Seyran Ates : Große Reise ins Feuer

Große Reise ins Feuer
Große Reise ins Feuer Originalausgabe: Rowohlt Verlag, Berlin 2003 ISBN: 978-3-871-34452-7, 251 Seiten Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2006 ISBN: 978-3-499-23803-1, 251 Seiten
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Während Seyran Ates in der Jugend darunter litt, dass sie das Selbstbewusst-sein, das sie in der Schule in Berlin entwickelte, »wie einen Mantel ablegen« musste, sobald sie die Wohnung ihrer türkischen Familie betrat, betrachtet sie ihre Transkulturalität inzwischen längst als Bereicherung. Seyran Ates, die 1984 bei einem Anschlag lebensgefährlich verletzt worden war, engagiert sich als Anwältin in Berlin für unterdrückte Frauen ...
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Kritik

Seyran Ates versteht es, in "Große Reise ins Feuer" die Selbstdarstellung einer starken Frau und das Protokoll ihrer Emanzipation mit aufschlussreichen Beobachtungen und politischen Stellungnahmen zu verbinden.

Kurzbiografie von Seyran Ates

Während Seyran Ates in der Jugend darunter litt, dass sie das Selbstbewusstsein, das sie in der Schule in Berlin entwickelte, »wie einen Mantel ablegen« musste, sobald sie die Wohnung ihrer türkischen Familie betrat, betrachtet sie ihre Transkulturalität inzwischen längst als Bereicherung – ebenso wie ihre Bisexualität. Mit 17 lief sie von ihren Eltern fort. Glücklicherweise erging es ihr nicht wie Hatun Sürücü, die im Alter von 23 Jahren Opfer eines »Ehrenmordes« wurde. Allerdings wurde Seyran Ates 1984 bei einem Anschlag lebensgefährlich verletzt. – 1998 ließ sie sich als Rechtsanwältin in Berlin nieder. Sie vertritt vor allem Frauen, die von Männern unterdrückt werden, leistet mit ihrer juristischen Arbeit zugleich einen politischen Beitrag und meldet sich in der Integrationsdebatte zu Wort, indem sie sich vehement gegen das Tragen von Kopftüchern ausspricht und das Multikulti-Konzept für gescheitert erklärt.

Seyran Ates beginnt ihre Autobiografie „Große Reise ins Feuer. Die Geschichte einer deutschen Türkin“ mit Porträts ihrer Großväter und der Geschichte ihrer Eltern. Das Buch endet um 2000 mit ihren Anfängen als Rechtsanwältin. Seyran Ates versteht es sehr gut, mit persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen zugleich Besonderheiten von Türken und Deutschen zu beleuchten. Außerdem fügt sie Überlegungen beispielsweise über das Tragen des Kopftuchs ein und bezieht dabei Stellung. Ohne Scheu kritisiert sie die Machtstrukturen in deutsch-türkischen Sozialeinrichtungen für Frauen. Gerade die Verbindung von Privatem und Politischem macht das Buch aufschlussreich; zugleich fesselt es durch die Selbstdarstellung einer starken Frau und das Protokoll ihrer Emanzipation.

Stilistisch ist „Große Reise ins Feuer“ weniger überzeugend als inhaltlich. Seyran Ates schreibt zwar ruhig, sachlich, und bis auf ein paar unnötige Wiederholungen schnörkellos, aber einige Sätze sind ihr missraten:

Letztlich war es das rigide, ausländerfeindliche Verhalten deutscher Behörden gegenüber Ausländern, die ihre Rechte nicht kannten, und meine eigene Unterdrückung, weil ich ein Mädchen war, was mich zum Jurastudium gebracht hatte. (Seite 189)

Besonders auffallend ist, dass Seyran Ates immer wieder umgangssprachliche Ausdrücke wählt, die nicht zur Schriftsprache passen, und zwar nicht etwa in Dialogen, sondern im laufenden Text. Hier sind einige Beispiele: abhauen (Seite 7 / Seite 84), anpflaumen (Seite 76), anmachen (Seite 79), verkrachen (Seite 113), Kanone (statt Pistole, Seite 150), es wurmte mich (Seite 190), sauer sein (Seite 193). Ärgerlicher als Druckfehler in Jahreszahlen (Seite 224) sind Schludrigkeiten, die offenbar auch im Lektorat nicht auffielen. Da besucht beispielsweise ein mit sechs oder sieben Jahren eingeschultes Mädchen im Alter von neun Jahren die vierte Klasse, ohne eine Klasse übersprungen zu haben (Seite 63). Diese Unzulänglichkeiten sollten aber niemanden davon abhalten, „Große Reise ins Feuer“ zu lesen, denn gegenüber dem packenden und aufschlussreichen Inhalt fallen sie nicht sonderlich ins Gewicht.

Der Titel des Buches leitet sich übrigens aus der Bedeutung des Namens der Autorin ab: Seyran lässt sich mit Ausflug übersetzen, Ates heißt so viel wie Feuer oder Fieber.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Textauszüge: © Rowohlt

Seyran Ates (Kurzbiografie)

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