Günter Grass : Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte
Das Treffen in Telgte Originalausgabe: Hermann Luchterhand Verlag, Darmstadt / Neuwied 1979 ISBN: 3-472-86480-X, 182 Seiten Spiegel-Edition, Hamburg 2006 ISBN: 978-3-87763-002-0, 157 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Ein Jahr vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges – inmitten der Not, der Zerstörung und des moralischen Verfalls – wollen sich rund zwanzig Barock-Dichter gegen den kulturellen Niedergang stemmen. Als ihnen vorgegaukelt wird, die in Münster versammelten Politiker würden sich für ihr Treffen in Telgte interessieren, glauben sie, ihre Machtlosigkeit überwunden zu haben und debattieren über einen Friedensappell ...
mehr erfahren

Kritik

"Das Treffen in Telgte" ist eine schelmische und selbstironische, unterhaltsame und sprachlich geschliffene Erzählung von Günter Grass voller Anspielungen auf die "Gruppe 47".
mehr erfahren

Im Sommer 1647, ein Jahr vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, lädt der Dichter Simon Dach aus Königsberg mehr als zwanzig deutsche Poeten und Schriftsteller zu einem Literaturtreffen nach Oesede bei Osnabrück.

Lauremberg und Geflinger kamen von Jütland hoch, von Regensburg runter zu Fuß, die anderen beritten oder in Planwagen. Wie einige flussab segelten, nahm der alte Weckherlin von London nach Bremen den Schiffsweg. Sie reisten von nah und fern, aus allen Gegenden an. Ein Kaufmann, dem Frist und Datum geläufig wie Gewinn und Verlust sind, hätte erstaunen können über den pünktlichen Eifer der Männer des bloßen Wortgeschehens, zumal die Städte und Ländereien noch immer oder schon wieder verwüstet, mit Nesseln und Disteln verkrautet, von Pestilenz zersiedelt und alle Wege unsicher waren.
Deshalb erreichten Moscherosch und Schneuber, die von Straßburg her die Reise gemacht hatten, ausgeraubt (bis auf ihre den Wegelagerern nichtsnutzen Manuskripttaschen) das abgesprochene Ziel: Moscherosch lachend und um eine Satire reicher; Schneuber jammernd und schon die Schrecken des Rückweges vor Augen. (Sein Arsch war wund von Schlägen mit flacher Klinge.) (Seite 7f)

Weil sich in dem von Simon Dach als Tagungsort vorgesehenen Gasthof „Zum Rappenhof“ in Oesede inzwischen der Stab des schwedischen Kriegsrates Erskein einquartiert hat, droht die Versammlung schon vor dem Beginn zu platzen. Verzagt wollen einige der Angereisten sich auf den Rückweg machen. Doch „ein rotbärtiger Kerl, der sich Christoffel Gelnhausen nannte“ und mit Georg Philipp Harsdörffer, dessen Verleger Wolfgang Endter und Sigmund von Birken aus Nürnberg kam, weiß Rat. Mit der von ihm geführten Einheit kaiserlicher Reiter und Musketiere requiriert er kurzerhand vier Gespanne und bringt die Poeten nach Telgte östlich von Münster. Offenbar kennt er Libuschka, die angejahrte Wirtin des Brückenhofes – er nennt sie Courage –, aber auch dieses Gasthaus ist belegt, wenn auch nicht mit Soldaten, sondern mit Kaufleuten. Bevor Dach protestieren kann, vertreibt Gelnhausen die Gäste.

Daraufhin machte Gelnhausen mit seinen Kaiserlichen vor dem Stall, vor dem Brückenhof, in dessen Diele, die Stiegen hoch und vor allen Kammern dergestalt Lärm, dass sich die angeketteten Hofhunde schier erwürgten, und gab nicht Ruhe, bis alle Gäste mit ihren Fuhrknechten aus dem Schlaf gerissen waren. Kaum hatten sich die Herren – es waren hansische Kaufleute, die von Lemgo her weiter nach Bremen wollten – vor dem Wirtshaus versammelt, befahl ihnen Gelnhausen, den Brückenhof zu räumen. Er förderte seinen Befehl mit dem Hinweis: Wer sein Leben liebe, der halte Distanz. Es seien unter den matten, wie man ja sehe, hinfälligen Gestalten auf und vor den Fuhrwerken etliche von der Beulenpest befallene Leichenstrohkandidaten. Er geleite mit seinem Kommando ein Malheur, das, um die Friedensverhandlungen nicht zu stören, beiseite geschafft werden müsse, weshalb er, als Leib-Medicus des päpstlichen Nuntius Chigi, nicht nur kaiserliche, sondern obendrein schwedische Order habe, den morbiden Haufen in Quarantäne zu bringen. Und zwar sofort und ohne Widerrede, sonst zwinge man ihn, die Fuhrwerke der Kaufleute samt Stapelware am Emsufer zu verbrennen. Die Pest – das wisse jeder und das sage er als Arzt, der mit allen Weisheiten Saturns geschlagen sei – schone den Reichtum nicht, raffe vielmehr mit Vorbedacht Kostbarkeiten und bedenke Herren in Brabanter Tuch besonders gerne mit ihrem Fieberatem.
Als sich die Herren eine schriftliche Begründung ihrer Ausweisung erbaten, zog Gelnhausen seinen Degen, nannte den seinen Federkiel, wollte wissen, wem er’s zuerst schriftlich geben sollte, und sagte dann: Er müsse die jetzt gleich abreisenden Gäste des Brückenhofes dringlich ersuchen, im Namen des Kaisers und seiner Widersacher, Stillschweigen über den Anlass des plötzlichen Aufbruchs zu wahren, beim Mars und seinen scharfen Hunden. (Seite 17f)

Nach der Begrüßungsrede Dachs diskutieren die Dichter über die Sprache, darüber, was sie zerstört habe und woran sie gesunden könne. Einige der Anwesenden verdammen Mundarten in der Literatur und plädieren dafür, nur hochdeutsch zu schreiben.

Einzig das Hochdeutsche sollte zum immer feineren Instrument verbessert werden, damit es – was mit Schwert und Spieß nicht gelungen sei – das Vaterland leerfege von fremder Herrschaft. (Seite 40)

Andreas Gryphius verkündet den Tod der Literatur und preist die Ordnung schaffende Vernunft.

Heinrich Schütz behauptet, es fehle der deutschen Dichtung an Atem, sie sei mit Wortmüll vollgestopft.

Die Wirtin erklärt den Herren, dass fouragierende Kroaten erst kürzlich ihre Vorräte requiriert hätten. Sie könne deshalb nur mit einem bescheidenen Mahl aufwarten.

Was die Wirtin von ihren Mägden auftragen ließ, war so mager nicht: in tiefen Kummen dampfender Hirsebrei mit ausgelassenem Schweineflom und Speckspirkeln übergossen. Dazu gab es Brühwürste und grobes Brot. Außerdem hatte ihr Garten, der hinterm Haus, von Wildnis umzäunt, geschützt lag (und den die fouragierenden Kroaten übersehen haben mochten), Zwiebeln, Mohrrüben und Rettich hergegeben, was alles roh auf den Tisch kam und zum Braunbier schmeckte. (Seite 42)

Als Gelnhausen am Abend mit der Wirtin in Streit gerät und sie sich von ihm beleidigt fühlt, springt sie auf den Tisch, hebt alle ihre Röcke, lässt die Pluderhosen fallen, dreht ihm den Arsch zu und furzt. In der Befürchtung, dass die Unterhaltung jetzt derber wird, zieht Paul Gerhardt sich in seine Kammer zurück. Tatsächlich geben die Dichter nun Zoten und deftige Anekdoten zum Besten. Die Wirtin erzählt von ihrer Zeit als Marketenderin im Lager vor Mantua und prahlt damit, wie sie sich während der Erstürmung Magdeburgs 1631 durch Tilly bereicherte. Körbeweise habe sie den getöteten Magdeburgerinnen Goldketten vom Hals geschnitten, behauptet sie.

Philipp von Zesen kommt aufgeregt von draußen und berichtet, er habe zahlreiche aufgedunsene Leichen in der Ems vorbeitreiben sehen.

Der Königsberger Domorganist Heinrich Albert trifft verspätet ein und bringt den kursächsischen Hofkapellmeister Heinrich Schütz mit. (Zum Glück hinterließ die Gruppe in Oesede eine Nachricht über den neuen Tagungsort.)

Die drei jüngeren Dichter Sigmund von Birken, Georg Greflinger und Johannes Scheffler (der sich später Angelus Silesius nennen wird) schlafen mit den Mägden der Wirtin auf dem Dachboden, Greflinger mit Marie, Birken mit Marthe und Scheffler mit Elsabe. Als sie am nächsten Morgen erwachen, liegen Greflinger mit Marthe, Birken mit Elsabe und Scheffler mit Marie zusammen. Verwirrt paaren sie sich neu: Greflinger und Elsabe, Birken und Marie, Scheffler und Marthe.

Am zweiten Tag lesen Johann Rist und Johann („Hans“) Michael Moscherosch abwechselnd den Entwurf eines Aufrufs der Dichter an die Fürsten vor, den sie inzwischen mit Georg Philipp Harsdörffer und Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau niederschrieben. Darüber wird nun diskutiert.

Danach wurden (wieder von Rist, dann von Moscherosch) etliche Forderungen gereiht, darunter die Stärkung der Stände, der Verbleib Pommerns und des Elsaß beim Reich, die kurpfälzische Wiedergeburt, die Erneuerung des böhmischen Wahlkönigtums und – natürlich – die Freiheit jeglicher Konfession, die calvinistische mitgenannt. (Das hatten die Straßburger sich ausbedungen. (Seite 92)

Zur Überraschung der Dichter gibt es an diesem Tag üppig zu essen: fünf Gänse, ein Ferkel, ein Hammel und dazu Würste. Bei der Tischdecke scheint es sich um ein Altartuch zu handeln, und die Kerzenleuchter könnten ebenfalls aus einer Kirche stammen. Gelnhausen, der mit seinen Männern aufgebrochen war, bevor die Vögel zu singen begannen, behauptet, bei den Gesandten des Friedenskongresses in Münster gewesen zu sein. Diese hätten das Treffen der deutschen Poeten in Telgte freudig begrüßt, und Graf Johann von Nassau, der Vertreter des Kaisers und Verhandlungsführer, habe dem Kanzleibeamten Isaak Volmar aufgetragen, für das Wohlergehen der versammelten Dichter zu sorgen. Dann zieht Gelnhausen einen Band der „Frauenzimmer Gesprächsspiele“ von Georg Philipp Harsdörffer aus der Tasche und erklärt, den habe ihm der päpstliche Nuntius mitgegeben, und zwar mit der Bitte, ihn vom Autor signieren zu lassen. Harsdörffer fühlt sich geehrt und schreibt erfreut eine Widmung in das Buch.

Als Schütz fragt, warum zwei der kaiserlichen Soldaten verwundet seien, erklärt Gelnhausen, sie seien mit einem schwedischen Kommando zusammengestoßen und hätten es in die Flucht geschlagen. Dabei seien ein Reiter durch einen Streifschuss und ein Musketier durch einen Säbelhieb leicht verletzt worden. Und er gibt zu, die Kostbarkeiten aus den Planwagen der Schweden umgeladen zu haben. Das sei im Sinne der Anordnung des Grafen von Nassau gewesen. Die Feinde hätten die Sachen zuvor einem Bauern abgenommen, der von ihnen ans Scheunentor gespießt worden sei.

Woher ich das alles weiß? Ich saß dazwischen, war dabei. Mir blieb nicht verborgen, dass die Wirtin Libuschka eine ihrer Mägde in die Stadt schickte, etliche Dirnen für die Nacht anzuwerben. Wer ich gewesen bin? Weder Logau noch Gelnhausen. Es hätten ja noch andere geladen sein können; Neumark etwa, der aber in Königsberg blieb. Oder Tscherning, den besonders Buchner vermisste. (Seite 114f)

Doch mit den Herren trug ich den Streit samt Thesen und Gegenthesen durch Gänge und über Treppen. Wieder hatte es – wie schon seit Jahren eingeübt – zwischen Rist und Zesen begonnen: das Gezänk zweier Sprachreiniger. Es ging um Schreibweise, Klangfarbe, Verteutschung, um Neuwörter. Bald hatte man sich theologisch verstrickt. Denn fromm waren sie alle. Jede protestantische Besserwisserei wurde verfochten. Jedermann glaubte sich näher an Gott. Keiner erlaubte dem Zweifel, sein Glaubensdach abzuklopfen. Nur Logau, in dem (uneingestanden) ein Freigeist steckte, verletzte mit seiner anrüchigen Ironie Lutheraner und Calvinisten: Wenn man der altdeutschen und neuevangelischen Scholastik ein Weilchen zugehört hätte, möchte man flugs papistisch werden, rief er. Gut, dass Paul Gerhardt schon schlief. Und noch besser, dass der alte Weckherlin die Herren an ihr verschobenes Vorhaben, den politischen Friedensaufruf der deutschen Poeten, erinnerte. (Seite 134)

Nach dem Mittagessen am dritten Tag besprechen die Dichter erneut den Friedensaufruf.

Der Wirtin gestand Gelnhausen inzwischen, die Gänse, das Ferkel, den Hammel, das Altartuch und die Kerzenleuchter in Coesfeld geraubt zu haben, „wo er die Nonnen des Klosters Marienbrink bis unter die Kutten kenne“ (Seite 136). Dann erzählte Gelnhausen, er habe vor, den Militärdienst zu quittieren und sich als Wirt niederzulassen. Libuschka meinte, dazu sei er ungeeignet. Darüber kam es zum Streit, und Gelnhausen schlug der Wirtin mit der Faust aufs Auge. Als die Poeten fragen, was mit ihrem Auge geschehen sei, verrät die Wirtin, woher Gelnhausen die Kostbarkeiten hatte. Der gibt alles zu, auch dass ein von ihm bestochener Diener Harsdörffers Buch aus der Bibliothek des Nuntius stahl. Zugleich beteuert Gelnhausen, es nur gut gemeint zu haben, mit den Gaumenfreuden ebenso wie mit der Lüge, die Politiker würden sich für das Treffen in Telgte interessieren.

Noch vor dem Ende des Literaturtreffens zieht Gelnhausen mit seinen Reitern und Musketieren ab. (Später wird er dichten und sich Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen nennen.)

Zum Schluss einigen sich die Poeten auf ein Friedensmanifest.

Ganz ohne Rists Donnerworte kam der neue Text aus. Keine letzte Wahrheit wurde verkündet. Schlicht las sich die Bitte der versammelten Poeten, gerichtet an alle den Frieden suchenden Parteien, die Sorgen der zwar ohnmächtigen, aber doch der Unsterblichkeit verdingten Poeten nicht gering zu achten. Ohne den Schwed, den Franzos als Landräuber haftbar zu machen, ohne den bayrischen Landschacher zu verklagen und ohne Nennung auch nur einer der zerstrittenen Konfessionen wurden mögliche Gefahren und Friedenslasten mit Blick in die Zukunft kundgegeben: Es könnten sich in das ersehnte Friedenspapier Anlässe für künftige Kriege schleichen; es werde, bei fehlender Toleranz, der so heiß ersehnte Religionsfrieden nur weiteren Glaubenszwist zur Folge haben; es solle doch, bitte, mit der Erneuerung der alten Ordnung, so sehr deren Segen erwünscht sei, das altgewohnte Unrecht nicht miterneuert werden; und schließlich die Sorge der versammelten Dichter als Patrioten: Es drohe dem Reich Zerstückelung dergestalt, dass niemand mehr in ihm sein Vaterland, das einstmals deutsch geheißen, erkennen werde. (Seite 173)

In seiner Abschlussrede meint Simon Dach, der Aufwand habe sich gelohnt. Noch während er redet, schreit die Wirtin: „Feurio!“ Der Brand breitet sich vom schadhaften Reetdach her aus und zerstört den Brückenhof samt dem dazu gehörenden Stall.

Ohne ein Wort zu sagen, lädt Libuschka mit ihren Mägden Bündel und Küchenpfannen auf einen Esel, setzt sich auf einen zweiten und reitet davon.

Das Manifest! rief Rist. Wo ist? Wer hat? Dach stand mit leeren Händen. Zwischen den Gräten des Fischgerichtes war auf dem langen Tisch der Friedensaufruf der deutschen Poeten vergessen worden. (Seite 180)

In drei Planwagen fahren die Poeten nach Osnabrück. Von dort aus kehren sie einzeln oder in Gruppen in ihre Heimatorte zurück.

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

1647, genau dreihundert Jahre vor der ersten Tagung der „Gruppe 47“ in Herrlingen bei Ulm, findet ein (fiktives) Literatur-Treffen in Telgte östlich von Münster statt. Ein Jahr vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges – inmitten der Not, der Zerstörung und des moralischen Verfalls – wollen sich rund zwanzig Barock-Dichter gegen den kulturellen Niedergang stemmen. Dabei werden sie jedoch selbst zu Nutznießern des Krieges, denn ein kaiserlicher Offizier requiriert für sie gewaltsam Kost und Logis. Als ihnen vorgegaukelt wird, die in Münster versammelten Politiker würden sich für ihr Treffen in Telgte interessieren, glauben sie, ihre Machtlosigkeit überwunden zu haben. In literarischen wie konfessionellen Fragen heillos zerstritten, debattieren sie in Telgte und verfassen am Ende sogar einen Friedensappell. Weil sie das Papier dann aber auf dem Tisch liegen lassen, als sie wegen eines Feuers aus dem Gasthaus fliehen, geht das Manifest verloren und die Poeten reisen ab, ohne etwas erreicht zu haben.

„Das Treffen in Telgte“ ist eine schelmische und selbstironische, unterhaltsame und sprachlich geschliffene Erzählung voller Anspielungen auf die „Gruppe 47“.

Günter Grass hat sie Hans Werner Richter, dem Gründer der „Gruppe 47“, zum 70. Geburtstag gewidmet. Der Königsberger Dichter Simon Dach ist in „Das Treffen in Telgte“ das Pendant zu Hans Werner Richter. Bei Andreas Gryphius, der sich in seinen Gedichten und Dramen mit den Folgen des Krieges beschäftigt, denken wir an Heinrich Böll. Der Altphilologe August Buchner neigt wie Marcel Reich-Ranicki zum Dozieren. Georg Greflinger, der Mitte der Sechzigerjahre des 17. Jahrhunderts in Hamburg anfing, den „Norddeutschen Mercurius“ herauszugeben und als erster Zeitungsredakteur im deutschsprachigen Raum gilt, weist Parallelen mit dem „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein auf. Mehrmals erwähnt der Autor, er habe auch am Treffen von Telgte teilgenommen, und es wird vermutet, dass Günter Grass sich mit Hans Jacob Christoffel von Gelnhausen bzw. Grimmelshausen identifizierte, dem einzigen beherzten Pragmatiker unter den Intellektuellen, aber es heißt in „Das Treffen von Telgte“:

Wer ich gewesen bin? Weder Logau noch Gelnhausen. (Seite 115)

Bei Libuschka, der Wirtin des Brückenhofs in Telgte, handelt es sich um die Protagonistin des um 1669 von Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen veröffentlichten Schelmenromans „Trutz Simplex oder Ausführliche und wunderseltzame Lebensbeschreibung der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche […] Von der Courasche eigener Person dem weit und breitbekannten Simplicissimo zum Verdruß und Widerwillen dem Autori in die Feder dictirt, der sich vor dißmal nennet Philarchus Grossus von Trommenheim“. Die Marketenderin lieferte auch das Vorbild für die Hauptfigur in dem 1941 uraufgeführten Drama „Mutter Courage und ihre Kinder. Eine Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg“ von Bertolt Brecht.

Wenn auch das Treffen in Telgte fiktiv ist, lässt Günter Grass Personen auftreten, die real existierten:

  • Heinrich Albert (1604 – 1651), Komponist und Domorganist aus Königsberg
  • Sigmund von Birken (1626 – 1681), Dichter und freier Schriftsteller aus Nürnberg
  • August Buchner (1591 – 1661), Altphilologe („sächsischer Literaturmagister“) aus Wittenberg
  • Daniel Czepko von Reigersfeld (1605 – 1660), schlesischer Dichter und Dramatiker
  • Simon Dach (1605 – 1659), Dichter aus Königsberg
  • Wolfgang Endter, Verleger aus Nürnberg
  • Paul Gerhardt (1607 – 1676), evangelisch-lutherischer Kirchenliederdichter aus Berlin
  • Georg Greflinger (um 1618 – 1677), Dichter, Schriftsteller und Journalist aus Hamburg
  • Hans Jacob Christoffel von Gelnhausen / Grimmelshausen (um 1622 –1677), Oberstleutnant (später: Schriftsteller)
  • Andreas Gryphius (1616 – 1664), Dichter und Dramatiker aus Straßburg
  • Georg Philipp Harsdörffer (1607 – 1658), Dichter aus Nürnberg
  • Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616 – 1679), Lyriker aus Breslau
  • Johann Lauremberg (1590 – 1658), niederdeutscher Dichter und Schriftsteller
  • Friedrich von Logau (1605 – 1655), schlesischer Dichter
  • Johann („Hans“) Michael Moscherosch (1601 – 1669), Satiriker, Politiker und Pädagoge aus Straßburg
  • Johann Rist (1607 – 1667), Dichter und evangelisch-lutherischer Prediger aus Hamburg
  • Johannes Scheffler (später: Angelus Silesius, 1624 – 1677), Lyriker
  • Johann Matthias Schneuber (1614 – 1665), Lyriker aus Straßburg
  • Heinrich Schütz (1585 – 1672), Komponist
  • Georg Rodolf Weckherlin (1584 – 1653), Lyriker aus London
  • Philipp von Zesen (1619 – 1689), Dichter und Schriftsteller aus Holland

 

Die 23 Kapitel der Originalausgabe von „Das Treffen von Telgte“ wurden in der Ausgabe des Rowohlt-Taschenbuchverlags von 1981 um „dreiundvierzig Gedichte aus dem Barock“ erweitert.

Die Erzählung „Das Treffen in Telgte“ gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Günter Grass (Steidl Verlag, Göttingen 2005, 5 CDs, Mitschnitt einer Aufnahme aus dem Jahr 1982).

Literaturhinweis: Stephan Füssel (Hg.), Günter Grass. Das Treffen in Telgte. Erläuterungen und Dokumente (Reclam, Stuttgart 1999)

nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)

Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009
Textauszüge: © Luchterhand Verlag

Gruppe 47

Günter Grass (Kurzbiografie)
Günter Grass: Die Blechtrommel
Günter Grass: Katz und Maus
Günter Grass: Der Butt
Günter Grass: Die Rättin
Günter Grass: Unkenrufe (Verfilmung)
Günter Grass: Mein Jahrhundert
Günter Grass: Im Krebsgang
Günter Grass: Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung

Claude Simon - Die Straße in Flandern
Claude Simon sprengt die gewohnte Erzählweise: Zeit und Raum ignorierend, montiert er seine Romane kunstvoll aus Handlungsfragmenten. Obwohl er nicht vorhat, die Wirklichkeit abzubilden, rauben einem gerade die Szenen, die er hyperrealistisch wie in Zeitlupe ablaufen lässt, schier den Atem.
Die Straße in Flandern