Alfred Döblin : Die Ermordung einer Butterblume
Inhaltsangabe
Kritik
Ein schwarz gekleideter Herr – er heißt Michael Fischer – schlendert den breiten Fichtenweg nach St. Ottilien hinauf. Sein Spazierstock bleibt mitunter am Unkraut hängen. Plötzlich beginnt Herr Michael, mit dem Stock auf die Blumen einzuschlagen, mit Hieben, „mit denen er seine Lehrlinge zu ohrfeigen gewohnt“ ist, wenn sie nicht geschickt genug die Fliegen im Kontor fangen.
Die Hiebe sausten rechts und links. Über den Weg flogen Stiele und Blätter.
Schnaufend geht er weiter. Er wundert sich über sich selbst. „Die Stadt macht mich nervös“, denkt er. Unvermittelt schlägt er einer Butterblume den Kopf ab.
Sein Arm hob sich, das Stöckchen sauste, wupp, flog der Kopf ab. Der Kopf überstürzte sich in der Luft, verschwand im Gras. Wild schlug das Herz des Kaufmanns. Plump sank jetzt der gelöste Pflanzenkopf und wühlte sich in das Gras. Tiefer, immer tiefer, durch die Grasdecke hindurch, in den Boden hinein. Jetzt fing er an zu sausen, in das Erdinnere, dass keine Hände ihn mehr halten konnten. Und von oben, aus dem Körperstumpf, tropfte es, quoll aus dem Halse weißes Blut, nach in das Loch, erst wenig, wie einem Gelähmten, dem der Speichel aus dem Mundwinkel läuft, dann in dicken Strom, rann schleimig, mit gelbem Schaum auf Herrn Michael zu […]
Das ist seltsam. Verstört setzt er seinen Weg fort. Jetzt heißt es: Selbstbeherrschung! Er malt sich aus, wie komisch es wäre, wenn an den Litfaßsäulen Freiburgs ein rotes Plakat hinge:
„Mord begangen an einer erwachsenen Butterblume, auf dem Weg vom Immental nach St. Ottilien, zwischen sieben und neun Uhr abends.“
Weil es ihm unheimlich wird, nimmt er sein Taschenmesser heraus und klappt es auf. Er überlegt, ob er umkehren und die Butterblume reparieren soll. Er könnte sie mit Hölzchen stützen und den abgeschlagenen Kopf mit Klebeband wieder am Stiel befestigen. Aber da ist nichts mehr zu machen.
Am nächsten Vormittag im Kontor richtet er ein Konto für die Butterblume ein und verlangt von der Wirtschafterin, von nun an neben seinem Gedeck auch ein Näpfchen mit Speise und Trank für die Butterblume zu stellen. Er büßt für seine geheimnisvolle Schuld.
Ein Jahr vergeht. Der Kaufmann erinnert sich an die gesetzlichen Regelungen über die Kompensation einer Schuld in § 2403 Absatz 5. Da gräbt er mit dem Taschenmesser eine Butterblume aus, trägt sie behutsam nach Hause und pflanzt sie in einen „goldprunkenden Porzellantopf“, den er auf einem Mosaiktischchen in seinem Schlafzimmer postiert. Er nennt die Butterblume „Ellen“ und genießt es, dass sie „gesetzlich, eventuell unter polizeilichen Maßregeln zur Resignation gezwungen“ ist. Das steigert sein Selbstbewusstsein.
Eines Abends gesteht ihm die Wirtschafterin, das Tischchen sei beim Reinemachen umgestürzt, der Topf zerbrochen. Die Pflanze habe sie samt den Scherben in den Mülleimer geworfen.
Der runde Herr Michael warf die Tür ins Schloss, schlug die kurzen Hände zusammen, quiekte laut vor Glück und hob die überraschte Weibsperson an den Hüften in die Höhe, so weit es seine Kräfte und die Deckenlänge der Person erlaubten […]
Es war keine Frage. Er hatte den Wald übertölpelt.
Gleich will er wieder hinauf nach St. Ottilien. In Gedanken sieht er sich schon seinen Stock schwingen: nicht nur Blumen, sondern auch Kaulquappen und Kröten sollen daran glauben.
Ich weiß nicht, auf was Alfred Döblin mit seiner Erzählung „Die Ermordung einer Butterblume“ anspielt. Geht es um das Verhältnis des Menschen zur Natur? Oder die Unterdrückung einer Ehefrau durch ihren Mann? – Aber auch so fasziniert mich die groteske Geschichte.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006
Textauszüge: © Walter-Verlag
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