Herbert Heinrich Beckmann : Es sind Kinder

Es sind Kinder
Es sind Kinder Originalausgabe Mirabilis Verlag, Klipphausen/Miltitz 2021 ISBN 978-3-947857-13-5, 248 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Tine und Stefan sind ein unverheiratetes Paar. Nach vier Jahren droht ihre Beziehung bereits zu scheitern. Nur der 2½-jährige Sohn Leon hält die beiden noch zusammen, und zwei Wochen auf einer baltischen Insel sind dazu gedacht, die Gemeinsamkeit zu retten. Als Leon verschwindet, nehmen die Eltern an, er sei von anderen Kindern entführt worden. Und weil es der Polizei nicht rasch gelingt, den Fall aufzuklären, glauben sie, selbst handeln zu müssen …
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Kritik

Geschickt schafft Herbert Heinrich Beckmann in "Es sind Kinder" von Anfang an Suspense und evoziert das Gefühl einer Bedrohung. Er konzentriert sich auf Tine und Stefan. Abwechselnd und mit großer Empathie versetzt er sich in die beiden Hauptfiguren. Das zeigt sich auch in den lebensechten Dialogen. Sogar Belanglosigkeiten lösen einen Streit aus, der dann durch Wortverdrehungen und aufgrund unterschwelliger Aggressionen eskaliert.
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Hanna, Stefan und Tine

Stefan Brodersen wollte eigentlich Künstler werden, studierte dann aber Informatik und gründete ein IT-Unternehmen, zusammen mit Hanna, die ihn vor acht Jahren heiratete. Die Firma war gewissermaßen das Baby des Paars. Die Ehe ist zwar noch nicht geschieden, doch abgesehen vom Juristischen ist Hanna inzwischen nur noch Stefans Geschäftspartnerin. Seit vier Jahren ist er mit Christine („Tine“) Schüller zusammen, aber wenn die beiden nicht einen zweieinhalbjährigen Sohn hätten, würden sie wohl bereits wieder getrennte Wege gehen.

Eine Reparatur ihrer Beziehung erhoffen sie sich von einem zweiwöchigen Aufenthalt mit dem kleinen Leon auf der abgelegenen baltischen Insel Kiirsi.

Auf der Fähre wundert sich Tine:

[…] am Bug des Decks sah sie noch zwei kleine Gestalten in haargenau gleichen, hagebuttenroten Regenjacken, die ihnen bis zu den Kniekehlen reichten und deren viel zu große Kapuzen sie sich über den Kopf gezogen hatten. Seltsam reglos standen diese Kinder dort, den Rücken ihr zugewandt, und lugten über die Reling.

Bei der Ankunft sind Tine und Stefan enttäuscht: Das gebuchte Ferienhaus erweist sich nicht nur als abgelegen, sondern auch als winzig und marode. Eine Dusche gibt es nur im Freien, und das auch nur mit kaltem Wasser. Stefan erschrickt, als ihm nach dem Duschen auffällt, dass der Stromverteilerkasten mit schlecht isolierten Leitungen direkt über der Dusche hängt. Um das Risiko eines tödlichen Lichtbogens zu eliminieren, nimmt er sich vor, in Ragnar Isolierband zu kaufen.

Weil der Strand leer ist, legen sich Tine und Stefan mit Leon nackt in die Sonne. Stefan zeigt nach einiger Zeit auf zwei rot gekleidete Gestalten oben auf der Böschung. Sie werden beobachtet! Tine glaubt, die beiden schon auf der Fähre gesehen zu haben. Wo sind die Eltern? Warum treiben sich die Kinder allein herum?

Der zweite Urlaubstag

Am zweiten Tag fahren Tine und Stefan mit Leon nach Rugnar, um Vorräte und Isolierband zu besorgen.

Tine ruft Frau Harderfeld im Sekretariat der Firma Lines & Logistics an, für die sie freiberuflich Übersetzungen macht. Obwohl der Verdienst im Vergleich zu Stefans Einnahmen gering ist, geben ihr die Honorare das Gefühl, nicht ganz von ihm abhängig zu sein. Aber die Harderfeld teilt ihr mit, dass sie vor einer Viertelstunde einen Auftrag vergeben habe und kein weiterer in Sicht sei.

Während Stefan in einem Elektrikud Äri nach einem passenden Isolierband sucht, schaut Tine sich Waschmaschinen an. Plötzlich vermissen sie Leon. Sie sehen ihn durchs Schaufenster im Freien. Dort sind die beiden rot gekleideten Kinder, und Leon versucht, auf den Bollerwagen zu klettern, den sie hinter sich herziehen. Als Stefan schnaubend hinausrennt, flüchten die beiden Kinder mit ihrem Bollerwagen quer über die Straße, und ein SUV-Fahrer kann gerade noch mit einer Vollbremsung einen Unfall verhindern.

Der Schock

Auch am nächsten Tag fahren Tine und Stefan mit Leon nach Rugnar, diesmal nicht, um einzukaufen, sondern um sich in ein Café am Marktplatz zu setzen.

Sie sind noch nicht lange da, als sie durchs Fenster sehen, wie die beiden rot gekleideten Kinder mit ihrem Bollerwagen vorbeiziehen. Verfolgen sie die Touristenfamilie? Leon deutet eifrig auf den Bollerwagen. Der hat es ihm angetan.

Während Tine sich in der Toilette übergeben muss, erhält Stefan einen Anruf von Hanna. Er ist entsetzt, als er erfährt, dass sie den promovierten Informatiker Raiko Anklam eingestellt hat, ohne sich mit ihrem Geschäftspartner abzustimmen. Schlimmer noch: Raiko Anklam soll Stefans aktuelles Projekt ParOp nicht nur bearbeiten, sondern dann auch die Außenkommunikation dazu führen. Hanna erinnert ihren verärgerten Geschäftspartner kühl daran, dass er zwar die Idee hatte, aber das Projekt nicht ihm, sondern dem Unternehmen gehört, der Firma, deren Kapital von Hanna eingebracht wurde. Dann legt sie auf.

Als Stefan sich verstört umdreht, steht Tine da und starrt ihn an. Wo Leon sei, will sie wissen. Der ist nicht mehr da. Tine rennt in die Küche und herrscht die Bedienung an. Auf der Terrasse sitzen drei Greise, und eine soeben mit einem Begleiter eingetroffene junge Frau dolmetscht. Die Alten meinen, es bestehe kein Grund zur Aufregung, der Junge sei bei den „Päkapikud“, bei den Elfen. Irritiert beginnen Tine und Stefan, in den umliegenden Straßen nach Leon zu suchen. Als Tine daran denkt, dass unlängst in England zwei Kinder ein Baby entführten und ermordeten, muss sie sich erneut übergeben.

Weil Leon spurlos verschwunden bleibt, gehen Tine und Stefan zur Polizeistation. Als Stefan den Eindruck gewinnt, dass der Beamte mit dem Namensschild Raadik zu wenig Eifer zeigt, glaubt er, ihm Schmiergeld anbieten zu müssen – und blickt daraufhin in das Gesicht des düpierten, aufgebrachten Uniformierten. Tine wirft ihm frustriert vor, die Situation falsch eingeschätzt und verpfuscht zu haben. Sie ruft bei der Deutschen Botschaft an, aber man verweist sie nur an die örtliche Polizei.

Tine und Stefan, die von einer Entführung ausgehen, suchen weiter. Vor dem Café treffen sie auf Raadik. Der hat inzwischen die Bedienung befragt, die allerdings nichts über den Verbleib des Zweijährigen sagen konnte und sich stattdessen über die aggressiven Eltern beklagte. Weil auf Kiirsi nur Raadik und seine Kollegin Leena Vaarandi Polizeiaufgaben wahrnehmen, fordern sie einen Suchtrupp vom Festland an.

Helin und Uku

Jaan Kaalep, einer der drei Greise, die auf der Terrasse des Cafés saßen, sagt aus, dass der kleine Junge Helin und Uku Lepin nachgelaufen und auf deren Bollerwagen geklettert sei. Helin und Uku sind ein kleinwüchsiges Paar, werden auf der Insel als „Elfen“ angesehen und gelten als friedlich. Raadik meint, Tine und Stefan bräuchten sich keine Sorgen zu machen. Helin und Uku würden dem Kind nichts tun und es handele sich gewiss nicht um eine Entführung.

Während sich die vom Festland herübergekommene Einsatzleiterin Ellen Rummo mit ihrem Team im Hintergrund hält, fahren Raadik und Leena Vaarandi mit den besorgten Eltern zu der reetgedeckten Kate des Ehepaars Lepin. Nur mühsam gelingt es der Polizistin und dem Polizisten, Tine und Stefan zurückzuhalten, während sie mit den Bewohnern sprechen. Helin Lepin sagt, das Kind sei aus dem Café gekommen, ihnen nachgelaufen und auf den Bollerwagen geklettert. Sie habe den Jungen aber aufgefordert, zu seinen Eltern zurückzugehen, bevor sie mit Uku weitergezogen sei.

Leon ist weder im Haus noch in der Scheune. Raadik fährt Tine und Stefan zum Ferienhaus. Die beiden sind sich einig in der Einschätzung, dass die Provinzpolizei nicht in der Lage sei, die Entführung aufzuklären und sie deshalb selbst versuchen müssen, Leon zu retten.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Das Ende

Sie schleichen sich an und observieren die Kate der Lepins. Von Leon ist nichts zu sehen. Uku kommt mit einem Beil zu einem Hackklotz und schlägt einem von Helin gehaltenen Huhn den Kopf ab. Da hält Tine nichts mehr. Sie rennt los, ohne auf die Lepins zu achten, die bei ihrem Anblick erstarren. Stefan folgt Tine. In der Scheune zündet er eine Kerze an, um besser zu sehen.

„Stefan, was …?“ Tine kniff die Augen zusammen, als würde sie geblendet und ließ den Satz unvollendet. So unvollendet, dachte er plötzlich, wie es ihre Beziehung sein würde, wenn das hier vorbei war. Dann nämlich würde er sich von ihr trennen. Und Leon würde bei ihm bleiben, dafür würde er sorgen. Ihr Verhalten […] hatte ihm zu der glasklaren Erkenntnis verholfen, dass sie nicht zusammengehörten. Alles ein Missverständnis, grausam in die Länge gezogen, mit einem desaströsen, aber entlarvenden Ende.

Funken der Kerzenflamme setzen Strohreste am Boden in Brand, und nur weil Tine das Feuer beherzt mit einer Decke erstickt, geschieht nichts Schlimmes.

Das kleinwüchsige Paar weicht furchtsam vor Tine und Stefan zurück. Augenscheinlich haben sie Leon zumindest nicht hier auf dem Hof versteckt.

Als die Eltern deprimiert zum Ferienhaus zurückkehren, sitzt Leon vor der Tür. Das Kind lässt sich in den Arm nehmen, wirkt zwar müde, aber gesund und unverletzt.

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Tine und Stefan sind ein unverheiratetes Paar. Nach vier Jahren droht ihre Beziehung bereits zu scheitern. Nur der zweieinhalbjährige Sohn Leon hält die beiden noch zusammen, und zwei Wochen auf einer abgelegenen baltischen Insel sind dazu gedacht, die Gemeinsamkeit zu retten. Aber die Konflikte schwelen im Untergrund und flammen bei geringsten Anlässen auf. Herbert Heinrich Beckmann veranschaulicht das in seinem Roman „Es sind Kinder“.

Schläft er?“
Tine setzte sich Stefan gegenüber an den Tisch und fixierte ihn. „Das denkst du, hm? Dass ich ihn geknebelt habe, damit er nicht schreit?“
„Herrgott, Tine!“ Er schlug wütend mit der flachen Hand auf den Tisch, dessen Beine auf dem Fußboden mit Steppgeräuschen antworteten. „Ich habe dich ganz normal gefragt, ob Leon schläft.“

Geschickt evoziert Herbert Heinrich Beckmann in „Es sind Kinder“ von Anfang an das Gefühl einer Bedrohung der drei Hauptfiguren. Bereits auf der Fähre fallen Tine die beiden rot gekleideten seltsamen Mitreisenden auf, die sie und Stefan auch beim Wiedersehen auf der Insel für Kinder halten. Die Touristen fühlen sich von von beiden verfolgt und bedroht. Als Leon während eines Aufenthalts in der Stadt in einem Moment der Unachtsamkeit verschwindet, nehmen die Eltern an, das Kind sei von den beiden Verdächtigen entführt worden. Tine muss sich übergeben, als sie daran denkt, dass unlängst in England zwei Kinder ein Baby kidnappten und ermordeten. Und weil es der Polizei nicht rasch gelingt, den Fall aufzuklären, glauben sie, selbst handeln zu müssen …

Suspense schafft Herbert Heinrich Beckmann in „Es sind Kinder“ nicht zuletzt, indem er Namen wie Hanna erwähnt, bevor er die entsprechenden Romanfiguren einführt. Das schafft Desorientierung und Spannung, denn beim Lesen fragt man sich: Wer ist das? Was hat es mit der Person auf sich? Erst spät erfahren wir, dass Stefan nicht mit Tine, sondern mit Hanna verheiratet ist. Das wirkt wie eine unerwartete Wendung bzw. ein Plot Twist.

Herbert Heinrich Beckmann konzentriert sich auf Tine und Stefan. Abwechselnd und mit großer Empathie versetzt er sich in die beiden Hauptfiguren. Das zeigt sich auch in den lebensechten Dialogen. Sogar Belanglosigkeiten lösen einen Streit aus, der dann durch Wortverdrehungen und aufgrund unterschwelliger Aggressionen eskaliert.

Warum das Ferienhaus zunächst mit Tannenzapfen und dann auch mit Steinen beworfen wird, bleibt ungeklärt. Die Szene dient wohl nur dazu, die Spannungskurve hochzuhalten. (Oder habe ich etwas übersehen?)

In einer Nachbemerkung distanziert sich Herbert Heinrich Beckmann davon, kleinwüchsige Menschen als Elfen zu betrachten, wie es hier die Bewohner der fiktiven baltischen Insel Kiirsi tun.

Der Roman „Es sind Kinder“ von Herbert Heinrich Beckmann ist das Ergebnis einer Bearbeitung seines gleichnamigen, 2009 vom SWR produzierten Hörspiels.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2021
Textauszüge: © Mirabilis Verlag

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Das von Naomi Alderman für "The Future" gewählte Thema – Kapitalismus, ökologische und Klima-Katastrophe – ist hochaktuell, und alle vernünftigen Leserinnen und Leser werden ihr Plädoyer für die Weltrettung unterstützen, aber die Lektüre der 541 Seiten langen Gesellschaftssatire ist enttäuschend.
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