Alexander Pechmann : Sieben Lichter

Sieben Lichter
Sieben Lichter Originalausgabe: Steidl Verlag, Göttingen 2017 ISBN: 978-3-95829-370-0, 168 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Am 25. Juni 1828 kehrt die Mary Russell aus Barbados nach Irland zurück. An Bord liegen sieben zerstückelte Leichen. Sechs Männer haben das Massaker überlebt, zwei von ihnen schwer verletzt. Der Kapitän William Stewart ist auf der Flucht. Er soll die Männer erschlagen haben, weil er glaubte, eine Meuterei verhindern zu müssen. William Scoresby, ein erfahrener Seemann und Theologe, geht der Frage nach, wie und warum William Stewart zum Mörder wurde ...
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Kritik

Vom Genre klassischer Schauer­romane ließ sich Alexander Pechmann zu dem auf Tatsachen basierenden Roman "Sieben Lichter" inspirieren, in dem er einen sachlich berichtenden Ich-Erzähler auftreten lässt. Die Frage, ob der streng religiöse Täter Schuld auf sich geladen hat, bleibt so offen wie in der Realität.
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William Scoresby und sein Schwager

William Scoresby, der seinen Vater schon als Zehnjähriger auf Walfang-Schiffen begleitet hatte, selbst unzählige Grönlandfahrten unternahm, dann Theologie studierte und inzwischen in Liverpool predigt, heiratet im Sommer 1828 Elizabeth Fitzgerald, die Schwester des Ich-Erzählers. Die erste Frau des jetzt 38-Jährigen starb vor einiger Zeit und ließ ihn mit zwei Söhnen zurück.

Elizabeths Bruder, Colonel Fitzgerald, der zweitgeborene Sohn eines irischen Baronets, der dem Ansehen seiner wohlhabenden Familie das Ehrenamt eines Friedensrichters verdankt, begleitet seine Schwester und seinen Schwager kurz nach deren Hochzeit zu einem Besuch bei Verwandten in Cove (Cobh) im südirischen County Cork. Noch vor der Ankunft erfahren sie, dass auf der im Hafen liegenden Brigg Mary Russell aus Cork sieben zerstückelte Leichen liegen. Scoresby drängt Fitzgerald, mit ihm an Bord zu gehen. Sie schauen sich die Toten kurz an und befragen dann Zeugen.

Die Mary Russell

Die Mary Russell stach am 8. Februar in See und brachte Maultiere zur Karibikinsel Barbados. Sechs Wochen dauerte die Überfahrt von Cork nach Bridgetown. Der Reeder James Hammond hatte den angesehenen, streng protestantischen, 53 Jahre alten Kapitän William Stewart überredet, das Kommando zu übernehmen, denn nur ihm wollte er seinen Sohn Thomas anvertrauen, der die Reise mitmachen sollte, von der sich der Vater eine Linderung der Lungenkrankheit des Elfjährigen erhoffte. Wegen der Tiere waren auch die beiden Stallknechte Timothy Connell und James Morley mit an Bord der Mary Russell.

In Bridgetown stellte sich heraus, dass die Preise für Maultiere aufgrund eines Überangebots eingebrochen waren. Das wurde James Raynes, dem Kapitän der Hibernia, zum Verhängnis, denn nachdem er seine Ladung Maultiere zum Spottpreis verkauft hatte und von einer Sauftour aufs Schiff zurückkehren wollte, erfuhr er, dass ihn der Reeder seines Kommandos enthoben hatte. Um nach Europa zurückzukommen, bat er seinen Kollegen William Stewart, ihn auf der Mary Russell mitzunehmen, die mit einer Ladung Zucker wieder in See stach.

Die Gewalttat

Auf dem Atlantik begegneten sich die Mary Russell und die Brigg Mary Harriet aus New York. Kapitän Stewart nutzte die Gelegenheit, um Nachschub zu kaufen, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre. Offenbar besorgte er sich auch eine Harpune und zwei Pistolen, denn kurze Zeit später war er damit bewaffnet und verlangte von den Matrosen, William Smith, den Ersten Steuermann, wegen angeblicher Meuterei zu fesseln.

Als der Schotte gefesselt und eingesperrt war, ließ der Kapitän nicht nur die übrige Besatzung, sondern auch Kapitän James Raynes von den drei Schiffsjungen John Deaves, Daniel Scully und Henry Rickards einzeln zur Kajüte rufen und ebenfalls fesseln: Weder William Swanson, der aus Schweden stammende Zweite Steuermann, der Zimmermann John Cramer und die zwei Stallknechte, noch die beiden Vollmatrosen Francis Sullivan und John Keating widersetzten sich. Nur der Matrose John Howes leistete Widerstand. Stewart schoss auf ihn, und um nicht getötet zu werden, ließ Howes sich schließlich doch noch fesseln und einsperren. Einige Zeit später bemerkte der Kapitän, dass Howes sich von den Fesseln befreit hatte. Erneut schoss er auf ihn. Der Matrose warf den Kapitän zu Boden, entriss einem der Schiffsjungen die Harpune, zögerte jedoch, Stewart damit zu töten – und wurde von Henry Rickards niedergeschlagen.

Am Nachmittag desselben Tages kam ein Schiff in Sichtweite, und Kapitän Stewart hisste ein Notsignal. Das andere Schiff näherte sich und drehte bei, setzte aber dann plötzlich wieder Segel und entfernte sich so rasch wie möglich. Daraufhin meinte Stewart, die Mary Russell sei verflucht. Mit einer Eisenstange zertrümmerte er den sieben in der Kajüte Gefesselten die Schädel. Dann stach er mit der Harpune auf William Smith ein, holte eine Axt und zerstückelte damit die sieben Toten.

Am Ende mussten sich auch die drei Schiffsjungen fesseln lassen. William Stewart gab allerdings Thomas Hammond eine der Pistolen und sagte, damit solle ihn der kranke Sohn des Reeders erschießen, falls er, der Kapitän, den Jungen etwas antun wolle.

Am 23. Juni kam der amerikanische Schoner Mary Stubbs in die Nähe der 300 Meilen vor der irischen Südküste treibenden Mary Russell. Kapitän Stewart schrie um Hilfe. Robert Callendar, der Kapitän der Mary Stubbs, wollte helfen, aber Stewart sprang ins Wasser und ließ sich von der Schaluppe eines Fischers aufnehmen.

Robert Callendar entdeckte schließlich die zerstückelten Leichen und brachte die Mary Russell mit den überlebenden drei Schiffsjungen und dem Sohn des Reeders sowie den Schwerverletzten William Smith und John Howes am 25. Juni in den Hafen von Cove.

Nach der Tat

William Scoresby und sein Schwager besuchen Elizabeth Stewart, die mit ihren vier Kindern in Cove wohnende hochschwangere Ehefrau des flüchtigen Kapitäns, der erst einige Zeit später verhaftet wird.

Im Gefängnis erzählt er Colonel Fitzgerald und William Scoresby, Gott habe ihn in einem Traum vor Meuterei und Tod gewarnt. Daraufhin sei er argwöhnisch geworden und habe Anhaltspunkte für eine Verschwörung bemerkt. Um sich, das Schiff und die wertvolle Ladung zu schützen, sei er dagegen vorgegangen.

Die Gerichtsverhandlung am 11. August 1828 vor dem Schwurgericht des County Cork kann William Scoresby nicht persönlich beobachten, weil er in Liverpool zu tun hat, aber sein Schwager sitzt unter den Zuschauern und berichtet ihm darüber. Die Geschworenen kommen zu dem Ergebnis, dass William Stewart zwar die sieben Männer ermordete, aber zum Zeitpunkt der Tat nicht zurechnungsfähig war. Er wird in eine Anstalt für Geisteskranke gebracht, zunächst in Dundrum, dann in Cork, wo ihn seine Familie leichter besuchen kann.

Ein Jahr später kommen William und Elizabeth Scoresby wieder nach Irland. Der Theologe nutzt die Gelegenheit, um am 18. August 1829 mit seinem Schwager noch einmal den Häftling William Stewart aufzusuchen. Der ehemalige Kapitän erzählt, dass ihm jede Nacht sieben Lichter erscheinen. Deshalb glaubt er, die Getöteten hätten ihren Frieden gefunden und ihm verziehen.

Später klagt er darüber, dass die sieben Lichter immer greller werden.

1835 veröffentlicht William Scoresby ein Buch über William Stewart und die Ereignisse auf der Mary Russell: „Memorials of the Sea. The Mary Russell“. Ihn interessiert weniger der Kriminalfall als die Frage, ob nicht vor allem Gläubige dazu neigen, wie Abraham im Alten Testament vermeintlich göttliche Eingebungen zu befolgen, auch wenn das bedeutet, Menschen abzuschlachten.

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Der Roman bzw. die Novelle „Sieben Lichter“ von Alexander Pechmann (*1968) basiert auf Tatsachen. Auf dem 1817 gebauten Schiff Mary Russell erschlug Kapitän William Stewart (1775 – 1873) 1828 sieben Männer, und bei der Gerichts­verhandlung am 11. August 1828 befand man ihn für unzu­rechnungs­fähig. William Scoresby (1789 – 21. März 1857) – ebenfalls eine historische Persönlichkeit – berichtete darüber in einem Buch.

Fiktiv ist die Figur des Ich-Erzählers, der sich nach dem Einlaufen der Mary Russell am 25. Juni 1828 im Hafen der südirischen Stadt Cove (Cobh) von seinem Schwager William Scoresby überreden lässt, die zerstückelten Leichen anzu­schauen, Zeugen und schließlich auch den festgenommenen Kapitän zu befragen. Aus den verschiedenen subjektiven Darstellungen ergibt sich nach und nach eine Vorstellung von den Ereignissen. Den Theologen William Scoresby treibt dabei vor allem die Frage um, was einen streng gläubigen, erfahrenen und angesehenen Kapitän dazu bringen konnte, sieben gefesselte Männer zu erschlagen. Der Glaube an eine göttliche Eingebung? Wahnsinn? Die Geschworenen halten William Stewart für verrückt, aber es ist nicht aus­ge­schlos­sen, dass er simuliert, um nicht schuldig gesprochen zu werden. Alexander Pechmann drängt uns in „Sieben Lichter“ keine Antwort auf die Kernfrage auf. Sie bleibt im Buch so offen wie in der Realität.

„Sieben Lichter“ ist vom Genre klassischer Schaueromane inspiriert. Alexander Pechmann lässt einen Ich-Erzähler auftreten, der sachlich und stringent über die Nachforschungen berichtet, die sein Schwager William Scoresby mit ihm zusammen unternimmt.

Der Steidl Verlag hat daraus ein stoffgebundenes, fadengeheftetes Buch gemacht.

Alannah Hopkin und Kathy Bunny haben über den Mordfall auf der Mary Russell das Buch „The Ship of Seven Murders. A True Story of Madness & Murder“ (Cork 2010) geschrieben.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2017
Textauszüge: © Steidl Verlag

Alexander Pechmann: Die Nebelkrähe

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