Katharina Faber : Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos weiten Strand

Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos weiten Strand
Manchmal sehe ich am Himmeleinen endlos weiten Strand Erstausgabe: Bilgerverlag, Zürich 2002 304 S., ISBN 3-9080-1056-X
Buchbesprechung

Inhaltsangabe

Alain, der im Affekt ein achtzehnjähriges Mädchen erschlug, das sich an ihn klammerte, beginnt nach seiner Flucht von der Gefängnisinsel Mahan eine Affäre mit der unkonventionellen Unternehmerin Darja, die drei Männer in den Tod getrieben hat, ihr Lebenswerk auseinanderbrechen sieht und die Kontrolle über sich verliert.
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Kritik

Das Leid der Protagonisten geht unter die Haut, aber das Besondere an diesem Roman ist die Form: Nicht die Stimme eines Erzählers hören wir, sondern eine Komposition aus einem inneren Monolog der Hauptfigur und eingestreuten Kommentaren von insgesamt mehr als dreißig Figuren.
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Darja Savary ist 51 Jahre alt. Sie wuchs in Zürich auf. Ihren Vater hat sie nie kennen gelernt. Erst nach dem Tod ihrer Mutter fand sie Briefe von ihm. Da nahm sie die Opiumtropfen, mit denen ihre Mutter während der letzten Tage ihre Schmerzen betäubt hatte und schloss sich ein – bis ihr Freund Xavier wie ein Irrer klingelte und gegen die Tür trat, damit sie öffnete. Er riss die Vorhänge auf, packte die Briefe in eine Schachtel, auf die er „vorbei“ schrieb, brachte Darja dazu, Mortadella zu essen und Bier zu trinken und fuhr mit ihr nach Lacanau nordwestlich von Bordeaux, wo sie von ihrer Mutter ein kleines Haus geerbt hatte.

Als im Sommer 1970 – vor bald 30 Jahren – ihr damaliger Geliebter, der deutsche Student Mathias Staritz, während eines Urlaubs in Lacanau seine Koffer packte, um sie zu verlassen, mischte sie ihm Muscarin ins Haschisch. Im Drogenrausch ging er ins Meer. Nach einer Woche wurde seine Leiche angespült. Darjas Sohn Grégoire hat seinen Vater Mathias Staritz nie gesehen.

Ein paar Jahre später heiratete Darja Viktor Ortlieb. Er wurde der Vater von Victoire. Ein Jahr nach deren Geburt fand die damals 28-Jährige den Mut, ihren Ehemann zu verlassen. Sie zog mit dem Baby und ihrem vierjährigen Sohn Grégoire in die südwestfranzösische Kleinstadt Mondour. Dort fand Viktor Orlieb sie schließlich, hielt ihr ein Dokument hin und erklärte, er sei gekommen, um seine Tochter mitzunehmen. Da rief Darja heimlich ihre Freundin Viviane Lessing an, und Viviane nahm die Kinder vorübergehend zu sich, damit Viktor nicht an sie herankam. Viktor ließ es widerstandslos geschehen und wollte dann wieder abreisen.

Plötzlich stand er auf und sagte, er müsse jetzt wieder zurück, er wollte gleich wieder zurückfahren. Ich musste mit ihm reden, ich bat ihn zu bleiben. Es war gefährlich für mich, ihn gehen zu lassen, und er tat mir Leid und ich fürchtete ihn und seine Anwälte und seine Experten, alles gehörte ihm. Ich überredete ihn, ein paar Stunden zu schlafen. Er legte sich ins Wohnzimmer und schlief gleich ein. Sein schöner alter Rover stand in der Einfahrt und starrte vor Dreck, ich öffnete die Haube und riss an den Drähten, ich schaute mich um, es regnete, der Himmel war fast schwarz, das Wasser prasselte auf den Wagen. Als ich die Haube schloss, war ich mir sicher, das Zündkabel so gelockert zu haben, dass der Rover nicht mehr starten würde.

Doch der Wagen sprang an. Die Tabakladenbesitzerin Léar beobachtete, wie Darja aus dem Haus stürzte, schrie und gestikulierte. Bei Montluel nordöstlich von Lyon schlugen plötzlich Flammen aus Viktors Motorhaube. Der Wagen brannte aus. Viktor kam dabei ums Leben. Das war vor über zehn Jahren.

Bald nach seinem Tod ließ seine Familie Darja fallen.

… ein großes gut genährtes Exemplar von Familie mit glänzendem Fell über straff gespannter Muskulatur, seit Jahrhunderten reiche Ernten, Häuser in allen größeren Städten des Landes, Restaurants – sie hatte lange Angst, Viktor würde ihr die Kinder wegnehmen, als sie nach Mondour gekommen war, er hatte es ihr angedroht und nach seinem Tod hatte sie diese Angst immer noch, lange, sie ließ die Kinder nie ohne Begleitung in die Schule und sie holte sie immer ab, sie hatte die Drohung seiner Mutter noch im Ohr, all die Drohungen der Jahre vorher – sie ließ die Kleinen nicht aus den Augen, sie waren die ersten Menschen, die sie um keinen Preis verlieren wollte …

Als Rodolphe Blanchard nach dem Tod seiner Mutter Norma sein Elternhaus zum Kauf anbot, meldete Darja sich auf ein Zeitungsinserat bei dem damals weit über 40-Jährigen. Trotz seiner Homosexualität verliebte er sich zum ersten Mal in eine Frau und zog mit Darja zusammen. Als sie jedoch herausfand, dass er sich an Grégoire herangemacht hatte, setzte sie ihm ein Jahr lang zu, bis er sich noch vor dem Prozess wegen der Verführung Grégoires das Leben nahm. Das ist jetzt sechs Jahre her.

1975 hatte Darja sich in Mondour für ein Spottgeld eine Autowerkstatt gekauft und den bisherigen Inhaber Hervé als Mitarbeiter eingestellt. Unter dem Slogan „Alles was Räder hat – Montadour Cyclo Comp.“ vergrößerte sie den Betrieb von Jahr zu Jahr, bis sie schließlich 35 Leute beschäftigte. Doch 1994 brachen die Geschäfte plötzlich ein. Inzwischen erhält sie von der Bank Crédit Lyonnais keine Kredite mehr und muss zusehen, wie Pierre Orphelin im Auftrag des Geldinstituts ihr Unternehmen „abwickelt“. Orphelin urteilt über die Montadour Cyclo Comp.:

„konzeptionsloser Grundaufbau, verlustreiche Nebenbetriebe, übereilte Zukäufe, Dauerimprovisation statt Planung, dadurch Verzettelung der Kräfte, groteske Stellenplanung, überaltertes Personal in veralteten Strukturen, verkrustete Logistik, paralysierter Vertrieb“

Er sorgt für einen stückchenweisen Verkauf des Unternehmens. Auf seine Veranlassung wurden bereits drei Viertel der Belegschaft entlassen. Mit sechs ungelernten Hilfskräften soll Hervé von vorn anfangen.

Darja muss auch Georges Delèvre kündigen, mit dem sie einmal eine kurze Affäre hatte.

Es ging nicht lange gut und es war nicht lange schön und immer nur für die wenigen Augenblicke draußen oder in einem leeren Bus oder in der Werkstatt, er wurde Stück für Stück wieder auf seinen Overall zurückgestuft, in die Villa hatte Darja ihn ohnhin nie mitgenommen, sie wollte alles nur viehisch und schnell, seinen Händen wich sie aus, sie drehte den Kopf immer weg, wenn er sie streicheln wollte …

Nach seiner Entlassung trinkt Delèvre Rattengift, wird aber von seiner Ehefrau Sonja dabei ertappt und im Krankenhaus gerettet.

Darja steht vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens. Grégoire geht seine eigenen Wege; Victoire reist mit wechselnden Männern durch Europa und sagt:

Von meinem Leben wird nichts bleiben als ein Ankommen und Fortgehen, ich bin in ständiger Bewegung, ich reise ohne Rast durch die Männerriege, die mich aufhält, die mich verzögert, ich bin in einen Lebensverzug geraten durch die vielen Männer, die ich jahrein, jahraus aushalte, denen ich mich verschreibe, die ich dann wieder verlassen muss, weil so eine Unruhe ist in mir, eine Unrast, die mich weitertreibt, aber immer wieder schiebt sich störend die Männerriege dazwischen, das Organ ihrer Macht, ich sehne den Tag herbei, an dem ich ankomme und nicht mehr wieder gehen muss und endlich wählen kann, was ich will, nämlich mehr als dieses Ankommen und wieder Fortgehen …

Nicht einmal der Schriftsteller Louis Ferlinghetti sucht noch Darjas Hilfe: Während einer mehrjährigen Schreibblockade ließ er sich heimlich von Darja Romane schreiben, die er mit ihrem Einverständnis als seine eigenen Werke ausgab und in Viviane Lessings Verlag veröffentlichte. Aber jetzt glaubt er, seine Schaffenskrise überwunden zu haben und will wieder selbst einen Roman schreiben.

Darja ist verzweifelt, betrinkt sich beinahe jeden Tag und klagt:

… ich kann nicht mehr genug trinken, um mich bei Laune zu halten …

Es hat keinen Platz mehr bei mir für den einfachsten Lebensvollzug, mir ist, als hätte ich alles schon zu oft getan, zu oft gesehen, zu oft gedacht, ich esse fast nicht mehr aus Überdruss, ich empfinde Überdruss an allem bis zur Raserei, das Wort Überdruss ist zu schwach für das, was mit mir geschieht, ich sollte vielleicht sagen Ekel, aber das Wort Ekel ist zu schmal, es zielt auf eine verfälschte Sinnlichkeit, das Wort Langeweile ist zu behaglich, es bezeichnet nicht mich, und das Wort, das ich suche, tötet einen ganzen Menschen ganz. Tötet einen ganzen Betrieb ganz.

Da ertappt sie einen jungen Mann, der gerade versucht, ihren alten Lancia zu stehlen.

… er ist ein kleiner Dieb, so wie es tausend andere gibt, er ist ein ungeschickter Dieb, ein ängstlicher Dieb, er hat gezittert und die falschen Kabel rausgerissen und aneinandergehalten und er hatte entsetzliche Angst vor der Polizei, er dachte, ich würde ihn anzeigen. Aber ich habe ihn nur auf den Nebensitz gezwungen und bin ein bisschen mit ihm herumgefahren, ich wollte ihm Angst einjagen, weil ich selber nervös war, als ich diesen Schatten in meinem Auto sah.

Als er damals mein Auto stehlen wollte und im Licht seiner Taschenlampe an den Drähten arbeitete, da erschien er mir wie einer, dem nie etwas Entscheidendes gelingt, wie einer, der immer den richtigen Moment verpasst …

Darja nimmt Alain – so heißt der junge, verschlossene Mann – bei sich auf und beginnt eine Affäre mit ihm. Eigentlich erwartet sie, dass er rasch wieder weiterzieht, doch er bleibt, und inzwischen sehnt sie sich bereits danach, von ihm zu Hause erwartet zu werden. Es ist eine Flucht vor dem deprimierenden Alltag.

… wie alles was jung und roh ist, wie Alain Noiret, der mit mir in meinem Haus lebt, er sagt von sich, er heiße Alain Noiret, er ist ein Dieb, ich glaube ihm kaum seinen Namen, aber ich glaube ihm alles, was er tut, ich glaube ihm jede seiner Bewegungen, ich vertraue ihm, weil nichts an ihm auf Anteilnahme zielt oder auf Sympathie, weil er gleichgültig ist.

Grégoire und Darjas Freunde sind entsetzt. Sie hassen den Fremden, der sich nicht die geringste Mühe gibt, ihnen zu gefallen. Im Gegenteil: Bei einer Party trinkt er bewusst nur Dosenbier und isst direkt von den Platten, während er sonst Wein bevorzugt und bei Tisch „die pedantischsten Zeremonien vollführt“.

Alle schauen ihm auf die Hände, es gibt kaum einen Flecken Haut ohne eine Narbe, eine Verfärbung oder andere Spuren früherer Verletzungen, es gibt keinen Nagel, der gerade und normal gewachsen ist und nicht an einem Ende verkrümmt oder zu einer gelblichen Platte verformt, der Nagel des rechten kleinen Fingers ist ganz verkümmert: eine winzige, schief ins wuchernde Fleisch verwachsene krallenartige Verhornung, Spuren eines namenlosen Handwerks.

Alain fragt nicht nach Darjas Vergangenheit. Umgekehrt ahnt Darja nicht, dass es sich bei Alain um einen Mörder handelt. Es war passiert, als er sich von seiner achtzehnjährigen Geliebten Marie Simonet hatte trennen wollen, weil er ihrer überdrüssig geworden war.

Als ich sie losließ und mich umdrehte, hat sie sich mit aller Wucht von hinten auf mich gestürzt und sich von hinten an mich geklammert, da ist diese Wut über mich gekommen und ich habe ihr den Kopf an die Wand geschlagen, nur ein einziges Mal.

Danach konnte er nicht glauben, dass sie tot war. Er schaltete das Fernsehgerät ein und trank ein Bier nach dem anderen, während er darauf wartete, dass sie aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachte. Erst nach Stunden brachte er sie ins Krankenhaus. Dazu meint Aristide Lannine, ein Freund Maries:

Du hast die arme kleine Marie Simonet zuerst an die Wand geschlagen und dann weiter an ihr gerüttelt, du hast versucht, sie zu füttern, du hast ihr Wasser in die Lungen gedrückt, obwohl sie längst tot war, hast du sie in der Wohnung behalten, du wolltest nicht zugeben, dass sie schon tot war, du hast sie über Stunden in diesem Zimmer behalten, auf ihrem Bett, zwischen den Plüschtieren, die ich für sie gewonnen habe, dann bist du noch schnell mit ihr ins Spital gefahren und hast denen eine Szene gemacht, weil sie die Leiche nicht beatmen wollten, sie hatte ja schon Flecken, sie zeigten dir die Flecken und riefen die Polizei, Drecksack, und nicht einmal die Polizei hat dich von ihrer Leiche weggebracht, du hast weitergelogen, bis sie dir endlich die Zähne eingeschlagen haben, dann konnten sie dich mitnehmen, ich weiß alles, meine Frau hat es mir erzählt.

Auf einer Polizeistation in Marseille schlugen die Polizisten Alain wegen einer unbedachten Äußerung die Vorderzähne aus. (Später ließ er sich Metallzähne einsetzen.) Er wurde in eine geschlossene psychiatrische Anstalt auf der Gefängnisinsel Mahan gebracht. Nach zwölf Jahren gelang es ihm, sich auf einem Boot zu verstecken, das Post und Nachschub zwischen Mahan und La Rochelle transportierte. Unbemerkt glitt er kurz vor dem Festland ins Wasser und schwamm zum Strand, wo er gegenüber den arabischen Kellnern eines Restaurants vorgab, gekentert zu sein. In Mondour überraschte ihn Darja, als er ihren Wagen stehlen wollte, um damit weiter nach Portugal zu fahren und sich aus Europa abzusetzen.

Haijl Djuber, einer der früheren Mitarbeiter der Montadour Cycle Comp., verkraftet die Entlassung nicht, wird verrückt und in eine Anstalt eingewiesen. Doch er läuft fort, besucht Darja und bettelt um Arbeit: „Ich werde alles machen, wo immer Sie mich brauchen.“ Darja fordert ihn auf, zu gehen. Durch ihre brüske Zurückweisung fühlt er sich verletzt und stößt sie. Da steht Alain auf, prügelt auf Haijl ein und wirft ihn hinaus. Haijl hört, wie Darja schreit, Alain solle ihn in Ruhe lassen, sie werde die Polizei rufen. Da dreht Alain sich um. Haijl rennt in den Garten und versteckt sich in einem Gebüsch.

Darja hat nicht vor, nach der Polizei zu telefonieren; sie wollte Haijl nur erschrecken. Doch Alain gerät dadurch in Panik. Er packt sie bei den Schultern und schlägt ihr den Kopf an die Wand.

Ich lehne aber schon sehr lange nicht mehr im Türrahmen, ich lehne mit dem Rücken an der Wand, Alain hat mir die Beine nachgerückt und ein wenig in den Knien gebeugt, er hat mir ein Kissen ins Genick gerollt, aber er ist jetzt nicht mehr da, sein Gesicht war nur sehr schnell ganz dicht vor meinem und er sagte es dann selber: Polizei, er hat selber Polizei gesagt … ich höre nichts mehr, ich höre nicht mehr, ob es Tag ist oder Nacht, weil es in der rechten Seite meines Kopfes Sturm läutet, so ein Kribbeln, fast Lachen! und fast gewaltig breite ich meine Flügel aus, meine Arme, ich stoße mich weg von dieser ekelhaften Wand, ich falle …

Alain streift seiner leblos an der Wand sitzenden Geliebten ein frisches weißes Hemd über, stellt eine Flasche Wasser neben sie, legt kleine Brotstücke und ein paar Scheiben Gurken für sie bereit und geht dann, um aus Europa zu fliehen, bevor ihm die Polizei auf die Spur kommt.

Am anderen Morgen kommt Victoire von einer Reise zurück. Haijl, der im Garten eingeschlafen ist, sieht sie ins Haus gehen. Dann hört er ihren Entsetzensschrei. Kurz darauf wird er als Mörder Darjas verhaftet.

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Im Mittelpunkt des Romans „Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos weiten Strand“ stehen zwei gebrochene Figuren: Alain, der im Affekt ein achtzehnjähriges Mädchen erschlug, das sich an ihn klammerte, und Darja, die drei Männer in den Tod getrieben hat. Nach seiner Flucht von der Gefängnisinsel Mahan gerät Alain an die sehr viel ältere unkonventionelle Frau, die sich in einer Lebenskrise befindet: Ihr über bald 25 Jahre aufgebautes Unternehmen wird von einem Beauftragten der Bank „abgewickelt“. Darja sieht ihr Lebenswerk auseinanderbrechen und verliert die Kontrolle über sich. Dabei hat sie einmal davon gesprochen, wie wichtig es ist, sich von der Vergangenheit befreien zu können.

Man muss doch auch vergessen können, was schwer war und Jahrzehnte zurückliegt, das sind nämlich ganz unglückliche und schwache Menschen, die sich nicht freimachen können von dem, was vorbei und vorüber und nicht mehr zu ändern ist, und die nicht nach vorne blicken, sondern immer nur über Geschichten grübeln, die keiner mehr hören will.

Die Kritik am Wirtschaftssystem ist nur ein Nebenaspekt in „Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos weiten Strand“. Wichtig sind der Autorin Katharina Faber, die selbst aus der Unternehmerfamilie Faber Castell stammt, die beiden Hauptfiguren. Mit viel Liebe zum Detail veranschaulicht sie deren Charaktere und Verzweiflung.

Das Schicksal der Protagonisten geht unter die Haut, aber das Besondere an diesem Roman ist die multiperspektivische Gestaltung: Nur selten – und dann auch nur kurz – tritt der übliche Erzähler in der dritten Person Singular auf. Das meiste erfahren wir aus inneren Monologen Darjas. Dieser Bewusstseinsstrom wird nahezu auf jeder Seite von Kommentaren anderer Romanfiguren unterbrochen, ergänzt, „korrigiert“. Rodolphe Blanchard kritisiert beispielsweise, dass Darja seinen Namen ständig falsch schreibt: Rudolphe statt Rodolphe. Und er beschwert sich: „Niemand wird mich verstehen, wenn sie mich erzählt. Man wird immer von den Falschen erzählt.“ Viktor (der vor zehn Jahren ums Leben kam) widerspricht Darja, als sie behauptet, sich gut um ihre beiden Kinder gekümmert zu haben: „Nein, nein! Ganz anders! Wahrheit: Die Kinder waren verwahrlost! […] Wie eine Löwin, eine kranke Löwin, Darja war damals wie eine vollkommen kranke Löwin, mit ihrer Brut!“ Etwa 35 Personen treten in „Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos weiten Strand“ auf. (Ein Verzeichnis im Vorspann hilft, beim Lesen die Übersicht zu behalten.) Aus diesen Stimmen komponierte Katharina Faber einen poetisch kraftvollen Roman. Diese ausgefallene Form wirkt nicht prätentiös, sondern wie selbstverständlich, und steht im Einklang mit den geschliffenen langen Sätzen der inneren Monologe, in denen sich die bedrückende Romanhandlung spiegelt.

Der Satz „Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos weiten Strand und weiß gekleidete Leute“ stammt von Arthur Rimbaud, und zwar aus „Une Saison en enfer“ (1873; deutsch: Eine Zeit der Hölle, 1907).

Katharina Faber (*1952) studierte Medizin, begann jedoch bald nach dem Studium mit dem Schreiben von Kurzgeschichten, Romanen und Theaterstücken. Für ihren Debütroman „Manchmal sehe ich am Himmel einen endlos weiten Strand“ suchte sie acht Jahre lang nach einem Verlag. Erst im Bilgerverlag in Zürich erkannte man den Wert dieses Manuskripts.

Für das Buch wurde Katharina Faber bei den 33. Rauriser Literaturtagen in den Hohen Tauern mit dem von der Salzburger Landesregierung vergebenen Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet.

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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003
Textauszüge: © Bilgerverlag

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Mehr als zwei Jahrzehnte lang las ich rund zehn Romane pro Monat und stellte sie dann mit Inhaltsangaben und Kommentaren auf dieser Website vor. Zuletzt dauerte es schon zehn Tage und mehr, bis ich ein neues Buch ausgelesen hatte, und die Zeitspanne wird sich noch verlängern: Aus familiären Gründen werde ich das Lesen und die Kommunikation über Belletristik deutlich reduzieren.