Die Entdeckung der Currywurst
Die Entdeckung der Currywurst
Inhaltsangabe
Kritik
Lena Brücker (Barbara Sukowa) ist Mitte vierzig. Sie lebt in Hamburg und arbeitet als stellvertretende Leiterin der Kantine der Lebensmittelkontrollbehörde. Von ihrem an die Ostfront abkommandierten Ehemann Willy („Gary“) Brücker (Götz Schubert) hat sie schon seit mehreren Jahren nichts mehr gehört, und sie rechnet auch nicht mehr damit, dass der Weiberheld zu ihr zurückkommt, hofft hingegen, dass ihr sechzehnjähriger Sohn Jürgen (Frederick Lau) den Kriegseinsatz heil übersteht. Die Tochter wohnt in Hannover.
Weil ihr Chef an der Front ist, liegt die Verantwortung praktisch bei ihr, und sie beweist in dieser Tätigkeit sowohl ihr Selbstbewusstsein als auch ihr Organisationstalent. Mit dem Koch Holzinger (Wolfgang Böck), der trotz des Mangels an Zutaten immer wieder schmackhafte Gerichte zaubert, versteht sie sich gut. Ohne dass sie groß darüber reden, weiß sie, dass er ihre Abneigung gegen die Nationalsozialisten teilt, die in der Kantine ihre Durchhalteparolen grölen. Mit seinem stillschweigenden Einverständnis zweigt sie immer wieder Lebensmittel für ihren Eigenbedarf ab.
Als Lena im Frühjahr 1945 ins Kino geht, lernt sie in der Schlange vor der Kasse den zwanzig Jahre jüngeren Marinesoldaten Hermann Bremer (Alexander Khuon) kennen. Er war in Oslo stationiert, muss sich aber am nächsten Morgen zum Endkampf an der Heimatfront melden und hat gerade seine Eltern in Hamburg besucht. Nach der Wochenschau gibt es Fliegeralarm. Statt den Film anzuschauen, drängen sich die Leute im Luftschutzkeller. Nach der Entwarnung nimmt Lena ihren neuen Bekannten mit in die Wohnung und kocht für ihn aus Karotten eine „falsche Krebssuppe“. Sie finden sich sympathisch, und Lena, die schon lange nicht mehr mit einem Mann zusammen war, lädt ihn ein, bei ihr zu übernachten. Sie schlafen miteinander.
Am anderen Morgen springt Hermann aus dem Bett. Aber Lena überredet ihn, bei ihr zu bleiben und sich bis zum vermutlich baldigen Ende des Krieges bei ihr zu verstecken. Er kann Wäsche, Hosen und Hemden von ihrem Mann tragen. Hermann lässt sich darauf ein, obwohl sie sich beide in Lebensgefahr bringen, denn auf Fahnenflucht steht die Todesstrafe.
Während Lena in der Kantine arbeitet, langweilt Hermann sich in ihrer Wohnung. Da er es nicht einmal wagen kann, ein Fenster zu öffnen, kommt er sich wie ein Gefangener vor. Sobald Lena nach Hause kommt, reißen sie sich die Kleider vom Leib und fallen übereinander her. Liebe und Sinnlichkeit lassen Lena neu aufblühen.
Eine Nachbarin meldet dem Blockwart Lammers (Branko Samarovski), dass sie nachts Schreie aus Lenas Wohnung gehört habe. Unter dem Vorwand, die Verdunkelung überprüfen zu müssen, schaut sich der überzeugte Nationalsozialist in Lenas Räumen um. Gerade noch rechtzeitig drängte sie Hermann in einen Abstellraum, sperrte zu und zog und den Schlüssel ab.
Allerdings hat Lammers wegen der Brandgefahr für alle Wohnungen im Haus einen Schlüssel. Am nächsten Tag, nachdem Lena zur Arbeit gegangen ist, kommt er zurück und öffnet auch die Abstellkammer mit einem Dietrich. Hermann steht währenddessen auf einem schmalen Mauervorsprung an der Außenfassade vor dem Fenster. Paulchen (Lennart Betzgen), ein im Hof spielendes Kind, wundert sich darüber.
Frau Eckleben (Traute Hoess), die eine Etage tiefer wohnt, spricht Lena darauf an, dass auch in ihrer Abwesenheit Schritte aus ihrer Wohnung zu hören sind. Lena behauptet, eine Freundin sei zu Besuch.
Weil das Bett laut quietscht, nehmen Lena und Hermann die Matratzen heraus und legen sie auf dem Fußboden zu einer „Matratzeninsel“ zusammen.
Lenas Radio ist kaputt, aber am 30. April 1945 hört sie in der Kantine die Meldung, dass Hitler im Kampf um Berlin gefallen sei. Abends überbringt sie Hermann die Nachricht.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.
Durch Zufall findet Lena bei Hermanns Sachen ein Foto, auf dem er mit Frau und Kind zu sehen ist. Sie fragt ihn, ob er verheiratet sei. Er leugnet es zwar, aber sie glaubt ihm nicht. Lena befürchtet, dass Hermann sie verlässt, sobald der Krieg zu Ende ist. Sie behauptet, es gebe keine Zeitungen mehr und verschweigt ihm am 3. Mai, dass Hamburg den Briten übergeben wurde, denn sie möchte ihr Liebesglück noch ein bisschen festhalten.
Lammers erhängt sich nach der deutschen Kapitulation am 8. Mai.
Hermann entgeht nicht, dass britische Soldaten in der Stadt sind und auf der Straße vor dem Haus Schwarzmarktgeschäfte abgewickelt werden. In der Annahme, dass Briten und Amerikaner nach Hitlers Tod gemeinsam mit den Deutschen gegen die Rote Armee kämpfen werden, holt er seine Uniform wieder hervor, denn da will er dabei sein.
Aus der Zeitung erfährt Lena von den grauenhaften Zuständen in den Konzentrationslagern und dem Holocaust. Hermann hält die Informationen darüber für verlogene Feindpropaganda. Aufgebracht wirft Lena ihm eine Zeitung hin, und er begreift aufgrund der Schlagzeilen, dass der Krieg schon seit einigen Tagen vorbei ist. Er verlässt Lena.
Als der Kantinenleiter aus dem Krieg zurückkehrt, wird Lena entlassen.
Eines Tages steht Gary Brücker unerwartet in der Tür, und kurz darauf ist auch Jürgen wieder da. Ihren Mann wirft Lena hinaus, denn sie will nicht mehr mit ihm zusammenleben.
Zunächst schlägt sie sich als Schneiderin durch und handelt auf dem Schwarzmarkt. Auf diese Weise kommt sie an ein Kilo Curry. Lena kennt das Gewürz nur dem Namen nach, erinnert sich jedoch, wie begeistert Hermann davon seit einem Indienaufenthalt war. Erwartungsvoll probiert sie eine Prise des Pulvers. Es schmeckt schauderhaft. Erst als sie es mit Ketchup mischt, sieht sie eine Verwendungsmöglichkeit für den Curry: Sie schmeckt das in einer Pfanne erhitzte Gemisch mit weiteren Gewürzen ab und bereitet eine pikante Soße zu, die besonders gut zu Bratwürsten passt. So erfindet Lena die Currywurst.
Mit neuer Tatkraft eröffnet sie eine Imbissbude und bietet mit großem Erfolg Currywürste, Bohnen- und Ersatzkaffee an.
Eines Tages taucht Hermann vor der Theke auf. Sie tauschen ein paar Höflichkeitsfloskeln aus. Lena weiß, dass die außergewöhnliche Liebesgeschichte der Vergangenheit angehört und sich nicht wiederholen lässt.
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)Ulla Wagner verfilmte die 1993 von Uwe Timm veröffentlichte Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“.
Dabei ersetzte sie allerdings die komplexe Rahmenhandlung durch ein kurzes Wiedersehen der beiden Hauptfiguren bald nach dem Krieg. In der literarischen Vorlage sucht der Autor Anfang der Achtzigerjahre nach Lena Brücker, die früher eine Imbissbude in Hamburg betrieb. Er geht davon aus, dass sie die Currywurst erfand und möchte sich das von ihr bestätigen lassen. Zwar findet er die über achtzig Jahre alte Frau in einem Seniorenheim, aber statt ohne Umschweife seine Fragen zu beantworten, erzählt sie ihm redselig über sieben Besuchsnachmittage verteilt von einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte, die sie gegen Ende des Zweiten Weltkriegs erlebte: So wie sie damals ihrem Liebhaber das Kriegsende verschwieg, damit er noch ein paar Tage bei ihr blieb, hält sie jetzt ihren Besucher hin. Und wir Leser werden ebenfalls hingehalten – bis der Autor bei einem weiteren Besuch im Seniorenheim erfährt, dass Lena Brücker gestorben ist.
Während Uwe Timm in „Die Entdeckung der Currywurst“ die Liebesgeschichte eng mit den politischen Ereignissen in den letzten Kriegstagen und danach verknüpft, bilden Hitlers Selbstmord, die Übergabe Hamburgs an die Briten und die deutsche Kapitulation im Film nur den Hintergrund für die Liebesgeschichte zwischen einer Frau Mitte vierzig und einem zwanzig Jahre jüngeren Deserteur. Dabei geht es nicht zuletzt um Lügen bzw. das Verschweigen der Wahrheit.
Hervorzuheben ist die ausgezeichnete Besetzung der beiden Hauptrollen mit Barbara Sukowa und Alexander Khuon.
Die Entdeckung der Currywurst wird übrigens Herta Charlotte Heuwer (geborene Pöppel, 1913 – 1999) zugeschrieben. Am 4. September 1949 bereitete sie erstmals aus Tomatenmark und einer Reihe vor allem indischer Gewürze eine pikante Soße, die sie an ihrem Imbiss-Stand in Berlin-Charlottenburg zur scharf gebratenen Dampfwurst anbot. Mitte der Fünfzigerjahre kam dafür die Bezeichnung „Currywurst“ auf. Herta Heuwer meldete ihr Soßenrezept 1958 unter dem Namen „Chillup“ (von Chili und Ketchup) zum Patent an und erhielt es am am 21. Januar 1959. An ihrer Imbissbude Ecke Kaiser-Friedrich-Straße / Kantstraße stand: „Erste Currywurst-Braterei der Welt“. Uwe Timm behauptet allerdings, er habe bereits 1947 in Hamburg eine Currywurst gegessen.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
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