Elias Hirschl : Content

Content
Content Originalausgabe Paul Zsolnay Verlag, Wien 2024 ISBN 978-3-552-07386-9, 224 Seiten ISBN 978-3-552-07406-4 (eBook
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Jonas und seine Freundin arbeiten in Lost Places auf brüchigem Boden über längst aufgegebenen Bergwerken. Während er voller Zuversicht ein erfolgloses Start-up nach dem anderen gründet, textet sie als Freelancerin sinnfreie Listicles für die Content-Farm Smile Smile.
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Kritik

Der Roman "Content" ist eine dystopische Groteske, die in einer ebenso irren wie sinnlosen Welt spielt. Im Netz surfen wir von Content zu Content, und Elias Hirschl entwickelt dementsprechend keine stringente Handlung. Das Ergebnis ist eine zum Teil unterhaltsame Lektüre, aber es fehlt "Content" an Substanz.
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Smile Smile

Bei der Ich-Erzählerin, deren Namen wir nicht erfahren, handelt es sich um eine 31-jährige Freelancerin, die für die Content-Farm Smile Smile Lists Unmengen sinnfreier Listicles verfasst, die dann ein Prüf- und Bearbeitungsverfahren durchlaufen, bevor sie ins Netz gestellt werden. Smile Smile Lists gehört ebenso wie Smile Smile Fun Videos und Smile Smile Memes zum 2009 in Larnaka gegründeten Unternehmen Smile Smile Inc., hinter dem vermutlich ein russischer Mutterkonzern steckt. Ob es sich dabei um eine Geldwaschanlage oder eine Desinformationsmaschine handelt, lässt sich nicht feststellen.

Weil sich die Büros über einem ehemaligen Steinkohlebergwerk befinden, kommt es durch einstürzende Hohlräume immer wieder zu Erdbeben. Im leerstehenden Lagerhaus einer stillgelegten Ziegelfabrik in der Nähe hat Jonas Demir, ein Freund der Erzählerin, der im Gegensatz zu ihr von einer Zukunft träumt, mit seiner Same Day Crew ein neues Logistikzentrum eingerichtet: das Start-up Rabbiz. Die Fenster sind alle kaputt und die Wasserleitungen eingefroren, aber Jonas ist überzeugt, dass es hier im Sommer super sein werde. Und nach einem Wasserrohrbruch malt er sich aus, wie toll es sein wird, wenn das Wasser abgeflossen ist. Er will die Produkte liefern, bevor die Kunden sie bestellen. Aber als die Rider für eine faire Bezahlung, realistische Arbeitszeiten und ein sicheres Equipment streiten, entlässt Jonas erst einmal die gesamte Belegschaft.

Karin

Karin, eine Kollegin der Erzählerin, steckt ihre rechte Hand in eine Hydraulikpresse, die gerade für ein Video eine Mikrowelle zerquetscht. Nach der Amputation wird sie vom Krankenhaus in eine psychiatrische Klinik verlegt.

Um Karins Wohnung kümmert sich die Erzählerin. Sie befindet sich in einem Hochhaus eines vor wenigen Jahren hochgezogenen Wohnviertels am Ufer des künstlichen, mit Schwermetallen verseuchten Sees, der auf dem Gelände der früheren Hoffhütte entstanden ist, also des größten Stahl- und Eisenwerks der Hoff-AG, die mit einem Bild von Fritz Hoff warb, obwohl es in der Industriellenfamilie Hoff nie einen Fritz gab. „Fritz Hoff“ war eine um 1970 von dem Bildhauer Gert Koppe geschaffene Stahlbüste.

Beziehungen

Der VOYZ-Journalist Finn Gerber möchte Karin interviewen, verwechselt jedoch die Erzählerin mit ihr, und bevor diese den Irrtum aufklären kann, läuft sein altmodisches Kassetten-Diktiergerät. Vom Büro wechseln sie in eine Kneipe, und in ihrem Bett hat er alkoholinduzierte Erektionsprobleme. Am Ende einer wochenlangen Beziehung lagern einige Tausend Kassetten in ihrer Wohnung. Sein Artikel wird eineinhalb Seiten lang.

Ihre erste Beziehung hatte sie im Alter von 19 Jahren. Damals arbeitete sie als IKM-Schreiberin (Internet-Kontakt-Markt). Sie wurde also dafür bezahlt, zahlende Kontaktpersonen so lange wie möglich hinzuhalten. Durch einen Fehler im System geriet sie an einen Kollegen. Nach einem Jahr bezogen die beiden eine gemeinsame Wohnung, und vier Jahre lang bezahlten sie die Miete von den Honoraren für ihre langen Konversationen. Dann fiel der Systemfehler auf, und sie trennten sich.

Avatar

Nachdem Smile Smile Lists bereits Opfer einer Ransomware wurde, die von der Erzählerin absichtlich durch Öffnen eines Mail-Anhangs eingeschleust worden war, hackt jemand sie persönlich und sie kommt nicht mehr an ihre Internet-Accounts.

Google Maps zeigt ihren Standort in anderen Städten an, und als sie mit Karins Laptop in Social Media schaut, stellt sie fest, dass es inzwischen einen Avator von ihr gibt. Ihre Doppelgängerin heiratet auf einer Karibikinsel den 26-jährigen schottisch-kanadischen Popsänger und Schauspieler Timothy McGuire, und ihre Eltern sind stolz auf sie.

Aber dann stirbt die Doppelgängerin in einem Hotelzimmer in Los Angeles an einer Überdosis Heroin. Die echte Person reist zur Beerdigung in ihr Heimatdorf und kondoliert am Grab nicht nur ihrem Witwer, sondern auch ihren trauernd zu Boden blickenden Eltern.

Evakuierung

Nach der Entlassung aus der Psychiatrie bewirbt Karin sich bei Bryan Donaldson, einem Autor der „Late Night with Seth Meyers“ – und wird als Assistent Sketch Writer in New York eingestellt.

Die Erzählerin imitiert mit einer KI so viele Listicles, dass sie für den Rest des Jahres nichts mehr tun muss.

Das ganze Bergbaugebiet wird wegen Überflutung evakuiert, aber die Erzählerin wartet in Karins Wohnung ab, bis Strom, Telefon und Internet ausfallen. Dann legt sie alte Handys auf dem Flachdach zum Wort HELP – und wird bald darauf von einem Hubschrauber in eine Notunterkunft gebracht.

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Mit seinem Roman „Content“ bietet Elias Hirschl (*1994) eine dystopische Groteske, die in Lost Places auf brüchigem Boden über längst aufgegebenen Bergwerken spielt. Es geht um hohlen Content im Netz, KI, Avatare und Desinformation. In einer ebenso irren wie sinnlosen Welt, in der die Grenzen zwischen Realität und Virtualität verwischt sind, werden voller Zuversicht chancenlose Start-ups gegründet.

Im Netz klicken wir uns von Link zu Link, wir surfen von Content zu Content, und Elias Hirschl entwickelt dementsprechend auch keine stringente Handlung. Das Ergebnis ist eine zum Teil unterhaltsame Lektüre, aber es fehlt „Content“ an Substanz. Das soll vielleicht die Absurdität des Daseins im Allgemeinen und des Netzes im Besonderen spiegeln, ist aber als Literatur enttäuschend.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2024

Svenja Viola Bungarten - Maria Magda
Das Theaterstück "Maria Magda" von Svenja Viola Bungarten ist eine Mischung aus Grusical und Internatsgeschichte mit der zentralen Forderung, die von Männern geprägte Geschichtsschreibung feministisch zu korrigieren. Zum Beispiel habe es sich bei Marias "unbefleckter Empfängnis" – sofern sie überhaupt stattfand – um eine Vergewaltigung gehandelt.
Maria Magda