Anke Stelling : Schäfchen im Trockenen

Schäfchen im Trockenen
Schäfchen im Trockenen Verbrecher Verlag, Berlin 2018 ISBN 978-3-95732-338-5, 266 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

1993, nach dem Abitur, zog Resi mit ihrer Clique von Stuttgart nach Berlin. Sie wurde Schriftstellerin, heiratete einen Künstler namens Sven und brachte trotz finanzieller Sorgen vier Kinder zur Welt. Lange glaubte Resi, ihre Freunde, die gemeinsam ein Haus am Prenzlauer Berg gebaut haben, würden sie dafür bewundern. Inzwischen durchschaut sie die Verlogenheit der Arrivierten ...
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Kritik

In ihrem Roman "Schäfchen im Trockenen" lässt Anke Stelling die Protagonistin zu Wort kommen. Resi adressiert ihre zwischen Verbitterung, Kampfgeist und Verzweiflung wechselnden Ausführungen an ihre 14-jährige Tochter Bea, um ihr die Illusionen zu nehmen, die sie selbst lange Zeit hatte. Sie schreibt bewusst wie in einem Tagebuch und scheinbar ohne literarischen Anspruch.
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Stuttgart

Resi wurde Anfang der Siebzigerjahre in Stuttgart geboren. Ihre Mutter Marianne war Buchhändlerin, ihr Vater Raimund technischer Zeichner. Als Gymnasiastin gehörte Resi einer Clique an, und erst jetzt, mit Mitte 40, fällt ihr auf, dass die anderen Mitglieder im Gegensatz zu ihr aus reichen Familien stammten. Im Alter von 14 Jahren begann sie ein Liebesverhältnis mit Ulf, der ebenfalls zum Freundeskreis gehörte. Wenn sie ihn ein paar Jahre später geheiratet hätte, wäre sie gesellschaftlich aufgestiegen, aber über Statusfragen dachte sie damals gar nicht nach, und nach dem Abitur beendete Ulf die intime Beziehung. Befreundet blieben sie allerdings, nicht nur Resi und Ulf, sondern auch Vera, Friederike und Christian, die 1993 zu fünft von Stuttgart nach Berlin zogen.

Baugruppenhaus

Der Freundeskreis besteht schließlich aus Resi, ihrem Mann Sven und den 2003, 2006, 2009 bzw. 2012 geborenen Kindern Bea, Jack, Kieran und Lynn, Vera und Frank mit ihren Kindern Willi und Leon, Christian und Ellen mit Charlotte, Mathilda und Finn, Friederike und Ingmar mit Silas und Sophie sowie dem unverheirateten, kinderlosen Paar Ulf und Carolina.

2013 beziehen alle bis auf Resi und ihre Familie ein als K 23 bezeichnetes Baugruppenhaus im Stadtteil Prenzlauer Berg. Dem Künstler Sven und der Schriftstellerin Resi fehlt das Geld dafür. Ingmar bietet ihnen zwar finanzielle Hilfe an, aber davon machen sie keinen Gebrauch. Stattdessen ziehen sie mit den vier Kindern in die von Frank und Vera frei gemachte Wohnung. Franks 18 Jahre alten Mietvertrag lassen sie weiterlaufen, denn bei einem neuen Vertrag müssten Resi und Sven sehr viel mehr bezahlen.

Verstoßen

Resi beschäftigt sich zunächst in einem Zeitungsartikel und dann auch in einem Roman ebenso kritisch wie unverblümt mit dem, was sie in ihrem Freundeskreis beobachtet. Die anderen tun so, als bewunderten sie die Bücher schreibende vierfache Mutter, aber Resi durchschaut nun, dass man abschätzig über sie urteilt:

Es ist größenwahnsinnig, ohne Großeltern und Großraumwagen und Großverdienst eine Großfamilie zu gründen. Es ist unbedacht. Es ist asozial.

Endlich begreift sie, dass sie schon zu Schulzeiten die Außenseiterin in der Clique war, weil sie aus einfacheren Verhältnissen kam.

Die Freunde empfinden die öffentlichen Enthüllungen als Kampfansage und verstoßen sie aus ihrem Kreis. Frank kündigt 2017 die Wohnung, in der Resi seit vier Jahren mit ihrer Familie in Untermiete lebt.

Schreiben

Ein Zeitungsartikel und ein Buch lösten das Zerwürfnis aus. Erneut schreibend, setzt Resi sich nun auch damit auseinander und gibt ihrem Zorn ein Ventil. In dem neuen Buch denkt sie nicht zuletzt über die Rolle ihrer inzwischen verstorbenen Mutter Marianne nach und vergleicht ihre eigene damit.

Resi wirft ihrer Mutter und deren Freundin Renate vor, sie einem Freiheitstraum überlassen zu haben, statt sie auf die Realität des Lebens vorzubereiten.

Vorwurf an meine Mutter, Renates Mutter, Renate und all die anderen, die glauben, es sei besser zu schweigen, sich zurückzunehmen und auf die Zukunft ihrer Töchter zu setzen:
Ihr irrt euch.
Indem ihr schweigt, schluckt und verschleiert, schont ihr uns nicht, sondern haltet uns in Unwissenheit. Privatisiert außerdem gesellschaftliches Unrecht – denn dass es euch nicht gut geht, bemerken wir, glauben aber, das habe rein persönliche Gründe. Ihr schaff’s halt nicht, seid nicht stark, schön, schlau und durchsetzungsfähig genug. Oder, noch besser, habt uns bekommen und dafür auf alles andere verzichtet.
In der Annahme, dass wir im Gegensatz zu euch ja völlig frei, gleichberechtigt und unseres Glückes Schmied sind, gehen wir also in die Welt hinaus. Und geraten naiv, unvorbereitet und ungeschützt in genau dieselben misslichen Zusammenhänge wie ihr vor uns – denn dass die verschwunden sind, glaubt ihr ja wohl selbst nicht.

Auf keinen Fall will Resi ihre Kinder ebenso unaufgeklärt lassen, wie sie es selbst war.

Anders als meine Mutter werde ich nicht davon ausgehen, dass sie mit der Zeit schon erfährt, was sie wissen muss; anders als Renate und ihre Freundinnen werde ich nichts zurückhalten in der Vorstellung, dass meine Erzählung die Kinder negativ beeinflussen, entmutigen oder in ihrer Entfaltung behindern könnte. Im Gegenteil, ich stelle mir vor, dass ich sie ausrüste mit Wissen und Geschichten. Dass ich sie nicht naiv und leichten Mutes, sondern beladen mit Erkenntnissen und Interpretationen losschicke – Rüstung und Waffen wiegen nun mal.

Neuanfang

Innerhalb des S-Bahnrings sind die Mieten für Sven und Resi unbezahlbar. Sie ziehen deshalb nach Ahrensfelde. Und Resi spielt mit dem Gedanken, über ihre Beobachtungen dort einen neuen Roman zu schreiben.

Resi kann ein Buch darüber schreiben: Wie’s sich außerhalb des S-Bahnrings so lebt. Wie die Nachbarn ticken. Raue Töne, weiche Herzen, und dass Resi und Sven noch rauchen, erleichtert ihnen die Akzeptanz.

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In ihrem Roman „Schäfchen im Trockenen“ lässt Anke Stelling die Protagonistin Resi in der Ich-Form zu Wort kommen, eine wie sie Anfang der Siebzigerjahre in Schwaben geborene, nach dem Abitur nach Berlin gezogene Schriftstellerin. Sie kritisiert nicht nur die Generation der Mütter, sondern auch ihre eigene. Anke Stelling bzw. ihr Alter Ego glaubt, die Redensart, jeder sei seines Glückes Schmied, sei unrealistisch. Und die Arrivierten, die eine Bücher schreibende Mutter von vier Kindern und Ehefrau eines Künstlers mit Existenzängsten zu bewundern scheinen, hält Resi für verlogen. Durch einen Zeitungsartikel und einen Roman brachte sie ihren Freundeskreis gegen sich auf, und zornig weiter schreibend setzt sie sich nun auch damit auseinander.

Resi tippt in einer kleinen Kammer auf einem Laptop und adressiert ihre zwischen Verbitterung, Kampfgeist und Verzweiflung wechselnden Ausführungen an ihre 14-jährige Tochter Bea, um ihr die Illusionen zu nehmen, die sie selbst lange Zeit hatte. Sie schreibt bewusst wie in einem Tagebuch und scheinbar ohne literarischen Anspruch.

Genau deshalb ist das hier das Gegenteil eines gut gebauten, elegant komponierten Romans.

Den Namen Resi – so erfahren wir es in „Schäfchen im Trockenen“ – leitete Anke Stelling von Parrhesia ab, dem griechischen Wort für Redefreiheit. Auch in Bezug zum Titel gibt es ein Zitat:

Seine Schäfchen ins Trockene zu bringen, heißt nicht mit dem Schäferhund befreundet zu sein. Sondern den Stall und das Land zu besitzen.

Anke Stelling wurde 1971 in Ulm geboren. Wie die Romanfiguren in „Schäfchen im Trockenen“ zog sie nach dem Abitur nach Berlin, bevor sie am Literaturinstitut in Leipzig studierte. Im Unterschied zu der Protagonistin Resi gründete sie dann mit anderen eine Genossenschaft zum Bau eines gemeinsamen Hauses im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg und zog dort mit ihrer fünfköpfigen Familie ein. Darüber schrieb sie in dem Roman „Bodentiefe Fenster“ (2015), der in die Longlist des Deutschen Buchpreises 2015 aufgenommen wurde.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2019
Textauszüge: © Verbrecher Verlag

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