Tom Drury : Die Traumjäger

Die Traumjäger
Originalausgabe: Hunts in Dreams Houghton Mifflin, New York 2000 Die Traumjäger Übersetzung: Gerhard Falkner, Nora Matocza Klett-Cotta, Stuttgart 2008 ISBN: 978-3-608-93607-0, 255 Seiten dtv, München 2010 ISBN: 978-3-423-13878-9
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Der Klempner Charles Darling wohnt mit seiner Frau Joan und dem gemeinsamen,
7-jährigen Sohn Micah in einem alten Haus außerhalb der Stadt. Seit kurzem ist auch Joans aus einer Beziehung mit einem Schauspieler stammende und nach der Geburt zur Adoption weggegebene 16-jährige Tochter Lyris da. Jeder von ihnen jagt einem Traum nach: Charles möchte ein altes Gewehr haben, Joan sehnt sich nach Romantik, Lyris wollte schon immer zu einer Familie gehören, und Micah möchte mehr über die Welt erfahren ...
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Kritik

Lakonisch und ohne Effekthascherei erzählt Tom Drury, was die vier Hauptfiguren an vier aufeinander folgenden Tagen erleben. "Die Traumjäger" ist eine bewusst einfache, unspektakuläre Geschichte.
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Der Mann hinter dem Ladentisch im Waffengeschäft begriff nicht, was Charles wollte, deshalb rief er seine Schwester aus dem Hinterzimmer, aber die begriff es auch nicht. Es war an einem Freitagnachmittag im Oktober, und Charles kam sich vor, als spräche er in einer fremden Sprache. (Seite 9)

Mit diesem Absatz beginnt Tom Drury seinen Roman „Die Traumjäger“.

Am einem Freitag im Oktober fragt Charles Darling in einem Waffengeschäft in der Kleinstadt Boris, ob der Besitzer nicht Farina Matthews, der Witwe des verstorbenen Reverends in Grafton, ein altes Gewehr abkaufen könnte, das er dann erwerben würde. Weil weder der Waffenhändler noch dessen Schwester dazu bereit sind, fährt Charles selbst zu Farina Matthews, aber sie will den doppelläufigen Repetierer, der über ihrem Kamin hängt, nicht hergeben.

Die Waffe hatte früher Charles‘ Stiefvater Jack Sandover gehört. Der war vor dreißig Jahren als Anhalter von dem Geistlichen und dessen Frau mitgenommen worden. Das Gewehr, das er bei sich trug, wollte er im Pfandhaus versetzen, aber als ihm der Reverend 60 Dollar dafür bot, überließ er es ihm. Im Herbst 1967 gingen Charles und sein Stiefvater damit auf Fasanenjagd. Und nun möchte Charles es unbedingt besitzen.

Charles‘ Mutter Colette war dreimal verheiratet: Morris, Eugene und Jack hießen die Männer. Inzwischen sind sie alle tot. Charles („Tiny“) und sein älterer Bruder Jerry stammten aus der zweiten, ihre Stiefschwester Bebe aus der dritten Ehe.

Nach der Scheidung von seiner ersten Frau, Louisa, heiratete Charles die Schauspielerin Joan Gower Darling. Der Klempner wohnt mit ihr und dem gemeinsamen, jetzt siebenjährigen Sohn Micah in einem hundert Jahre alten Haus auf einem riesigen Grundstück südlich von Boris. Seit dem 11. Juli ist auch Joans sechzehnjährige Tochter Lyris bei ihnen. Deren Vater war ein Schauspieler, der mit Joan zusammen in den Achtzigerjahren einen Theaterworkshop in Chicago besucht hatte. Nach der Geburt hatte Joan das Kind zur Adoption weggegeben; Lyris war zunächst im Waisenhaus und dann bei wechselnden Pflegeeltern aufgewachsen. Die letzten, Pete und Jackie, wurden im Sommer in Illinois verhaftet, weil man Material und Pläne zum Bombenbasteln bei ihnen gefunden hatte. Danach brachte eine Wohltätigkeitsorganisation Lyris zu ihrer leiblichen Mutter.

Joan ist längst nicht mehr als Schauspielerin tätig. Seit einiger Zeit engagiert sie sich als Geschäftsführerin eines Tierschutzvereins in Stone City. Dorthin fliegt sie am Samstag, um eine Rede vor der Kreisversammlung zu halten.

Am späten Samstagabend weckt Charles seinen Sohn und bringt ihn zu seiner Mutter nach Boris. Er fährt nach Grafton, bricht bei Farina Matthews ein und vertauscht das über dem Kamin hängende Gewehr mit einem ähnlichen, das er mitgebracht hat. Durch die Geräusche erwacht die Witwe. Sie überrascht den Einbrecher und schlägt ihm mit einem Kleiderbügel die Nase blutig, bevor er sich zu erkennen gibt. Endlich ist sie bereit, ihm das Gewehr zu überlassen; sie will nur 60 Dollar dafür, so viel wie ihr Mann damals dafür zahlte. Charles gibt ihr 10 Dollar extra für die Reparatur des von ihm aufgeschnittenen Fliegengitters.

Währenddessen nimmt Joan den Arzt Stephen Palomino mit in ihr Hotelzimmer und schläft mit ihm. Sie lernten sich unlängst bei einem Tornado kennen. Joan war mit Micah im Lieferauto ihres Mannes unterwegs, als sie den Tornado kommen sah. In der verlassenen Farm, in die sie sich flüchteten, hatte auch Palomino Zuflucht gesucht.

In derselben Nacht sitzt Lyris mit William („Billy“) Follard auf einer der vier Brücken über den North-Pin-Fluss. Lyris fragt, ob das Gerücht stimme, er habe vor einigen Jahren sein Elternhaus angezündet. Follard behauptet, seine Mutter habe auf seinen Vater geschossen, und da sei er aus dem Fenster gesprungen. Zufällig sei zur gleichen Zeit ein Feuer ausgebrochen. Seine Mutter wurde freigesprochen, denn es war Notwehr. Sein durch die Schüsse und das Feuer verletzter Vater kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Er selbst musste sich wegen Brandstiftung vor Gericht verantworten, wurde jedoch aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Weil Follard sie nicht nach Hause bringt, springt Lyris von der Brücke ins Wasser. Ein Stück flussabwärts klettert sie ans Ufer und sucht mit ihrer nassen Kleidung Zuflucht in einer Holzhütte. Dort wird sie von Leo Miner entdeckt, der mit seinen Freunden Kevin, Vincent und Old Bob auf Fuchsjagd ist. Er bringt sie um 3 Uhr nachts nach Hause.

Am nächsten Morgen gibt Colette ihrem Enkel ein paar selbst gemachte Donuts mit und bringt ihn nach Hause.

Leo berichtet Jerry, wo er dessen Stiefnichte Lyris in der Nacht völlig durchnässt vorfand und behauptet, Follard habe sie ins Wasser gestoßen. Jerry erzählt es seinem Bruder Charles, und der sucht am Abend Follard auf. Es kommt zu einer Rauferei. Follard sticht Charles mit einem Taschenmesser, das er am Freitag zwei Jugendlichen abnahm, in den Hals, und der schleudert ihn so heftig gegen das Treppengeländer, dass Follard ein paar Rippenbrüche erleidet.

Am Montagmorgen ruft Joan an und teilt Charles mit, sie werde erst im Frühjahr wieder nach Hause kommen, sie brauche Zeit zum Nachdenken. Dann verlässt sie das Hotel und besorgt sich am Busbahnhof eine beliebige Fahrkarte. Die Angestellte verkauft ihr eine nach Lonachan. Dorthin würden viele fahren, meint sie, um die Schäden zu besichtigen, die der Tornado vom letzten Sommer verursachte.

Den Kindern erklärt Charles, Joan müsse unerwartet eine länger dauernde wichtige Arbeit verrichten und könne erst im Frühjahr wiederkommen. Lyris ist alt genug, um die Lüge zu durchschauen. Mehr als sie leidet Micah unter der Abwesenheit der Mutter.

Follard arbeitet an diesem Montag bei einem Onkel in dessen Schuhgeschäft. Vor Schmerzen wird ihm übel. Zufällig kommt Dr. Palomino vorbei, um Schuhe zu kaufen. Er untersucht Follard, verschreibt ihm Medizin und rät ihm, sich nicht heftig zu bewegen, damit die gebrochenen Rippen wieder zusammenwachsen können.

Charles fährt mit Micah zu dem Waffengeschäft, zeigt dem Besitzer und dessen Schwester das doppelläufige Repetiergewehr und probiert es mit ihnen zusammen beim Tontaubenschießen aus.

Lyris bringt ihrem Onkel Jerry eine Nachricht von ihrer Schulfreundin Octavia („Taffy“) Perry. Deren Eltern haben herausgefunden, dass sie ein Verhältnis mit einem Mann hat, der ihr Vater sein könnte. Jetzt will Octavia Jerry heimlich um Mitternacht treffen und mit ihm nach Texas durchbrennen.

An der Tankstelle füllt Follard einen Kanister Benzin ab. Er bastelt eine Bombe und geht damit im Dunkeln zu Charles, um sich zu rächen. Unterwegs fällt er jedoch in das schlecht abgedeckte Loch einer Zisterne oder eines Brunnens. Die Fuchsjäger Leo, Vincent, Old Bob und Kevin hören seine Hilferufe. Als sie ihn herausziehen, wundern sie sich über das Benzin, das er bei sich hat. Das habe er für seine Zeltlampe besorgt, lügt Follard. Einer der Männer gießt das Benzin unter einem abgestorbenen Baum aus und zündet es an. Der Baum brennt wie Zunder.

Den Feuerschein sehen auch Charles, Micah und Lyris von ihrem Haus aus.

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Jede der vier Hauptfiguren in „Die Traumjäger“ wünscht sich etwas, ohne recht zu wissen, wie sie es erreichen kann: Sie jagen Träumen hinterher und können nicht verhindern, dass die Familie auseinanderfällt. Mit Ausnahme einiger Erinnerungen spielt die Handlung an vier Tagen – von Freitag bis Montag – in einer Kleinstadt (Boris) und in einer etwas größeren Stadt (Stone City) im Mittleren Westen. Dementsprechend gliedert Tom Drury seinen Roman „Die Traumjäger“ in vier Teile – Freitag, Samstag, Sonntag, Montag – und jeden davon in vier, in wechselnder Reihenfolge mit den Namen Charles, Joan, Lyris, Micah überschriebene Kapitel. Es ist ein langes Wochenende mit einigen wenigen außergewöhnlichen und sehr vielen alltäglichen Ereignissen. Davon erzählt Tom Drury lakonisch und ohne Effekthascherei; „Die Traumjäger“ ist eine bewusst einfache, unspektakuläre Geschichte. In dem Figurenreigen tauchen manche Motive mehrmals auf, so zum Beispiel ein altes Gewehr und ein Taschenmesser. Das trägt mit dazu bei, die Episoden zusammenzuhalten.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Textauszüge: © J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger

Tom Drury: Das stille Land

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