Nicolai Lilin : Sibirische Erziehung

Sibirische Erziehung
Originalausgabe: Educazione siberiana Giulio Einaudi editore, Turin 2009 Sibirische Erziehung Übersetzung: Peter Klöss Suhrkamp Verlag, Berlin 2010 ISBN: 978-3-518-46162-4, 453 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In dem Erlebnisbericht "Sibirische Erziehung" geht es um ein Verbrecherviertel in Transnistrien. Dort wird Nicolai als Nachfahre deportierter sibirischer Urki geboren. Während er in der kriminellen Gemeinschaft aufwächst, verinnerlicht er deren ungeschriebene Gesetze. Mit sechs bekommt er sein erstes Springmesser, und mit zwölf steht er zum ersten Mal vor Gericht ...
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Kritik

Lesenswert ist "Sibirische Erziehung" nicht wegen literarischer Qualitäten, sondern weil es sich um den Erlebnisbericht eines Insiders handelt, der in einer Gesellschaft aufwuchs, von der wir zumindest in Deutschland noch kaum etwas gehört haben.
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Nicolai Kolima wird 1980 in Bender geboren, zwanzig Kilometer westlich von Tiraspol, der Hauptstadt von Transnistrien. Weil es sich um eine Frühgeburt handelt, legen ihn die Ärzte zunächst in einen Brutkasten.

[…] machte ich von Geburt an meinen Eltern (besser gesagt meiner Mutter, denn meinem Vater war eigentlich alles egal, er lebte sein Verbrecherleben, raubte Banken aus und verbrachte viel Zeit im Knast) eine Menge Kummer und vermieste ihnen das Dasein. Ich weiß gar nicht mehr, was ich als Kind alles angestellt habe. Aber das ist eigentlich nur logisch, schließlich bin ich in einem verruchten Viertel geboren, dort, wo sich in den Dreißigerjahren die Kriminellen angesiedelt hatten, die aus Sibirien verbannt worden waren. Dort, in der Stadt Bender, unter den Kriminellen, war meine Welt, und unser hochgradig kriminelles Viertel war wie eine Großfamilie. (Seite 13)

Wie das von sibirischen Urki bewohnte Verbrecherviertel in der Unterstadt von Bender entstanden war, erfährt Nicolai von einem der Großväter. (So werden hier auch nicht verwandte Autoritätspersonen genannt.) Großvater Kusja gehört zu den ältesten Bewohnern. Als der Vollwaise zehn Jahre alt war und die Männer seines sibirischen Heimatdorfes in der Taiga jagten, überfielen Soldaten die Frauen, Greise, Kranken und Kinder. Bevor sie das Dorf niederbrannten, trieben sie die Menschen ins Freie. Wer für einen längeren Marsch zu schwach erschien, wurde an Ort und Stelle mit dem Bajonett niedergestochen. Die ganze Nacht hindurch mussten die Überlebenden marschieren und dann in Viehwaggons eines Zuges klettern, in denen sich bereits Menschen aus anderen sibirischen Dörfern befanden. Sie wurden alle nach Bessarabien deportiert. Einige von ihnen siedelten sich in der Unterstadt von Bender an und begannen dort, eine verschworene Gemeinschaft zu bilden. Alles Amerikanische ist hier verboten, Jeans und Musik ebenso wie importierte Hausgehaltsgeräte. Die Kriminellen in Bender halten sich nicht an staatliche Vorschriften, sondern an eigene, ungeschriebene Gesetze.

Kommt zum Beispiel ein Mann nach Hause, geht er als erstes zum „roten Winkel“, in dem die Ikonen der Familie und Fotos der verstorbenen Verwandten stehen. Dort legt er seine Pistole unter ein Kruzifix, das nur er selbst wieder wegnehmen darf.

Kurz nachdem Nicolais Vater Jurij von einem längeren Aufenthalt in Zentralrussland zurückkehrte, wo er mehrere Werttransporte ausgeraubt hatte, stürmen Polizisten herein. Der Hausherr, Jurijs Vater Boris, zeigt sich unbeeindruckt. Weil es seine Verbrecherehre nicht zulässt, mit Polizisten zu verhandeln, fungiert seine Ehefrau Swetlana gewissermaßen als Botin. Nach einer Weile tauchen bewaffnete Freunde der Familie auf. Sie nehmen die Polizisten, die draußen die Fahrzeuge bewachen, als Geiseln und zwingen auf diese Weise deren Kollegen, das Haus wieder zu verlassen. Die abrückende Einheit wird bis zur Grenze des Viertels von den Verbrechern eskortiert, die hier das Sagen haben.

Kinder werden von klein auf zum Schlachten mitgenommen. Sobald sie sechs oder sieben Jahre alt sind, stechen sie zum ersten Mal selbst ein Tier ab.

In diesem Erziehungsprozess ist kein Platz für falsche Regungen wie Sadismus oder Gemeinheit. (Seite 27f)

Früh „nehmen die Kinder jene Werte auf, auf denen das Leben der sibirischen Kriminellen beruht: Respekt, Mut, Freundschaft, Hingabe“ (Seite 27).

Als Nicolai sechs Jahre alt ist, schenkt ihm ein gerade aus dem Gefängnis entlassener Verbrecher die erste Pika, ein Springmesser, dem Zauberkräfte zugeschrieben werden:

Wenn jemand krank ist und starke Schmerzen hat, legt man ihm eine geöffnete Pika unter die Matratze, mit ausgefahrener Klinge, damit diese in den Schmerz schneidet und ihn wie ein Schwamm aufsaugt. und wenn später ein Feind von dieser Klinge getroffen wird, strömt der aufgenommene Schmerz in die Wunde und verursacht ihm noch größere Schmerzen. (Seite 38)

Seit Mitte der Fünfzigerjahre ist es in der UdSSR verboten, Geisteskranke zu Hause zu betreuen. Sie müssen in Spezialkliniken eingewiesen werden. Eltern, die ihre Kinder bei sich behalten möchten, ziehen an Orte wie Transnistrien, in denen die staatlichen Vorschriften nicht durchgesetzt werden können. Nicolai wächst deshalb mit geistesgestörten Kindern auf, zum Beispiel mit Boris. Der Junge wurde in Sibirien geboren. Sein Vater hatte einen Werttransport überfallen und Diamanten geraubt. Um den Kriminellen zu zwingen, ihnen das Versteck der Beute zu verraten, schlugen Polizisten dem sechsjährigen Jungen mit einem Gewehrkolben auf den Kopf. Der Vater redete trotzdem nicht und wurde erschossen, und die Witwe zog mit ihrem seit dem Schlag geistig behinderten Sohn nach Bender.

Mit zwölf steht Nicolai zum ersten Mal vor Gericht. Die Anklage lautet auf Nötigung, Mordversuch, schwere Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Der Richter hat allerdings ein Nachsehen mit ihm und verurteilt ihn nicht zu einer Haftstrafe. Er darf nur für einige Zeit das Elternhaus zwischen 20 Uhr und 8 Uhr nicht verlassen und muss sich einmal pro Woche im Jugendamt melden.

Mit vierzehn, fünfzehn Jahren haben sibirische Heranwachsende oft schon Vorstrafen und damit Bekanntschaft mit dem Jugendgefängnis gemacht: eine sehr wichtige, ja grundlegende Erfahrung für die Formung des Charakters und der individuellen Weltsicht. Viele Sibirer haben in diesem Alter sogar schon einen Mord oder zumindest einen Mordversuch auf dem Buckel. Und alle sind in der Lage, innerhalb der Verbrechergemeinschaft zu kommunizieren, die Grundlagen und Prinzipien des sibirischen Verbrechergesetzes zu befolgen, weiterzugeben und zu bewahren. (Seite 28)

Wir Jungen aus der Unterstadt lebten nach dem Gesetz der sibirischen Kriminellen, unser orthodoxer Glaube war gefestigt, wenn auch mit einem starken heidnischen Einschlag, und wegen unseres Verhaltens hießen wir beim Rest der Stadt nur die „Sibirische Erziehung“. Wir fluchten nicht, beleidigten nie den Namen Gottes oder der Madonna, wir redeten nicht respektlos über Alte, Schwangere, kleine Kinder, Waisen oder Behinderte. Wir waren weitgehend integriert, und anders als unsere Altersgenossen aus den anderen Vierteln brauchten wir keine Schimpfwörter, um uns erwachsen zu fühlen, weil wir behandelt wurden, als ob wir tatsächlich schon zur Verbrechergemeinschaft gehörten, wir waren eine richtige Bande aus Halbwüchsigen, mit einer Hierarchie nach Verbrechervorbild und mit Verantwortlichkeiten, die die erwachsenen Kriminellen uns zugeteilt hatten. (Seite 139)

Nach der Auflösung der UdSSR bleibt Transnistrien außerhalb der Russischen Föderation. Im Bündnis mit Rumänien versucht die moldawische Armee 1992, Transnistrien zu erobern. Die meisten Bewohner fliehen aus Bender, aber die Kriminellen verteidigen ihr Viertel und verjagen die Angreifer nach dreizehn Monaten Krieg.

Weil Nicolai gut zeichnen kann, geben Männer bei ihm Vorlagen für Tätowierungen in Auftrag. Im Alter von zwölf Jahren beginnt Nicolai bei einem erfahrenen Tätowierer namens Lescha eine Lehre.

In der Tradition der sibirischen Urki ist das Tätowieren ein Prozess, der so lange dauert wie das Leben eines Kriminellen. Im Alter von zwölf Jahren werden die ersten Bilder eintätowiert, und mit den Erfahrungen und Lebensphasen des Betreffenden kommen weitere Tätowierungen hinzu und ergeben ein kodifiziertes, mit den Jahren immer vollständigeres Bild. (Seite 100)

Am Morgen seines dreizehnten Geburtstags wird Nicolai von seinem Freund Mel abgeholt, der einem Kriminellen im Eisenbahnviertel eine Botschaft überbringen soll. Widerwillig geht Nicolai mit. In einer Gaststätte treffen sie auf Kostitsch, eine der Autoritäten.

Respekt verschaffte Kostitsch sich, als er ein junges Fixerpaar totprügelte, das ein vier Monate altes Kind verhungern hatte lassen. Während das Paar in einer Kneipe war, fanden Nachbarn das tote Kind. Hätte nicht der Wart des Viertels die Eltern in seinem Haus eingesperrt, wären sie vom Mob gelyncht worden. Der Wart handelte allerdings nicht uneigennützig, sondern beabsichtigte, den Vater des Fixers zu erpressen, den Direktor einer Autofabrik in Russland. Die Bewohner murrten zwar, wagten es jedoch nicht, etwas gegen das unlautere Vorhaben des Warts zu unternehmen. Nur Kostitsch blieb nicht untätig. Er drang in das Haus des Warts ein und durchkreuzte dessen Pläne, indem er das Fixerpaar erschlug und die Leichen aus dem Fenster warf. Daraufhin zwangen die Großväter des Viertels den Wart zum Selbstmord. Eine Woche später erschien der Fabrikdirektor mit einem Trupp bewaffneter Polizisten und Soldaten, um Kostitsch zur Rechenschaft zu ziehen. Sie wurden alle niedergemacht.

Wie in jedem Revier, halten auch im Eisenbahnviertel Kinder Wache. Ihre Aufgabe ist es, die Menschen auf den Straßen zu beobachten und Verdächigte zu melden. Bart, der Anführer der Klebstoff schnüffelnden Bande, versucht Mel und Nicolai in einen Hinterhalt zu locken, aber die beiden lassen sich nicht täuschen und sperren ihn kurzerhand in der Schule ein. Dann überbringen sie die Botschaft. Der „Finger“ genannte Empfänger saß seit seinem sechzehnten Lebensjahr im Gefängnis, weil ein Polizist bei einer Schlägerei mit ihm einem Herzinfarkt erlegen war. Nach zwanzig Jahren Haft kam er kürzlich frei.

Auf dem Rückweg werden Mel und Nicolai von Beauftragten eines Mannes namens Geier angegriffen. Weil Nicolai davon ausgeht, dass die Gegner ihre Jacken mit Zeitungspapier ausgestopft haben, zielt er mit seiner Pika auf die Oberschenkel und schneidet mehreren Jungen die Kniesehnen durch. Zu Hause zieht er sich im Bad eine abgebrochene, beinahe zehn Zentimeter tief eingedrungene Klinge aus dem rechten Bein.

Eine Woche später bittet ihn sein Onkel Balken zu einem Gespräch mit Seil, einem Repräsentanten des Eisenbahnviertels. Nicolai versichert, keine Rache für den Überfall nehmen zu wollen. Seil verbürgt sich im Gegenzug dafür, dass die Angreifer bestraft werden und Nicolai in Zukunft im Eisenbahnviertel unbehelligt bleibt. Einen Monat später erfährt Nicolai, dass der Drahtzieher Geier das Eisenbahnviertel verlassen musste. Zuvor hatte man ihm noch das Gesicht mit einem Messerschnitt vom Mund bis zum Ohr „gezeichnet“.

Bei einem Besuch im Stadtzentrum werden Mel und Nicolai von drei anderen Jungen attackiert. Selbstverständlich wehren sie sich. Plötzlich tauchen Polizisten mit Kalaschnikows auf, nehmen sie fest und bringen sie nach Tiraspol. Diesmal wird Nicolai zu einem einjährigen Aufenthalt in einer Besserungsanstalt verurteilt, mit der Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung nach fünf Monaten bei guter Führung.

In der Besserungsanstalt herrschen unbeschreibliche Zustände. Einhundertfünfzig Jungen sind in einer Zelle mit einer einzigen Toilette zusammengepfercht. Da es nicht genügend Betten gibt, müssen sie in Schichten schlafen. Einige der Insassen werden von anderen bzw. von Wärtern brutal vergewaltigt. Beim Aufsichtspersonal gibt es Männer, die hübsche Jungen dazu zwingen, bei von ihnen gedrehten Pornofilmen mitzumachen. Die Konfrontation mit Homosexualität ist für Nicolai ein Schock.

In der sibirischen Tradition gilt Homosexualität als schlimme, ansteckende Krankheit, weil sie die menschliche Seele zerstört. Daher wuchsen wir mit einem absoluten Hass auf Homosexuelle auf. (Seite 293)

Nicolai ist längst wieder zu Hause, als das autistische Mädchen Ksjuscha aus dem Viertel im Stadtzentrum vergewaltigt wird.

Der Vater hatte es als Säugling zu einer Frau namens Anfisa gebracht, nachdem seine Frau gerade von der Polizei beim Sturm auf die Wohnung getötet worden war. Auf der weiteren Flucht konnte der Mann das Kind nicht mitnehmen. Deshalb bat er Anfisa, sich um Ksjuscha zu kümmern und ließ ihr Geld, Diamanten und zwei Goldbarren da. Bald darauf wurde er im Kaukasus von der Polizei erschossen.

In einer Chodnjak genannten Versammlung werden die Jugendlichen des Viertels aufgefordert, die Vergewaltiger aufzuspüren und zu töten. Nicolai und die anderen fragen herum und geraten in mehrere Schlägereien, bis sie herausfinden, dass es sich bei dem Hauptschuldigen um Pawel handelt, den Wart des Zentrums. Um den illegalen Handel mit Alkohol unter seine Kontrolle zu bekommen, hatte er eine Horde von jungen Ukrainern angeheuert, die Unruhe stiften sollten. Zwischendurch vergewaltigten sie Ksjuscha. Es dauert nicht lang, bis die fünf Täter gestellt werden. Als Nicolai hinkommt, sitzen sie splitternackt in einem zerbeulten Geländewagen und werden von zwanzig Armeniern bewacht. Gemeinsam schießen die Jungen aus dem Viertel auf die Nackten, bis keiner von ihnen mehr zuckt.

Ksjuscha erholt sich jedoch nicht mehr von dem Trauma. Sie hält den Blick gesenkt, spricht nicht mehr und verlässt kaum noch das Haus. Sechs Jahre später stirbt sie.

Nicolai will Sport- und Jogalehrer werden. Er besucht Fortbildungskurse in der Ukraine und reist jedes Jahr für sechs Wochen mit dem Sportverein nach Indien. Mit achtzehn steht er kurz vor der Prüfung. Da erhält er von der Russischen Föderation die Einberufung zum Militärdienst. Er meldet sich in der Kaserne. Dort nimmt man ihm sofort die Papiere ab. Zwar flieht er durch ein Toilettenfenster, aber er wird festgesetzt, bevor er die Wache passieren kann.

Mir ging’s beschissen. Das gibt’s doch nicht, dachte ich, heute Morgen war ich noch ein freier Mensch, hatte Pläne für den Tag, für meine Zukunft, für den Rest meines Lebens, und jetzt sollte ich durch einen blöden Wisch meine Freiheit verlieren. (Seite 442f)

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In dem Erlebnisbericht „Sibirische Erziehung“ von Nicolai Lilin geht es nicht um die russische Mafia, sondern um ein Verbrecherviertel in Bender (Tighina) zwanzig Kilometer westlich von Tiraspol, der Hauptstadt von Transnistrien (Moldawien) am Dnister. Die Region erklärte sich nach dem Zerfall der UdSSR 1990 für unabhängig, aber bis heute wird die „Moldauische Dnestr-Republik“ nicht international anerkannt. Von März bis Juli 1992 tobte ein Bürgerkrieg. Bender wird seither von transnistrischen Separatisten beherrscht.

Nicolai Lilin wurde 1980 in Bender geboren. Als junger Mann war er mit einer Sondereinheit der russischen Föderation in Tschetschenien. 2003 zog er nach Italien und ließ sich dort als Tattoo-Künstler nieder.

In „Sibirische Erziehung“ schildert Nicolai Lilin, wie er als Nachfahre deportierter sibirischer Urki in einem Verbrecherviertel seiner Geburtsstadt aufwuchs und den dort gültigen Kodex verinnerlichte. Mit sechs bekam er sein erstes Springmesser, mit zwölf stand er zum ersten Mal vor Gericht.

Nicolai Lilin erzählt ein bisschen ironisch, was er erlebte, sah und hörte. Systematische Erläuterungen gibt es ebenso wenig wie tiefschürfende Analysen oder Reflexionen. Der Aufbau des Buches ist locker: „Sibirische Erziehung“ setzt sich aus einer bunten, chronologischen Sammlung von Episoden zusammen. Vor allem in dem Kapitel „Mein dreizehnter Geburtstag“ erlaubt Nicolai Lilin sich zahlreiche Abschweifungen, und er unterscheidet auch sonst kaum zwischen Wesentlichem und Unwichtigem. Die unbeholfene Sprache lässt „Sibirische Erziehung“ authentisch wirken, aber die eine oder andere missglückte Formulierung trägt nicht dazu bei.

Die Suppe war so heiß, dass der aufsteigende Dampf fest wie ein Mast schien. (Seite 198)

Lesenswert ist „Sibirische Erziehung“ nicht wegen literarischer Qualitäten, sondern weil es sich um den Erlebnisbericht eines Insiders handelt, der in einer Gesellschaft aufwuchs, von der wir zumindest in Deutschland noch kaum etwas gehört haben. Problematisch daran ist, dass sich der Wahrheitsgehalt der Darstellung schwer nachprüfen lässt.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

Nicolai Lilin: Freier Fall

Niccolò Ammaniti - Lasst die Spiele beginnen
"Lasst die Spiele beginnen" ist keine gesellschaftskritische Satire, son­dern Klamauk. Teile der Handlung mögen als Groteske durchgehen, aber insgesamt fehlt es dem Roman von Niccolò Ammaniti an Esprit.
Lasst die Spiele beginnen

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.