Anna Seghers : Transit

Transit
Transit Erstausgaben: 1944 Deutschsprachige Erstausgabe: Curt Weller Verlag, Konstanz 1948 Nachwort: Sonja Hilzinger Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2018 ISBN 978-3-7466-3501-9, 309 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein aus einem KZ geflohener Deutscher gelangt 1940 mit einem Pass auf den Namen Seidler und Papieren des Schriftstellers Weidel, der sich in Paris das Leben nahm, nach Marseille. Dort begegnet er zufällig Weidels Witwe Marie, die auf ihren Mann wartet, der ihr die Ausreisedokumente bringen wollte. Sie will jedoch nicht mit ihm, sondern mit ihrem Geliebten auswandern. Der Deutsche verliebt sich in Marie und verschweigt ihr den Tod ihres Mannes ...
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Kritik

Indem Anna Seghers in ihrem Roman "Transit" das Wort einem Ich-Erzähler überlässt, verleiht sie der Darstellung Authentizität und betont zugleich die Subjektivität der Perspektive.
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Marseille 1941. Ein Deutscher Mitte zwanzig, dessen Namen wir nicht erfahren, sitzt in einer Pizzeria. Er hat gerade erfahren, dass die „Montreal“ zwischen Dakar und Martinique auf eine Mine lief und sank. Viel Geld hat er nicht, aber er lädt einen anderen Gast auf ein Glas Rosé und ein Stück Pizza ein, damit dieser ihm zuhört.

Ich selbst war früher leicht in Sachen verwickelt, über die ich mich heute schäme. Nur ein wenig schäme – sie sind ja vorbei. Ich müsste mich furchtbar schämen, wenn ich die andren langweilte. Ich möchte trotzdem einmal alles von Anfang an erzählen. (Seite 7)

1937 war er aus einem Konzentrationslager geflohen und über den Rhein geschwommen. Ausweise hatte er selbstverständlich keine. Die Franzosen internierten den Flüchtling in einem Arbeitslager bei Rouen, aber es gelang ihm, auch von dort zu entkommen. Das war 1940; die Deutschen marschierten gerade in Frankreich ein. Zuflucht fand er bei der Familie Binnet in Paris, mit deren Tochter Yvonne er vor dem Krieg ein halbes Jahr lang befreundet gewesen war, die jedoch inzwischen einen Vetter in Südfrankreich geheiratet hatte.

Zufällig trifft er in Paris Paul Strobel, mit dem er im Lager war. Paul hat vor, sich nach Südfrankreich abzusetzen und über Marseille in die USA zu emigrieren. Die beste Freundin seiner Schwester ist mit dem Seidenhändler Emile Descenre in Lyon verlobt, der geschäftlich in Paris zu tun hat und ihm einen Brief mitbrachte, den er einem deutschen Schriftsteller namens Weidel übergeben soll. Paul ersucht den Erzähler, das für ihn zu erledigen. Der kommt dieser Bitte nach, ohne lang zu fragen, aber die Patronin des angegebenen Hotels reagiert ungehalten auf die Frage nach Weidel und behauptet zunächst, er sei bereits ausgezogen. Schließlich gibt sie zu, Weidel am Morgen nach seiner Ankunft tot in seinem Zimmer aufgefunden zu haben: Er hatte sich mit Tabletten vergiftet. Sie ist froh, dass der Erzähler den Koffer des Toten mitnimmt.

Eigentlich wollte der Erzähler Paul fragen, was mit dem Koffer geschehen soll, aber der erscheint nicht zum verabredeten Treffen. Daraufhin öffnet der Erzähler den Koffer und findet darin unter anderem ein unvollendetes Manuskript des Schriftstellers und einen Brief, aus dem hervorgeht, dass Weidel von seiner Frau verlassen worden war. Der Brief, den Paul ihm anvertraute, stammt ebenfalls von Weidels Frau. Sie schien es sich anders überlegt zu haben, denn sie beschwor ihren Mann, zu ihr nach Marseille zu kommen und mit ihr nach Mexiko auszuwandern.

Da sich das mexikanische Konsulat nicht in der Lage sieht, Weidels Koffer nach Marseille zu schicken, behält der Erzähler ihn und verstaut darin auch seine eigenen Sachen, als er Paris verlässt, um nicht den Deutschen in die Hände zu fallen. Er schlägt sich zu Yvonne durch. Um den Besucher möglichst rasch wieder loszuwerden, besorgen sie und ihr Ehemann dem Flüchtling einen Pass auf den Namen Seidler, geben ihm Geld und raten ihm, sich an Yvonnes Cousin Georg Binnet in Marseille zu wenden.

In Marseille versucht der Erzähler noch einmal, den Koffer, der ihm nicht gehört, im mexikanischen Konsulat abzugeben. Erfolg hat er auch hier nicht, denn der Beamte, der sich keine Zeit nimmt, ihm zuzuhören, hält ihn für Weidel und übergibt ihm das von dem Schriftsteller beantragte Visum. Statt den Irrtum aufzuklären, nimmt der Erzähler die Identität des Toten an. Weil sein Pass auf den Namen Seidler lautet, behauptet er, Weidel sei sein Pseudonym als Autor und bittet darum, das Visum auf seinen bürgerlichen Namen umzuschreiben.

Der Erzähler lernt einige Männer kennen, die in dem Labyrinth der Behörden unterwegs sind, um sich alle Papiere zu besorgen, die sie für ihre Auswanderung benötigen: polizeiliches Führungszeugnis, Ausreisevisum, Transit-Visa, Einreisevisum usw. Das muss in der richtigen Reihenfolge geschehen, und weil die Dokumente nur für eine bestimmte Gültigkeitsdauer ausgestellt werden, passiert es häufig, dass eines davon abgelaufen ist, wenn endlich eine Schiffspassage zu bekommen ist. Ein greiser Kapellmeister wird nach langer Wartezeit auf dem Konsulat fortgeschickt, weil angeblich ein Passbild fehlt. Draußen stellt sich heraus, dass nur zwei Fotos zusammenklebten. Während er erneut ansteht, bricht er zusammen.

Erst mit einem von Yvonne nachgeschickten polizeilichen Führungszeugnis kann der Erzähler eine Aufenthaltserlaubnis für Marseille bekommen. Weil Marseille von Flüchtlingen überlaufen ist, werden diese Genehmigungen grundsätzlich nur für die Zeit bis zur Ausreise erteilt. Nach einem Monat läuft also die Aufenthaltsgenehmigung des Erzählers ab, doch mit einer Bestätigung des mexikanischen Konsults, dass sich die Umschreibung seines Visums verzögert habe, darf er einen weiteren Monat bleiben.

Auf dem mexikanischen Konsulat erfährt er, dass er auch ein Transit-Visum der USA benötigt, weil es keine direkten Schiffsverbindungen zwischen Marseille und Mexiko gibt.

Als der kleine Sohn von Georg Binnet und seiner Geliebten Claudine erkrankt, sucht der Erzähler unter den deutschen Flüchtlingen einen vertrauenswürdigen Arzt. Der Doktor will nach Mexiko und verfügt bereits über alle nötigen Papiere, aber seine Geliebte, die er mitnehmen möchte, wartet noch auf ihren Ehemann, der ihr die Visa und Transits aus Paris bringen wollte. Auf der Suche nach ihm irrt sie jeden Tag durch die Cafés in Marseille. Dem Erzähler fiel sie bereits mehrmals auf, und sie machte gleich beim ersten Mal einen unauslöschlichen Eindruck auf ihn. Sie heißt Marie. Bald durchschaut der Erzähler, dass es sich bei ihr um Weidels Witwe handelt. Statt sie über dessen Suizid aufzuklären, verspricht er, ihr bei der Beschaffung der Ausreisedokumente zu helfen. Sie treffen sich von da an jeden Tag.

Marie erfährt auf dem Konsulat und von anderen Leuten, die mit dem Erzähler zu tun hatten, der sich als Weidel ausgibt, ihr Mann sei bereits in Marseille, und sie versteht nicht, wieso es ihr nicht gelingt, ihn zu finden.

Endlich entschließt sich der Arzt, allein an Bord eines Schiffes zu gehen, doch er drängt seinen vermeintlichen neuen Freund, alles zu unternehmen, damit Marie rasch nachkommen kann. Der Erzähler hat anderes im Sinn: Er liebt Marie und möchte, dass sein Rivale aus ihrem Leben verschwindet.

Jedenfalls würde die Frau bei mir Frieden finden. Ich würde darauf achtgeben, dass sie nie mehr einem Burschen wie mir als Beute in die Hände fiel. (Seite 167)

Der Arzt verabschiedet sich und begibt sich mit seinem Gepäck zum Hafen. Am nächsten Morgen kehrt er zurück: Unmittelbar vor dem Auslaufen des Schiffes beschlagnahmte die Militärkommission alle Kabinen für nach Martinique abkommandierte Offiziere.

Darüber ist der Erzähler so frustriert, dass er niemanden mehr sehen will und sogar Marie aus dem Weg geht.

Allerdings läuft er ihr nach einiger Zeit über den Weg, und Marie ersucht ihn noch einmal, ihr dabei zu helfen, Frankreich mit ihrem Geliebten verlassen zu können. Während sie bisher wegen ihres Ehemannes zögerte, ist sie jetzt dazu entschlossen. Sie hat inzwischen ein Einreisevisum für Mexiko, soll in Kürze ein Transit für die USA bekommen, und auf der Präfektur muss nur noch geprüft werden, ob auch ihr Ehemann ein Ausreisevisum erteilt bekommen hat; in diesem Fall stünde ihrer eigenen Emigration nichts mehr im Weg.

Also kümmert der Erzähler sich mit Hilfe von Rosalie, der in der Präfektur beschäftigten Freundin seiner kurzzeitigen Geliebten Nadine, um ein Ausreisevisum auf den Namen Weidel bzw. Seidler. Damit hat er ebenfalls alle Papiere zusammen und benötigt nur noch eine Schiffskarte – die er sich allerdings nicht leisten kann. Ein Zufall kommt ihm zu Hilfe: Ein deutscher Jude, der sich entschlossen hat, doch nicht auszureisen, überlässt ihm sein Ticket für die „Montreal“, wenn er ihm dafür einen Teil des für Weidler in Lissabon hinterlegten Geldbetrages auf ein Konto überweist.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Kurz vor der Abreise verrät er Marie, dass ihr Ehemann sich in Paris das Leben nahm. Doch sie glaubt ihm nicht, weil sie auf der Präfektur erfuhr, dass Weidel gerade erst da war. Marie ist überzeugt, ihn auf dem Schiff wiederzusehen.

Da gab ich es auf. Der Tote war uneinholbar. Er hielt in der Ewigkeit fest, was ihm zustand. Er war stärker als ich. (Seite 249)

Schweren Herzens gibt der Erzähler seine Schiffskarte zurück, und die Ausreisepapiere schickt er ans mexikanische Konsulat. Marie und der Arzt reisen mit der „Montreal“ ab.

In einem Dorf in der Nähe von Marseille bekommt er Arbeit: Er hilft beim Säen und Entraupen.

Als er einige Zeit später nach Marseille fährt, um Nadine etwas Gemüse und Obst für den Jungen zu bringen, erhält er die Nachricht vom Untergang der „Montreal“.

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Das Wort Transit bedeutet hier zweierlei: Zum einen bezeichnet Anna Seghers damit ein Durchreise-Visum, zum anderen meint sie ein Durchgangsstadium.

In dem Roman „Transit“ von Anna Seghers geht es um Flüchtlinge, die sich 1940/41 in Marseille darum bemühen, im Dickicht der Behörden und Vorschriften fristgemäß die Papiere für ihre Auswanderung nach Übersee zu bekommen. Aufgrund der Regulierungen können sie nur in engen Grenzen frei über ihr Leben bestimmen; einerseits dürfen sie nicht einfach bleiben, andererseits fällt es den meisten sehr schwer, sich rechtzeitig alle erforderlichen Dokumente und Stempel für die Ausreise zu beschaffen. Es ist unverkennbar, dass Anna Seghers dabei eigene Erlebnisse verarbeitete.

Während fast alle Flüchtlinge verzweifelt versuchen, Frankreich zu verlassen, bleibt der namenlose Ich-Erzähler am Ende freiwillig im Land. Marie und ihr Geliebter reisen ab – doch ihr Schiff geht unter und sie kommen auf dem Weg in die erhoffte Freiheit ums Leben.

Indem Anna Seghers das Wort einem Ich-Erzähler überlässt, verleiht sie der Darstellung Authentizität und betont zugleich die Subjektivität der Perspektive. Der Leser kann sich mit dem stummen Zuhörer in der Pizzeria identifizieren.

Anna Seghers behauptete, den Roman „Transit“ 1940/41 in Marseille geschrieben zu haben. Ihr Sohn Pierre Radvanyi berichtete dagegen, die Idee sei ihr während der Überfahrt nach Mexiko gekommen und sie habe erst nach der Ankunft dort ernsthaft an dem Roman gearbeitet.

„Transit“ erschien 1944 in einer englischen und einer spanischen Ausgabe. In deutscher Sprache kam der Roman erst 1948 im Curt Weller Verlag in Konstanz heraus, und drei Jahre später folgte eine weitere Ausgabe im Aufbau Verlag.

Christian Petzold verfilmte den Roman „Transit“ von Anna Seghers:

Originaltitel: Transit – Regie: Christian Petzold – Drehbuch: Christian Petzold nach dem Roman „Transit“ von Anna Seghers – Kamera: Hans Fromm – Schnitt: Bettina Böhler – Musik: Stefan Will – Darsteller: Franz Rogowski, Paula Beer, Godehard Giese, Lilien Batman. Maryam Zaree, Barbara Auer, Matthias Brandt, Sebastian Hülk, Emilie de Preissac, Antoine Oppenheim, Ronald Kukulies, Justus von Dohnányi, Alex Brendemühl, Trystan Pütter u.a. –2018; 100 Minuten

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Textauszüge: © Aufbau-Verlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.