Nathan Hill : Geister

Geister
The Nix Alfred A. Knopf , New York 2016 Geister Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence, Katrin Behringer Piper Verlag, München 2016 ISBN 978-3-492-31198-4 B, 864 Seiten ISBN 978-3-492-97534-6 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Faye, die sich 1968 als Studentin in Chicago einer linken Protestbewegung anschloss, wird 2011 beschuldigt, den republikanischen Präsidentschaftskandidaten angegriffen zu haben. So hört ihr Sohn nach 23 Jahren erstmals wieder von ihr – und erfährt, dass er wichtige Entscheidungen auf der Grundlage falscher Annahmen traf ...
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Kritik

Nathan Hill veranschaulicht in "Geister" Kontraste und Konflikte in der US-amerikanischen Gesellschaft. Dabei wechselt er zwischen satirischen, parodistischen und realistischen Passagen.
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Spätsommer 2011

Sheldon Packer, der für die US-Präsidentschaft kandidierende republikanische Gouverneur von Wyoming, „vergleicht Einwanderer, die den Amerikanern die Jobs wegnehmen, mit Kojoten, die Vieh reißen“. Als er mit seiner Entourage im Spätsommer 2011 einen Park in Chicago durchquert, springt eine mit einem Buch auf einer Bank sitzende Frau auf, schreit empört „Du Schwein!“ und wirft Kies. Die Medien veröffentlichen ein Foto der Angreiferin Faye Anderson-Andresen bei einer Demonstration im Sommer 1968 und überbieten sich mit Schlagzeilen wie „Radikale Hippie-Prostituierte und Lehrerin trifft bei bösartigem Angriff Gouverneur Packers Auge!“ Es heißt, die 61-jährige Steinewerferin habe als Studentin einer radikalen linken Protestbewegung angehört und sei 1968 wegen Prostitution verhaftet, allerdings nicht angeklagt worden.

Ihr 34 Jahre alter Sohn, Professor Samuel Anderson, der an einem College eine Autostunde nordwestlich von Chicago über Literatur doziert, erfährt erst zwei Tage später durch einen Anruf des Rechtsanwalts Simon Rogers aus Washington, D. C., davon. Er hört nach 23 Jahren zum ersten Mal wieder von seiner Mutter, denn 1988 hatte sie ihn und seinen Vater Henry verlassen. Aus diesem Grund interessiert es Samuel Anderson nicht weiter, dass seine Mutter nun seit zwei Tagen im Gefängnis sitzt und mit einer Anklage nach den Post-9/11-Terrorgesetzen rechnen muss.

Er hat eigene Sorgen. Zum Beispiel ärgert er sich über die Studentin Laura Pottsdam, die einen Essay über „Hamlet“ abgab, den sie bereits an der Highschool in ihrem Heimatort Schaumburg geschrieben hatte und jetzt alle Register zieht, um ihn dafür zu gewinnen, die Kopie dennoch anzuerkennen. Als ihr das nicht gelingt, beschwert sie sich bei der Dekanin und behauptet, Professor Anderson habe sie beleidigt.

Dann ist da auch noch sein Verleger in New York, Guy Periwinkle, von dem er vor längerer Zeit einen Vertrag erhielt. Weil Samuel noch immer kein Manuskript vorweisen kann, verlangt Guy Periwinkle den hohen Vorschuss zurück und droht mit einer Klage.

„Das Geld haben Sie doch noch?“
„Natürlich nicht. Ich habe mir ein Haus gekauft.“
„Wie hoch ist es belastet?“
„Mit dreihunderttausend.“
„Und wie viel ist es noch wert?“
„Ha! Das gibt‘s nur in Amerika, was?“

Nach dem Anruf des Rechtsanwalts sieht Samuel eine Chance: Er schlägt dem Verleger eine Enthüllungsgeschichte über die Frau vor, deren Attacke gegen Gouverneur Packer einen Medienhype ausgelöst hat, und Guy Periwinkle geht darauf ein.

1988 – 2004

Im Alter von elf Jahren freundete sich Samuel Anderson 1988 mit seinem neuen Klassenkameraden Bishop Fall an, der von der Privatschule Blessed Heart Academy geflogen war. Samuels Vater Henry Anderson war stellvertretender Vizepräsident des Unternehmens R&D und für den Bereich Tiefkühlkost verantwortlich. Die Familie wohnte in einem Haus in Streamwood, einem Vorort von Chicago. Bishops Vater verdiente als Banker in Chicago sehr viel mehr Geld und besaß neben einer Villa in der Guarded Community Venetian Village ein Luxusapartment in Manhattan.

Bishop stiftete Samuel dazu an, nachts mit ihm zusammen Gift in den Pool des ebenfalls in Venetian Village wohnenden Rektors der Blessed Heart Academy zu kippen. (Erst viel später begriff Samuel, warum Bishop das getan hatte: Er war von dem Rektor missbraucht worden.)
Bald nachdem Samuel mit seiner Mutter ein Konzert besucht hatte, bei dem Bishops Zwillingsschwester Bethany als Solistin mit ihrer Geige in Max Bruchs Violinkonzert in g-Moll aufgetreten war, verschwand Faye Anderson-Andresen ohne Abschied oder Erklärung.

Samuel hatte sich in Bethany verliebt, aber die Familie Fall zog noch im selben Jahr nach New York.

2004 schickte ihm Bethany Fall eine Nachricht: Ihr Bruder war im Oktober 2003 im Irak gefallen.

Um an einer Gedenkfeier für den toten Schulfreund teilzunehmen, reiste Samuel nach New York – und malte sich eine gemeinsame Zukunft mit Bethany aus. Aber in dem von ihr bewohnten Apartment des Vaters in Manhattan stellte sie ihm ihren Verlobten Peter Atchison vor. Als der aufstrebende Banker am nächsten Tag im Büro war, gestand Bethany dem Jugendfreund, dass sie Peter eigentlich nicht heiraten wolle. Sie erklärte Samuel, dass sie im Schlafzimmer auf ihn warten werde, er aber zunächst einen an ihn adressierten Brief lesen müsse, der bei Bishops Sachen gefunden worden war. Bishop beschwor ihn darin, sich von Bethany fernzuhalten – und Samuel glaubte, sich diesem Wunsch beugen zu müssen.

Einen Monat nach der New-York-Reise las Samuel in der Zeitung von der Hochzeit des Bankers und der Geigerin.

Spätsommer 2011

Um Material für das geplante Buch zu sammeln, fährt Samuel Anderson zu seiner gegen Kaution freigelassenen Mutter nach Chicago und fragt sie, was sie in den letzten 20 Jahren gemacht habe. Aber Faye will nicht darüber reden.

Ihr 1940 im Alter von 18 Jahren aus Norwegen ausgewanderter Vater Frank – eigentlich: Fridtjof – Andresen lebt inzwischen in einem Altersheim in Iowa. Nach seiner Einbürgerung in den USA arbeitete er für ChemStar, ein Unternehmen, das Chemikalien wie Napalm produziert. Frank behauptet, Faye habe sich als Schülerin in der Abschlussklasse in Iowa von Henry Anderson schwängern lassen und sei dann aufs College in Chicago gegangen. Sehr viel mehr bekommt Samuel aus seinem dementen Großvater nicht heraus.

Und als er Henry anruft, widerspricht dieser seinem Schwiegervater: Faye sei damals nicht schwanger gewesen, versichert er.

Samuel, der viel Zeit mit dem Computerspiel „World of Elfscape“ verbringt, wendet sich an seinen Mitspieler Pwnage, der einen anderen Nerd kennt, der Fayes Foto aus dem Jahr 1968 im Netz verbreitet. Daraufhin meldet sich Fayes damalige Zimmernachbarin im Studentenheim. Sie heißt Alice und wohnt mit ihrer Lebensgefährtin seit 1986 in einer abgelegenen Blockhütte am Lake Michigan. Samuel besucht sie. Zuerst tut Alice so, als gäbe es über Fayes Leben im Jahr 1968 nicht viel zu erzählen, aber als sie erfährt, dass der Prozess von Richter Charles Brown geleitet werden soll, erschrickt sie und meint, Faye müsse Chicago sofort verlassen.

1968

Alice berichtet Samuel, was damals geschah.

Während Faye die Abschlussklasse in Iowa besuchte, bewarb sie sich ohne Wissen ihrer Eltern um ein Studium an der University of Illinois at Congress Circle in Chicago – und erhielt eine Zusage. Die Eltern wollten nicht, dass sie fortging, und Faye war sich nicht sicher, was sie machen sollte, zumal auch ihr Freund Henry Anderson versuchte, sie zum Bleiben zu überreden.

Im Frühjahr 1968 freundete sich Margaret, die Tochter der Lehrerin Olga Schwingle und des Apothekers Harold Schwingle, mit Faye an. Unter einem Vorwand brachte Margaret sie dazu, ein auf Fayes Namen in der Apotheke bestelltes, im Voraus bezahltes Päckchen abzuholen und ihr zu bringen. Erst aufgrund von Harold Schwingles Nachfragen begriff Faye, dass es sich um Abtreibungsmittel handelte. Als sie nach Hause kam, hatte der Apotheker bereits ihre Eltern angerufen. Die nahmen nun an, Faye sei von Henry schwanger. Statt das Missverständnis aufzuklären, beschloss Faye, nach Chicago zu gehen, und der Vater warf sie daraufhin hinaus.

Im Spätsommer 1968 nahm Alice ihre neue Zimmernachbarin Faye mit zu einem Treffen einer linken Protestbewegung im Büro der Untergrundzeitung The Chicago Free Voice. Dabei lernte Faye den Herausgeber Sebastian kennen – und verliebte sich in ihn.

Bei einer Demonstration fand er, dass für ein Medienecho nicht genügend Leute teilnahmen. Deshalb sprang er vor Fayes Augen auf die Motorhaube eines Streifenwagens und trampelte darauf herum, bis er festgenommen wurde. Nach ein paar Tagen kehrte er zurück.

Zu dieser Zeit hatte Alice eine perverse Affäre mit dem jungen Polizisten Charles Brown vom Red Squad, einer auf Demonstranten angesetzten Abteilung der Polizei in Chicago. Gierig, immer wieder Neues auszuprobieren, überredete Alice ihn zu brutalen Rollenspielen, wenn er nachts Streife fuhr und sich ihre Wege kreuzten. Aber dann fand sie es reizvoller, eine lesbische Beziehung mit Faye anzustreben. Als Charles Brown herausfand, dass sie die Beziehung mit ihm wegen der Kommilitonin beenden wollte, verhaftete er Faye kurzerhand. Er stellte sie vor die Wahl, entweder sich nie wieder in Chicago sehen zu lassen, oder wegen Prostitution angeklagt zu werden und sperrte sie ein, damit sie über ihre Entscheidung nachdenken konnte.

Das geschah am Abend vor den anlässlich des Parteitags der Demokraten im August in Chicago erwarteten Krawalle.

Vizepräsident Hubert H. Humphrey und die anderen Teilnehmer logierten im Conrad Hilton.

Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
überspringen Sie bitte vorerst den Rest der Inhaltsangabe.

Unerwartet holte Sebastian Faye aus dem Gefängnis. Er verfügte über Schlüssel und wurde von den Polizisten gegrüßt, die ihnen auf den Korridoren begegneten.

Sebastian – das war nicht sein richtiger Name, sondern sein „Nom de Guerre“ – arbeitete heimlich mit der Polizei zusammen: Indem er immer wieder die Stimmung anheizte, verschaffte er der Protestbewegung die erforderliche Aufmerksamkeit in den Medien. Zugleich lieferten die angeblich geplanten militanten Aktionen der Polizei Argumente für ein hartes Durchgreifen – das wiederum den Demonstranten Sympathie verschaffte.

Nach dem Verlassen des Gebäudes wurden Faye und Sebastian von der im Grant Park versammelten Menge an die Fensterscheibe der Bar des Conrad Hilton gepresst. Brown entdeckte die Studentin und knüppelte sich den Weg durch die Demonstranten frei. Gerade, als er Faye packen wollte, explodierte eine weitere Tränengasgranate. Der Knall erschreckte die Menge – und die Scheibe hielt dem Druck nicht länger stand. Sie zerbarst.

Brown stürzte zu Boden und verspürte einen Stich im Rücken. Er konnte seine Beine nicht mehr bewegen und ahnte, dass eine Glasscherbe sein Rückgrat verletzt hatte. (Später verließ der Querschnittgelähmte die Polizei, studierte Jura und wurde zu einem ebenso reaktionären wie gnadenlosen Richter.)

Am nächsten Morgen verließ Faye Chicago. Sie brach das Studium ab und heiratete Henry Anderson.

Spätsommer 2011

Laura Pottsdam gewinnt den am College als IT-Berater jobbenden Kommilitonen Larry Broxton dafür, auf Samuel Andersons Bürocomputer nach kompromittierendem Material zu suchen. Er stellt fest, dass der Literaturprofessor häufig „Elfscape“ auf dem Rechner spielte. Daraufhin gründet Laura die Vereinigung „Studenten gegen die Verschwendung von Fakultätsgeldern“ und sorgt dafür, dass Samuel Anderson entlassen wird.

Der drängt seine Mutter, den Rat ihrer früheren Freundin Alice zu befolgen und mit ihm zusammen das Land zu verlassen. Faye geht zunächst davon aus, dass man sie am Flughafen erneut festnehmen würde, aber ihr Anwalt Simon Rogers hält es für unwahrscheinlich, dass ihr Name bereits auf der Liste des Terrorist Screening Center steht. Also macht sie sich mit ihrem Sohn auf den Weg.

Am O‘Hare Airport kaufen sie zwei Einweg-Tickets nach London. An der Sicherheitsschleuse werden sie aus der Schlange geholt. Es geht jedoch nicht um Faye, sondern um Samuel. Als er seinen Großvater in Iowa besuchte, knipste er nostalgische Fotos, darunter auch von ChemStar, dem Unternehmen, in dem Frank Andresen sein Berufsleben verbracht hatte. Damit machte sich Samuel verdächtig und wurde anhand von Aufnahmen aus Überwachungskameras identifiziert. Gegen das Flugverbot kann er Einspruch einlegen, aber eine Entscheidung darüber wird sechs bis acht Wochen dauern.

Faye fliegt allein nach London – und von dort weiter über Oslo nach Hammerfest. Dort sucht sie das Haus ihres Vaters, das sie auf Fotos gesehen hat. Sie findet es und trifft dort auf eine junge Frau namens Lillian und deren Mutter Freya. Als der Krieg 1940 sogar Hammerfest erreichte, flüchtete eine Gruppe von Fischern auf einem Kutter. Darunter war der 18-jährige Fridtjof Andresen. Er ließ seine mit Freya schwangere Frau Marthe zurück. Die Deutschen verjagten die Einheimischen aus ihren Häusern, und als sie 1944 abzogen, brannten sie alles nieder. Aber Marthe baute das Haus wieder auf.

Samuel erhält in Chicago eine Nachricht von seiner Mutter. Sie schreibt, dass sie in Norwegen sei und rät ihm, mit seinem Verleger zu reden. Also fährt er nach New York.

Guy Periwinkle gehörte 1968 in Chicago unter dem Kampfnamen Sebastian zur linken Protestbewegung und kooperierte zugleich mit der Polizei. Zwanzig Jahre später, als Faye es nicht mehr mit ihrem langweiligen Ehemann Henry Anderson aushielt, kam sie zu ihm. Weil er jedoch inzwischen erfolgreich einen Verlag leitete und viel Geld verdiente, warf Faye ihm entrüstet vor, er habe die Ideale von 1968 verraten. Bevor sie weiterzog, forderte sie ihn noch auf, ihrem Sohn einen großzügigen Buchvertrag anzubieten.

Seit einiger Zeit berät Guy Periwinkle den die Präsidentschaft anstrebenden Gouverneur Sheldon Packer. Als er mit ihm in Chicago war, verabredete er sich mit Faye im Grant Park. Während sie auf ihn wartete, saß sie auf einer Bank und las. Sobald sie ihn mit dem Republikaner erblickte, schrie sie: „Du Schwein!“ und warf zornig Steine – nicht auf den Politiker, sondern auf ihn. Periwinkle spielte den Medien Fayes Foto aus dem Jahr 1968 und Informationen über sie zu, um aus dem Vorfall eine politische Gewalttat gegen den Präsidentschaftskandidaten zu machen.

Inzwischen ließ der Verleger von einem Ghostwriter in Samuels Namen ein Buch schreiben: „Der Packer-Attacker. Die unerhörte Insiderstory der berühmtesten Linksradikalen Amerikas, erzählt von ihrem Sohn, den sie als Kind verließ“. Samuel wendet ein, dass das Buch nichts mit der Wahrheit zu tun habe, aber dazu meint Periwinkle:

Die Wirklichkeit ist viel zu kompliziert und schrecklich geworden. Es ist weit einfacher, alles zu ignorieren, was nicht in Ihre vorgefasste Meinung passt, und stattdessen zu glauben, was Sie in Ihrem Denken bestätigt.

Samuel nutzt seinen Aufenthalt in New York, um sich mit Bethany zu verabreden. Deren Ehe wurde nach vier Jahren geschieden. In der von ihrem Vater übernommenen Wohnung mit acht Zimmern ist genügend Platz, um Samuel Unterschlupf zu geben.

Als „sein“ Buch auf den Markt kommt, arbeitet Samuel bereits an einem anderen (an dem, das wir gerade lesen). Darin erzählt er die wahre Geschichte seiner Mutter. Guy Periwinkle besteht allerdings darauf, dass es unter einem Pseudonym erscheint, die Namen der Beteiligten geändert werden und im Vorwort ausdrücklich steht, es handele sich um eine frei erfundene Story.

Er sorgte bereits dafür, dass Richter Charles Brown vom Packer-Team als Experte für Verbrechensbekämpfung angeheuert wurde und den durch Fayes Flucht nach Norwegen ohnehin aussichtslosen Prozess fallen ließ.

Faye kehrt heimlich in die USA zurück und nimmt sich in Iowa ein Zimmer, damit sie sich um ihren dementen Vater im Heim kümmern kann.

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Die Romanfigur des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Sheldon Packer in „Geister“ assoziieren wir mit Donald Trump – und das soll wohl auch so sein. Auch bei den Krawallen anlässlich des Nominierungsparteitags der Demokraten vom 26. bis 29. August 1968 in Chicago knüpft Nathan Hill an die Realität an.

Die Geschehnisse des Jahres 1968, die in diesem Roman beschrieben werden, sind eine Mischung aus historischen Tatsachen, Augenzeugenberichten, der Fantasie des Autors und seinen persönlichen Vorlieben. So hat Allen Ginsberg beispielsweise zwar an den Protesten in Chicago teilgenommen, war aber kein Gastprofessor am Circle-Campus der Universität von Illinois.

In „The Nix“ / „Geister“ veranschaulicht Nathan Hill Kontraste und Konflikte in der US-amerikanischen Gesellschaft. Allerdings bleibt er dabei an der Oberfläche.

Der Protagonist Samuel Anderson, ein 34-jähriger Literaturprofessor, der 2011 erstmals seit 1988 von seiner Mutter hört und nun verstehen möchte, warum Faye ihn und den Vater damals verließ, findet bei seinen Nachforschungen heraus, dass er seine Entscheidungen bisher auf der Grundlage falscher Annahmen traf.

Nathan Hill wechselt in „Geister“ zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her: 1968, 1988, 2011. Am Ende führt er alle Handlungsstränge zusammen und überrascht dabei die Leserinnen und Leser mit einigen Plot Twists. Zumeist erleben wir das Geschehen aus Samuels Sicht, aber Nathan Hill wechselt auch zu anderen Perspektiven und schildert beispielsweise Samuels Besuch beim dementen Großvater aus beiden Blickwinkeln. Mehrmals experimentiert der Autor mit Stilelementen, zum Beispiel wenn er auf Seite 652 einen Bandwurmsatz beginnt oder auf Seite 393 eine Binnenerzählung mit dem Titel „Du kannst das Mädchen kriegen! Eine Wähle-dein-eigenes-Abenteuer-Geschichte“ einfügt, bei der jeder Abschnitt mit einer Aufforderung an die Leserin bzw. den Leser endet, eine Entscheidung zu treffen:

Um Ja zu sagen, blättere auf die nächste Seite …
Um zu Bethanys Apartment hinaufzufahren, blättere auf die nächste Seite …
Um den Brief zu lesen, blättere auf die nächste Seite …
Es ist Zeit. Triff eine Entscheidung. Welche Tür wählst du?

Satirische, parodistische und realistische Passagen folgen einander in „Geister“. Das meiste ist bunt und unterhaltsam, aber es gibt auch unnötige Längen.

Es heißt, Meryl Streep habe sich bereits die Filmrechte am 2016 veröffentlichten Debütroman des 1978 geborenen Amerikaners besorgt und plane eine Fernsehserie aus „The Nix“ / „Geister“ zu machen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2019
Textauszüge: © Piper Verlag

Uwe Johnson - Zwei Ansichten
Plot und Aufbau des Romans von Uwe Johnson sind denkbar karg und entdramatisiert. Nicht nur durch das Zusammenspiel von übersteigerter Sachlichkeit und fehlender Anschaulichkeit wirkt "Zwei Ansichten" spröd und distanziert. Dazu trägt vor allem die eigenwillige, nicht leicht zu verstehende Sprache bei. Die Absätze sind lang, die Szenenwechsel übergangslos. Das erschwert die Lektüre.
Zwei Ansichten