Sylvia Madsack : Enriettas Vermächtnis

Enriettas Vermächtnis
Enriettas Vermächtnis Originalausgabe Pendragon Verlag, Bielefeld 2021 ISBN 978-3-86532-749-9, 286 Seiten ISBN 978-3-86532-764-2 (eBook)
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Als die Bestsellerautorin Enrietta da Silva im Alter von 85 Jahren stirbt, sollen sich aufgrund des Testaments der argentinische Schönheitschirurg Dr. Emilio Volpes und die am Mozarteum in Salzburg unterrichtende Jana Horwarth das Millionenerbe teilen. Ihrem Rechtsanwalt in Zürich versicherte Enrietta, dass sie keine Kinder habe, aber bei ihm meldet sich nun ein Mann und gibt an, ihr leiblicher Sohn Armando da Silva zu sein ...
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Kritik

Sylvia Madsack veranschaulicht in ihrem Roman "Enriettas Vermächtnis", wie jemand durch fehlende Mutterliebe traumatisiert wurde. Zugleich warnt die Autorin davor, einen Menschen so zu beurteilen, wie ein anderer es vorgibt. "Enriettas Vermächtnis" gehört nicht zur ganz großen Literatur, aber Sylvia Madsack bietet mit ihrem Roman ein fesselndes Lesevergnügen.
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Die Erbschaft

Der argentinische Schönheitschirurg Dr. Emilio Volpes betreibt in Buenos Aires eine eigene Klinik, und seine Ehefrau Elena praktiziert als Fachärztin für Orthopädie. Die Ehe besteht allerdings nur noch auf dem Papier.

Emilios 1925 in Buenos Aires geborener Vater Ernesto Volpes war Universitätsprofessor und mit der Tochter eines Kollegen verheiratet. Der 1962 geborene Sohn blieb ihr einziges Kind, denn die Mutter kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben, als Emilio noch klein war. Sein Vater starb vor 13 Jahren in einer Seniorenresidenz.

Emilio ist Mitte 50, als er erfährt, dass ihn die im Alter von 85 Jahren gestorbene Bestsellerautorin Enrietta da Silva als Erben eingesetzt hat. Deshalb fliegt er nach Zürich, wo sie in den letzten Jahrzehnten lebte und der Testamentsvollstrecker Dr. Andreas Leuthard seine Kanzlei hat.

In Zürich lernt Emilio seine Miterbin kennen. Er schätzt Jana Horwarths Alter auf etwa 40 Jahre. Seit einem Unfall bei einer Bühnenprobe ist die frühere Schauspielerin etwas gehbehindert, und deshalb arbeitet sie nicht mehr in ihrem Beruf, sondern unterrichtet am Mozarteum ihrer Heimatstadt Salzburg.

Vor knapp 20 Jahren lernten Enrietta da Silva und Jana Horwarth sich in Salzburg kennen. Damals war Jana noch selbst Schauspielschülerin am Mozarteum, und ihr Vater, ein Dramaturg am Landestheater, stellte seine 21-jährige Tochter der berühmten Schriftstellerin vor. Fünf Jahre später begegneten sich die beiden Frauen erneut, als Jana in der Verfilmung eines Romans von Enrietta da Silva mitspielte und die in Zürich lebende Autorin zu den Dreharbeiten nach München kam. Von da an riss der Kontakt nicht mehr ab. Jana wurde zu Enriettas Ziehtochter.

Andreas Leuthard schätzt den Wert der Erbschaft, die zu gleichen Teilen unter Emilio Volpes und Jana Horwarth aufgeteilt werden soll, auf etwa 20 Millionen Schweizer Franken.

Jana wohnt in Zürich bei ihrer Freundin Cornelia, einer geschiedenen Schweizer Kostümbildnerin, die allerdings gerade für einige Tage verreist ist. Als Jana auf Glatteis stürzt und außer schweren Prellungen einen Rippenbruch erleidet, kümmert Emilio sich um sie. Er bringt sie mit dem Taxi nach Hause, und nachdem sie telefonisch Cornelias Einverständnis eingeholt haben, übernachtet er auf dem Sofa , um ihr beistehen zu können.

Armando

Überraschend meldet sich ein Argentinier namens Armando da Silva bei Andreas Leuthard.

Ende der Sechzigerjahre war Enrietta da Silva in Buenos Aires eine Studentin von Professor Ernesto Volpes. Als sie von einem berühmten Tango-Sänger geschwängert und deshalb von ihrer Familie verstoßen wurde, nahm der Witwer sie in seinem Haus auf. Der Sänger war nach einem Suizidversuch seiner Ehefrau zu seiner Familie zurückgekehrt. Der Skandal ruinierte seine Karriere; er verfiel dem Alkohol und starb einige Zeit später an einem Herzinfarkt. Enrietta hasste den Sohn, der sie an das Trauma erinnerte. Zum Glück brachte Ernesto Volpes eines Tages eine Kinderfrau mit, die sich nicht nur um den kleinen Armando kümmerte, sondern zu einer liebevollen Ersatzmutter für ihn wurde. Sie hieß Consuela.

Armando war zwölf Jahre alt, als Emilio zum Studieren in die USA zog. Die beiden haben sich seit zwei Jahrzehnten nicht mehr gesehen – und können sich nicht ausstehen. Emilio weist darauf hin, dass Armando in Buenos Aires eine Haftstrafe verbüßte und ist überzeugt, dass dessen augenscheinlicher Wohlstand auf Drogengeschäften basiert.

Der Rechtsanwalt macht Emilio darauf aufmerksam, dass er sich durch das Verschweigen eines leiblichen Erben der Verstorbenen zum eigenen Vorteil strafbar gemacht habe. Allerdings glaubte Emilio, in Enriettas Sinn zu handeln, denn sie wollte zeitlebens nichts von Armando wissen und verleugnete ihn auch, als Andreas Leuthard sie beim Aufsetzen des Testaments explizit nach Kindern fragte.

Nach Schweizer Recht stehen Enriettas Sohn 75 Prozent des Erbes als Pflichtteil zu. Obwohl Emilio nicht auf seinen Anteil angewiesen ist und mit dem Gedanken spielt, das Erbe auszuschlagen, legt er beim Nachlassgericht Widerspruch gegen Armandos Pflichtteileinsetzung ein und begründet dies mit dem Vorwurf, es handele sich um einen Kriminellen.

Emilio warnt Jana zwar vor Armando, aber sie nimmt dessen Restaurant-Einladung an – und lässt sich von der Persönlichkeit des einige Jahre älteren Argentiniers beeindrucken. Armando erweist sich als höflich und kultiviert, respektvoll und einfühlsam.

Salzburg

Obwohl Jana sich in Armando verliebt und in Zürich mit ihm geschlafen hat, kehrt sie allein nach Salzburg zurück, denn sie sieht keine gemeinsame Zukunft mit dem Argentinier, den sie aufgrund von Emilios Behauptungen für einen charismatischen Kriminellen hält.

In ihrer Heimatstadt schläft sie hin und wieder mit ihrem Kollegen Johannes Gruber, der ebenso wie sie geschieden ist.

Emilio besucht Jana in Salzburg und teilt ihr mit, dass er beschlossen habe, seinen Erbteil auszuschlagen, nicht nur, weil er das Geld nicht benötigt, sondern auch, weil er in diesem Fall wegen des Verschweigens des leiblichen Erben nicht mit Strafverfolgung rechnen muss. Aber den Einspruch vor dem Nachlassgericht und seine Anschuldigungen gegen Armando da Silva hält er aufrecht.


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Ein paar Tage nach Emilio kommt auch Armando nach Salzburg. Er gibt zu, dass er in jungen Jahren wegen der Beteiligung an Einbrüchen zwei Jahre im Gefängnis saß und erzählt Jana, was bei seiner Entlassung geschah: Vor dem Tor der Haftanstalt wartete eine Limousine, und der Chauffeur bat ihn höflich, sich kurz zu der Dame in den Fond zu setzen. So lernte er seine Großmutter Isabel da Silva kennen. Die Witwe erklärte ihm, sie habe sich nicht gegen ihren Mann und ihre Söhne durchsetzen können, als Enrietta verstoßen wurde. Immerhin habe sie Kontakt zu Emilio Volpes aufgenommen, ihm finanziell geholfen und vor allem ihre treue Bedienstete Consuela überredet, sich Armandos anzunehmen. Isabel da Silva hatte ihren Enkel als Alleinerben eingesetzt, und als sie einige Monate nach seiner Haftentlassung starb, wurde er zu einem reichen Mann. Weil Emilio nichts von der Erbschaft weiß, kann er sich Armandos Vermögen nur durch Kriminalität erklären.

Jana, die sich mit Armando in einem Restaurant getroffen hat, nimmt ihn danach mit nach Hause. Aber dort spürt sie, wie er über die Ernsthaftigkeit ihrer Beziehung erschrickt. Am nächsten Morgen bricht Armando allein zu einer kleinen Rundreise durch das Salzkammergut auf, und Jana versteht, dass er dabei versucht, mit sich selbst und seiner Angst vor einer festen Bindung ins Reine zu kommen.

Neuanfänge

Andreas Leuthard trennt sich von seiner Frau und zieht zu der Restaurantbesitzerin Katalyn.

Emilio Volpes kommt im Spital der Barmherzigen Schwestern in Paris zu sich. Dr. Lejeune erklärt ihm, dass er überfallen und ausgeraubt worden sei. Daran kann er sich aufgrund einer retrograden Amnesie durch die Gehirnerschütterung nicht erinnern.

Nach Paris ist er gereist, weil er sich entschlossen hat, seine Privatklinik in Buenos Aires zu verkaufen, seine Arzttätigkeit aufzugeben und stattdessen Kunst zu studieren. Er hat auch bereits einen Immobilienmakler mit der Wohnungssuche in Paris beauftragt.

Allerdings muss Emilio noch einmal nach Zürich zurück, um den Verzicht auf Enriettas Erbe formal zu erklären. Als er erfährt, wie Armando in Wirklichkeit zu seinem Wohlstand gekommen ist, zieht er auch seinen Einspruch beim Verwaltungsgericht zurück.

Jana plant, mit dem geerbten Geld eine Theatertruppe zu gründen, mit der sie ihre eigenen künstlerischen Vorstellungen verwirklichen kann. Sie glaubt nach wie vor nicht an eine gemeinsame Zukunft mit Armando, der seinen Rückflug nach Argentinien angekündigt hat. Aber als sie in einem Restaurant allein zu Abend isst, fragt jemand, ob an ihrem Tisch noch ein Platz frei sei. Es ist Armando.

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Sylvia Madsack veranschaulicht in ihrem Roman „Enriettas Vermächtnis“, wie jemand durch fehlende Mutterliebe traumatisiert wurde und immer wieder von der Vergangenheit eingeholt wird. Zugleich warnt die Autorin davor, einen Menschen so zu beurteilen, wie ein anderer es vorgibt.

Auf geschickte Weise zeigt Sylvia Madsack uns die beiden Argentinier zunächst jeweils in einem bestimmten Licht und wechselt dann gewissermaßen die Beleuchtung, sodass wir beim Lesen unsere Vorstellung von ihnen korrigieren müssen. Und wie in einem Kriminalroman deutet sie schon früh ein Familiengeheimnis an, das uns neugierig macht, das sie aber erst nach und nach aufdeckt.

Sylvia Madsack erzählt zwar auch von großen Gefühlen, tut dies jedoch eher nüchtern, und das, obwohl „Enriettas Vermächtnis“ mitunter auf das Niveau einer Seifenoper abgleitet. Die psychologischen Zusammenhänge werden von der studierten Psychologin nur oberflächlich ausgeleuchtet, und das Verhalten der Romanfiguren ist nicht in jeder Szene ohne weiteres nachvollziehbar

Am Ende ändern alle Beteiligten einschließlich des Rechtsanwalts ihr Leben.

Fazit: „Enriettas Vermächtnis“ gehört nicht zur ganz großen Literatur, aber Sylvia Madsack bietet mit ihrem Roman ein fesselndes Lesevergnügen.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2021

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