und fängt bei der Konkurrenz an.
Myra wird mit einer Blinddarmentzündung ins Krankenhaus gebracht und muss gut zwei Wochen lang im Bett bleiben. Babbitt besucht sie jeden Tag. Daraufhin reden die anderen Klubmitglieder wieder mit ihm. Die Straßenbahngesellschaft, die mit „Sanders, Torrey & Wing“ unzufrieden ist, kehrt zu Babbitts Immobilienfirma zurück. Nach seiner Aufnahme in die „Liga der braven Bürger“ entwickelt Babbitt sich zum schärfsten Gegner von Seneca Doane. Liberale oder gar sozialistische Ideen hält er nun wieder wie früher für brandgefährlich.
Veronika wird die Frau von Kenneth Escott, einem jungen Reporter der „Advocate-Times“. Eines Nachts kommen Ted Babbitt und Eunice Littlefield, die siebzehnjährige Nachbarstochter, nicht nach Hause. Die Eltern machen sich sorgen, bis Myra die beiden in Teds Bett findet, und der Junge stolz verkündet, dass sie heimlich geheiratet haben. Außerdem beabsichtigt Ted, das von seinem Vater empfohlene Studium der Kunstgeschichte abzubrechen und auf der Technischen Hochschule Maschinenbau zu studieren.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)In seinem satirischen Roman „Babbitt“ geißelt Sinclair Lewis die Intoleranz und Engstirnigkeit des amerikanischen Bürgertums in der Provinz, die Heuchelei, selbstgefällige Bigotterie und das alles beherrschende Gewinnstreben dieser Spießer. Am Beispiel des Immobilienmaklers Babbitt in der (fiktiven) Stadt Zenith zeigt er den Einzelnen als Gefangenen des Milieus.
In den ersten sieben von insgesamt vierunddreißig Kapiteln schildert Sinclair Lewis einen einzigen Tag im Leben Babbits vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Im siebten Kapitel wälzt Babbitt sich in seinem Bett, während Horace Updike mit Lucile McKelvey flirtet, ein Kokainschmuggler mit einer Prostituierten in Healy Hansons Gaststätte Cocktails trinkt, zwei Männer in einem Laboratorium seit siebenunddreißig Stunden ununterbrochen an der Herstellung von synthetischem Gummi arbeiten, vier Gewerkschaftsbeamte beratschlagen, ob sie einen Streik der Kumpels im Kohlebergbau ausrufen sollen, ein Veteran der Großen Republikanischen Armee im Sterben liegt, Rechtsanwalt Seneca Doane mit dem Histologen Dr. Kurt Yavitch diskutiert und ein junger Arbeitsloser sich und seine Frau umbringt, indem er das Gas aufdreht.
Die nächsten Kapitel bestehen aus Episoden im Leben Babbits, und nach einer dramatischen Wendung im einundzwanzigsten Kapitel spitzt sich die Handlung zu.
Sinclair Lewis wurde 1930 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Der Manesse Verlag brachte 2017 eine Neuübersetzung des Romans „Babbitt“ von Bernhard Robben mit einem Nachwort von Michael Köhlmeier heraus.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Textauszüge: © Guido W. Regendanz, Don Mills, Ontario / Kanada. Seitenangaben beziehen sich auf
Band 30 der vom Coron-Verlag, Zürich, herausgebenen Buchreihe über den Nobelpreis für Literatur.