Ewald Arenz : Der große Sommer

Der große Sommer
Der große Sommer Originalausgabe DuMont Buchverlag, Köln 2021 ISBN 978-3-8321-8153-6, 318 Seiten ISBN 978-3-8321-7077-6 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der 16-jährige Gymnasiast Frieder muss wegen seiner schulischen Leistungen unter der Aufsicht seines strengen disziplinierten Großvaters für zwei Nachprüfungen büffeln, während seine Familie in den Urlaub fährt. In diesem Sommer erlebt Frieder seine erste Liebe, wird aber auch mit dem Tod konfrontiert – und lässt die Kindheit hinter sich.
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Kritik

Mit der berührenden Coming-of-Age-Geschichte bietet Ewald Arenz eine leichte Lektüre. Obwohl er sich sensibel in den jugendlichen Ich-Erzähler versetzt und dabei viel Empathie zeigt, fehlt es dem Adoleszenz-Roman "Der große Sommer" jedoch an Tiefgründigkeit.
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Latein und Mathematik statt Ferien

Der Gymnasiast Friedrich („Frieder“) Büchner ist 16 Jahre alt, als seine schulischen Leistungen zum zweiten Mal nicht für eine Versetzung reichen. Während die Eltern mit vier ihrer sechs Kinder, zwei Hunden und zwei Katzen in den Urlaub fahren, soll Frieder die Sommerferien 1981 bei seinen Großeltern verbringen und für die Nachprüfungen in Latein und Mathematik lernen.

Auch seine ein Jahr jüngere Schwester Alma bleibt in der Heimatstadt, denn sie absolviert ein Praktikum in einem Altersheim und wohnt in dieser Zeit im Schwesternheim.

Frieder mag seine 57 Jahre alte Großmutter Nana, aber vor ihrem Mann, dem Stiefvater seiner Mutter Regina, nimmt er sich in Acht. Professor Dr. Walther Schäfer, der Leiter eines Bakteriologischen Instituts, zeigt keine Gefühle und legt großen Wert auf Disziplin. Jeden Morgen badet er in einer Wanne mit kaltem Wasser.

Der Großvater ordnet an, dass Frieder jeden Vormittag vier Stunden zu büffeln hat, und für drei Nachmittage pro Woche stellt er ihn gegen Bezahlung als Boten im Institut an.

Zu seiner Verwunderung erfährt Frieder, dass er als kleines Kind schon einmal drei Monate lang von seinen Großeltern betreut wurde, weil sich seine Mutter nach Almas Geburt im Krankenhaus behandeln lassen musste.

Vier Freunde

Bei Regen im Freibad lernt Frieder Beate Endres kennen, eine gleichaltrige Schülerin des Rosa-Luxemburg-Gymnasiums ‒ und verliebt sich auf den ersten Blick in sie.

Beate kennt ihren Vater nicht, weiß nur, dass es sich um einen Brasilianer handelt, der sie und ihre Mutter Clara Endres-Reis verließ, als sie zweieinhalb Jahre alt war.

Frieder und sein Schulfreund Johann Lohmann treffen sich so oft wie möglich mit Alma und Beate. Als die vier nachts über den Zaun des Freibads klettern, flammen plötzlich die Scheinwerfer auf: der Bademeister Kurt droht mit einer Anzeige, aber dann schlägt er Frieder einen Deal vor: Wenn der Junge einen Kopfsprung vom Siebeneinhalb-Meter-Brett wagt, lässt er die Gruppe laufen. Beate springt zusammen mit Frieder. In der Begeisterung nach dem Auftauchen küssen sie sich zum ersten Mal.

Die Großeltern

Als Frieder wieder vormittags am Schreibtisch sitzt und lernt, öffnet er die Schublade und findet nicht nur Skizzenbücher seiner gern malenden Großmutter, sondern auch ein Tagebuch aus dem Jahr 1948 mit eingelegten Briefen. Neugierig schaut er sich das an und erfährt auf diese Weise einiges über die Großeltern.

Weil er einen der aus der Kladde genommenen Briefe herumliegen lässt, merkt Nana, dass er an ihren persönlichen Sachen war. Sie ohrfeigt ihren Enkel und redet tagelang nicht mehr mit ihm. Dann wägt sie den Vertrauensbruch gegen Frieders Interesse an der Familiengeschichte ab und gibt ihm von sich aus ihre Aufzeichnungen zum Lesen.

Nana stammt aus Danzig und floh gegen Ende des Zweiten Weltkriegs mit ihrer Mutter und der Tochter Regina, die sie im Alter von 18 Jahren geboren hatte, vor der Roten Armee. Auf einem überfüllten Bahnhof wurde ihnen einer der beiden Koffer gestohlen. Die Flüchtlinge wurden schließlich bei einer Familie in Bayern einquartiert, die sie nur widerwillig aufnahm.

1948 musste Nana wegen einer Nierenbeckenentzündung im Lazarett Hohenzollernschule in München behandelt werden – und verliebte sich in den Arzt, der sie dort behandelte: Walther Schäfer. Der bot ihr schließlich an, sie zu heiraten und in einer anderen bayrischen Stadt ein Haus mit zwei getrennten Wohnungen zu bauen, eine für sie beide, die andere für Nanas Mutter, ihre Tochter Regina und ihren Sohn Dietrich. Sie musste allerdings eine lange Erklärung unterschreiben, mit der sie für den Fall einer Scheidung auf Unterhaltszahlungen verzichtete und sich verpflichtete, dafür zu sorgen, dass ihr Mann nicht von ihrer Mutter oder ihren Kindern behelligt wurde. Für sie beide war es jeweils die zweite Ehe. Frieder ist entsetzt über die rigorosen Bedingungen, aber seine Großmutter erklärt ihm, dass sie froh über das Angebot gewesen sei, nach drei Jahren die zugewiesene Flüchtlingsunterkunft verlassen zu können.

Einprägsame Erlebnisse

Als Frieder seine Schwester im Altersheim besucht, führt die Altenpflegerin Herta sie ins Zimmer einer Sterbenden, um Alma zeigen zu können, auf was dabei zu achten ist. Auch für Frieder ist das eine Erfahrung, die sich einprägt.

Der Großvater nimmt ihn und Beate im Taxi mit zum Tiergarten. Er wurde gerufen, weil ein Tiger schwer krank ist. Der Direktor und der Tierarzt erwarten den Bakteriologen im Raubtierhaus. Während einer Kurzzeitbetäubung des Tigers betreten sie alle fünf den Käfig. Prof. Schäfer macht einen Abstrich und entnimmt eine Blutprobe, um den Erreger bestimmen zu können. Weil die Raubkatze nach einigen Tagen gesund wird und der Direktor davon ausgeht, dass die verordnete Medizin gewirkt hat, erhält Prof. Schäfer eine Jahreseintrittskarte für sich und seine Familie.

Ein Todesfall und die Folgen

Johann verabschiedet sich von seinen Freunden für zwei Wochen: Er muss mit seinen Eltern an den Gardasee fahren. Nach ein paar Tagen ruft er Frieder an, um ihm zu sagen, dass sein Vater beim Frühstück tot zusammengebrochen ist.

Nach der Beerdigung meint Alma, dass Johann aufgesetzt fröhlich wirke.

Die vier Freunde überklettern wieder einmal einen Zaun, diesmal den eines Steinbruchs. Im Führerhaus des Baggers steckt der Schlüssel. Sie werfen den Motor an und probieren aus, wie sich das Baufahrzeug bewegen lässt – bis eine Kette abspringt und Frieder versehentlich mit dem Baggerarm am Ast einer Linde hängen bleibt und die Hydraulikleitung abreißt.

Ölverschmiert läuft die Gruppe zur verlassenen Wohnung der Büchner-Familie, um sich zu säubern. Alma zieht sich aus, ohne sich etwas dabei zu denken. Als Alma und Johann fort sind, kommt Beate aus der Dusche, nur mit einem Slip bekleidet und einem Handtuch um den Oberkörper. Sie lässt sich von Frieder, der ebenfalls noch sexuell unerfahren ist, deflorieren.

Johann bestellt Frieder, Alma und Beate zum Friedhof. Sie seien doch Freunde, meint er, und sollten deshalb eine gemeinsame Grabstätte haben. In der Friedhofsverwaltung unterschreiben die Freunde einen Vertrag für ein Grab, und Johann bezahlt die 800 Mark Gebühr für zehn Jahre von seinem Erbe.

Kurz darauf erklärt er Alma, dass er sie liebe und fügt hinzu, er wisse, warum sie seine Gefühle nicht erwidere: Sie schlafe mit ihrem Bruder. Alma und Frieder fehlen die Worte. Beate will daraufhin nichts mehr mit dem Geschwisterpaar zu tun haben. Frieder ist entsetzt: Wie kann sie den Unsinn glauben, den Johann da erzählt hat?!


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Erst nach Tagen geht Frieder zu Johann. Marianne Lohmann öffnet die Tür und berichtet verzweifelt, dass ihr Sohn sich weigere, sein Zimmer zu verlassen. Johann ruft seine Großeltern an. Der Großvater kommt mit einem Taxi und hat auch bereits die Ambulanz verständigt. Zwei Sanitäter halten Johann fest, damit ihm die Ärztin eine Beruhigungsspritze geben kann, bevor sie den verstörten Jungen in die Psychiatrie bringen.

Frieder erhält eine polizeiliche Vorladung. Man fand seinen Personalausweis bei dem kaputten Bagger, und der Besitzer des Steinbruchs hat ihn wegen Sachbeschädigung und unbefugter Bewegung eines Kraftfahrzeugs angezeigt. Nana rät ihrem Enkel, sich dem Großvater anzuvertrauen. Der hört sich Frieders Bericht an und gibt ihm einige Zeit später die Adresse des Steinbruchbesitzers Pöhlmann. Frieder fährt hin, entschuldigt sich und versichert, sein Großvater werde für den Schaden aufkommen. Ob er allein im Steinbruch gewesen sei, fragt Pöhlmann. Nein, antwortet Frieder, aber die anderen hätten nichts beschädigt. Tatsächlich zieht Pöhlmann die Anzeige zurück.

Das Leben geht weiter

Schließlich erträgt Frieder die Trennung von Beate nicht länger und klingelt bei ihr. Clara Endres-Reis erklärt ihm über die Sprechanlage, dass ihre Tochter nicht mit ihm reden wolle, aber er bleibt einfach vor der Tür – bis Beate dann doch herauskommt. Erst jetzt erfährt sie, dass Johann an einer stressbedingten Psychose erkrankt ist und in der Psychiatrie behandelt wird. Beate begreift, dass an Johanns Behauptung über eine inzestuöse Beziehung der Geschwister nichts wahr ist.

Ihr Vater meldet sich, lädt sie für sechs Wochen nach Brasilien ein und übernimmt auch die Reisekosten. Der Hinflug ist für den zweiten Schultag nach den Ferien geplant, aber Beates Mutter lässt die Gymnasiastin für die Dauer des Brasilien-Aufenthalts vom Unterricht befreien.

Frieders Familie kommt aus dem Urlaub zurück.

Am ersten Schultag erfährt Frieder, dass er die Nachprüfungen in Latein und Mathematik bestanden hat, deshalb nun doch versetzt wird und in seiner Klasse bleiben kann.

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In seinem Adoleszenz-Roman „Der große Sommer“ erzählt Ewald Arenz von einem 16-jährigen Gymnasiasten, der im Verlauf der Sommerferien das Ende der Kindheit erlebt. Während die Familie in Urlaub fährt, muss Frieder wegen seiner schulischen Leistungen und seiner gefährdeten Versetzung unter der Aufsicht seines strengen disziplinierten Großvaters für zwei Nachprüfungen büffeln. In diesen sechs Wochen erfährt er einiges über seine 1945 aus Danzig geflüchtete Großmutter und ihren Mann, den Stiefvater seiner Mutter. Er streichelt einen flüchtig betäubten kranken Tiger, hält die Hand einer Sterbenden und erlebt, wie sein Schulfreund durch den plötzlichen Tod des Vaters aus der Bahn geworfen wird. Frieder verliebt sich zum ersten Mal und macht seine ersten sexuellen Erfahrungen. „Der große Sommer“ dreht sich um Glück und Enttäuschung, Freundschaft, Liebe und Tod, Disziplin und zielgerichtetes Engagement, Ehrlichkeit, Respekt und Vertrauen.

Ewald Arenz hat die Coming-of-Age-Geschichte in eine Rahmenhandlung eingebettet, die allerdings aufgesetzt wirkt: Der Protagonist und Ich-Erzähler Frieder sucht auf dem Friedhof seiner Heimatstadt nach dem Grab, das ihm und seinen Freunden gehört. Dabei erinnert er sich an den Sommer 1981, in dem sich so vieles für ihn veränderte.

Dass es in Frieders Liebesbeziehung eine Krise gibt, entspricht dem klassischen Schema der Dramaturgie, also auch der Erwartung der Lesenden.

Obwohl sich Ewald Arenz sensibel in den jugendlichen Ich-Erzähler versetzt und dabei viel Empathie zeigt, fehlt es bei „Der große Sommer“ an Tiefgründigkeit. Der leicht lesbare, unterhaltsame und durchaus berührende Roman bewegt sich am Rand der Wohlfühlliteratur ohne Ecken und Kanten.

Den Roman „Der große Sommer“ von Ewald Arenz gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Torben Kessler.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2022

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