Die Perlmutterfarbe
Die Perlmutterfarbe
Inhaltsangabe
Kritik
Das stillgelegte Stahlwerk in einem oberbayrischen Dorf dient den Kindern Anfang der Dreißigerjahre als Spielplatz, auch wenn es verboten ist. Hier führt der 13-jährige Tüftler „Maulwurf“ (Dominik Nowak) seine Experimente durch.
Maulwurf und sein Mitschüler Alexander (Markus Krojer) sind in dasselbe Mädchen aus ihrer Klasse verliebt, in Lotte (Zoë Mannhardt). Sie haben sich darauf geeinigt, Lotte nicht anzurühren, bis das Ergebnis des diesjährigen Malwettbewerbs der Schule feststeht. Wenn einer von ihnen der Sieger ist, darf dieser sich an Lotte heranmachen, und der andere muss zurückstehen. So lautet die Abmachung.
Als Motiv für sein Bild wählt Alexander einen von Chinesen gefangenen Seemann, denn seine Mutter Klari (Brigitte Hobmeier) hat ihm erklärt, sein Vater sei Schiffskoch und in Asien in Gefangenschaft geraten.
Eines Tages ertappt Alexander seine Mutter mit einem Liebhaber (Siegfried Terpoorten) in flagranti. Entrüstet fragt er sie, was der Vater dazu sagen würde. Erst später erfährt er von einem neuen Mitschüler, dass das Schiff, zu dessen Besatzung sein Vater angeblich gehört, vor zehn Jahren sank. Der Papagei, den Alexander vor fünf Jahren bekam, kann also gar kein Geschenk seines Vaters sein, wie die Mutter behauptete. In seinem Zorn wirft Alexander den Vogel aus dem Fenster. Als Klari von der Arbeit nach Hause kommt und sich über das Fehlen des Papageis wundert, behauptet Alexander, sie habe das Fenster offen gelassen. Klari erinnert sich genau daran, wie sie es geschlossen hatte, bevor sie die Wohnung verließ und beschuldigt Alexander deshalb als Lügner. Da bricht es aus ihm heraus, und er fragt rhetorisch, wer hier die größeren Lügen erzähle. Klari gesteht ihrem Sohn, dass sein Vater nie auf einem Schiff war. Sie habe die Geschichte nur erfunden, um Alexander zu schonen, denn in Wirklichkeit hatte sein Vater sich weder für sie noch für den Sohn interessiert und beide schon früh verlassen.
Bei dem neuen Mitschüler, der Alexander über das Schiff aufklärt, handelt es sich um Reinhold Gruber (Benedikt Hösl), den Sohn des Insolvenzverwalters (Johannes Herrschmann) für das Stahlwerk. Er ist älter als die anderen in der Klasse und war mit seinem Vater nie längere Zeit an einem Ort.
Maulwurf, der in der Klasse neben Alexander sitzt, bringt ein Fläschchen Farbe mit in die Schule. Das sei Perlmutterfarbe, erklärt er, die habe er erfunden. In der Pause, als niemand im Klassenzimmer ist, kippt das verkorkte Fläschchen durch eine Erschütterung um, rollt über den Tisch und fällt in Alexanders Schultasche.
Karli aus der B-Klasse, der zur Unterscheidung von seinem Namensvetter in der A-Klasse „B-Karli“ (Paul Beck) gerufen wird, bringt ein illustriertes Buch mit in die Schule und blättert auf dem Korridor darin. Als Alexander, der in die A-Klasse geht, die gezeichneten Chinesen entdeckt, will er sich das Buch ausleihen, um die Bilder als Vorlagen für seinen Wettbewerbsbeitrag benutzen zu können. Aber B-Karli will es nicht aus der Hand geben. Es gehöre seinem Vater, erklärt er, der sei auf Montage und würde ihn totschlagen, wenn es bei seiner Rückkehr nicht mehr da sei. Gruber wird auf die beiden aufmerksam und hilft Alexander, B-Karli das Buch aus der Hand zu reißen.
Zu Hause schlägt Alexander die Seite mit den Abbildungen der Chinesen auf und arbeitet an seinem Wettbewerbsbeitrag. In seiner Schultasche entdeckt er die Perlmutterfarbe. Neugierig entkorkt er das Fläschchen, lässt ein bisschen Farbe auf ein Blatt Papier tropfen und geht zum Fenster, um die Wirkung zu begutachten. Währenddessen kippt das Fläschchen um, und die Farbe ergießt sich über die aufgeschlagenen Seiten des Buches. In dem Augenblick, in dem Alexander merkt, dass er weder das Buch noch die Perlmutterfarbe zurückgeben kann, klopft es an der Türe: B-Karli ruft, er wolle sein Buch zurückhaben. Alexander gerät in Panik, wirft das Buch in den Ofen und tut so, als sei er nicht zu Hause, bis B-Karli verärgert wieder geht.
In einer Auslage entdeckt Alexander ein anderes Exemplar des Buches. Um es von der Ladenbesitzerin, Frau Kerkenreuth (Adele Neuhauser), kaufen zu können, stiehlt er Geld seiner Mutter. Aber es reicht nicht.
Gruber bringt Alexander dazu, die Mathematik-Hausaufgabe auch für ihn zu machen. Als Alexander ihm das Heft zurückgibt, fällt das Blatt heraus, auf dem er die Perlmutterfarbe ausprobierte. Gruber wundert sich darüber, sagt jedoch nichts. Kurz darauf sucht Maulwurf vergeblich nach seiner Farbe. Da weiß Gruber, dass Alexander etwas damit zu tun hat. Aber er behält sein Wissen weiterhin für sich, und als B-Karli Alexander anfleht, ihm das Buch endlich zurückzugeben, unterstützt er seinen Klassenkameraden, der behauptet, kein Buch von B-Karli entliehen zu haben.
In der Klasse wird darüber diskutiert, wer die Perlmutterfarbe gestohlen haben könnte. Auch Mausi (Franziska Scheuber) vermisst etwas: ihr neues Zeichenheft. Gruber lenkt den Verdacht auf die B-Klasse. Die benutzt den Zeichensaal jeweils nach der A-Klasse, und die Schüler der A halten von denen der B ohnehin nicht viel. Jemand weist darauf hin, dass B-Karli auf Maulwurfs Platz sitzt. Der habe vermutlich die Perlmutterfarbe genommen, heißt es.
B-Karli wird am nächsten Vormittag in die A-Klasse zitiert und zur Rede gestellt. Glaubwürdig beteuert er, die Perlmutterfarbe weder gesehen noch weggenommen zu haben, aber Gruber schlägt vor, seinen Schulranzen zu durchsuchen. Da fällt ein zerknülltes, mit Perlmutterfarbe bemaltes Stück Papier heraus. Alexander starrt es beinahe ebenso entgeistert an wie B-Karli. Damit sei bewiesen, dass B-Karli ein Dieb und ein Lügner ist, erklärt Gruber.
Kurz darauf beruft er eine Versammlung in Alexanders Wohnung ein. Alexanders Mutter Klari ist zum Glück nicht zu Hause, sondern bei der Arbeit. Gruber beschwört die Gemeinschaft, bezeichnet die Mitglieder als „stolze As“ und schlägt einen ehrenvollen Gruß vor, der nur für sie gelten soll. Man einigt sich auf „ELDSA“, die Abkürzung von „Es lebe die stolze A“. Gruber hetzt gegen die Klassenkameraden, die B-Karli glauben und bezichtigt sie, mit der B-Klasse gemeinsame Sache zu machen. Das sei noch übler, behauptet er, als zur B zu gehören. Er ordnet an, ab sofort in der Pause Wachen aufzustellen, um jeden Kontakt zwischen der A und der B zu verhindern. Darüber hinaus verlangt Gruber, dass jedes ELDSA-Mitglied einen wöchentlichen Beitrag zahlt und ernennt Alexander zum Kassenwart.
Sobald Alexander jedoch das Geld eingesammelt hat und Gruber mit ihm allein ist, will dieser den Beutel an sich nehmen. Er benötige das Geld für geheime Angelegenheiten, behauptet er. Alexander lässt es sich jedoch nicht wegnehmen. In seiner Frustration kauft er sich davon beim Konditor (Sigi Zimmerschied) eine Creme-Schnitte. Die schlingt er in einem Treppenhaus hinunter.
Maulwurf, der Gruber misstraut und an B-Karlis Unschuld glaubt, verabredet mit Zentner (Xaver Riepertinger) aus der B-Klasse ein geheimes Treffen, zu dem sie Gleichgesinnte mitbringen. Die Teilnehmer beratschlagen, wie sie B-Karli rehabilitieren und was sie gegen die ELDSA unternehmen können. Plötzlich merken sie, dass statt Hugo (Thomas Wittmann) dessen Zwillingsbruder Heini (Thomas Wittmann) bei ihnen sitzt, der zu Grubers Anhängern zählt. Offenbar sollte er spionieren. Heini gibt es zu.
Schließlich gibt Schulrektor Ramsauer (Johannes Silberschneider) vor dem Lehrkörper, der versammelten Schülerschaft und den Eltern das Ergebnis des Malwettbewerbs bekannt. Alexander ist der Sieger. Der geht ans Mikrofon, bedankt sich und erklärt, er könne den „Goldenen Pinsel“ nicht annehmen. Vor allen Leuten legt er ein volles Geständnis ab und geht dann zu Maulwurf, um ihm den Preis zu überreichen. Aber Maulwurf fühlt sich auch nicht berechtigt, den „Goldenen Pinsel“ entgegenzunehmen, denn er hat die Perlmutterfarbe gar nicht erfunden, sondern von Frau Kerkenreuth bekommen. Da beschließt der Rektor, den Preis in diesem Jahr nicht zu vergeben.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Eigentlich sollte der 1937 von Anna Maria Jokl (1911 – 2001) verfasste Roman „Die Perlmutterfarbe“ schon 1950 in Ostberlin verfilmt werden, aber die DDR-Behörden verhinderten es. Erst 2008 verfilmte Marcus H. Rosenmüller das Buch.
Der Mikrokosmos von zwei Schulklassen steht hier für eine Gesellschaft, in der ein zu kurz gekommenes Mitglied sich beweisen will, durch Lügen, Erpressung und Intrigen die Macht an sich reißt und seine Anhänger mit Feindbildern und falschen Idealen indoktriniert. Es geht auch um Ressentiments und Ausgrenzung, Feigheit und Mitläufertum. Wer in diesem Umfeld kritische Fragen stellt, wird bekämpft und verleumdet. Anna Maria Jokl hat „Die Perlmutterfarbe“ aus der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus geschrieben, aber der Roman und die Verfilmung prangern wie „Die Farm der Tiere“ oder „Der Herr der Fliegen“ jede Art von Totalitarismus an.
Bei der Kinoadaptation verwenden Marcus H. Rosenmüller und Christian Lerch nur einen Teil des Plots der literarischen Vorlage und ergänzen ihn durch eigene Ideen. Schade, dass sie dies nicht auch bei den Figuren taten. Während deren Vielzahl bei der Lektüre des Buches nicht hinderlich ist, verliert man im Kino leicht den Überblick vor allem über die Schüler. Deshalb wäre es besser gewesen, wenn Marcus H. Rosenmüller und Christian Lerch sich auf einige wenige Charaktere konzentriert und diese dafür noch stärker herausgearbeitet hätten.
Marcus H. Rosenmüller und seinem Team ist es gelungen, uns in die Jahre unmittelbar vor der „Machtergreifung“ Hitlers zurückzuversetzen. Dass die Darsteller in „Die Perlmutterfarbe“ Mundart sprechen, verstärkt den Eindruck der Authentizität. Die Geschichte entwickelt sich temporeich. Deshalb kommt keine Langeweile auf, aber es fehlt an Identifizierungsmöglichkeiten, zum einen wegen der zu vielen Figuren, zum anderen, weil Marcus H. Rosenmüller und Christian Lerch in „Die Perlmutterfarbe“ auf Klamauk setzen und dabei übertreiben. Sie haben aus dem „Kinderroman für fast alle Leute“ eine Groteske gemacht.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013
Anna Maria Jokl: Die Perlmutterfarbe
Marcus H. Rosenmüller (kurze Biografie / Filmografie)
Marcus H. Rosenmüller: Wer früher stirbt, ist länger tot
Marcus H. Rosenmüller: Sommer der Gaukler
Marcus H. Rosenmüller: Sommer in Orange