Marlene Streeruwitz : Verführungen

Verführungen
Verführungen Originalausgabe: Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 1996 ISBN 3-518-40751-1, 295 Seiten Süddeutsche Zeitung / Bibliothek, Band 79, München 2007, 236 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die 30-jährige Helene Gebhardt lebt mit ihren beiden Kindern in Wien. Ihr Ehemann Gregor verließ sie vor zwei Jahren wegen einer Anderen. Um für ihre Kinder da zu sein, brach Helene das Studium der Kunstgeschichte ab. Inzwischen verdient sie den Lebensunterhalt in einer PR-Agentur. Aber sie ist nicht nur Mutter und Büroangestellte, sondern versucht auch, sich durch erotische Abenteuer aus ihrer Einsamkeit zu befreien ...
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Kritik

Den Roman "Verführungen" hat Marlene Streeruwitz in Stakkato-Sätzen geschrieben. Auch wenn man zu verstehen glaubt, warum sie diesen Stil gewählt hat, bleibt die Lektüre unangenehm.
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Helene Gebhardt, die Tochter des Gerichtspräsidenten Wolffen, lebt mit ihren beiden Kindern Barbara und Katharina in Wien. Ihr Ehemann Gregor ließ sie vor zwei Jahren wegen einer anderen Frau sitzen, aber seine Mutter wohnt noch immer bei Helene. Um für ihre Kinder da zu sein, brach Helene ihr Studium der Kunstgeschichte ab und jobbt seit zwei Monaten in der PR-Agentur von Herrn Nadolny. Sie ist jetzt dreißig – und fühlt sich erschöpft und überfordert.

Die Geschirrspülmaschine war kaputt. Helene hatte die Maschine vor dem Weggehen aufgedreht. Nach dem Büro fand sie die Küche überschwemmt. Schmutziges, graues Wasser bedeckte den Küchenboden. Helene stand auf der Schwelle zur Küche. Sie konnte den Boden nicht sehen unter den schaumigen Schlieren. Helene schloss die Küchentür und ging ins Schlafzimmer. Legte sich aufs Bett. Sie wusste, konnte vor sich sehen, wie sie das Wasser aufwischen würde. Das Wasser mit Tüchern aufsaugen. Die Tücher in Kübel auswinden. Den Boden trockenwischen. Mit sauberem Wasser nachwischen. (Seite 22)

Mit einem Bekannten namens Alex geht Helene schon mal in ein Stundenhotel, aber es handelt sich nicht um ein Liebesverhältnis. Auch ihre Beziehung mit dem schwedischen Musiker Henryk Erikson ist nicht geeignet, sie glücklich zu machen. Nachdem sie das erste Mal mit ihm geschlafen hat, steht sie um halb zwei Uhr nachts verweint auf und glasiert eine Torte.

Sie war verweint. Sie hatte danach geweint. Sie hatte ihren Körper gegen seinen gespürt. Heiß. Und jagend. Sie hatte geheult. Schluchzend das Zwerchfell gegen seinen Bauch gestoßen. Er hatte versucht, sie zu beruhigen. Helenes Hüften schmerzten noch von den ungewohnten Bewegungen. Die Oberschenkel innen wund von seinen Hüftknochen. (Seite 54)

Helene verstand nicht mehr, warum sie sich nach diesem Mann gesehnt hatte. Vielleicht hatte [ihre Freundin] Püppi ja recht. Und es ging um irgendeinen Mann, irgendeinen. (Seite 197)

Weil Henryk nie Geld hat, zahlt Helene die Hotel- und Restaurantrechnungen, kauft ihm Zugfahrkarten und bringt ihn einmal mit dem Auto nach Mailand. Dabei hat sie bereits die von ihrem Großvater geerbten Goldmünzen verkauft und selbst Schulden. Nachdem der Gerichtsvollstrecker das Fernsehgerät und drei Teppiche gepfändet hat, wirft ihr die Schwiegermutter vor, kein ordentliches Leben zu führen und verantwortungslos zu handeln.

Gregor würde schon wissen, warum er sie verlassen habe. (Seite 210)

Helene wirft sie hinaus und wechselt das Türschloss aus, obwohl auch das wieder Geld kostet. Ihre von Helenes Schwiegermutter alarmierte Mutter kommt mit 50 000 Schilling in einem Kuvert und vorwurfsvoller Miene, doch Helene lässt sie nicht in die Wohnung, lehnt das Geld ab und schickt ihre Mutter wieder fort.

Bei einem Regenschauer wird Helene von einem Porschefahrer mitgenommen. Er heißt Werner Czerny. Sie geht mit ihm in seine Wohnung, flüchtet jedoch, bevor etwas passiert. „Blöde Tussi!“, ruft er ihr im Treppenhaus nach.

Im Bad untersucht Helene ihre Brüste.

[…] Brustkrebs. Den bekamen Frauen wie sie. Frauen. Unsicher in ihrer Geschlechtsrolle. Die ihre Sexualität nicht bewältigen konnten. Die von den praktischen Notwendigkeiten überfordert waren. Die ihre Kinder nicht lange genug gestillt hatten. (Seite 120)

Helene knöpfte ihre Jeans auf. Ließ sie bis unter die Knie hinunterrutschen. Sie steckte die rechte Hand in den Slip. Streichelte ihre Brüste mit der linken. Und schlug mit der rechten Hand zornig auf sich ein. Sie beugte sich noch weiter vor. Beim Kommen sah sie ihren Pupillen zu. Wie die Iris einen Augenblick kraftlos in einen schmalen Ring erschlaffte und riesige schwarze Löcher entstanden, durch die sie in sich selbst hinunterstarrte. Ihr war sofort danach elend. Sie wusch sich die Hände und zog sich mit zittrigen Fingern an. Legte sich wieder hin. (Seite 120)

Sie sucht den Rechtsanwalt Dr. Loibl auf und verklagt Gregor auf Unterhaltszahlung. Als ihr Ex-Mann davon erfährt, droht er, ihr die Kinder wegzunehmen. Tagelang befürchtet Helene, dass er sie von einem Privatdetektiv beschatten lässt. Dann hört sie, dass er nach Taormina verreist ist.

In der PR-Agentur beobachtet sie angewidert, wie ihr Chef und ein Geschäftspartner Fotos von Models ansehen, feixen und gar nicht versuchen, die Erektionen zu verbergen. Das für Werbeaufnahmen engagierte Model besteht wegen des höheren Tarifs auf Nacktfotos, doch die Bilder sind am Ende wegen der Cellulitis der Frau unbrauchbar.

In der Zeitung liest Helene, dass Sophie Mergentheim in Salzburg ihrer siebenjährigen Tochter Schlaftabletten ins Abendessen mischte und dann selbst Tabletten schluckte. Sie wurde gerettet und muss sich nun vor Gericht verantworten, weil das Kind tot ist.

Ebenfalls aus der Zeitung erfährt Helene, dass ihre einzige Freundin Konstanze („Püppi“) Storntberg tot in der Wohnung aufgefunden wurde. Über die Todesursache ist noch nichts bekannt, aber sie muss schon eine Weile dort gelegen haben.

Helene zieht den Telefonstecker und reißt die Gegensprechanlage aus der Wand.

Gregor wird vom Vormundschaftsgericht dazu verurteilt, Alimente zu zahlen.

Helene meldet sich beim Arbeitsamt, wo man ihr rät, einen Computerkurs zu machen.

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In ihrem Debütroman „Verführungen. 3. Folge. Frauenjahre“ schildert Marlene Streeruwitz den ermüdenden Alltag einer dreißigjährigen Wienerin, die versucht, ihren beiden Kindern eine gute Mutter zu sein, den Lebensunterhalt zu verdienen und zugleich ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Ihr Liebhaber ist allerdings kein Märchenprinz, sondern eine Enttäuschung. Lust empfindet Helene allenfalls, wenn sie mit ihm während einer Reise ins Bett geht, sich also nicht in ihrer gewohnten Umgebung befindet. Vergeblich versucht sie, sich aus ihrer Vereinsamung zu befreien.

Helene fühlte sich ins Leben gepresst. (Seite 23)

Marlene Streeruwitz schreibt in Stakkato-Sätzen, die wohl die Unfähigkeit der Protagonistin zur Kommunikation ausdrücken sollen und deren Unvollständigkeit ein Sinnbild dafür ist, wie kaputt die überforderte allein erziehende Mutter ist. Auch wenn man zu verstehen glaubt, warum Marlene Streeruwitz diesen Stil gewählt hat, bleibt die Lektüre unangenehm, zumal die Autorin den Stil auch in keiner Weise variiert. Hier sind drei Beispiele:

Sophie hatte zu weinen begonnen. Helene nahm das Kind. Sophie schrie. Püppi kam unter dem Bett hervor. Schrie Sophie an. Riss dem Kind den Mund auf. Ob sie die Ringe im Mund hatte. Oder verschluckt. Sophie wollte nicht bei Helene bleiben. Sie wollte zu Püppi. Püppi riss Schubladen auf. Lief ins Badezimmer. Staubknäuel klebten an ihrem Kleid. Die Haare hatten sich gelöst. Laut vor sich hinschreiend, frisierte sich Püppi neu. Helene bürstete sie ab. Dann stürzte Püppi davon. (Seite 18f)

Helene hatte die Kinder von der Schule abgeholt. Ihnen Wurstsemmeln zum Mittagessen gegeben. Und Kakao. Hatte mit dem Geschirrabwasch begonnen. Die Spülmaschine war noch immer nicht gerichtet. Am Nachmittag. Wieder im Büro, rief Nadolny Helene zu sich. Es gäbe eine neue Aufgabe. Eine große Aufgabe. Alles werde sich ändern. (Seite 62f)

Helene sollte Dr. Stadlmann zu Hause treffen. Bei ihm. Auf der Linken Wienzeile. Fast beim Gürtel oben. In der Nähe der Mollardgasse. Helene fuhr vom Büro weg. (Seite 65)

Marlene Streeruwitz wurde am 28. Juni 1950 in Baden bei Wien geboren. Sie studierte Jura, Slawistik und Kunstgeschichte. Dann arbeitete sie in Wien als Regisseurin und Autorin von Hörspielen und Theaterstücken. Bekannt wurde sie mit dem 1992 in Köln uraufgeführten Bühnenstück „Waikiki Beach“. 1996 erschien ihr erster Roman: „Verführungen“.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007
Textauszüge: © Suhrkamp Verlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.