Jennifer Vanderbes : Osterinsel

Osterinsel
Originalausgabe: Easter Island The Dial Press, New York 2003 Osterinsel Übersetzung: Stefanie Schaffer-de Vries Berlin Verlag, Berlin 2004 ISBN 3-8270-0494-2, 471 Seiten Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2005 ISBN 3-8333-0327-1, 480 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Die Engländerin Elsa Beazley reist 1912/13 zur Osterinsel. Sie begleitet ihren Ehemann, einen Anthropologen, der im Auftrag der Royal Geographical Society die Kolossalstatuen studieren soll. 60 Jahre später kommt die amerikanische Botanikerin Greer Farraday auf die Osterinsel, um fossile Pollen zu suchen. Für beide Frauen bedeutet der Aufenthalt auf der Osterinsel eine entscheidende Wende in ihrem Leben ...
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Kritik

Obwohl oder gerade weil Jennifer Vanderbes die Handlung bedächtig entwickelt, liest sich ihr Roman "Osterinsel" sehr gut, und der Leser fühlt sich dabei in die Welten der beiden Protagonistinnen versetzt.
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Am 14. Januar 1912 schickt die Engländerin Elsa Pendleton einen Brief an ihren Geliebten Max, dessen augenblicklichen Aufenthaltsort sie offenbar nicht kennt. Elsa war früher in Straßburg bei Max und dessen Ehefrau Margarete als Gouvernante der Kinder Otto und Huberta angestellt. Die inzwischen Zweiundzwanzigjährige schreibt, ihr Vater sei vor einem Monat verschieden und sie habe ihre Stelle aufgeben müssen, damit sie sich um ihre drei Jahre jüngere debile Schwester Alice kümmern könne. (Die Mutter war bei der Geburt von Alice gestorben.) Weil die Erbschaft gerade einmal für ein halbes Jahr ausreichen würde, hat Elsa sich entschlossen, den fünfundfünfzigjährigen Anthropologen Professor Edward Beazley zu heiraten, den Nachfolger ihres Vaters an der Universität.

Bitte glaube nicht, Max, ich hätte Professor Beazley Dir vorgezogen. Ich habe mich einfach dafür entschieden, lieber für Alice zu sorgen als auf das Unmögliche zu warten. (Seite 14)

Elsa und Alice begleiten den Wissenschaftler, der von der Royal Geographical Society beauftragt wurde, die Kolossalstatuen (Moai) auf der Osterinsel zu erforschen, auf einer langen Reise: Im März 1912 gehen sie an Bord eines Dampfers, der sie in zwei Wochen nach Boston bringt. Dort liegt ein auf Kosten der Royal Geographical Society für vier Jahre gecharteter Schoner bereit. Mit Hilfe der beiden irischen Seemänner Kierney und Eamonn segeln sie am 6. April von Boston los. Zehn Monate benötigen sie, um durch die Magellanstraße in den Pazifik und nach Valparaiso zu gelangen. Von dort dauert es weitere drei Wochen bis zur Osterinsel.

Während Edward die Steinbrüche von Rano Raraku untersucht, wo die Moai hergestellt wurden, sucht Elsa sich eine eigene Betätigung und beschließt, nach dem Vorbild von Gertrude Bell einen Reisebericht zu schreiben. Außerdem sammelt sie etwa zwanzig Holztafeln mit Rongorongo-Schriftzeichen, aber es gelingt ihr nicht, die aus vergangenen Jahrhunderten stammende Schrift zu entziffern, obwohl sie sich von dem Rapanui – so heißen die Einheimischen – Te Haha Huke die Feinheiten des auf der Osterinsel gesprochenen Idioms lehren lässt.

Ein Junge, nicht älter als neun Jahre, begleitet Alice auf Schritt und Tritt. Er spricht kein Wort und verrät auch seinen Namen nicht. Weil er abends nur durch eine Handvoll Kekse zu bewegen ist, das Zeltlager von Edward, Elsa und Alice zu verlassen, rufen die Engländer ihn „Keksdose“. Erst nach einiger Zeit findet Elsa heraus, dass er Luka heißt. Seine Eltern – Maria und Ngaara Tepano – leben in der von den Chilenen eingerichteten Leprasiedlung.

Einmal überrascht Elsa ihren Ehemann und ihre Schwester am Steinbruch und folgert aus deren Verhalten, dass sie sich näher stehen, als dies bei Schwager und Schwägerin der Fall sein sollte. Edward beteuert, zwischen ihm und Alice sei nie etwas vorgefallen, aber er kann nicht leugnen, dass Alice in ihn verliebt ist und ihn das nicht unberührt lässt, zumal er weiß, dass er von niemandem sonst – auch nicht von seiner Frau – geliebt wird. Er wirft Elsa vor, zwar große Opfer für Alice zu bringen, aber nicht wirklich auf die Bedürfnisse ihrer Schwester einzugehen.

Kurz nach dem Vorfall trifft eine deutsche Kriegsflotte ein: Acht Schiffe unter dem Kommando des Vizeadmirals Maximilian Graf von Spee – Elsas früherem Geliebten. Um bei ihm sein zu können, erklärt Elsa ihrem Mann, den Deutschen als Dolmetscherin helfen zu müssen. Edward erfährt auch nichts davon, dass seine Frau sich von dem Deutschen nach einigen Tagen in dessen Kabine verabschiedet.

Unmittelbar nachdem das Geschwader wieder in See gestochen ist, wird Alice vermisst. Luka deutet auf das Meer hinaus und gibt so zu verstehen, dass sie an Bord eines der deutschen Schiffe gegangen sei. Edward muss das auch erfahren haben, denn bei den Zelten findet Elsa einen Zettel von ihm. Er eile den Kriegsschiffen mit dem Schoner nach, um Alice zurückzuholen, schreibt er. Doch er ist nach Westen gesegelt, während Graf Spee zur lateinamerikanischen Küste unterwegs ist, um Kap Hoorn zu umrunden und in den Atlantik zu gelangen.

Elsa läuft hinunter zum Wasser, blickt angestrengt hinaus. Der Schoner ist nirgendwo zu sehen. Das Dingi ist weg. Sie klettert auf die Klippe über dem Strand und hält von dort Ausschau. Noch immer nichts, nur das dunkle und endlose Meer. Sie zerknittert den Zettel und wirft ihn hinunter zum Wasser, aber der Wind bläst ihn zurück ans Ufer und treibt ihn hüpfend den Sandstrand entlang.
Sie beginnt wieder hinunterzuklettern, dann hält sie inne und presst ihren Körper an die kalte Felswand. Mit den Händen umklammert sie die schroffen Ränder und lehnt sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen. Sie schlägt mit der Stirn gegen die harte Wand, dann noch einmal, fester, bis es sie zu beruhigen beginnt.
„Alice“, flüstert sie […]
Der Junge ist ihr gefolgt, jetzt nähert er sich ihr, schlotternd vor Angst. Sie schließt die Augen, schlägt weiter mit dem Kopf gegen den Felsen und spürt, zum ersten Mal, wie seine Finger nach ihrer Hand greifen. (Seite 440f)

– – –

Der zweiundvierzigjährige amerikanische Palynologe Professor Thomas Farraday und seine Studentin Lillian Bethany Greer Sandor feiern 1964 Hochzeit.

Greer hilft Thomas, der nachweisen möchte, dass die Magnolie die älteste Blütenpflanze der Erde ist und schreibt eine Dissertation über Verbreitungsmuster der Magnolien auf dem Wasserweg. Als sie 1967 zum Rigorosum erscheint, wirft ihr die Prüfungskommission vor, aus einer Veröffentlichung ihres Ehemanns abgeschrieben zu haben. Greer fühlt sich so vor den Kopf gestoßen, dass sie kein Wort zu ihrer Verteidigung sagt. In der Universitätsbibliothek findet sie einen Aufsatz von Thomas Farraday und seinem Assistenten Bruce Hodges mit dem Titel „Pilotstudie zur Evolution der Magnolie“, in dem die von ihr erarbeiteten Daten, ihre Analyse und eine von ihr entwickelte mathematische Gleichung verwendet wurden. Ihre Freundin Josephine („Jo“) Banks gerät außer sich, als sie von dem Betrug des ehrgeizigen Professors erfährt, aber Greer meint, man könne nicht von einem Plagiat sprechen, denn sie habe ihre Arbeit im Lauf der Zeit immer wieder mit Thomas diskutiert und es sei kaum mehr festzustellen, wer welche Ideen zuerst hatte. Statt Thomas Schwierigkeiten zu machen, promoviert Greer mit einer neuen Dissertation.

Als Thomas einen Ruf nach Harvard erhält, ziehen er und seine Frau im Mai 1968 aus Madison, Wisconsin, fort. Sie kaufen eine Wohnung in Cambridge und ein Haus in Marblehead, Massachusetts.

Greer träumt von einer Forschungsreise zur Osterinsel, aber sie lässt sich von Thomas überreden, ihm weiter bei seiner Arbeit zu helfen.

1970 veröffentlicht Thomas eine Arbeit, mit der er nachweist, dass die Magnolie tatsächlich die Urblume ist: Magnolius farradius. In einem wissenschaftlichen Vortrag bedankt er sich bei Bruce Hodges und anderen Kollegen, aber dass Greer jahrelang Pollen für ihn ausgezählt hat, erwähnt er mit keinem Wort.

Als sich herausstellt, dass der Nachweis gefälscht war, muss Thomas die Universität verlassen. Bald darauf bricht er mit einem Herzanfall zusammen und stirbt im Rettungswagen.

Zehn Monate später, im Februar 1973, fliegt Greer über Boston, New York und Santiago de Chile zur Osterinsel, landet auf dem Aeropuerto Mataveri und bezieht ein Zimmer in der Residencial ao Popohanga in Hanga Roa, die seit sechs Jahren von der früheren Lehrerin Mahina Huke Tima geführt wird.

Mit einem Spezialgerät bohrt Greer einen sechs Meter langen Zylinder aus einem Torfboden bei einem Kratersee. In einem Labor der Sociedad de Arqueologia de América del Sur untersucht sie das Material auf fossile Pollen.

In der Forschungseinrichtung arbeitet auch der chilenische Kryptograf Vicente Portales, der die Rongorongo-Schrift zu entziffern versucht und nachweisen will, dass Maximilian Graf von Spee bei seinem kurzen Aufenthalt auf der Insel im Jahr 1914 Rongorongo-Tafeln mit an Bord genommen hat. Greer unterhält sich gern mit Vicente, aber gegen eine engere Beziehung sträubt sie sich.

Mahina wartet noch immer auf ihren Ehemann Raphael, der vor mehr als zehn Jahren mit anderen Männern zusammen versucht hatte, nach Tahiti zu segeln und seither verschollen ist. Ihr Schwager Ramon Liragos Ika umwirbt sie, aber Mahina klammert sich an die Vorstellung, Raphael werde eines Tages zurückkommen. Um ihn dann nicht zu verpassen, wagt sie es auch nicht, mal eine Reise nach Santiago, Rio oder Buenos Aires zu unternehmen.

Bei ihren Erkundungen auf der Osterinsel fällt Greer ein alter Mann auf, der einer Greisin, die offenbar allein in einer Höhle haust, etwas zu essen bringt, ohne ein Wort zu sagen. In Hanga Roa erfährt sie, dass er Luka Tepano heißt. (Bei der alten Frau handelt es sich um Elsa Pendleton.)

Als Greer in einer Höhle von einer giftigen Spinne gebissen wird, stößt Luka gerade noch rechtzeitig auf sie. Mahina und Vicente pflegen sie gesund.

In der fest geschlossenen Hand der Bewusstlosen fand Vicente eine versteinerte Samenkapsel, die Luka ihr hineingelegt haben musste. Greer identifiziert den fossilen Samen als Paschalococus disperta. Dieser inzwischen ausgestorbene Baum wies große Ähnlichkeit mit der chilenischen Honigpalme (Jubaea chilensis) auf, die bis zu 25 m hoch wird und deren Holz sich sehr gut für große Belastungen eignet.

Einige Zeit später wird die Leiche der von Luka versorgten Greisin in ihrer Höhle gefunden.

Bevor Greer abreist, schenkt sie Mahina ein Flugticket nach Santiago und nennt ihr das Hotel, in dem sie ein Zimmer gebucht hat. Sie hofft, dass es Mahina gelingen wird, über den Verlust ihres Mannes hinwegzukommen und ein neues Leben anzufangen. Mahinas Abschiedsgeschenk ist eine in rotes Leder gebundene Erstausgabe des Buches „Die Reise um die Welt“ von Charles Darwin mit dem Ex Libris E. P. B. (Es handelt sich um das Exemplar, das Elsa Pendleton Beazley von ihrem Mann geschenkt bekommen hatte.)

Im November 1973 legt Greer ihren Bericht vor: „Palynologische Analyse der Flora und Fauna der Ostinsel“. Obwohl auf der Osterinsel keine Bäume und nicht einmal Sträucher wachsen, muss es früher Palmenwälder gegeben haben. Deren Holz könnte zum Transport der Moai verwendet worden sein, und möglicherweise steht der Raubbau im Zusammenhang damit. Sobald es kein Holz mehr gab, war es auch nicht mehr möglich, weitere Moai aufzustellen: Die Kultur zerstörte sich selbst.

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Ihren Debütroman „Osterinsel“ hat Jennifer Vanderbes aus drei Handlungssträngen geflochten: Die Britin Elsa Pendleton Beazley kommt 1913 mit ihrem Ehemann und ihrer Schwester auf die Osterinsel, im Jahr darauf hält der deutsche Vizeadmiral Maximilian Graf von Spee sich kurz dort auf, und sechzig Jahre später verbringt die amerikanische Forscherin Greer Farraday einige Monate auf der Osterinsel. Jennifer Vanderbes erzählt von Elsa im Präsens, die beiden anderen Geschichten im Imperfekt. Das Buch handelt von Liebe und Betrug sowie von Versuchen, nach entscheidenden Weichenstellungen ein neues Leben anzufangen. Durch die kenntnisreiche Darstellung erfährt der Leser viel über die Osterinsel und über Palynologie, also die Erforschung fossiler Pollen. Obwohl oder gerade weil Jennifer Vanderbes die Handlung bedächtig entwickelt, liest sich der Roman sehr gut, und der Leser fühlt sich dabei in die Welten der beiden Protagonistinnen versetzt.

 

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Textauszüge: © Berlin Verlag

Osterinsel
Maximilian Graf von Spee

Sven Regener - Glitterschnitter
Die Dialoge werden durch innere Monologe ergänzt. Sven Regener tritt in dem ebenso unterhaltsamen wie hintergründigen Roman "Glitterschnitter" also nicht als Erzähler auf, sondern versetzt sich in die Personen und wechselt immer wieder, auch mitten in einer Szene, die Perspektive. Diese meisterhaft gestalteten Übergänge wirken wie Schnitt und Gegenschnitt im Kino.
Glitterschnitter

 

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.