Frauke Buchholz : Frostmond

Frostmond
Frostmond Originalausgabe Pendragon Verlag, Günther Butkus, Bielefeld 2021 ISBN 978-3-86532-723-9, 288 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Jeanette Maskisins, eine 15-jährige Ausreißerin aus einer verwahrlosten Cree-Familie in einem Reservat im Norden Kanadas wird in Montréal tot aufgefunden. Zwei Ermittler mit grundverschiedenen Charakteren, die nur widerwillig zusammenarbeiten, ermitteln in dem Mordfall. Werden sie schneller sein als Jeanettes Cousin, der den Behörden misstraut und auf Selbstjustiz setzt?
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Kritik

Frauke Buchholz kennt die gesellschaftlichen Verhältnisse in den Reservaten für die indigene Bevölkerung in Nordamerika aus eigener Anschauung. Auch die zahlreichen unaufgeklärten Fälle spurlosen Verschwindens von Frauen der First Nations sind eine Tatsache. Vor dem gesellschaftskritischen Hintergrund entwickelt Frauke Buchholz die farbige Handlung ihres Thrillers "Frostmond".
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Leichenfund

Am Urban Beach in Montréal wird eine Leiche angeschwemmt. Die Gerichtsmedizinerin Bernadette Lamartine schätzt, dass sie zehn Tage lang im Wasser trieb. Das junge Mädchen wurde schwer misshandelt, stand unter Drogen und war im vierten Monat schwanger. Todesursache war ein an der Schläfe aufgesetzter Schuss.

Um den zuständigen Ermittler Sergeant Jean-Baptiste LeRoux zu unterstützen, fordert Jacques Morel, der Leiter der Mordkommission der Sûreté du Québec, den renommierten RCMP-Profiler Ted Garner aus Regina an. Sieben Tage nach dem Leichenfund trifft er in Montréal ein.

Teds Mutter starb bei seiner Geburt. Nach dem Master-Abschluss in Psychologie arbeitete er zunächst in einer Klinik in der Provinz Saskatchewan, dann meldete er sich zur Royal Canadian Mounted Police. Seine Ehefrau Pat und er haben zwei acht bzw. zwölf Jahre alte Söhne. Während Ted seinen Beruf ernst nimmt und sich eifrig auch um die Aufklärung dieses Falles bemüht, hält JB – wie Ted ihn nennt – die Polizeiarbeit für mehr oder weniger sinnlos. Seine Frau ist ihm geistig weit überlegen. Sophie LeRoux studierte Literatur und Philosophie an der Université de Montréal und betreibt die Buchhandlung Le Port d’Esprit. Jean-Baptiste liest keine Bücher. Er vergnügt sich lieber mit Prostituierten.

Niskawini

Weil es sich bei der Toten vom St. Lawrence River augenscheinlich um eine Angehörige der First Nations handelt, befragen Ted und Jean-Baptiste im First Nation Reunion Center in Montréal den Conseiller Raymond Chipewyan. Aber der gibt ihnen keine brauchbaren Antworten.

Dennoch finden die Ermittler heraus, dass es sich bei der Ermordeten um Jeanette Maskisin handelt. Sie kam aus Niskawini, einem Cree-Reservat im Norden Quebecs. Nachdem die Identität geklärt ist, buchen Ted und Jean-Baptiste einen Flug von Montréal nach Chibougamau. Dort wird der Sarg in ein Wasserflugzeug umgeladen, und der Pilot bringt die beiden Ermittler mit der Fracht nach Niskawini, wo sie von Jérôme Voyageur erwartet werden, einem Vertreter der Cree-Stammespolizei, also der Eeyou Eenou Police Force.

Ted und Jean-Baptiste befragten in der Chief Poundmaker Memorial School den Lehrer Arthur McFallon, der die vor einem Jahr verschwundene Schülerin gut kannte. Er beschreibt sie als ehrgeizig und sagt, Jeanette Maskisin sei viel mit ihrem älteren Cousin Leonard („Leon“) Maskisin zusammen gewesen. Den habe man allerdings im letzten Jahr von der Schule verwiesen.

Jérôme Voyageur bringt die Kollegen zu Leons Mutter. Ihr Sohn ist nicht da. Der Vater kam ums Leben, als Leon erst fünf Jahre alt war. Der damals 25-jährige Leonard Maskisin sen. saß mit seiner acht Jahre jüngeren Schwester Louise und deren Ehemann Alphonse in einem Auto. Sie waren alle drei betrunken. Louise fuhr und verursachte einen Unfall, der ihrem Bruder das Leben kostete.

Louise und Alphonse Maskisin sind Jeanettes Eltern. Als Ted und Jean-Baptiste hinkommen, liegen sie noch im Bett, obwohl die Beerdigung ihrer Tochter in zwei Stunden ansteht. Die sechs Kinder hängen vor dem Fernsehgerät herum. Die Eltern sind schwer alkoholkrank, leben von Sozialhilfe und haben alles im Haus verwahrlosen lassen.

Kriegsveteran

Jacques Morel ruft Ted und Jean-Baptiste nach zwei Tagen aus Niskawini zurück, weil eine weitere Leiche gefunden wurde, diesmal am Ottawa River.

Bei der Ermordeten handelt es um Lorraine Buffalo. Sie hatte sich kurz zuvor bei der Polizei in Sault Ste. Marie in Ontario als Zeugin gemeldet. Lorraine Buffalo will gesehen haben, wie die seither vermisste Martha Loon in einen Holztransporter stieg. Die beiden indigenen Frauen arbeiteten als Prostituierte. Constable Miles Barker, der die Aussage protokollierte, berichtet Ted, Lorraine Buffalo sei betrunken gewesen und habe randaliert. Er war allein in der Wache, aber zum Glück kam sein Bruder Derek vorbei und half ihm, die hysterische Frau hinauszuwerfen. Das Protokoll heftete er ab, ohne etwas zu unternehmen.

Entlang des Trans Canada Highway verschwanden in den letzten fünf Jahren 19 Frauen spurlos, 18 von ihnen gehörten zu den First Nations. Keiner der Fälle wurde aufgeklärt.

Ted ist aufgefallen, dass außer Constable Miles Barker nur dessen Bruder von Lorraine Buffalos Zeugenaussage wusste.

Private Derek Barker war bei der NATO-Operation Dragon Strike in der afghanischen Provinz Kandahar dabei. Am 1. November 2010 wurde der damals 19-Jährige bei einen Angriff der Taliban schwer verletzt. Nach einer Penektomie und aufgrund einer Posttraumatischen Belastungsstörung behandelte ihn die Psychologin Dr. Cornelia Alliston von Januar bis März 2011 stationär in Petawawa. Seit zwei Jahren arbeitet der Kriegsveteran bei der Henri Lapin Logging Corporation Ltd in Kenora und transportiert regelmäßig Holz auf dem Trans Canada Highway.

Weil es sich bei Derek Barker um einen mit dem Star of Military Valour ausgezeichneten Kriegshelden handelt, befürchtet Jacques Morel für den Fall, dass sich der Verdacht als unbegründet erweist, negative Schlagzeilen über die Sûreté du Québec. Deshalb ordnet er an, erst einmal den Lehrer Arthur McFallon einzubestellen und den verschwundenen Leon Maskisin zur Fahndung auszuschreiben.

Aber Ted lässt sich nicht zurückhalten. Als er bei einem Telefongespräch mit der Spedition herausfindet, dass Derek Barker an diesem Abend in der Auberge St. Martin in Montréal übernachten wird, fährt er mit Jean-Baptiste hin. Als der Verdächtige von der Rezeption zu seinem Zimmer geht, rufen sie seinen Namen. Der 26-Jährige schießt ohne Vorwarnung. Ted bricht mit einem Bauchschuss zusammen. Sobald Ambulanz und Verstärkung eingetroffen sind, tritt Jean-Baptiste die Tür ein. Der Mordverdächtige liegt tot neben dem Bett. Er hat sich selbst erschossen.

Leon

Die Cree und andere First Nations halten nicht viel von der weißen Polizei, denn sie wissen nur zu gut, dass im Fall von Opfern aus der indigenen Bevölkerung kaum etwas unternommen wird. Leon will deshalb den Mörder seiner Cousine selbst aufspüren. Er setzt auf Selbstjustiz.

Obwohl nach Leon Maskisin gefahndet wird, bringt Jérôme Voyageur ihn mit dem Dienstwagen nach Chibougamau, und von dort nimmt der Junge einen Greyhound-Bus.

In Montréal erkundigt er sich im First Nation Reunion Center nach Jeanette Maskisin. Sie sei Ende letzten Jahres hier gewesen, berichtet Raymond Chipewyan, der bei der Befragung durch die Polizei angeblich von nichts wusste. Jeanette habe sich mit einem Musiker angefreundet, der Byrd heißt, aber unter dem Namen Chogan (Amsel) bekannt ist. Als sie offensichtlich harte Drogen spritzte und Geld aus einer aufgebrochenen Schublade stahl, warf Raymond Chipewyan sie hinaus.

In einem Internet Café googelt Leon nach dem Musiker und findet heraus, dass die Band in zwei Tagen in der Bar Tanka auftreten wird. Zur angegebenen Zeit geht er hin und stellt Chogan zur Rede. Der Sänger beteuert, Jeanette nicht geschwängert zu haben. Im Frühjahr sah er sie zum letzten Mal.

Am Cabot Square, wo Angehörige der First Nations herumlungern, fragt Leon mit einem Foto in der Hand nach seiner Cousine. Zwar gibt niemand zu, sie gekannt zu haben, aber eine Inuit-Frau steckt ihm ein Streichholz-Briefchen des LeSerpent Night Club zu.

Die Türsteher weisen Leon höhnisch ab, und als er gewalttätig wird, schlagen sie ihn zusammen. Bei den Mülltonnen im Hinterhof des Nachtklubs kommt er wieder zu sich und kann sich kaum bewegen. Die Inuit-Frau, die hier als Prostituierte beschäftigt ist, entdeckt ihn, als sie kurz frische Luft schnappen will, und weil sie gleich wieder zurückgerufen wird, kann sie nicht mehr für ihn tun, als ihm ihr Handy hinzulegen und zu sagen, die Gesuchte sei hier gewesen. Leon wählt die Nummer, die Sergeant LeRoux ihm in Niskawini gab. Mehr als heiser den Namen des Etablissements zu krächzen, schafft er nicht.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Falle

Nachdem Leons Verletzungen im First Nation Reunion Center versorgt wurden und er sich nach ein paar Tagen einigermaßen erholt hat, erfährt er, dass einer der beiden Polizisten, die in Niskawini waren, im Montreal General Hospital liegt. Er sucht ihn dort auf, versichert ihm, dass der Mörder seiner Cousine noch frei herumlaufe und berichtet, was er über LeSerpent erfahren hat. Daraufhin schmieden Leon und der Profiler einen Plan.

Sie fordern Alain LaRoque, den Inhaber des Nachtklubs, in einem Erpresserbrief auf, allein und unbewaffnet mit 100.000 Dollar zum Hafen zu kommen – und Ted alarmiert die Wasserschutzpolizei. Aber Leon schickt Alain LaRoque heimlich eine weitere Nachricht, mit der er den Termin um zwei Stunden vorverlegt und als Treffpunkt ein Bootshaus auf der Île Charron nennt.

Mit einem Boot, dessen Motor Leon kurzgeschlossen hat, fährt er zur Insel und beobachtet dann, wie auch LaRoque eintrifft. Der Klubbesitzer hat eine Schusswaffe in der Hand, scheint jedoch allein zu sein. Als er mit einem Fuß in die von Leon ausgelegte Tellereisenfalle gerät, schreit er auf – und ein zweiter Mann kommt angerannt. Leon tötet ihn mit einem Kopfschuss aus seinem Jagdgewehr. Als er sich dem Gefangenen nähert, schießt jemand von hinten auf ihn, verletzt ihn allerdings nur leicht. Kurz darauf gelingt es Leon, den Gegner in einen Hinterhalt zu locken und zu töten. Von LaRoque will er wissen, was mit seiner Cousine geschah. Nachdem er erfahren hat, dass ein sadistischer Freier Jeanette im Folterkeller des Nachtklubs so schwer misshandelt hatte, dass sie nicht mehr als Prostituierte zu gebrauchen war und deshalb getötet wurde, schneidet er dem Klubbesitzer die Kehle durch.

In diesem Augenblick hört er ein Boot der Wasserschutzpolizei. Er entkommt unbemerkt mit dem Kajak, das LaRoques Männer benutzt hatten.

Die Polizei findet drei Tote auf der Île Charron und geht von einem Konflikt unter Drogenhändlern aus.

LeRoux

Jean-Baptiste LeRoux reagierte zwar nicht auf den nächtlichen Anruf, aber am nächsten Abend wollte er sich im LeSerpent Night Club umschauen. Unter dem Vorwand, seiner Arbeit nachzugehen, hoffte er auf ein sexuelles Abenteuer. An der Bar nahm er ein paar Drinks, schaute Stripperinnen zu und ließ sich dann in ein Zimmer bringen, in dem ein an Händen und Füßen gefesseltes nacktes Mädchen auf dem Bett lag. Die Zwangsprostituierte war nicht älter als 14 und stand unter Drogen. Jean-Baptiste erschrak und wollte nur noch weg. Aber der Clubbesitzer ließ ihn gewaltsam in den Folterkeller bringen.

Ted erfährt nun von Sophie, dass ihr Mann seit vier Tagen vermisst wird. Weil er weiß, dass Jean-Baptiste durch Leons Hilferuf auf den LeSerpent Night Club aufmerksam wurde, vermutet er ihn dort. Der Sergeant steht völlig zugedröhnt an der Theke. Ein Krankenwagen bringt den Polizisten weg, der augenscheinlich schwer über die Stränge schlug. Im Klub gibt es nichts zu beanstanden. Der Besitzer sei verreist, heißt es.

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Frauke Buchholz war 1980 als Praktikantin in der Schule eines Cree-Reservats in Kanada, und während ihrer Promotion über zeitgenössische indianische Literatur bereiste sie mit einem DAAD-Stipendium eine ganze Reihe von Reservaten in den USA. Sie kennt die in ihrem Kriminalroman „Frostmond“ beschriebenen Gesellschaftsverhältnisse also aus eigener Anschauung. Auch die zahlreichen unaufgeklärten Fälle spurlosen Verschwindens von Frauen der First Nations beispielsweise entlang des Trans Canada Highway sind eine Tatsache. Das gilt leider ebenso für die Vorurteile und den Rassismus gegenüber den indigenen Völkern. Infolgedessen werden Kriminalfälle mit Opfern aus den First Nations seltener aufgeklärt als andere.

Vor diesem gesellschaftskritischen Hintergrund entwickelt Frauke Buchholz die farbige Handlung ihres Thrillers „Frostmond“. Im Mittelpunkt stehen drei Personen, aus deren Perspektiven Frauke Buchholz abwechselnd erzählt. Der Cree Leon Maskisin tritt dabei in der Ich-Form auf. Reizvoll ist nicht nur der cultural clash zwischen seinem Weltbild und dem der Ermittler, sondern auch der Konflikt zwischen Ted Garner und Jean-Baptiste LeRoux. Das sind zwei grundverschiedene Charaktere, die sich nicht ausstehen können und nur widerwillig zusammenarbeiten.

Wer ermordete Jeanette Maskisins? Muss er für sein Verbrechen büßen? Und wer ist schneller, die Polizei oder Jeanettes Cousin, der den Behörden misstraut und auf Selbstjustiz setzt?

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2021

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.