María Gainza : Schwarzlicht

Schwarzlicht
La luz negra Anagrama Editora, Barcelona 2018 Schwarzlicht Übersetzung Peter Kultzen Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2023 ISBN 978-3-8031-3360-1, 176 Seiten ISBN 978-3-8031-4380-8 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Enriqueta Macedo, eine angesehene Kunstexpertin in Buenos Aires, arbeitet jahrzehntelang mit einer Fälscherbande zusammen. Nach ihrem Tod sucht ihre letzte Mitarbeiterin nach der "Negra", der zentralen Person der "Bande der melancholischen Fälscher", aber sie kommt ihr trotz aller Bemühungen nicht näher.
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Kritik

Kunst, Fälschung, Plagiat, darum dreht sich der Roman "Schwarzlicht" von María Gainza ebenso wie um die Vergeblichkeit der Bemühungen, eine bestimmte Person zu definieren und deren Biografie festzunageln. Das macht den Reiz des Romans aus.
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Der Bericht

Die Ich-Erzählerin zieht sich für einige Zeit unter dem Fantasienamen María Lydis in das Hotel Étoile in Buenos Aires zurück, um einen Bericht über eine bestimmte Zeit in ihrem Leben zu verfassen.

Erst wenn ich alles, was ich weiß, herausgelassen habe, werde ich imstande sein, ein neues Kapitel aufzuschlagen und noch einmal ganz von vorn anzufangen.

Sie ist keine Historikerin und wird auch nicht versuchen, mit „exakten Angaben und frostigen Fußnoten einen unheilvollen Zwang auf ihre Leser aus[zu]üben“.

[…] mir ist es lieber, wenn es heißt: „Nehmen wir einmal an, es war so.“

Figuren mit klar umrissener Vergangenheit, geradliniger Psyche und kohärenten Handlungen gehören zu den großen Lügen der Literatur.

Enriqueta

Beim Weihnachtsessen vor zwei Jahren kritisierte ihr Onkel Richard, dass sie keiner Berufstätigkeit nachgehe und vermittelte der 25-Jährigen eine Anstellung in der Taxierungsabteilung des Banco Ciudad in Buenos Aires. Ihre Chefin Enriqueta Macedo hatte ihr Studium an der Escuela Nacional de Bellas Artes in den Sechzigerjahren als eine der Jahrgangsbesten abgeschlossen und galtlängst als eine der angesehensten Sachverständigen. Rasch lernte die Neue von ihr, worauf es bei der Begutachtung von Kunstwerken ankommt.

Nach einem Jahr verabredet sich Enriqueta Macedo mit ihrer Mitarbeiterin im Badehaus Colmegna und vertraut ihr an, dass sie seit 40 Jahren gegen entsprechende Provisionen Fälschungen für echt erklärt.

Das machte sie aber nicht des Geldes wegen, sie wurde vielmehr im Namen der Kunst „zum Straftäter“, wie sie selbst es bezeichnete: Falsch waren ihrer Ansicht nach bloß Werke von zweifelhafter Qualität.
„Kann eine gute Fälschung etwa nicht ebenso viel Vergnügen bereiten wie ein Original? Ist das Falsche in einem gewissen Punkt nicht wahrhaftiger als das Authentische? Und besteht der eigentliche Skandal im Grunde genommen nicht darin, dass mit Kunst gehandelt wird?“, schleuderte sie mir entgegen, ohne meine Antwort abzuwarten. Sie war schließlich „die Nummer eins“, die graue Eminenz der Taxierungsabteilung – wie hätte ich ihr widersprechen sollen?

Einige Zeit später, eine Woche vor ihrem 77. Geburtstag, fehlt Enriqueta Macedo im Büro. Ihre Mitarbeiterin erhält den Auftrag, nach ihr zu sehen – und findet sie in ihrer Wohnung tot auf dem Boden liegend vor.

Im Büro gingen die Geschäfte noch am selben Tag im gewohnten Rhythmus weiter, und ich setzte meine übliche Pantomime eine Zeitlang fort. Ich beschloss, den Schrecken und die Einsamkeit durch Arbeit zu bekämpfen.
Ich nahm Gemälde in Empfang, ordnete Kataloge, bediente das Telefon, ging mindestens fünfhundert Mal pro Tag hinunter ins Lager, bewusst über die Treppe und nicht mit dem Aufzug. […]
Enriquetas ehemaliges Büro wagte ich nicht zu betreten, es kam mir vor wie ein Heiligtum. […] Enriqueta verwandelte sich in mein durch nichts und niemanden zu übertreffendes Vorbild, meine ideale Mentorin, meine Ersatzmutter. Seit ihrem Tod liegt mein Herz unter einem Eispanzer begraben.

Die Ich-Erzählerin findet heraus, dass sich Enriqueta in den Sechzigerjahren nicht zufällig in der Taxierungsabteilung des Banco Ciudad bewarb, sondern mit der Absicht, einer Fälscherbande zuzuarbeiten. Im Mittelpunkt der „Bande der melancholischen Fälscher“ stand dabei eine im damals von der Russin Maria Iwanowna Vadim geleiteten Hotel Meláncolico verkehrende Malerin, die „Negra“. Deren Spezialität waren Gemälde der österreichisch-stämmigen, seit den Vierzigerjahren in Buenos Aires lebenden Künstlerin Mariette Lydis.

Die Negra

Einige Monate nach Enriquetas Tod kündigt die Ich-Erzählerin beim Banco Ciudad und fängt als Kunstkritikerin bei einer Zeitung an.

Ein Russe namens Lozinski taucht bei ihr auf. Er habe Maria Iwanowna Vadim beerbt, erklärt er. Die Hotelmanagerin habe nach dem Tod der Künstlerin alles zusammengetragen, was sie aus dem Nachlass der am 26. April 1970 gestorbenen Malerin Mariette Lydis bekommen konnte. Lozinski hat das meiste davon in einem Lederkoffer bei sich.

„Ich habe die schönen Dinge“, erwiderte er, „Sie haben den scharfen Verstand, und meine Freundin Matilde braucht Geld … Hat uns drei nicht der Himmel zusammengeführt?“

Die Kunstkritikerin setzt sich mit dem Auktionshaus Sánchez Dávila in Verbindung und stellt für die Versteigerung am 1. April 1991 einen Katalog zusammen. Sämtliche Lose werden von ein und derselben Person ersteigert.

Kurz darauf wird die Ich-Erzählerin von der Zeitung entlassen und bleibt erst einmal arbeitslos. Die Zeit nutzt sie, um eine Reihe von Zeitzeugen zur Negra zu befragen, aber die Biografie dieser Fälscherin zerrinnt ihr trotz aller Anstrengungen gleichsam zwischen den Fingern.

Da ich in meiner Unerfahrenheit nicht daran gedacht hatte, die Gespräche aufzuzeichnen, und meine Notizen nahezu unlesbar waren, mischten sich die Stimmen in meinem Kopf, und ich wusste schon bald nicht mehr, wer was gesagt hatte.

Meine Suche hatte etwas Rührendes, um nicht zu sagen, Lächerliches, das wird mir jetzt klar.

Sie vergleicht die Negra und Mariette Lydis.

Die beiden Frauen hätten nicht unterschiedlicher sein können. […] Die eine war dreißig Jahre älter als die andere, die eine stammte aus Europa, die andere aus Südamerika, die eine war eine eisige Blondine, die andere eine stürmische Schwarze, die eine ein ewig träumendes Mädchen, die andere eine hellwache Femme fatale. Und doch waren ihre Denkweisen einander erstaunlich ähnlich.

Im Verlauf ihrer Nachforschungen gelingt es der Ich-Erzählerin, sich Akten über einen Prozess zu beschaffen, der Mitte der Sechzigerjahre vor dem Nationalen Strafgerichtshof stattfand. Kläger war der 52-jährige argentinische Ingenieur Damián Bendahan. Er beschuldigte den vier Jahre jüngeren Vermessungsingenieur und Wirtschaftsprüfer Federico Manuel Vogelius, ihn mit Kunstfälschungen betrogen zu haben.

Bei der Gerichtsverhandlung stellte sich heraus, dass alle 28 Leihgaben für eine Ausstellung von Werken Pedro Figaris im Pariser Musée National d’Art Moderne im Mai 1960 den argentinischen Besitzern in Form von Fälschungen zurückgegeben worden waren. Héctor Dionisio Rojas Pelleran, der Vorsitzende Richter, sprach den Angeklagten im November 1968 schuldig, aber ein paar Tage später entzog man ihm das Verfahren, und Federico Manuel Vogelius kam frei.

Nach einem Hinweis auf die Negra sucht die Ich-Erzählerin in den Gerichtsakten vergeblich. Und einige Zeit später nimmt sie sich vor, die Nachforschungen aufzugeben. Sie beendet ihren Bericht und verlässt das Hotel Étoile.

Ich glaube, im Grunde habe ich mir diese Recherche bloß ausgedacht, um mich weiter mit meiner alten Freundin Enriqueta unterhalten zu können. […] Ich habe mir ein Gesprächsthema ausgedacht – ich erzählte ihr von der Negra.

Epilog

Der junge Kunstkritiker, den die Zeitung anstelle der Ich-Erzählerin einstellte, kündigt nach ein paar Monaten, weil er Kurator werden möchte. Und die Ressortleiterin bietet der ehemaligen Angestellten einen neuen Vertrag an:

„Keiner hat heute mehr Lust, über Kunst zu schreiben.“

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Kunst, Fälschung, Plagiat – darum dreht sich der Roman „Schwarzlicht“ von María Gainza. Enriqueta Macedo, eine angesehene Kunstexpertin in Buenos Aires, arbeitet jahrzehntelang mit einer Fälscherbande zusammen. Nach ihrem Tod sucht ihre letzte Mitarbeiterin nach der „Negra“, der zentralen Person der „Bande der melancholischen Fälscher“, aber sie kommt ihr trotz aller Bemühungen nicht näher. Die Negra bleibt ungreifbar, und es könnte sein, dass sie nie existierte. Das macht den Reiz des Romans aus.

Bei der Künstlerin Mariette Lydis, deren Bilder in „Schwarzlicht“ gefälscht werden, handelt es sich dagegen um eine reale Person. Sie wurde 1887 als Tochter von Franz und Eugenia Ronsperger in Baden bei Wien geboren. 1910 heiratete sie den gleichaltrigen Wiener Geschäftsmann Julius Koloman Pachoffer-Karny. Nach der Scheidung wurde sie die Ehefrau des griechischen Unternehmers Jean Lydis. Den verließ sie 1925. In ihrer dritten Ehe war sie ab 1934 mit dem Verleger Giuseppe Conte Govone verheiratet. 1939 floh die zur katholischen Konfession konvertierte Jüdin aus Paris nach England, und im Jahr darauf nach Buenos Aires. Dort starb sie am 26. April 1970.

Der Titel „Schwarzlicht“ bezieht sich auf ein zum Beispiel bei der Prüfung von Kunstwerken benutztes Gerät, das fluoreszierende Stoffe durch UV-Strahlung zum Leuchten bringt. Der Originaltitel spielt mit dem Begriff und den Namen der Fälscherin: „La luz negra“.

María Gainza wurde 1975 als Tochter einer großbürgerlichen Familie in Buenos Aires geboren. Ihr Studium der Kunstgeschichte brach sie ab. 2014 debütierte sie als Schriftstellerin mit dem Roman „El nervio óptico“ / „Lidschlag“. „La luz negra“ (2018) / „Schwarzlicht“ (2023) ist ihr zweiter Roman.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2023
Textauszüge: © Verlag Klaus Wagenbach

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