Eric Berg : Die Mörderinsel

Die Mörderinsel
Die Mörderinsel Originalausgabe Limes Verlag, München 2020 ISBN 978-3-8090-2661-7 (476 Seiten) ISBN 978-3-641-16921-3 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

In Trenthin auf Usedom mobbt man den Hotelier Holger Simonsmeyer, weil die meisten Bewohner ihn nach wie vor für den Mörder einer 20-Jährigen halten, obwohl er vom Gericht freigesprochen wurde. Ein paar Wochen nach seiner Rückkehr aus der U-Haft wird noch ein Mädchen umgebracht. Und dann geht das Wohnhaus der Familie Simonsmeyer in Flammen auf ...
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Kritik

Der auf Usedom spielende Kriminalroman "Die Mörderinsel" von Eric Berg dreht sich trotz des reißerischen Titels weniger um die Aufklärung von Verbrechen als um die gesellschaftskritische Veranschaulichung hasserfüllter Aktionen einer Dorfbevölkerung gegen einen Bewohner, den fast alle für einen Mörder halten, obwohl er vom Gericht freigesprochen wurde.
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Freispruch

Im Sommer 2018 wird der Mordverdächtige Holger Simonsmeyer vom Gericht freigesprochen und nach zehn Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen. Endlich kann der 41-jährige Hotelier zu seiner Frau Bettina und den beiden Söhnen nach Trenthin auf Usedom zurückkehren. Finn und Patrick sind 17 bzw. 10 Jahre alt.

Die Familie, die ein Cottage neben dem 4-Sterne-Hotel „Gut Trenthin“ bewohnt, hofft zunächst, dass die schlimme Zeit überstanden ist. Aber rasch stellt sich heraus, dass die meisten anderen Dorfbewohner weiterhin glauben, Holger Simonsmeyer habe die 20-jährige Susann Illing am 29. September 2017 beim Joggen im Wald überfallen und ihr die Kehle durchgeschnitten. Dass er die Aussage verweigerte, gilt vielen als Beweis für seine Täterschaft. Man entrüstet sich darüber, dass Angeklagte wie er offenbar vor Gericht alle Rechte genießen und deshalb kaum zu überführen sind.

Susanns Vater Udo Illing versucht, seine Trauer mit Alkohol zu betäuben und kracht im Vollrausch mit einem gestohlenen Auto gegen einen Baum. Zwei Wochen später erliegt er in einem Krankenhaus in Greifswald seinen Verletzungen. Die Witwe Mareike Diane Illing versinkt in Depressionen. Den von der Familie Illing gepachteten Campingplatz übernimmt Eduard Fassmacher, der Besitzer eines Delikatessengeschäfts und von Pensionen und Ferienwohnungen.

Mareikes Schwester Eva Regina Waldeck macht es zu ihrer Aufgabe, den vermeintlichen Mörder von Usedom zu vertreiben. Beispielsweise veröffentlicht sie im Internet eine Liste der Lieferanten des Hotels. Einige von ihnen beenden daraufhin die Geschäftsbeziehungen mit Holger Simonsmeyer. Durch neue Verträge erhöhen sich die Kosten des Hotelbetriebs, und gleichzeitig brechen die Einnahmen weg, weil Gäste ausbleiben. Eva Waldeck engagiert sich auch in der von dem Anstreicher Marlon Ritter zum Schutz junger Frauen gegründeten Bürgerwehr. Die Elektroschocker, mit denen Eduard Fassmacher sie ausstattet, stammen von der „Freien Wehr Vorpommern“ (FWV).

Der Bestattungsunternehmer Alexander Waldeck kann seine Frau nicht von der Hetzjagd abbringen, aber er weigert sich, Holger die seit der Schulzeit bestehende Freundschaft aufzukündigen – und ist damit nahezu der einzige Mensch in Trenthin, der weiter zu ihm hält. Als er die hasserfüllten Aktionen seiner Frau nicht länger erträgt, zerbricht die Ehe.

Ben-Luca, der 18-jährige Sohn von Eva und Alexander Waldeck, ist Finn Simonsmeyers bester Freund und gerät dadurch zwischen die Fronten.

Der zweite Mord

34 Tage nach Holgers Freispruch entdecken Finn Simonsmeyer und Ben-Luca Waldeck eine zweite Leiche mit durchgeschnittener Kehle. Es handelt sich um Amrita, die 17-jährige Tochter der aus Indien stammenden Familie Sayyapparaju, die auf Usedom das Restaurant „Papadam“ betreibt. Ihr Vater Jainil Sayyapparaju, den die Gäste einfachheitshalber „Herr Tschaini“ nennen, fand übrigens die erste Tote.

Jainil und Meena Sayyapparaju haben noch zwei Söhne: den 18-jährigen Ganesh und den zehn Jahre älteren Ramu, der in Berlin Jura studiert. Als Amrita noch lebte, machte sich der konservative Inder Sorgen, weil Finn Simonsmeyer oft im noch geschlossenen Restaurant herumsaß, von Ganesh servierten Tee trank und Geschenke für Amrita bastelte. Als Schwiegersohn konnte er sich nur einen Inder vorstellen. Deshalb verbot er Amrita den Umgang mit Finn und beschloss, sie in Kürze mit einem geeigneten Mann in Indien zu verheiraten. Dass Amrita sich heimlich mit Marlon Ritter herumtrieb, ahnt er noch immer nicht. Ebenso wenig weiß er, dass Susann Illing Ramus Geliebte war.

Das Feuer

An ihrem 18. Geburtstag verlässt Susanns jüngere Schwester Tallulah („Lula“) Illing ihre unglückliche Mutter und zieht zu Farhad, dem 31-jährigen Betreiber der Shisha-Bar „Palmyra“ in Berlin, mit dem sie bereits seit zwei Jahren eine heimliche Liebesbeziehung hat.

Einige Stunden später brennt das Wohnhaus der Familie Simonsmeyer nieder. Jemand warf Molotow-Cocktails durchs Fenster. Bettina, Holger und Patrick sterben in den Flammen ebenso wie die zehn Jahre alte Alena-Antonia Waldeck, die mit Patrick spielte, während ihr Bruder Ben-Luca bei seinem Freund Finn zu Besuch war. Nur die beiden Jugendlichen überleben den Brandanschlag.

In den Medien wird Usedom nach den Verbrechen mit sechs Toten als „Mörderinsel“ bezeichnet.

Doro Kagel

Die Berliner Gerichtsreporterin Doro Kagel, die ausführlich über den Mordfall Susann Illing berichtet hatte, fährt nach Usedom und versucht herauszufinden, wer die beiden jungen Frauen und die vier Menschen im Haus der Familie Simonsmeyer ermordete. Dabei arbeitet sie mit Carsten Linz vom Staatsschutz in Karlsruhe zusammen.

Bald nach dem Feuer kommt Meena Sayyapparaju mit den beiden Söhnen aus Indien zurück. Nachdem sie dort Amritas Asche in den Ganges gestreut hatten, starb Jainil. Der Verlust der Tochter und die Aufregung im Zusammenhang mit dem anderen Leichenfund war zu viel für ihn.


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Doro Kagel und Carsten Linz klären zuerst die beiden älteren Verbrechen auf.

Susann Illing hatte herausgefunden, dass Finn Simonsmeyer schwul ist. Weil Homosexualität in der Welt des Fußballs noch immer ein Tabu ist, fürchtete Finn um die erträumte Karriere bei Hertha BSC in Berlin und ermordete die 20-Jährige, die sein Geheimnis kannte. Sein Vater sah ihn kurz zuvor in der Nähe des Tatorts und entdeckte die Leiche noch vor Jainil Sayyapparaju. Um seinen Sohn zu schützen, verweigerte er vor Gericht die Aussage. Amrita Sayyapparaju musste sterben, weil sie mit dem Gedanken gespielt hatte, ihrem Vater die Augen über Finns Homosexualität zu öffnen, damit er nicht länger glaubte, sie wegen des vermeintlichen Verehrers eilig in Indien verheiraten zu müssen. Finn kam ja nicht wegen ihr so oft ins Restaurant, sondern um ihren Bruder Ganesh zu sehen, der seine Liebe erwiderte. Um das Geheimnis zu wahren, ermordete Ganesh seine Schwester.

Zum Schluss lösen Doro Kagel und Carsten Linz auch die Frage, wer die Molotow-Cocktails ins Haus der Familie Simonsmeyer warf. Holger hatte neun Jahre lang eine heimliche Liebesbeziehung mit der zwölf Jahre älteren Künstlerin Rosemarie Busch. Ein paar Tage vor dem Feuer klärte die 52-Jährige Holgers Ehefrau darüber auf. Holger zeigte sich entschlossen, die Scheidung einzureichen und mit seiner Geliebten einen Neuanfang zu versuchen. Das von ihm bestellte Taxi wartete bereits, als ihn Bettinas Verzweiflung zum Umdenken brachte. Statt sie zu verlassen, schickte er das Taxi weg. Dann telefonierte er mit Rosemarie Busch und teilte ihr mit, dass er nun doch bei seiner Frau bleiben würde.

Eine Stunde später ging das Haus in Flammen auf.

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Die Figur der Gerichtsreporterin Doro Kagel erfand Eric Berg bereits für seinen Kriminalroman „Das Nebelhaus“ (2013). In „Die Mörderinsel“ klärt sie erneut eine Reihe von Kapitalverbrechen auf.

Aber der auf Usedom spielende Kriminalroman „Die Mörderinsel“ dreht sich trotz des reißerischen Titels weniger um Ermittlungen als um die Reaktion einer Dorfbevölkerung auf ein Gerichtsurteil, das viele nicht nachvollziehen können. Obwohl der wegen Mordes angeklagte Holger Simonsmeyer vom Gericht freigesprochen wurde, halten ihn die meisten weiterhin für den Mörder der 20-jährigen Susann Illing. Holger hofft vergeblich, dass sich die Wogen im Lauf der Zeit glätten. Eine ehemalige Freundin der Familie schimpft gegen den in ihren Augen ungerechten Justizapparat, hetzt gegen den vermeintlichen Mörder und wiegelt andere Dorfbewohner zur Selbstjustiz gegen ihn auf. Sie gründen nicht nur eine Bürgerwehr mit Kontakten zum rechtsradikalen Spektrum, sondern sorgen auch mit einer Kampagne im Internet dafür, dass Lieferanten des Hoteliers ihre Verträge kündigen und Gäste ausbleiben. Eric Berg veranschaulicht gruppendynamische Aspekte dieser Hetzjagd und Konflikte, in die weniger fanatische Personen dadurch geraten.

Parallel dazu thematisiert Eric Berg in „Die Mörderinsel“ das Tabu der Homosexualität in der Welt des Fußballs.

Das Buch beginnt mit der Überschrift „Noch 34 Tage bis zum zweiten Mord“. Eric Berg entwickelt den Plot auf mehreren Zeitebenen. Dabei schildert die Journalistin Doro Kagel in der Ich-Form, was sie nach der Serie von Verbrechen auf Usedom erlebt und bei ihren Nachforschungen herausfindet. Das Vor und Zurück zwischen den Handlungssträngen nutzt Eric Berg für Cliffhanger, also für Suspense, aber es ist nicht immer einfach, den Überblick über die Zusammenhänge und die zahlreichen Figuren zu behalten.

Die Auflösung wird nicht alle Leserinnen und Leser überzeugen. Vielleicht hätte sich Eric Berg besser auf das Genre des Dorfromans beschränkt, statt die ausführliche Gesellschaftskritik mit einer Thriller-Handlung zu verknüpfen.

Den Kriminalroman „Die Mörderinsel“ von Eric Berg gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Vera Teltz.

„Eric Berg“ ist übrigens das Pseudonym, unter dem Eric Walz (* 1966), ein erfolgreicher Autor historischer Romane, seit 2013 Kriminalromane schreibt.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2020

Siegfried Sommer - Und keiner weint mir nach
In "Und keiner weint mir nach" erzählt Sigi Sommer Geschichten über die Mieter im Haus Mondstraße 46 in München. Er hat gut beobachtet, wie sich einfache Leute im Alltag verhalten, und obwohl einige der Schicksale tragisch enden, bleibt der Grundtenor launig und humorvoll.
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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.