Kenneth Fearing : Die große Uhr

Die große Uhr
The Big Clock Harcourt Brace, New York 1946 Die große Uhr Ein Klassiker des Noir-Thrillers Hg. und Nachwort: Martin Compart Übersetzung: Jakob Vandenberg Elsinor Verlag, Coesfeld 2022 ISBN 978-3-942788-71-7, 200 Seiten ISBN 978-3-939483-73-1 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der Chefredakteur George Stroud ergreift die Chance zum Ehebruch mit Pauline Delos, der Geliebten seines Verlagsleiters Earl Janoth. Nachdem sie sich verabschiedet haben, beobachtet er, wie Earl Janoth mit ihr ins Haus geht. Kurz darauf ist sie tot. Und weil der Mörder Paulines Begleiter zwar nicht erkannte, aber als Zeugen beseitigen muss, erhält ausgerechnet George Stroud unter einem Vorwand den Auftrag, mit dem ganzen investigativen Zeitungsapparat nach ihm zu suchen.
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Kritik

Unter der "großen Uhr" versteht Kenneth Fearing das Gesellschaftssystem, ein Räderwerk, in dem der Einzelne zwar eine unbedeutende Funktion hat, aber darüber hinaus nichts mehr bewirkt. Neben dem Protagonisten George Stroud lässt Kenneth Fearing sechs weitere Ich-Erzähler in dem Noir-Thriller auftreten, entwickelt die Handlung jedoch chronologisch. Originell an "Die große Uhr" ist vor allem, dass der Ermittler eine Fahndung nach sich selbst zu leiten hat.
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Seitensprung

George Stroud schlug sich früher als Kneipenwirt und Privatdetektiv in New York durch; dann stieg er vom Laufburschen zum Chefredakteur der Zeitung Crimeways auf, die zu Janoth Enterprises gehört, dem Medienimperium von Earl Janoth mit Büros in 21 US-amerikanischen Metropolen und 25 weiteren im Ausland. Mit seiner Ehefrau Georgette hat George zwei Kinder: George und Georgia.

Treu ist George Stroud nicht. Als er zufällig Pauline Delos wiedersieht, die aktuelle Geliebte von Earl Janoth, die er und Georgette bei einer Party kennengelernt haben, lädt er sie in Gil’s Bar ein und treibt es dann mit ihr in einem Hotelzimmer. Und während Georgette ein paar Tage in Florida verbringt und Earl Janoth in Washington zu tun hat, fahren George und Pauline nach Albany, wo sie als Mr und Mrs Andrew Phelps-Guyon in einem Hotel absteigen.

Zurück in New York, schauen sich George und Pauline in Antiquitätenläden um, und er kauft ein ungerahmtes Bild in schlechtem Zustand, wobei er eine Kundin überbietet, die das Gemälde vor ihm entdeckte. George weiß, dass es von Louise Patterson gemalt wurde. In seinem Büro im Janoth Building hängt ihr Werk „Studie über den Zorn“, und zu Hause hat er weitere Bilder der Künstlerin.

Nachdem George und Pauline noch in der Cocktail-Bar des Van Barth waren, bringt er sie mit dem Wagen nach Hause. Vorsichtshalber lässt sie ihn ein Stück weit entfernt von ihrem Block halten. Während sie auf den Hauseingang zugeht, hält auf der anderen Straßenseite eine Limousine. George beobachtet, wie Earl Janoth den Chauffeur Bill wegschickt, und der Verlagsleiter schaut nach dem Mann, aus dessen Wagen seine Geliebte soeben ausgestiegen ist. Dann begrüßt er Pauline und verschwindet mit ihr im Haus.

Totschlag

Der Verlagsleiter kam an diesem Samstagabend von unerfreulichen Besprechungen in Washington zurück. Sein Unternehmen ist in Schwierigkeiten. Pauline behauptet, der Mann, der sie nach Hause gebracht habe, heiße George Chester und arbeite in der Werbebranche. Sie erzählt von dem Kauf eines Gemäldes, auf dem zwei Hände zu sehen sind und verschweigt auch nicht, dass sie noch etwas tranken, erwähnt sogar Gil und Van Barth, beteuert jedoch, nichts mit dem Mann zu haben.

Earl glaubt ihr nicht und meint gehässig, dass es sich wenigstens um einen männlichen Liebhaber handele. Auf ihre bisexuellen Abenteuer angesprochen, unterstellt Pauline ihm eine Liebschaft mit seinem Geschäftspartner Steve Hagen. Der Streit eskaliert rasch, und Earl schlägt Pauline mit einer Karaffe auf den Kopf. Sie bricht tot zusammen.

Das wollte er nicht. Er verlässt ihre Wohnung, schleicht sich unbemerkt am Türsteher vorbei und geht ein paar Blocks, bevor er sich ein Taxi nimmt und zu Steve Hagen fährt.

Steve bleibt ruhig, als er erfährt, was geschehen ist und hält seinen Freund davon ab, sich bei der Polizei zu melden. Er lässt sich von Earl alles genau schildern. Earl hat Paulines Begleiter bemerkt, das Gesicht jedoch im Gegenlicht nicht sehen können. Steve kommt zu dem Schluss, dass keine Gefahr drohe, solange der Unbekannte nicht gegen Earl aussagt. Sie müssen ihn vor der Polizei aufspüren – und zum Schweigen bringen.

Auftrag

Georgette liest in der Zeitung von dem Mord am Samstag und erkennt auf dem Foto eine Frau, die sie und George auf einer Party bei Earl Janoth kennengelernt haben. Sie weist ihren Mann darauf hin. Auf diese Weise erfährt George, dass Pauline erschlagen wurde, kurz nachdem er sie heimgefahren hatte und sie mit Earl Janoth ins Haus gegangen war. In dem Artikel heißt es, dass der Lebensgefährte der Ermordeten bei seiner Vernehmung aussagte, er habe Pauline zuletzt vor seiner Abreise nach Washington gesehen. Von dort sei er an dem Abend ihrer Ermordung zurückgekommen und direkt zu seinem Freund Steve Hagen gefahren. Der bestätigte, dass Earl den Abend bei ihm verbracht habe.

George überlegt: Warum leugnet Earl, dass er zur Tatzeit bei Pauline war? Das kann nur bedeuten, dass Earl der Mörder ist.

Als er am Montag ins Büro im Janoth Building kommt, wird er sofort zu Steve Hagen gerufen. Der erklärt George, man sei einer groß angelegten Verschwörung auf der Spur, in die Politik und Big Business verwickelt seien. Es gelte, die Schlüsselfigur aufzuspüren. Dabei handele es sich um einen Mann, der am letzten Samstag bei einem Antiquitätenhändler ein Gemälde mit der Darstellung von zwei Händen gekauft und dabei eine andere Kundin überboten habe. Er und seine blonde Begleiterin seien außerdem in zwei Lokalen gewesen: Gil’s Bar und bei Van Barth. Steve Hagen beauftragt George mit der Suche nach dem Mann. Das habe oberste Priorität, betont er, und George könne über alle Ressourcen verfügen.

Suche

George soll also nach sich selbst suchen!

Er und der Mitherausgeber Roy Cordette stellen ein Team zusammen, das auf die angebliche Schlüsselfigur einer Verschwörung angesetzt wird. Als erstes wird nach dem Verkäufer des Gemäldes und der anderen Kundin gesucht. Parallel dazu befragen Mitglieder des Teams Gäste und Personal in Gil’s Bar und bei Van Barth.

Phillip Best, einem der Mitarbeiter, fällt auf, dass der Unbekannte am letzten Samstag an den genannten Orten gewesen sein soll. Am selben Abend wurde Pauline Delos, die Geliebte des Verlagsleiters, ermordet. Er fragt, ob es da einen Zusammenhang gebe. Wider besseres Wissen antwortet George, dass es sich bei der Koinzidenz um einen puren Zufall handele.

Steve meint, dass vor allem das von dem Gesuchten gekaufte Gemälde eine heiße Spur sei. Entsetzt blickt George auf Louise Pattersons „Studie über den Zorn“ an einer Wand seines Büros. Abhängen würde auffallen. Und das neuerworbene Bild von Louise Patterson hat er dummerweise bereits seiner Frau gezeigt. Das kann er also auch nicht mehr verschwinden lassen.

Es dauert nicht lang, bis Leon Temple meldet, dass es sich bei der Begleiterin des Gesuchten um Pauline Delos handelt. Befragte haben ihr Bild in der Zeitung gesehen. Über den Mann wird jedoch weiter gerätselt.

Nachdem George einen Taxifahrer ausfindig gemacht hat, der sich daran erinnert, Earl Janoth – den Mann auf dem von George gezeigten Foto – am Samstagabend von der Gegend, in der Pauline Delos wohnte, zu Steve Hagens Adresse gefahren zu haben, erklärt er seinem Auftraggeber, er sei inzwischen überzeugt, dass der Gesuchte etwas mit Paulines Ermordung zu tun habe. Vermutlich habe er Pauline nach Hause gebracht und sei dann mit einem Taxi weitergefahren. Er werde sich bei Taxifahrern umhören und denke, dass er dem Unbekannten so auf die Spur kommen werde.

Weil nun zu erwarten ist, dass George den Taxifahrer findet, der Earl am Samstagabend fuhr, will dieser die Suche beenden und aufgeben, aber Steve behält die Nerven.


Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.


Ende?

Leon Temple berichtet aufgeregt, dass der Gesuchte hier im Janoth Building sei. Einer der befragten Zeugen habe Paulines Begleiter auf der Straße erkannt und ihn bis ins Gebäude verfolgt.

Der Redaktionsmitarbeiter Don Klausmeyer bringt Louise Patterson mit ins Janoth Building, die Künstlerin, die in einem Trödelladen ihr eigenes Gemälde zurückkaufen wollte, aber von dem Gesuchten überboten wurde. Sie erkennt sogleich den Mann wieder, der ihr die „Studie über Fundamentales“ wegschnappte: den gesuchten Mörder! Ihr Blick fällt auch auf das Bild an der Wand: ihre „Studie über den Zorn“. George weiß, dass ihn die Frau wiedererkennt und wundert sich darüber, dass sie ihn nicht verrät. Damit es so bleibt, sagt er, er habe Grund zu der Annahme, dass auch das Gemälde aus dem Antiquitätengeschäft wiedergefunden werde.

Weil inzwischen alle Aufzüge und Ausgänge von Leuten überwacht werden, die Pauline und ihren Begleiter am Samstag sahen, übernachtet George im Büro.

Am nächsten Tag lässt das Team das Gebäude von unten nach oben durchsuchen, denn der Unbekannte muss noch im Janoth Building sein.

George rettet sich zur Verlagsleitung in der 32. Etage. Bei Steve Hagen im Büro trifft er nicht nur auf Earl Janoth, sondern auch auf den Syndikus Ralph Beerman, den Hauptaktionär John Wayne und Fred Steichel, den Redaktionsleiter des Konkurrenzblattes von Jennett-Donohue. Aufgrund der Schwierigkeiten seines Unternehmens und des Drucks der anderen stimmt Earl Janoth einer Fusion von Janoth Enterprise und Jennett-Donohue zu und räumt seinen Stuhl für den neuen Verlagsleiter Fred Steichel.

In diesem Augenblick meldet sich Leon Temple: Die Suche nach Paulines Begleiter sei bisher erfolglos verlaufen. Sicherheitshalber wolle man nun auch noch die Chefetage durchkämmen. Aber dafür ist jetzt angesichts der soeben beschlossenen Umwälzung im Unternehmen nicht der richtige Zeitpunkt. Die Suche wird beendet.

Epilog

Louise Patterson trifft sich mit George Stroud bei Gil. Sie ist enttäuscht, dass er kein Mörder ist. Nun geht es ihr darum, die „Studie über Fundamentales“ zurückzubekommen. George möchte auf das Gemälde nicht verzichten, ist aber bereit, ihr das aus dem Büro und die vier Patterson-Bilder aus seiner Privatwohnung zu schenken Damit ist sie zufrieden.

Als das Taxi, mit dem er zurückfährt, an einer roten Ampel und neben einem Zeitungsstand hält, liest George die Schlagzeile: „Earl Janoth, als Verlagsleiter gefeuert, springt in den Tod“.

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Am 24. Oktober 1943 wurde die 23-jährige Brauerei-Erbin Patricia Hartley Burton Bernheimer Lonergan in New York ermordet, und zwar von ihrem Ehemann Wayne Lonergan, der Gerüchten zufolge eine homosexuelle Beziehung mit seinem 1940 gestorbenen Schwiegervater William O. Burton gehabt hatte. In seinem Nachwort zur deutschen Ausgabe des Romans „Die große Uhr“ schreibt Martin Compart, dieses Verbrechen habe Kenneth Fearing auf die Idee für den Plot gebracht. Ebenso einflussreich war aber auch der 1944 von Samuel Fuller veröffentlichte Roman „The Dark Page“ / „Die dunkle Seite“ über den kleinen Provinzreporter Carl Chapman, der zum Chefredakteur einer Zeitung aufsteigt und schließlich nach einem Mörder suchen muss, von dem nur er weiß, dass er es selbst ist.

Kenneth Fearing arbeitete von August 1944 bis Oktober 1945 am Manuskript. Eine gekürzte Vorabveröffentlichung erfolgte 1946 in „The American Magazine“ unter dem Titel „The Judas Picture“, der sich auf das von George Stroud beim Trödler erworbene Gemälde von Louise Patterson bezieht: zwei Hände, von denen zunächst angenommen wird, es handele sich um die des Verräters Judas. Die Buchausgabe von Harcourt Brace trug dann den Titel „The Big Clock“.

Unter der „großen Uhr“ versteht Kenneth Fearing das gesellschaftliche Räderwerk, in dem der Einzelne zwar eine unbedeutende Funktion hat, aber darüber hinaus nichts mehr bewirkt, das System, in dem das Individuum kaum noch zählt. Im Kontrast dazu steht das zehn Meter lange Regal hinter der Theke, in dem Gil eine Menge Schrott angehäuft hat, die er als sein Privatmuseum bezeichnet. Diese zeitlose Sammlung bildet auch das Gegenstück zu den kurzlebigen Novitäten der Zeitung, für die George Stroud arbeitet.

Bemerkenswert ist die – nicht weiter ausgeführte – Idee eines Bürgerkredits in dem Kriminalroman „Die große Uhr“. Da nahm Kenneth Fearing Mitte der Vierzigerjahre bereits das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens vorweg.

Der Protagonist George Stroud, ein widersprüchlicher Charakter, ist keine klassische Identifikationsfigur. Außer ihm kommen sechs weitere Romanfiguren in der Ich-Form zu Wort: Georgette Stroud, Earl Janoth, Steve Hagen, Edward Orlin, Emory Maffson und Louise Patterson. Obwohl Kenneth Fearing also zwischen sieben Erzählperspektiven wechselt, entwickelt er die Handlung chronologisch.

Ins Deutsche wurde „The Big Clock“ erst 2022 von Jakob Vandenberg übertragen: „Die große Uhr. Ein Klassiker des Noir-Thrillers“.

John Farrow und Roger Donaldson verfilmten den Roman 1948 bzw. 1987.

Spiel mit dem Tode – Originaltitel: The Big Clock – Regie: John Farrow – Drehbuch: Jonathan Latimer nach dem Roman „Die große Uhr“ von Kenneth Fearing – Kamera: Daniel L. Fapp, John F. Seitz – Schnitt: LeRoy Stone – Musik: Victor Young – Darsteller: Ray Milland, Charles Laughton, Maureen O’Sullivan, George Macready, Rita Johnson, Elsa Lanchester, Harry Morgan u.a. – 1948

Es gibt kein Zurück – Originaltitel: No Way Out – Regie: Roger Donaldson – Drehbuch: Robert Garland nach dem Roman „Die große Uhr“ von Kenneth Fearing – Kamera: John Alcott – Schnitt: William Hoy, Neil Travis – Musik: Maurice Jarre – Darsteller: Kevin Costner, Gene Hackman, Sean Young, Will Patton, Howard Duff, George Dzundza, Jason Bernard u.a. – 1987

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2023
Textauszüge: © Elsinor Verlag

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