John Williams : Augustus

Augustus
Originalausgabe: Augustus Viking Press, New York 1971 Augustus Übersetzung: Bernhard Robben dtv, München 2016 ISBN: 978-3-423-28089-1, 480 Seiten ISBN: 978-3-423-43087-6 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Nach Caesars Ermordung erkämpft sich sein Großneffe Octavius die Alleinherrschaft. Als er dieses Ziel erreicht und den Ehrennamen Augustus bekommen hat, ordnet er das Römische Reich neu und dauerhaft. Der Roman "Augustus" dreht sich um den Lebensweg eines Mannes, der Verantwortung für den Staat übernimmt und seine persönlichen Wünsche dem Gemeinwohl unterordnet ...
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Kritik

"Augustus" ist keine Biografie, son­dern ein Briefroman, zusam­men­gestellt aus fiktiven Schriften histo­ri­scher Persönlich­keiten. Die ver­schie­denen Stimmen ergeben ein far­bi­ges Bild. Allerdings kann auf diese Weise kein die Leser mitreißender Erzähl­strom entstehen.
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Augustus (kurze Biografie)

Prolog

Caesar schreibt 45 v. Chr. vor der Abreise aus Spanien seiner Nichte Atia in Rom. Er fordert sie auf, Gaius Octavius, ihren bald 18-jährigen Sohn aus erster Ehe, nach Apollonia in Kleinasien zu schicken.

Sein Griechisch ist erbärmlich; in Rhetorik ist er schwach, seine Fähigkeiten in Philosophie sind passabel, seine Kenntnisse der Literatur aber exzentrisch, um es milde auszudrücken. Sind die Lehrer in Rom so träge und sorglos wie die Bürger der Stadt? In Apollonia wird er jedenfalls mit Athenodorus Philosophie studieren sowie sein Griechisch verbessern, mit Apollodorus seine Literaturkenntnisse vertiefen und an seiner Rhetorik feilen. Die nötigen Vorkehrungen habe ich bereits getroffen. In seinem Alter muss er zudem fort aus Rom; er ist ein junger, wohlhabender Mann aus gutem Haus und von beträchtlicher Attraktivität. Wenn ihn die Bewunderung der Jungen und Mädchen nicht verdirbt, wird es dem Ehrgeiz der Schmeichler gelingen. […] In einer so disziplinierten wie spartanischen Umgebung wird er die Vormittage mit den klügsten Gelehrten unserer Zeit verbringen und seine Verstandeskünste schärfen; an den Nachmittagen vervollkommnet er dann mit den Offizieren meiner Legionen jene andere Kunst, ohne die kein Mann vollständig ist.

Caesars Versuch, seinen Großneffen Gaius Octavius zu adoptieren, scheiterte zwar am Widerstand von Marcus Antonius, aber der Diktator hält an dem jungen Mann als Nachfolger fest und hat beschlossen, ihn nach den Studien in Apollonia als Reiterführer im geplanten Feldzug gegen die Parther einzusetzen.

Erstes Buch

Nach der Ermordung Caesars am 15. März 44 v. Chr. (Iden des März) kehrt Gaius Octavius mit seinen Freunden Marcus Vipsanius Agrippa, Gaius Cilnius Maecenas und Salvidienus Rufus aus Apollonia nach Rom zurück. Caesar hat ihn als Erben und Nachfolger eingesetzt, aber Atia drängt ihren Sohn in einem Brief, das Testament nicht anzunehmen.

Es ist, wie ich es befürchtet hatte: Das Testament wurde öffentlich gemacht, und es ernennt Dich zu Cäsars Sohn und Erben. Ich weiß, Dein erster Impuls wird sein, beides anzunehmen, den Namen und das Vermögen, aber Deine Mutter fleht Dich an zu warten, zu überlegen und abzuschätzen, in welche Welt Dich das Testament Deines Onkels einlädt. Es ist nicht die schlichte Welt von Velletri, diesem Ort auf dem Land, in dem Du Deine Kindheit verbracht hast, auch nicht die Welt der Tutoren und Ammen, die Dich als Jungen umsorgt haben, auch nicht die Welt der Bücher und der Philosophie, die Welt Deiner Jugend also, nicht einmal die primitive Welt des Schlachtfeldes, mit der Cäsar Dich (gegen meinen Willen) bekannt gemacht hat. Dies ist die Welt Roms, in der niemand Feind noch Freund kennt, in der Freizügigkeit stärker als Tugend bewundert wird und Prinzipien nur dem Eigennutz dienen. Deine Mutter bittet Dich, die Bedingungen des Testaments nicht anzuerkennen […]. Denn wenn Du Namen und Vermögen annimmst, akzeptierst Du die Feindschaft beider Parteien, also jener, die Cäsar ermordet haben und jener, die jetzt seinem Andenken frönen.

Statt auf seine Mutter und seinen Stiefvater Lucius Marcius Philippus zu hören, akzeptiert Octavius das Testament und die damit verbundenen Folgen, aber die Mächtigen in Rom nehmen den neurasthenischen 19-Jährigen nicht ernst. Der einflussreiche Senator Marcus Tullius Cicero schreibt dem Cäsarmörder Marcus Junius Brutus:

Der Junge ist ganz ohne Bedeutung, ihn brauchen wir nicht zu fürchten. […] Er ist noch ein Junge und ein ziemlich dummer dazu; er hat keine Ahnung von Politik, und das wird sich gewiss auch niemals ändern.

Als Octavius in Begleitung seiner Freunde dem Imperator Marcus Antonius seine Aufwartung machen möchte, lässt dieser ihn stundenlang warten und berichtet dann Gaius Sentius Tavus, dem Militärbefehlshaber in Makedonien:

Octavius, dieses Milchgesicht, ist gestern Vormittag zu mir gekommen. Er ist seit etwa einer Woche in Rom und führt sich auf wie eine trauernde Witwe, nennt sich Cäsar und gibt auch sonst allen möglichen Unsinn von sich. […] Ohne Termin kam er spät am Vormittag in mein Haus, in dem bereits ein halbes Dutzend Leute wartete, und er hatte drei Kerle aus seinem Gefolge dabei, als wäre er ein verfluchter Magistrat und sie seine Liktoren. Ich nehme an, er erwartete, ich würde alles stehen und liegen lassen und zu ihm herausgestürzt kommen, was ich natürlich nicht tat. Ich befahl meinem Sekretär, ihm zu sagen, dass er genau wie alle anderen warten müsse, und rechnete halb damit, halb wünschte ich mir, dass er verschwinden würde, aber das tat er nicht. Also ließ ich ihn bis fast zum Ende des Vormittags warten, und dann durfte er zu mir herein.

Die Männer, die Octavius zunächst verlacht haben, werden bald eines Besseren belehrt, denn er entwickelt sich zu einem ebenbürtigen Gegner für Antonius, verbündet sich dann mit ihm gegen die Caesarmörder und besiegt 31 v. Chr. in der Schlacht bei Actium Kleopatra und Marcus Antonius. Mit dem Suizid der beiden endet im Jahr darauf endet die Epoche der römischen Bürgerkriege.

Caesar scheiterte daran, eine neue Staatsform zu schaffen, die von den konservativen Römern akzeptiert worden wäre und zugleich den veränderten Gegebenheiten entsprochen hätte, also der Verschiebung des Machtzentrums weg vom Senat bzw. den Konsuln zu den militärischen Befehlshabern. Gaius Octavius, dem der Senat 29 v. Chr. den neuen Ehrennamen Augustus (der Erhabene) verleiht, steht nun vor der gleichen Aufgabe. Er löst sie, indem er die Fassade der Republik stehen lässt und zugleich alle Macht in seinen Händen konzentriert, aber nicht etwa als König, sondern als princeps senatus, als Erster des Senats.

Zweites Buch

Gaius Cilnius Maecenas berichtet Titus Livius 13 v. Chr. in einem Brief über Augustus:

Langsam und mit häufiger Rast entlang des Wegs kehrte er nach der Schlacht bei Philippi mehr tot als lebendig nach Rom zurück. Er hatte Italien vor seinen Feinden im Ausland gerettet; nun blieb die Aufgabe, die zuinnerst zerrüttete Nation wiederaufzubauen.

Maecenas schildert, wie krank sein Freund damals war und kommt dann auf die Ehen des Augustus zu sprechen:

Die erste Ehe arrangierte ich für ihn schon sehr früh, noch vor dem Triumvirat. Das Mädchen hieß Servilia, Tochter von P. Servilius Isauricus, der damals, als Cicero nach Mutina gegen Octavius opponierte, bereit war, sich als Seniorkonsul mit Octavius gegen Cicero aufstellen zu lassen – […] die Heirat kam nie zustande. Die zweite war noch lächerlicher als die erste. Sie betraf Clodia, Tochter von Fulvia und Stieftochter von Marcus Antonius, und sie war Teil jener Vereinbarungen, die dem Triumvirat zugrunde lagen […]. Das Mädchen war dreizehn Jahre alt und so hässlich wie seine Mutter. Octavius hat sie meines Wissens nur zweimal gesehen, und sie hat nie auch nur einen Fuß in sein Haus gesetzt. Wie Du weißt, konnte die Ehe weder Fulvia noch Antonius beschwichtigen, die beide ihre verräterischen Verschwörungen fortsetzten, weshalb wir nach Philippi, als sich Antonius im Osten aufhielt und Fulvia offen mit einem weiteren Bürgerkrieg gegen Octavius drohte, unsere Position deutlich machen und die Scheidung durchsetzen mussten. Es war jedoch meine Verantwortung für den dritten Ehevertrag, die Octavius mir beinahe übel genommen hätte; es ging um Scribonia; und der Vertrag wurde in dem Jahr nach seiner Scheidung von Clodia geschlossen, also in jenen Monaten, in denen wir ziemlich mutlos waren, weil es schien, als würden wir entweder von Antonius’ Aufständen in Italien oder den Übergriffen des Sextus Pompeius erdrückt. […] Jedenfalls habe ich mit Pompeius geredet und etwas ausgehandelt, was ich für eine Vereinbarung hielt, besiegelt durch einen Ehevertrag mit besagter Scribonia, der jüngeren Schwester von Pompeius’ Schwiegervater. Scribonia, Scribonia … Sie kam mir stets wie der Inbegriff der Weiblichkeit vor: misstrauisch, eiskalt, höflich, aber übellaunig und höchst egoistisch. Es ist wirklich erstaunlich, dass mir mein Freund dieses Ehearrangement je verziehen hat. Vielleicht nur, weil sie ihm schenkte, was er ebenso liebt wie Rom – seine Tochter, seine Julia. Noch am Tag ihrer Geburt ließ er sich von Scribonia scheiden; und es ist ein Wunder, dass er wieder geheiratet hat, doch das tat er, und bei dieser Ehe hatte ich keinen Anteil …

Bei der nicht von Gaius Cilnius Maecenas arrangierten Ehe handelte es sich um eine Liebesheirat. Augustus – damals noch ohne den Ehrentitel – veranlasste Tiberius Claudius Nero, sich 39 v. Chr. scheiden zu lassen, damit er dessen Frau Livia Drusilla heiraten konnte. Livia hat die Söhne Tiberius und Drusus mit in die Ehe gebracht, kann jedoch aufgrund von Komplikationen bei Drusus‘ Geburt keine weiteren Kinder bekommen. Scribonias Tochter Julia, die dem Vater zugesprochen worden ist, bleibt das einzige leibliche Kind des Augustus.

Sie wird zum Spielball der Politik.

Mein Vater hatte gehofft, Marcellus, der Sohn seiner Schwester, würde sein Nachfolger werden, also verheiratete er mich mit ihm. Marcellus starb. Dann hatte er gehofft, Agrippa würde sein Nachfolger, oder es würde doch zumindest einer meiner Söhne (die von meinem Vater adoptiert wurden) soweit heranreifen, dass er seine Pflichten übernehmen könne. Agrippa starb, und meine Söhne waren noch Kinder. Weitere männliche Nachkommen der octavianischen Linie gab es nicht, und es gab auch niemanden, dem er vertrauen konnte oder über den er ausreichend Macht besaß. Also blieb nur Tiberius, den er verabscheute […].

Ich war in meinem achtundzwanzigsten Jahr, als ich Tiberius Claudius Nero heiratete. Nach einem Jahr hatte ich meine Pflicht erfüllt und ein Kind geboren, das claudisches und julianisches Blut in sich trug. Es war eine Pflicht, die zu erfüllen uns beiden, Tiberius wie mir, schwergefallen ist, und doch war unsere Mühe vergebens, denn das Kind, ein Junge, starb nur eine Woche nach seiner Geburt. Danach haben Tiberius und ich getrennt gelebt; er hielt sich viel im Ausland auf, und ich fand für mich wieder ein neues Leben in Rom.

Während Tiberius Rom meidet, tröstet sich Julia mit Liebhabern und sexuellen Ausschweifungen über ihre unglückliche Ehe bzw. die Abwesenheit des Ehemanns hinweg. Der beauftragt Spitzel, die ihm über Julia und vor allem deren Männer berichten, denn er argwöhnt, dass ein Anschlag gegen ihn geplant ist, um ihn als Nachfolger des Augustus zu verhindern. Livia schreibt deshalb ihrem Sohn im Jahr 9 v. Chr. nach Pannonien:

Du wirst mir in dieser Angelegenheit gehorchen und zwar unverzüglich. Du vernichtest sämtliche „Beweise“, die Du so gewissenhaft gesammelt hast; und Du gibst Deinem Freund Calpurnius Bescheid, dass er künftig unterlassen soll, irgendetwas für Dich in dieser Hinsicht zu unternehmen. Was, wenn ich fragen darf, willst Du mit diesen „Beweisen“ anfangen? Willst Du sie für eine Scheidung verwenden? […] Hinsichtlich all dieser Phantastereien befindest Du Dich jedenfalls im Irrtum, und zwar gründlich. […] Falls Du aber glaubst, eine Scheidung wäre für Dich von Vorteil, irrst Du aufs Neue. Ist ein solcher Schritt einmal gemacht, hast Du keinerlei Verbindung mehr zur Macht, von der wir beide träumen; Deine Frau mag „Schande“ über sich gebracht haben, Du aber wirst nichts dadurch gewinnen […]. Ich weiß, dass Deine Frau Ehebruch begeht; wahrscheinlich weiß es auch mein Mann. Falls Du aber die Gesetze gegen sie bemühen willst, die er erließ, und ihn so zwingst, seine Tochter zu strafen, wird er Dir das nie verzeihen. Dann hättest Du Dein privates Glück ebenso gut nie zu opfern brauchen. Wir müssen abwarten. Sollte Julia Schande über sich bringen, dann muss dies allein von ihr ausgehen; Du darfst in keiner Weise darin verwickelt sein, und Du wirst nur dann nicht darin verwickelt werden, wenn Du im Ausland bleibst. Ich rate Dir daher dringend, Deine Angelegenheit in Pannonien möglichst in die Länge zu ziehen. Solange Du von ihrem Haus und von Rom fortbleibst, solange hat unsere Sache eine Chance.

Augustus verbannt seine ehebrecherische Tochter 2 v. Chr. auf die Insel Pandateria, und Scribonia begleitet ihre Tochter dorthin. In ihrem auf Pandateria verfassten Tagebuch schreibt Julia:

Mein Vater wusste über meine Affären Bescheid. Sie mochten ihm Kummer bereitet haben, aber er wusste Bescheid, er verstand meine Gründe und tadelte mich deswegen nicht allzu sehr. Er wusste auch von meiner Liebe zu Jullus Antonius, und ich glaube fast, er hat sich für mich gefreut.

Julias Tagebuch zufolge verhinderte ihr Vater mit der Verbannung ihre Hinrichtung als Hochverräterin. Sie schildert, wie Augustus sie rufen ließ:

„Hättest du diese Papiere aufmerksam gelesen“, sagte mein Vater, „wüsstest du, dass es eine Verschwörung gegen die Regierung in Rom gibt und dass man als Erstes deinen Mann Tiberius Claudius Nero ermorden will.“ Ich brachte kein Wort heraus.
„Hast du von der Verschwörung gewusst? […] Es gibt eine Verschwörung“, sagte er. „Daran besteht kein Zweifel. Deine Freunde, die ich dir gerade genannt habe, sowie noch ein paar andere. Und du bist darin verwickelt. Ich weiß nicht inwieweit, und ich weiß auch nicht, welche Schuld dich trifft, aber du bist darin verwickelt. […] Ich will hoffen, dass sie dich nicht eingeweiht haben […].“
„Ich habe nichts gewusst“, sagte ich. „Du musst mir glauben, dass ich nichts gewusst habe.“ […]
Er hob eine Hand. „Warte … Wenn nur ich der Einzige wäre, der Bescheid wüsste, wäre das kein Problem. Ich könnte verhindern, dass es bekannt würde und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Aber ich bin nicht der Einzige. Dein Mann …“ Bei ihm klang es wie ein obszönes Schimpfwort. „Dein Mann weiß so viel wie ich – vielleicht noch mehr. Er hatte einen Spion im Haus des Jullus Antonius und wurde von ihm auf dem Laufenden gehalten. Tiberius plant nun, die Verschwörung im Senat aufzudecken und durch seine Vertreter einen Prozess anzustrengen. Einen Prozess wegen Hochverrats. […] Dein Tod wäre so gut wie unausweichlich. […] Ich ertrüge es nicht zu wissen, dass ich deinen Tod vor deiner Zeit zugelassen habe. Man wird dir nicht wegen Hochverrats den Prozess machen. Ich habe einen Brief aufgesetzt, den ich dem Senat vorlese. Man wird dich nach meinen Ehegesetzen wegen Ehebruchs anklagen und dich aus der Stadt Rom und all ihren Provinzen verweisen. Das ist die einzige Möglichkeit, die einzige, dich und Rom zu retten.“

Julias Tagebuch endet mit den Worten:

Die heute Morgen aus Rom erhaltenen Neuigkeiten besagen, dass Tiberius nach all den Jahren nun aus Rhodos zurückgekehrt ist und in Rom weilt. Er wurde von meinem Vater adoptiert. Falls er nicht stirbt, wird er meinem Vater nachfolgen und Kaiser werden.
Tiberius hat gewonnen.
Ich höre auf zu schreiben.

Drittes Buch

Vom 9. bis 11. August 14 n. Chr. schreibt Augustus abschnittweise einen langen Brief an den griechischen Philosophen Nikolaos von Damaskus, der die Kinder von Kleopatra und Marcus Antonius erzogen hatte. Der 76-jährige Herrscher befindet sich auf dem Weg von Rom über Capri nach Benevent, wo er sich auf Druck seiner Frau Livia demonstrativ mit seinem designierten Nachfolger Tiberius treffen will, um dessen Position zu stärken, obwohl er ihn insgeheim verachtet. Augustus ahnt, dass sein Lebensende gekommen ist, und er zieht Bilanz.

So entschied ich, die Welt nicht aus naivem Idealismus oder egoistischer Rechtschaffenheit zu ändern, diesen Vorboten unweigerlichen Scheiterns, noch entschied ich, die Welt zu ändern, um meinen Reichtum, meine Macht zu mehren, denn mehr Reichtum als man für die eigene Bequemlichkeit braucht, schien mir schon immer der langweiligste Besitz, und nichts finde ich so verachtenswert wie überschüssige Macht. Es war das Schicksal, das an jenem Nachmittag vor beinahe sechzig Jahren nach mir griff, und ich beschloss, mich seiner Umarmung nicht zu entziehen.
Ich verstand jedoch wohl eher durch Instinkt als Klugheit, dass der, den das Schicksal zur Veränderung der Welt erwählt, sich zuallererst selbst verändern muss. Will er seinem Geschick treu bleiben, muss er in sich eine harte, geheime Seite finden oder schaffen, die gleichgültig gegenüber ihm selbst und anderen bleibt, auch gegenüber der Welt, die er neu, wenn auch nicht gemäß seinem eigenen Verlangen gestalten will, sondern entsprechend ihrer Natur, die sich ihm erst im Prozess des Gestaltens offenbart.

Nur habe ich nie die Welt erobern wollen und wurde immer eher beherrscht, als dass ich Herrscher war.
Die Länder, die ich unserem Reich hinzufügte, habe ich nur erobert, um die Sicherheit unserer Grenzen zu gewährleisten; wäre Italien ohne diese Erweiterungen sicher gewesen, hätte ich mich mit unseren alten Grenzen begnügt.

In den letzten Jahren kam mir immer mal wieder der Gedanke, dass der dem Menschen angemessene Zustand, also jener, in dem es ihm am besten geht, gar nicht ein Leben in Wohlstand, Frieden und Harmonie ist, wie ich es für Rom mit all meinen Anstrengungen herbeizuführen suchte. […] Seit über vierzig Jahren leben wir nun den römischen Frieden. Kein Römer hat mehr gegen Römer gekämpft, kein Barbar konnte in Feindschaft italienischen Boden unbehelligt betreten, kein Soldat war gezwungen, gegen seinen Willen zu den Waffen zu greifen. Wir leben den römischen Wohlstand. Kein Bewohner Roms, sei er auch noch so arm, muss ohne eine tägliche Ration Korn auskommen; die Bewohner der Provinzen sind nicht länger der Willkür von Hungersnöten oder Naturkatastrophen ausgeliefert, da sie sich in allen Notlagen auf Hilfe verlassen können; und jeder Bürger, welcher Geburt auch immer, kann so reich werden, wie es sein Streben und die Launen der Welt ihm gestatten. Und wir leben die römische Harmonie. Ich habe die Gerichte Roms so geordnet, dass ein jeder in der Gewissheit vor den Magistrat treten kann, wenigstens ein Mindestmaß an Gerechtigkeit zu erhalten. Ich habe die Gesetze des Reiches so kodifiziert, dass selbst Provinzbewohner einigermaßen sicher vor gieriger Korruption und tyrannischer Macht leben können; und ich habe den Staat gegen die brutalen Übergriffe ehrgeizigen Machtstrebens geschützt, indem ich jene Gesetze gegen den Verrat erließ und umsetzte, die Julius Cäsar vor seinem Tod verkündet hatte.
Und doch bemerke ich im Gesicht der Römer einen Blick, der Böses für die Zukunft ahnen lässt. Ehrlicher Annehmlichkeit überdrüssig sehnen sie sich nach jener Korruption zurück, die den Staat fast die Existenz kostete. Obwohl ich dem Volk zur Freiheit von Tyrannei, Macht und Herkunft verhalf, zur Freiheit, jederzeit ungestraft reden zu können, wurde mir vom Volk wie vom römischen Staat die Diktatur angeboten, zum ersten Mal, als ich mich im Osten aufhielt, gleich nach der Niederlage von Marcus Antonius bei Actium, und später dann während des Konsulats von Marcus Marcellus und Lucius Arruntius, nachdem ich Italien auf eigene Kosten vor der Hungersnot gerettet hatte, bei der alle Kornvorräte Italiens aufgebraucht worden waren. Beide Male wies ich das Angebot zurück, zog mir dafür aber den Unwillen des Volkes zu. Und heute verlangen die Söhne von Senatoren, von denen man erwarten sollte, dass sie ihren Mitmenschen dienen oder sich doch zumindest selbst etwas Respekt entgegenbringen, lauthals, ihr Leben in der Arena riskieren zu dürfen, um sich in vermeintlich sportlichem Wettkampf mit gemeinen Gladiatoren zu messen. So sinkt römische Tapferkeit nieder in den gewöhnlichen Staub.
Marcus Agrippas‘ Hafen liefert heute Austern für die Schlemmer Roms; die Leichen ehrlicher römischer Soldaten düngen luxuriöse Gärten mit gestutztem Buchsbaum und Zypressen, und die Tränen ihrer Witwen lassen die künstlich angelegten Bäche lustig im Sonnenlicht Italiens sprudeln. Im Norden aber warten die Barbaren. […]

Ich bin zu der Ansicht gekommen, dass im Leben eines jeden Menschen früher oder später der Moment kommt, in dem er […] die schreckliche Tatsache begreift, dass er allein ist, getrennt von allen anderen, und dass er niemand sonst sein kann als dieses arme Geschöpf, das er nun mal ist. Ich schaue mir meine dürren Schenkel an, die welke Haut meiner Hände, dieses schlaffe, mit Altersflecken übersäte Fleisch, und es fällt mir schwer zu begreifen, dass mein Leib Erlösung von sich in einem anderen Menschen suchte, so wie der andere in ihm. Diesem Augenblick der Lust widmen manche ihr ganzes Leben und werden leer und verbittert, wenn der Leib verfällt, wie er nun einmal verfallen muss.

Ich habe zu lange gelebt. Alle, die mir nachfolgen und den Fortbestand Roms sichern sollten, sind tot. Marcellus, dem ich als Erstem die Hand meiner Tochter gab, starb mit neunzehn Jahren; Marcus Agrippa starb; selbst meine Enkel Gaius und Lucius, die Söhne von Agrippa und Julia, sind im Dienste Roms gefallen, und sogar Tiberius‘ Bruder Drusus, der nicht nur fähiger, sondern auch besonnener als sein Bruder war und den ich wie meinen eigenen Sohn aufzog, starb in Germanien. Nur Tiberius blieb übrig.

Augustus kommt in seinem letzten Brief auch auf Julia zu sprechen:

Meine Tochter gehörte einer Verschwörung an, die einen Anschlag auf ihren Mann und meine Ermordung plante. Ich wandte die so lang unbeachtet gebliebenen Ehegesetze an, um Julia zu einem Leben im Exil zu verdammen; ansonsten wäre sie zum Tode verurteilt worden, da ihr Mann, Tiberius, insgeheim vorhatte, sie wegen Hochverrats anzuklagen.

Epilog

55 n. Chr. schreibt Philippus von Athen, der letzte Leibarzt des Augustus, an Lucius Annaeus Seneca in Neapel und schildert ihm die letzten Tage und Stunden des Herrschers.

Eines muss ich Dir noch zu dem langen Brief sagen, den Octavius seinem Freund Nikolaos in Damaskus schrieb. Er wurde mir anvertraut, damit ich ihn zustellen lasse, doch erfuhr ich in Neapel, dass Nikolaos zwei Wochen zuvor gestorben war. Ich habe dem Kaiser nichts davon gesagt, da mir damals schien, dass ihn der Gedanke freute, sein alter Freund habe seine letzten Worte gelesen.

Es gehört für die jüngeren Bürger schon seit bald dreißig Jahren anscheinend zum guten Ton, mit einiger Herablassung über die lange Regentschaft von Octavius Cäsar zu reden. Und er selbst fand gegen Ende seines Lebens, dass all sein Wirken vergebens gewesen sei.
Und doch hat das römische Reich, das er schuf, die Brutalität eines Tiberius überdauert, die monströsen Grausamkeiten eines Caligula und die Unfähigkeit eines Claudius. Heute aber ist unser neuer Kaiser jemand, den Du als Jungen unterrichtet hast und dem Du in seinem neuen Amt zur Seite stehen wirst; lass uns daher dankbar dafür sein, dass er im Lichte Deiner Weisheit und Tugend regieren wird und lass uns zu den Göttern beten, dass Rom unter Kaiser Nero endlich den Traum des Octavius Cäsar erfüllen möge.

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Der Roman „Augustus“ dreht sich um den Lebensweg eines Mannes, der Verantwortung für den Staat übernimmt und seine persönlichen Wünsche dem Gemeinwohl unterordnet. John Williams veranschaulicht nicht nur den Konflikt zwischen Privatperson und öffentlicher Rolle, sondern auch zwischen der Fassade (Republik) und der Wirklichkeit dahinter (Alleinherrschaft). Es geht in dem Roman um eine entscheidende Phase der römischen Geschichte und zugleich um Menschen wie Augustus und seine Tochter Julia. Im Nachwort zitiert Daniel Mendelsohn den Autor, der 1985 in einem Interview sagte:

In beiden Fällen [„Stoner“ und „Augustus“] geht es um Führung und individuelle Verantwortung, um Feindschaften und Freundschaft […] Die Größenordnung ist eine andere, aber die Machtmechanismen in einer Universität sind die gleichen wie im Römischen Reich.

„Augustus“ ist keine Biografie, sondern ein ungewöhnlicher Briefroman, zusammengestellt aus größtenteils fiktiven Schriftstücken. „Echt“ sind wohl nur Auszüge aus Titus Livius‘ Geschichtswerk „Ab urbe condita libri CXLII“ (Von der Gründung der Stadt an. 142 Bücher). Dennoch handelt es sich auch bei den anderen Autoren fast ausschließlich um historische Personen. Einigen von ihnen, zum Beispiel dem eitlen Cicero, hat John Williams eine charakteristische Sprache verliehen. Viele Schriftstücke sind (scheinbar) im zeitlichen Zusam­men­hang mit den Ereignissen entstanden: Befehle und Petitionen, Memoranden, Erklärungen und Senats­protokolle, eine 44 v. Chr. in Brundisium verteilte Schmäh­schrift, Notizen für ein Tagebuch von Quintus Salvidienus Rufus, Briefe von Julius Cäsar, Octavians Eltern Atia und Marcius Philippus, Gaius Maecenas, Cicero, Marcus Antonius, Strabo, Marcus Junius Brutus, Horatius, Kleopatra, Nikolaos von Damaskus, von Livia und Octavia, Gnaeus Calpurnius Piso, Paullus Fabius Maximus, Lucius Varius Rufus, Vergil, Ovid und anderen. Andere Texte sind als Rückblick verfasst, so Marcus Agrippas Memoiren, Julias 4 n. Chr. auf der Insel Pandateria verfasstes Tagebuch, und der Rechenschaftsbericht „Res gestae divi Augusti“ (14 n. Chr.). Die unterschiedlichen, allesamt subjektiven Perspektiven ergeben ein buntes, lebendiges, facettenreiches, impressionistisches Bild. Allerdings kann auf diese Weise kein Erzählstrom entstehen, der die Leserin bzw. den Leser mitreißt.

Einer Notiz von John Williams am Ende entnehmen wir, dass das Manuskript für den Roman „Augustus“ 1967 bis 1972 in Rom, Northampton und Denver entstand. Veröffentlicht wurde das Buch 1971 von The Viking Press in New York. Erst Jahrzehnte später übertrug Bernhard Robben den 1973 mit dem National Book Award ausgezeichneten Roman „Augustus“ ins Deutsche (dtv, München 2016).

Eine Zeittafel und ein „Who’s Who im alten Rom“ – beides im Anhang – erleichtern die Orientierung. Das 17 Seiten lange Nachwort schrieb der Journalist und Buchautor Daniel Mendelsohn 2015 in New York.

Den Roman „Augustus“ gibt es auch als ungekürztes, über 14 Stunden langes Hörbuch, gelesen von Christian Redl, Hanns Zischler, Corinna Kirchhoff, Udo Schenk, Jens Wawrczeck, Ulrich Noethen, Felix von Manteuffel, Jule Böwe, Werner Wölbern u. a. (Regie: Burkhard Schmid, Der Hörverlag, München 2016, ISBN 978-3-8445-2438-3).

John Edward Williams wurde am 29. August 1922 in Clarksville/Texas geboren. Seinen Erzeuger kannte er nicht. Nach einem Jahr brach er das Junior College ab, begann für Zeitungen zu schreiben und als Sprecher im Rundfunk zu arbeiten. 1942 meldete sich John Williams zum Army Air Corps und war dann zweieinhalb Jahre lang in Indien und Burma stationiert. In dieser Zeit verfasste er seinen ersten, 1948 unter dem Titel „Nothing But the Night“ veröffentlichten Roman. Das nach dem Zweiten Weltkrieg in Denver begonnene Studium der englischen Literatur schloss er 1950 mit dem Master of Arts ab. 1954 promovierte John Williams an der University of Missouri in Columbia. Im Jahr darauf kehrte er als Assistenzprofessor an die University of Denver zurück. Von 1965 bis 1970 gab er die von ihm gegründete Literaturzeitschrift „Denver Quarterly“ heraus. 1985 emeritierte John Williams. Nach drei gescheiterten Ehen war er 35 Jahre lang mit seiner vierten Frau verheiratet, bis zu seinem Tod am 3. März 1994 in Fayetteville/Arkansas.

John Williams veröffentlichte vier Romane: „Nothing But the Night“ (1948), „Butcher’s Crossing“ (1960; Übersetzung: Bernhard Robben; dtv, München 2015), „Stoner“ (1965; Übersetzung: Bernhard Robben; dtv, München 2013) und „Augustus“ (1972; Übersetzung: Bernhard Robben; dtv, München 2016).

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Textauszüge: © dtv Verlagsgesellschaft

Augustus (kurze Biografie)
Cicero (kurze Biografie)
Kleopatra (kurze Biografie)

John Williams: Butcher’s Crossing
John Williams: Stoner

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