Vendela Vida : Des Tauchers leere Kleider

Des Tauchers leere Kleider
Originalausgabe: The Diver's Clothes Lie Empty Ecco, New York 2015 Des Tauchers leere Kleider Übersetzung: Monika Baark Aufbau Verlag, Berlin 2016 ISBN: 978-3-351-03629-4, 252 Seiten ISBN: 978-3-8412-1058-6 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Eine 33-jährige Amerikanerin aus Florida, die vor zwei Monaten eine Tochter gebar und dabei ist, sich scheiden zu lassen, reist allein nach Casablanca, um Abstand zu gewinnen. Beim Check-in im Hotel wird ihr der Rucksack mit Pass, Geld und Kreditkarten gestohlen. Am nächsten Tag übergibt ihr der Polizeichef stolz einen Rucksack. Sie sieht zwar sofort, dass es nicht ihrer ist, nimmt ihn aber entgegen und die Identität der Eigentümerin an ...
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Kritik

Der unterhaltsame Roman "Des Tauchers leere Kleider" dreht sich um eine Identitäts­krise. Vendela Vida akzentuiert das, indem sie das Buch als Selbstgespräch der Protagonistin in der 2. Person Singular statt in der Ich-Form konzipiert.
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Eine 33-jährige Amerikanerin aus Florida, die vor zwei Monaten eine Tochter gebar und dabei ist, sich scheiden zu lassen, reist allein nach Marokko, um Abstand zu gewinnen. Unter den Passagieren im Flugzeug entdeckt sie eine Frau, von der sie nicht erkannt und ausgefragt werden möchte. Im Reiseführer liest sie: „Das Erste, was man bei der Ankunft in Casablanca tun sollte, ist, Casablanca zu verlassen.“ Sie hat jedoch bereits drei Übernachtungen im Hotel „Golden Tulip“ im Voraus bezahlt. Anschließend will sie nach Fez, Marrakesch und in die Wüste.

Um an der Hotelrezeption das Anmeldeformular ausfüllen zu können, stellt sie den schwarzen Rucksack auf den blauen Koffer. Nachdem sie die Daten aus dem Pass übertragen hat, schiebt sie den Ausweis zurück in den Rucksack. Aber als sie dann wieder nach ihrem Gepäck greift, fehlt der Rucksack. Darin befinden sich außer dem Pass die Brieftasche mit Bargeld und Kreditkarten, der Laptop, eine drei Monate alte Kamera, ein Bibliotheksbuch und einiges mehr. Sie meldet den Diebstahl sogleich. Jemand vom Hotelpersonal zeigt auf die Überwachungskamera und führt die Amerikanerin zum Monitor im Keller. Sechs Männer versammeln sich um das Gerät, aber keiner von ihnen weiß, wie man die Aufnahme zurückspulen kann. Sie zeigt es ihnen und drückt die entsprechende Taste. Auf dem Bildschirm ist zu sehen, wie ein Mann ihren Rucksack stiehlt und ungehindert auf die Straße hinausgeht.

Die Amerikanerin darf in einem Büro telefonieren und ihre Kreditkarten sperren lassen. Währenddessen verständigt der Leiter der Hotel-Security den Polizeichef. Nachdem er die Aufzeichnung der Überwachungskamera ebenfalls angeschaut hat, erklärt er der Bestohlenen, der Dieb habe ihn am Morgen in englischer Sprache nach dem Frühstücksraum gefragt und nehme augenscheinlich an einem Ärztekongress im Hotel teil, weil er ein entsprechendes Namensschild getragen habe. Die Amerikanerin weist darauf hin, dass das Namensschild gefälscht sein könnte.

Der Polizeichef kommt ins Hotel. Ebenso wenig wie der Sicherheitschef des Hotels fragt er die Frau nach ihrem Namen oder erkundigt sich nach dem Inhalt des Rucksacks. Stattdessen fordert er die Bestohlene auf, zu ihm aufs Revier zu kommen, wo sie Formulare unterschreiben müsse. Das Hotel werde ihr einen Fahrer zur Verfügung stellen.

Weil dieser sich jedoch nicht auskennt, erreichen sie das Revier erst, als der Polizeichef bereits nach Hause gegangen ist.

Die Amerikanerin argwöhnt, dass Dieb, Hotelpersonal und Polizei unter einer Decke stecken. Sie hat niemanden, der ihr helfen könnte.

Deinen Vater rufst du nicht an, weil der beschäftigt ist mit seiner neuen Frau und ihren drei kleinen Söhnen, und deine Mutter, die jetzt in Arizona lebt, rufst du nicht an, weil du beschlossen hast, ihr von dem Diebstahl nichts zu erzählen. Deine Mutter hat kürzlich einen Herzschrittmacher eingesetzt bekommen und hat fünf Monate gewartet, um es dir zu sagen.

Am nächsten Morgen bringt der Fahrer des hoteleigenen Minibusses sie erneut zur Polizei und führt sie in ein Büro mit drei Beamten. Auf dem Schreibtisch steht ein drei Jahre alter Kalender. Das Ausfüllen des Formulars beginnt mit Fragen nach dem Namen ihres Großvaters (Anthony) und ihres Vaters (Gian-Carlo).

Das Telefon klingelt, und der Beamte am Schreibtisch starrt den Apparat erschrocken an.
Er spricht ein paar Worte in den Hörer, wirft dir einen Blick zu und hat zwanzig Sekunden später schon wieder aufgelegt.
„Der Polizeichef“, sagt er. „Er bittet Sie in sein Büro. Es gibt eine neue Entwicklung.“

Der Polizeichef erklärt stolz, dass man ihren schwarzen Rucksack bereits gefunden habe.

„Es ist nicht alles drin, aber Pass und Portemonnaie mit Kreditkarten. Die Diebe hier interessieren sich nicht für Kreditkarten.“
Das hättest du wissen sollen, bevor du deine sämtlichen Karten hast sperren lassen.

Die Amerikanerin erkennt sofort, dass es nicht ihr Rucksack ist, kommt jedoch nicht zu Wort. Der amerikanische Pass, den der Polizeichef aus dem Rucksack zieht, lautet auf den Namen Sabine Alyse.

Du fragst dich, ob diese Kreditkarten, wie deine, gesperrt wurden. Du stellst dir vor, wie du mit diesen Karten ins Regency eincheckst und die Speisekarte rauf und runter bestellst, bevor du deinen gesamten versäumten Schlaf nachholst. […]
Du weißt jetzt, dass du Rucksack, Pass und Portemonnaie einstecken und dir im Regency ein Zimmer nehmen wirst. Sobald du im Regency bist, wirst du dich sicher fühlen. Du musst dich sicher fühlen, um schlafen zu können. Sobald du ausgeschlafen bist, wirst du zur amerikanischen Botschaft gehen und sagen, es sei ein Irrtum gewesen, die Polizei habe dir das falsche Gepäckstück wiederbeschafft. Das ist der Plan.

Nachdem sie ein vorbereitetes Dokument unterschrieben und der Polizeichef es gestempelt hat, kehrt sie zum Minibus zurück. Im „Golden Tulip“ packt sie ihre Sachen und geht, ohne auszuchecken. Nachdem sie im Hotel „Regency“ unter dem Namen Sabine Alyse und mit deren Kreditkarte ein Zimmer genommen hat, sucht sie die US-Botschaft auf.

„Ich bin amerikanische Staatsbürgerin“, sagst du. „Ich lebe in Florida. Normalerweise. Mein Pass und mein Computer wurden mir von einem Mann mit einem Namensschild gestohlen, als ich gerade dabei war, in mein Hotel einzuchecken. Das Golden Tulip.“
„Er trug ein Namensschild?“, fragt sie.
„Ja, aber nur zur Tarnung.“
„Waren Sie bei der Polizei?“
„Ja“, sagst du. „Dort habe ich einen Rucksack bekommen, einen fremden, als Ersatz für meinen Rucksack. Das heißt, die haben gedacht, sie geben mir den richtigen Rucksack. Oder vielleicht haben sie das auch nicht gedacht. Jedenfalls hab ich den falschen Rucksack wiederbekommen. Jetzt habe ich also einen fremden Rucksack und einen fremden Pass.“
„Warum hätte Ihnen die Polizei einen fremden Rucksack geben sollen?“ […]
„Darf ich mal Ihren Ausweis sehen?“, fragt sie.
„Das ist es ja: Ich hab keinen Ausweis. Ich hab nur diesen anderen Rucksack und den Pass, und beides hab ich sicherheitshalber im Hotel gelassen.“
„Aber warum sollten Sie einen fremden Rucksack und Pass haben?“
„Weil die Polizei mir die Sachen gegeben hat.“
„Kann ich den Polizeibericht sehen?“, fragt sie. „Mit Ihrem Namen drauf?“
„Ich hab keinen Polizeibericht.“
„Sie haben keinen Polizeibericht?“, sagt sie ungläubig.
„Ich hab dort ein Dokument bekommen“, sagst du. „Mit einem roten Stempel vom Polizeichef.“
„Kann ich es sehen?“

Die Amerikanerin, die das Dokument im Hotel kopierte, zieht ein Blatt Papier aus der Rocktasche. Es ist unbedruckt. Beim ersten Versuch hatte sie die Vorlage verkehrt herum aufgelegt und deshalb versehentlich die leere Rückseite kopiert. Danach war sie abgelenkt, und statt eine weitere Kopie zu ziehen, ließ sie das Original liegen. Sie habe die Bescheinigung im Hotel vergessen, sagt sie. Die Botschaftsangestellte rät ihr, damit am nächsten Morgen wiederzukommen und fragt nach ihrem Namen. „Megan Willis“, sagt sie. So heißt die Frau in Florida, bei der sie den Rucksack kaufte.

Zurück im Hotel „Regency“, wo gerade Dreharbeiten für einen Film mit dem Titel „Eine andere Tür“ stattfinden, wird sie nach einer Weile von einer Dame kontaktiert, die sich als persönliche Assistentin der berühmten amerikanischen Haupt­darstellerin vorstellt. Die Angesprochene gibt sich als „Reeves Conway“ aus. So heißt ihre zwei Monate alte Nichte, die Tochter ihrer Zwillingsschwester. Die Assistentin erklärt ihr, Ivy, das Lichtdouble der Schauspielerin, habe unerwartet abreisen müssen. Deshalb benötige man bis zum nächsten Morgen Ersatz, und weil „Reeves“ nicht nur die richtige Hautfarbe, sondern auch etwa die gleiche Größe und Statur wie die Hauptdarstellerin habe, biete man ihr den Job für voraussichtlich drei Wochen an, gegen 500 Dollar pro Tag in bar. Außerdem übernehme man die Übernachtungskosten, allerdings nur im etwas bescheideneren „Grand Hotel“ nebenan. Dort könne sie einfach Ivys Zimmer übernehmen.

Einer der Bodyguards der amerikanischen Schauspielerin trägt ihr den Koffer ins andere Hotel, führt sie zu ihrem Zimmer und gibt ihr die Magnetkarte.

Am anderen Morgen wird „Reeves“ zusammen mit zwei Producern in einem Minibus zum Set gefahren. Dort lernt sie den marokkanischen Regisseur und andere Mitglieder des Teams kennen. Als sie bei der Einrichtung der Szene aufgefordert wird, irgendein Buch aus dem Regal vor ihr zu nehmen, tut sie es, blättert darin und bleibt an dem Gedicht „Des Tauchers leere Kleider“ hängen:

Du sitzt hier mit uns, doch ebenso gehst du
früh am Morgen in den Wiesen spazieren. Du bist selbst
das gejagte Tier, wenn du mit uns auf die Jagd kommst.
Du bist in deinem Körper fest wie eine Pflanze im Boden,
und doch bist du der Wind. Du bist des Tauchers leere Kleider am Strand. Du bist der Fisch.
Im Meer sind viele helle Strähnen
und viele dunkle Strähnen wie Adern, die sichtbar werden, wenn ein Flügel sich hebt.
Dein verborgenes Ich ist das Blut darin, in diesen Adern,
diesen Saiten einer Laute mit dem Meeresgesang,
nicht das traurige Gestade, nein: der Ton des Uferlosen.

Am Abend erfährt sie von der berühmten Schauspielerin, warum deren langjähriges Lichtdouble Ivy abreisen muste.

„Sie hat sich in den verdammten Regisseur verliebt! Der verdammt noch mal verheiratet ist. Und sie ist verdammt noch mal auch verheiratet!“

Schließlich vertraut die Bestohlene der Schauspielerin an, was sie seit der Ankunft in Casablanca erlebte. Der Filmstar fragt:

„Ist Reeves Conway denn dein richtiger Name?“
Du sagst, es sei der Name des Babys deiner Schwester.
„Reeves Conway ist deine Nichte?“
„Ja, das Baby meiner Zwillingsschwester.“
„Meine Fresse, ich glaub’s ja nicht. Was hab ich denn für Bodyguards?“ Sie blickt an die Zimmerdecke. „Ich meine, sie haben ja dann nicht mal deine Personalien überprüft, um zu sehen, ob du nicht vielleicht jemand anders bist.“

Für die nächste Szene wird auf einer eigens für den Verkehr gesperrten Straße mit 53 historischen Autos ein Stau imitiert. Nach den Dreharbeiten begleitet das Lichtdouble die Schauspielerin zu einem Konzert des Musikfestivals „Jazzablanca“. Die Schauspielerin ist mit der an diesem Abend auftretenden Sängerin Patti Smith befreundet. Als die Ersten im Publikum die amerikanische Schauspielerin erkennen, sich umdrehen und andere auf sie aufmerksam machen, verschwindet sie mit ihren Bodyguards. Ihre Begleiterin bleibt bis zum Schluss, geht dann zu Patti Smith in die Garderobe und richtet ihr Grüße der Freundin aus.

Am Abend des folgenden Tages ist die Schauspielerin in einem Restaurant mit einem russischen Unternehmer verabredet, der eigens nach Casablanca kommt, um sie zu sehen. Er heißt Leopoldi. Weil die Schauspielerin keine Lust hat, ihn zu treffen, schickt sie „Reeves“ und lässt ihr eines ihrer Modellkleider bringen. Das Double erklärt dem zunächst enttäuschten Russen, die Schauspielerin sei noch bei den Dreharbeiten. Rasch findet er Gefallen an dem Double. Nach dem Essen gehen die beiden noch in Ricks Café. Dort kippt „Reeves“, die im Verlauf des Abends zu viel getrunken hat, vom Stuhl.

Am anderen Morgen wird sie von der Schauspielerin und deren Assistentin zur Rede gestellt. Ein Tourist hat sie in Ricks Café fotografiert. Und nun versucht er die Filmgesellschaft mit der Drohung um 100 000 Dollar zu erpressen, er werde die kompromittierenden Bilder der Boulevardpresse zuspielen.

Die berühmte amerikanische Schauspielerin springt fast von ihrem Platz hoch. „Es ist verdammt noch mal ein Problem, weil alle glauben, dass ich das bin, du blöde Schlampe! […] Du hattest die Perücke auf! Du hattest mein Kleid an! Ich bin in diesem Kleid schon fotografiert worden. Das ist mein Designer! Du warst mit einem Mann unterwegs, von dem die Leute wissen, dass ich was mit ihm hatte.“

Um nicht mit Sabine Alyses Sachen erwischt zu werden, packt sie alles wieder in den schwarzen Rucksack und geht damit in der alten Medina auf den Markt, wo er ihr wie erwartet gestohlen wird.

Die nächsten Aufnahmen sollen in der US-Botschaft entstehen. Dorthin wagt sie sich nicht noch einmal, denn die Angestellte, deren Argwohn sie erweckte, würde sie wiedererkennen. Statt zum schwarzen Minibus geht sie zu einem ebenfalls vor dem Hotel stehenden weißen Touristenbus. Um nicht von den Producern gesehen zu werden, wechselt sie ihren Platz und setzt sich auf die andere Seite des Busses. Der fährt nach Meknes. Als der Reiseleiter nach der Besichtigung der Souks im Bus durchzählt, fehlt eine Person. Aufgeregt fordert er die Anwesenden dazu auf, in kleinen Gruppen auszuschwärmen. Aber niemand weiß, wonach gesucht werden soll; nicht einmal, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt.

„Reeves“ geht mit zwei Amerikanerinnen los, die Hazel und Samantha heißen und miteinander seit dem Studium an der Florida State University befreundet sind. Als sie nach ihrem Namen gefragt wird, antwortet sie: „Jane.“ Samantha sei auch aus Florida, sagt Hazel.

„Aus der Nähe von Sarasota. Der Ort heißt Dellis Beach.“
Du bist aus Dellis Beach.
„Und woher kommen Sie?“
„Miami“, sagst du.

Samantha erwähnt, dass „Jane“ ihr bekannt vorkomme.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


„Jane“ erkannte Samantha bereits im Flugzeug nach Casablanca und weiß, dass sie als Krankenschwester in Dellis Beach arbeitet. Das hängt mit den Ereignissen zusammen, die sie veranlassten, nach Marokko zu reisen.

Ihre Zwillingsschwester, die in der Schulzeit eine Abtreibung hatte durchführen lassen, überredete sie vor einiger Zeit nach einer Reihe von Fehlgeburten, für sie ein Retortenbaby auszutragen. Der Ehemann verdrehte die Augen, als er von dem Vorhaben seiner Frau erfuhr, als Leihmutter einzuspringen, aber sie fühlte sich endlich lebendig. Sobald die Wehen einsetzten, fuhren Schwester und Schwager sie ins Krankenhaus. Ihr Mann hatte geschäftlich in Indiana zu tun. Als ihr die Krankenschwester – Samantha – das Neugeborene überreichen wollte, drängte sich die Zwillingsschwester dazwischen und nahm es.

Auch in der Folgezeit durfte sie ihre Nichte nur selten sehen. Und dann überraschte die Schwester sie mit dem Geständnis, ihrem Ehemann Drew seit fünf Monaten untreu zu sein.

„Wer ist der Mann?“, fragtest du.
„Darüber wollte ich mit dir reden.“

Aus Furcht, von Samantha erkannt zu werden, ruft „Jane“, sie habe die vermisste Person gesehen und rennt los. Aber ein paar Minuten später läuft sie Hazel, Samantha und dem Reiseleiter über den Weg.

„Sie waren die vermisste Person, nach der wir gesucht haben“, sagt der Reiseleiter. Er ist wütend, versucht aber, erleichtert zu wirken.

Der Reiseleiter weiß inzwischen, dass sie sich vor der Abfahrt umsetzte und er sie deshalb doppelt zählte. Die Polizei warte am Bus, sagt er. Es müssten nur ein paar Formulare unterschrieben werden. „Jane“ tut so, als müsse sie vorher noch schnell aufs Klo und eilt in ein Café. In der Toilettenkabine zieht sie Bluse und Jeans aus und vertauscht sie gegen die weißblaue Djellaba, die sie in den Souks als Geschenk für ihre Mutter kaufte. Unerkannt verlässt sie das Café, geht zu einem Schweizer Fotografen, mit dem sie kurz zuvor ein paar Worte wechselte. Sie weiß, dass er zu einer größeren Gruppe gehört, die soeben in die Busse einsteigt.

Der Fahrer dreht sich um und sieht dich an. „Sie war vorhin im anderen Bus“, sagt der Schweizer.

Als der Schweizer sie nach ihrem Namen fragt, antwortet sie: „Aretha.“ Schönere Namen wie Verity, Maya oder Honorée hebt sie sich für die Tochter auf, die sie später haben möchte.

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An einer Stelle in „Des Tauchers leere Kleider“ lässt Vendela Vida einen der Bodyguards der berühmten amerikanischen Schauspielerin erläutern, was man unter Punktualismus versteht:

„Es gibt Phasen in der Evolution, in denen manche Arten in ihrer Entwicklung stagnieren, weil es keine Notwendigkeit für Veränderung gibt. Aber dann, meistens aufgrund von Umweltveränderungen, müssen sie sich ganz schnell anpassen. So entstehen neue Arten.“

Auch die Protagonistin muss sich in einer fremden Umgebung rasch umstellen, zumal sie Ereignissen unterworfen ist, die sie nur zum Teil beeinflussen kann.

Dass sich der unterhaltsame Roman „Des Tauchers leere Kleider“ um eine Identitätskrise dreht, ist nicht zu übersehen: Von der Hauptfigur erfahren wir nur, welche falschen Namen sie benutzt, aber nicht, wie sie wirklich heißt. Und sie hat nicht nur eine (zweieiige) Zwillingsschwester als Doppelgängerin, sondern doubelt ihrerseits eine Schauspielerin.

Damit hängt auch die außergewöhnliche Erzählperspektive zusammen. Vendela Vida schreibt im Präsens und in der zweiten Person Singular. Wenn man den Text des Buches als Selbstgespräch der Protagonistin auffasst, unterstreicht dieses „Du“ deren Identitätskrise. Das wäre bei der Ich-Form nicht so.

Vielleicht sind nicht alle Einzelheiten in „Des Tauchers leere Kleider“ plausibel, aber es gilt zu bedenken, dass wir es mit der subjektiven Wahrnehmung einer verstörten und von der Situation überforderten Person zu tun haben. Dadurch lässt sich auch die etwas voreingenommene Sicht auf Marokkaner erklären.

Schade ist, dass ein paar Sprachschnitzer übersehen wurden. Beispielsweise spult man keine Kamera zurück, sondern einen Film oder eine Aufnahme, und eine allein reisende Frau wartet nicht hinter einem anderen Pärchen.

Den Titel „Des Tauchers leere Kleider“ übernahm Vendela Vida von einem im Roman zitierten Gedicht des persischen Sufi-Mystikers Dschalāl ad-Dīn Muhammad ar-Rūmī (1207 – 1273).

Vendela Vida wurde 1971 in San Francisco geboren. 2003 debütierte sie als Roman-Autorin mit „And Now You Can Go“ („Und jetzt können Sie gehen“, Übersetzung: Juliane Gräbener-Müller). Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem ein Jahr älteren Schriftsteller Dave Eggers, verfasste sie das Drehbuch für den von Sam Mendes inszenierten Film „Away We Go. Auf nach Irgendwo“ (2009). Vendela Vida und Dave Eggers gehören zu den Gründungsmitgliedern der gemeinnützigen Organisation „826 Valencia“ bzw. „826 National“.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Textauszüge: © Aufbau Verlag

Dave Eggers (kurze Biografie)

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Als Leser des Polizeiromans "Zweifel" muss man viel Geduld mitbringen. Der schwedische Kriminologe Leif GW Persson schildert polizeiliche Ermittlungen nämlich nicht als Abenteuer, sondern v. a. als akribisches Aktenstudium. Das wirkt authentisch.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.